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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0037

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M.8.

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Dienstag, de« 10. Januar

1889.

Deutsches Reich.
— Ueber seinen jüngsten Zug nach dem Süden des
Schutzgebietes D e uts ch - Süd w est a frika hat der
Gouverneur, Major Leut wein, unter dem 28. Oktober
1898 aus Keetmanshoop folgenden Bericht erstattet:
Der Zweck der nach Süden unternommenen Expedition ist
erreicht und der Frieden in diesem Theile des Schutzgebietes
wieder hergestellt worden. Die beiden schuldigen Kapitäne sind
vor ein Gericht der nichtbetheiligten übrigen Kapitäne des Nama-
londes gestellt und von diesem zur Tragung der Kosten der Ex-
pedition zu gleichen Theilen, der Kapitän von Bethanien außer-
dem zur Abtretung eines Stück Landes verurtheilt worden.
Die Größe des letzteren sollte der Gouverneur im Verein mit
den vier als Richter fungireuden Kapitänen bestimmen. Die
Richter bestanden aus den Kapitänen HendrikWitboi von Gibeon,
Christian Goliath von Berseba, Simon Cooper von Gokhas und
Hans Hendrik von den Veldschoendragern- Den Vorsitz führte
der Negierungsrath v. Lindequist. Die auf Verletzung der Schutz-
verträge lautende Anklage wurde einstimmig bejaht. Die Kapi-
täne waren sehr eifrig bei der Sache, und es machte die Stel-
lung ihrer Standesgencssen vor das Gericht der Kapitäne auf
die letzteren sichtlich den besten Eindruck: eine gute Grundlage
für Schlichtung von Streitigkeiten in der Zukunft. Nach gefäll-
tem Uitheil wurde in einer öffentlichen Versammlung, an welcher
etwa 700 Eingeborene mit allen Kapitänen des Namalandes
theilnahmen, die nunmehr geschaffene Sachlage auseinandergesetzt,
sowie das Verhältniß zwischen Schutzmacht und den Eingeborenen
genau klargelegt. Rach diesen Darlegungen, welche von meiner
Seite gegeben worden waren, nahm Kapitän Witboi zu einer
Ansprache das Wort, welche im Allgemeinen sich meinen Aus-
führungen anschloß, dem Donk für die Wiederherstellung des
Friedens Ausdruck gab und die Anwesenden ermahnte, stets der
Obrigkeit gehorsam zu sein, hir zufügend, daß unter letzterer der
Stammeskapitän und die gemeinsame Regierung zu verstehen
seien.
Bade». Karlsruhe, 7. Jan. Dem Schw. Merk,
wird geschrieben: Die Oppositionspressc hat heute davon
Mittheilung gemacht, daß für die bevorstehenden Stadt-
verordn eten wählen ein Kompromiß zwischen allen
bürgerlichen Parteien mit Ausnahme der Demokratie und
des Centrums abgeschlossen ist. Diese Nachricht ist voll-
ständig richtig und wurde nur bisher von der nat.-lib.
Presse nicht erörtert, weil die Verhandlungen noch nicht
ganz znm Abschluß gekommen sind. Das schriftliche Ab-
kommen mit den Freisinnigen, das für mehrere Jahre gilt,
ist noch nicht formulirt. Auch haben die Verhandlungen
mit dem Centrnm noch zu keinem Ergebniß geführt. Eine
vorzeitige Veröffentlichung hätte bei diesem leicht den
Glauben erwecken können, als suche man mit dieser Partei
ebensowenig ein Kompromiß wie mit der Demokratie.
Nach der Haltung des Rathhausecntrums liegt aber keiner-
lei Anlaß vor, eine Verständigung nicht anzustreben, denn
im Gegensatz zu der radikal gestimmten Presse herrscht
dort eine unverkennbare Geneigtheit, dem Bunde der
bürgerlichen Parteien bcizutrcten. Vor Allem hat das
Centrnm mit seiner Politik der Rache keinen Segen ge-
erntet. Die Opposition ist nicht mehr vollzählig, nachdem
die freisinnige Partei aus dem Konzert ausgetreten ist;
ein eigensinniges Verharren an der Seite der Sozial-
demokratie und der Demokratie würde vor aller Welt be-
weisen, daß nicht allein der Kampf gegen den National-
libcralismus, sondern auch die Vorliebe für die radikale
Linke die Centrumshaltnng bestimmt hat. Radikal aber
will das Centrnm namentlich im gegenwärtigen Augenblick
nicht erscheinen. Dazu kommt, daß die städtischen Führer
der Centrumspartei in der That von der Anschauung
durchdrungen sind, daß im RathhauS grundsätzliche Mei-
nungsverschiedenheiten nur dann auf die Tagesordnung
kommen, wenn die Sozialdemokratie an Macht gewinnt
und Gelegenheit findet, noch mehr als seither sozialdemo-
kratische Agitationsreden zum Fenster hinaus zu halten.

