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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Fernsprech-Anschluß Nr. 82

». 130.

MtWch, den 7. Juni

1899.

„Streikpostenstehcn".
Aus den Einzelbcstimmungen des Gesetzentwurfs
zum Schutze des gewerblichen Arbeitsverhält-
nis fes wird in der radikalen Presse mit besonderem Eifer
der Absatz 2 des Z 4, welcher sich auf das sogenannte
„Streikpostenstehen" bezieht, angegriffen. In jener Be-
stimmung wird zum Ausdruck gebracht, daß der Drohung
im Sinne des vorliegenden Gesetzentwurfs gleichzuachten
ist „die planmäßige Ueberwachung von Arbeitgebern,
Arbeitnehmern, Arbeitsstätten, Wegen, Straßen, Plätzen,
Bahnhöfen, Wasserstraßen, Hafen- oder sonstigen Verkehrs-
anlagen." Man wendet ein, daß das Ausstellen von
Posten, um die dem Streik nicht angeschlossenen arbeits-
willigen Elemente zu überwachen und den Zuzug zu den
seitens der Streikführer gesperrten Betriebsstätten fern-
zuhalten, eines der wichtigsten Kampfesmittel der Streiken-
den sei. Das mag richtig sein, andererseits ist aber auch
durch eine lange Reihe von Zeugnissen erwiesen, daß ge-
rade das Streikpostenstehen dazu mißbraucht wird, auf die
Nichtstreikenden in terroristischer Weise einzuwirken, sie ein-
zuschüchtern und unter den Willen der Streikenden zu
beugen. Der von der Sozialdemokratie organisirte
Ueberwachuiigsdienst übt nicht nur einen mit der indivi-
duellen Selbstbestimmung unvereinbaren Zwang auf die
Arbeitswilligen aus, er beeinträchtigt auch die ungehemmte
Benutzung der öffentlichen Verkehrsanlagen und gibt häufig
den ersten Anstoß zu nachfolgenden groben Ausschreitungen
und Gewaltthätigkeiten. Das Bedürfniß, den mit der
Aufstellung von Wachen verknüpften Unzuträglichkeiten und
Freiheitsbeschränkungen cntgegenzutreten, hat sich längst in
so starkem Maße geltend gemacht, daß auf Beseitigung
oder wenigstens Einschränkung des Unwesens Bedacht ge-
nommen werden mußte. In Einzelfällen ist die Polizei
eingeschritten, bei Verallgemeinerung des Uebels sind polizei-
liche Vorschriften ergangen, endlich hat der Strafrichter
mehrfach das Streikpostenstehen als „groben Unfug" unter
Anklage gestellt. Dieses Vorgehen gegen den namentlich
auch von dem Publikum und den Handeltreibenden oft be-
klagten Uebelstand ist jedoch schon wegen seiner Vcrschieden-
arttgkeit und Unbestimmtheit nicht ausreichend. Daher
soll dem weitverbreiteten Mißstande in der beantragten
besonderen Strafbestimmung eine Schranke gesetzt werden.
Es ist darauf zu achten, daß nur eine „planmäßige"
Ueberwachung, deren Vorhandensein von Fall zu Fall fest-
zustellen wäre, unter Strafe gepellt werden soll. Be-
sonders hinzuweisen ist auch auf folgenden Satz der dem
Gesetzentwurf beigefügten Begründung:
„Das wichtigste Moment, das dem Thatbestande des
Strcikpostenstehens scharfe Grenzen zieht, liegt darin,
daß die Ueberwachung nur dann strasbar sein soll, wenn
sie als Mittel zu