(ES ist trotzdem nach dem Beobachter ausgeschlossen, daß
auch das Centrum dem Bunde beitritt.)
Karlsruhe, 9. Jan. Die Kommission der Zweiten
Kammer für den Gesetzentwurf über die Aufbesserung
gering besoldeter Pfarrer wird am Dienstag, den
10. ds. Mts., Nachmittags 4 Uhr, mit den Vertretern der
Großh. Regierung zusammentreten.
A Aus Baden, im Jan. Paragraph 38 des Elementar-
Unterrichts-Gesetzes, der sog. Orgelp aragraph, wirkt sehr
niederdrückend auf die gesammte Lehrerschaft. Wir glauben kaum,
daß für irgend eine andere Beamtenkategorie ein Paragraph
exislirt, der so folgenschwer für dieselbe werden könnte, wie dieser.
Rach diesem Paragraph kann nämlich jeder Lehrer gezwungen
werden, einen Vertrag zu unterschreiben, der wohl ihm von der
Kirche gekündigt werden kann, aber bei dem niemals ihm das
Kündigungsrecht zusteht. Wenn man bedenkt, daß sehr gut be-
zahlte Organistendienste gewöhnlich an Nichtlehrer vergeben sind,
oder daß vielfach Geistliche einem Lehrerorganisten einfach kün-
digen und den Organistendienst einem Andern geben, ohne daß
der betr. Lehrer nur etwas machen kann, so fragt man sich un-
willkürlich : „Ist das nicht eine unhaltbare Situation?" Welcher
Taglöhner unterschreibt einen Vertrag, den nicht auch er kündi-
gen kann? Die schlimmen Folgen des Z 38 liegen in den un-
berechtigten und unerhörten Anforderungen, die von manchen
Geistlichen an die Organisten gestellt werden. Aussehen erregende
Fälle wie St. Roman, die auf katholischer Seite vorkamen,
wurden vor Jahresfrist schon besprochen — neue gäbe es zwar
wieder —, nun wollen wir heute einmal die kleine evangelische
Diözese Boxbcrg herausgreifen. Da könnten die Herren Lehrer
in Sachsenflur, Bobstadt, Schweigern, Epplingen, Unterschüpf
Lieder singen, die nach einer ganz eigenen Melodie gehen. Nicht
einmal den von Gioßh. Oberschulbehörde festgesetzten Mindest-
gehalt wollte man da auszahle». Wie wir aus dem Badischen
Lehrerveretnsorgan entnehmen, muß in Dainbach, dem Sitze des
Dekans, der Lehrer das Leichensingen und dergleichen Hand-
lungen bei Taufen und Trauungen rc. umsonst besorgen, dies
Alles um des lieben Friedens willen. Aber alles bis jetzt da-
gewesene wird von dem Fall „Buch a. Ahorn" überflügelt, selbst
der Fall St. Roman, der in verschiedenen Strafkammer- und
Schöffensitzungen seine Erledigung fand. In genanntem Orte
ist der Pfarrer Marquart, früher in Neuenweg, Amts Schopf-
heim. Herr M. verlangte, der Lehrer solle bei Einrichtung einer
Betstunde Mitwirken, was doch nie und nimmer zum Organisten-
oder gar zum Lehrerberuf gehört. Die Weigerung des Lehrers
mag wohl den Anstoß zu allem Weiteren gegeben haben. Zu-
nächst erhielt er einmal den von der Behörde festgesetzten Mindest-
gehalt nicht und die Frau Pfarrer besorgte nun den Organisten-
dienst. Auf einen Versölmungsvorschlag erwiderte der Pfarrer:
„Nur, wenn der Lehrer die Kniee vor mir beugt!" Ist die Frau
Pfarrer verhindert, so steht, gerade wie in Sachsenflur, wenn der
Organist mit seinem Verein zu einer Fahnenweihe geht, die
Orgel stille. Der Pfarrer ist zufrieden, also die Gemeinde auch.
Wehe aber dem Lehrer, der nicht für einen genügenden Vertreter
sorgen würde! Pfairer M. bezeichne« de» Lehrer Brunn als
Religionsverächter, der die Kinder vom Gottesdienste abhalte u. s. w.
und brachte es dahin, daß dem Lehrer das kirchliche Wahlrecht
entzogen wurde. Ferner machte er und der dortige Bürgermeister
eine Eingabe an Großh. Obcrschulbehörde, die nach Aussage des
Gerichtes von Formal- und Realinjurien strotzt u. s. w. u. s. w.
Auf die Klage des Lehrers Brunn wurde sowohl in der Schöffen-
als auch bei der Straskanimeiverhandlung die Haltlosigkeit aller
Angriffe nachgewiesin und selbst die Frau Pfarrer mußte bezeu-
gen, daß manche Anschuldigungen grundlos seien. Pfarrer M.
wurde zu der verhültnißwäßig geringen Strafe von 20 Mk. und
den Kosten verurtheilt. Es gab aber trotzdem keine Ruhe und
der Lehrer sah sich von Neuem genöthigt, gegen den Pfarrer und
den Bürgermeister durch einen Anwalt Klage zu erheben. Be-
merken wollen wir noch, daß Pfarrer M. auch mit seinen Herren
Kollegen in Eubigheim in Streit lebt und dieser zu Ungunsten
M.'s entschieden wuxde. Wollte man Alles anführen, so müßte
man eine Broschüre schreiben. Wir wollen nur noch einige Sätze
aus den Urtheilen anführen: „ ... es ist Alles ins Maß-
lose übertrieben" . . . .ES sind Thatsachen behauptet, die den
Kläger verächtlich machen können rc., Thatsachen, die aber nicht
erweislich wahr sind." . . . „Es entspricht sehr wenig
christlicher Auffassung, die wirklichen und vermeintlichen
Sünden seines Nächsten aller Welt bekannt zu geben." . . . „Der
Angeklagte war sich in seinem Fanatismus über die Tragweite
seiner j Handlungen nicht recht im Klaren." Zu Vorstehendem
entnehmen wir die Angaben aus der Bad. Schuiztg. Angesichts
der vielen Unannehmlichkeiten, die der sogen. Orgelparagraph
schon heraufbeschworen hat, wird es der Lehrerschaft gewiß Nie-

mand übel nehmen, wenn sie zum Mindesten auf eine andere
Fassung desselben hinarbeitet. Ganz gewiß würde keine Orgel
im Lande stille stehen; wohl aber müßten die Geistlichen unbe-
rechtigte Anforderungen und Angriffe sein lassen und aller Streit
wäre zum Heil und Segen der Gemeinden vermindert. Wir
geben uns der festen Hoffnung hin, daß unsere liberalen Abge-
ordneten mithelfen werden, dem unseligen Orgelparagraphen
eine für die Lehrer würdigere Fassung zu geben. In der ganzen
Lehrerschaft sieht man mit Spannung entgegen, was sowohl die
Oberschulbehörde als der evangelische Oberkirchenrath in dieser
Sache thun werden. Im Falle St. Roman hat die katholische
Oberkirchcnbehörde dem Lehrer eröffnet, daß der betr. Geistliche
einen Verweis wegen seines Verhaltens erhalten, und sie versetzte ihn
sofort auf eine andere Stelle. Man giebt sich der Hoffnung hin,
daß auch dem Lehrer Brunn in Buch a. Ahorn Genugthuung
für seine unausgesetzten Quälereien werde.

Aus Stadt und Land.
4k Karlsruhe, im Jan. Das Heim des Vereins badischer
Lehrerinnen reicht schon seit einiger Zeit nicht mehr, um die
Aufnahmegesuche der Mitglieder alle befriedigen zu können. Man
ist deshalb nach längeren, eingehenden Erwägungen zu dem Ent-
schluß gekommen, einen Neubau auf dem eigenen Grund und
Boden des Heims zu erstellen. Zur Ausführung des Bauplans
reichen jedoch die Mittel nicht aus, weshalb der Verein um mög-
lichst die Aufnahme einer ersten Hypothek zu vermeiden, sich au
seine Freunde mit der Bitte wendet, ihn durch Gewährung von
kleineren oder größeren, zu 3Proz. verzinslichen Darlehen gegen
Schuldscheine in Beträgen von 100 Mark, für welche der Verein
mit seinem Vermögen haftet, die Mittel zur Ausführung des
Bauplanes zu bieten. Die Darlehen sind von Seiten des Zeich-
ners unkündbar. Die Heimzahlung geschieht, je nach Vermögen,
jährlich durch Anrloosung. Die Einzahlung der übernommenen
Schuldscheine kann au das Bankhaus von Herrn Karl August
Schneider in Karlsruhe, bis spätestens 1. April 1899 geschehen,
von welchem Tage an die Verzinsung erfolgen wird. Listen zum
Eiuzei chnen liegen bei demselben auf, sowie bei Fräulein Seisen,
Lehrerin an der Höheren Mädchenschule in Heidelberg._
Kleine Zeitung.
— Verwechselt. Das Straßb. Tagebl. erzählt nachstehendes
lustige Geschichtchen; Einen eigenartigen Fund machte gestern
Abend ein Postbote beim Leeren eines Briefkastens. Er fand
nämlich unter den Briefen, Ansichtspostkarten, Prospekten n. f. w.
ein Päckchen in weißem Papier, das jedoch einer Bestimmungs-
angabe, sowie der nöthigen Freimarke durchaus entbehrte. Bei
näherer Untersuchung ergab sich als Inhalt ein Viertelpfund
Schinken, von kundiger Hand feingeschnittcu. Eine liebens-
würdige, wenn auch verspätete Gabe des Christkindleins ver-
muthend, holte sich der Biedere ein mächtig Stück Brod ans
seinem Spind, belegte es mit dem gefundenen Schinken und be-
gann alsbald mit vollen Backen zu kauen. Hiermit düifte ein
Vorkommniß znsammenhängen, von dem uns heute früh unsere
geschätzte Nachbarin umständlichen und wahrheitsgetreue» Bericht
erstattete. „'S sich nix meh mit de Maidle vum hitzeda", sagte
sie. „Entweddersch sin se verschläckt oder sie sin hoffärti oder sie
Han e Licbschter oder alles drej! Was saue Sic par oxampls
do derzne : Schick ich gescht min Maidel, mcr e Vierte geraicherte
Schunke ze hole; was maine Sie, was die dumm Gans macht?
Kummt Halm und bringt mer anschdait em Schunke e Brief, wie
es selwer an syne Liebschte gschriewe het; und hets nit emol in
Acht genumme, daß sie mer de Brief genn het, bis ich ere saa:
„Ja, was soll denn ich mit dem Brief? Myne Schunke will
ich!" „Jesses Maria!" brüelts und wurd fyrroth bis üwcr
d'Ohre, „jetzt haw ich de Schunke in d'Brieflad keijet!"
— Amsterdam, 7. Jan. Von einem tollen Hunde wurden
nicht weniger als elf Personen vor einigen Tagen in der
Vorstadt Borgerhout gebissen. Der Thierarzt koustatirtc, daß
das Thier im höchsten Grade von der Hundswulh befallen sei.
Natürlich erregte der Vorfall großes Aufsehen und auf den
dringenden Rath der Aerzte hin reisten die elf gebissenen Personen
unter Leitung eines Polizeikommissürs nach Lille, um sich in dem
dortigen Pastem'schen Institut behandeln zu lassen. Die Abreise
vom hiesigen Ostbahnhofe gab Veranlassung zu ergreifenden
Scene». Es hatten sich etwa 200 Personen, Verwandte und
Bekannte, am Bahnhofe eingesunden.
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Das Bachstelzchen.
7) Novelle von Martha Renate Fischer.
(Fortsetzung.)
„Ich Hab' ein Bild-" sagte sie verlegen, „das-"
„Was?"
Schweigen.
„Was. Bachstelzchen?"
„Ich weiß es nicht-"
„Zeig mir dein Bild."
Sie stand auf, lief zur Lade, dem langen Kasten mit ge-
wölbtem Deckel, der ihre Habseligkeiten enthielt, — er war
hell polirt mit gelben Griffen — und schlug den Deckel
zurück.
Auf dessen Innenseite waren bunte Bilder geklebt, Engels-
köpfchen, Blumen und Herzbilder von Pfefferkuchen, aber in
so geschickter Anordnung, als wäre alles zugleich und nur
dem Mittelbilde zuliebe und zur Verherrlichung angebracht
worden.
Das Mittelbild zeigte einen jungen Landmann, wie er
die Pflugschaar führt. Im kräftigen Gliederbau, wie auch
>N der Form des Gesichts und im Ausdruck stiller Be-
harrlichkeit, Schlichtheit und froher Gutmüthigkcit lag ein An-
klang an Wandcrs-
Er kam nicht darauf, sagte vielmehr: „Nun?
Sie zeigte auf das Bild und flüsterte! „Das sind Sie."
„Ich?"
.Ha!"
„Aber Bachstelzchen!"
„Gefällt es Ihnen nicht?"
„Meinetwegen! Ich bin aber doch hübscher."
Sie sah ihn an — den lustigen schmollenden Jungens-
mund, den er halb im Ernst und halb im Scherze zog, und
chr Antlitz verklärte sich. Er stand gebückt mitten vor dem
Kasten, sie zur Seite, mit der Hand am Deckel.

Und jetzt strahlte ihr ganzes Gesicht vor neckischem Ueber-
muth und sie sagte leise: „Aber das Bild ist doch schon
hübsch genug-"
„Du-1! —" drohte er und blickte sie zärtlich an.
„Ja," sagte sie verlegen.
Er blieb einen Augenblick still; dann bat er: „Zeig' mal
weiter."
Sie packte aus, ein Paar Schürzen, ein paar Halstücher
von Kattun, auch ein seidenes Tüchlein, eine Winterjacke, ein
wenig Wäsche und ein blaues Kleid.
Das nahm sie über den Arm und fragte eifrig wie ein
Kind: „Soll ich das Kleid mal anziehen? . ."
»Ja."
Sie lief in die Kammer, und er hörte ein leises Ru-
moren.
Nach einem Weilchen klopfte er. Aber nun wurde cs
ganz still. Dann endlich that sich die Thür auf, und Aennchen
lrat hervor, trug ihren städtischen Putz mit schlichter Anmuth,
wie etwas Gewohntes.
Er rief: „Ei! Wie siebst Du Venn aus? —Du! Du
siehst ja wie eine Prinzessin aus! — Dreh Dich mal! —
Fein! Fein! —" pfiff einen Walzer, umfaßte sie und tanzte
mit ihr. Aber schon nach einmaligem Kreisen hielt er inne,
riß das Schächtelchen hervor und sagte: „Hier! Das schenke
ich Dir! Das Hab'ich für dich mitgebracht! Mach nur
gleich an!" stand in Erwartung, lachte, als er sah, wie ihre
Hände zitterten. Als dann die hübschen Knöpfchen in den
Ohren staken, packte er sie bei der Schulter, schüttelte sie vor
Vergnügen: „Du, weshalb hältst Du die Augen gesenkt?! —
Mach doch auf! — Sieh mich blos an, wie hübsch Du bist!
— Bachstelzchen! Aennchen!"
Und sie schlug die Augen auf und sah ihn an. Im er-
glühten Gesicht glommen ihre Blicke voll klagender Hilflosig-
keit: Ich armes Ding!
Er ließ sie los, faßte seinen Hut und sagte verlegen: „Ich
gehe jetzt!"
„Schon?"

„Ja-es ist bald Mittag."
„Und die Ohrringe-"
„— habe ich Dir geschenkt, Bachstelzchen."
Sie zögerte, legte den Kopf zur Schulter, wand den
schlanken Körper. Der Kopf regte sich, der Ober-
körper; sogar die Füße traten unruhig. Und er sah jetzt,
sie hatte hübsche Schuhchen angezogen mit Schleifen auf dem
Fußblatt.
Während er so den Blick gesenkt hielt, stattete sie ihren
Dank ab, leise stockend: Ich danke auch sckön-und-
ich-"
„Was?"
„Ich danke vielmals und-"
„- und -?"
und —" sie stammelte erglühend: — „Einen Schatz
habe ich nicht."
Er blieb still.
Sie trat zum Tisch, Pflückte die Rose vom Stock und
reichte sie ihm abgcwandt hin.
„Ja weshalb machst Du das?"
Als sie nicht antwortete, sagte er beklommen; „Ich danke
— und nun sind wir quitt — nicht wahr?"
Er durchschritt den kleinen Flur, hörte, daß sie das
Fenster öffnete, ging ein Stück, drehte sich dann um und sah
ihren Kopf im Fensterrahmen — am weißen Halse war ein
Spitzenrüsche, darüber das Helle Gesicht mit dem Sonnen-
haar und die sprechenden Augen und die kleinen blauen Ohr-
ringe.
So blieb sie unbeweglich, bis er sich wandte und weiter
schritt.
Dann schloß sie das Fenster, trat vor das Spiegelein und
blickte mit stummer Andacht hinein.
Aber sie sah sich nicht selber, sie sah nur die blauen
Knöpfchen in ihren Ohren.
(Fortsetzung folgt.)
 
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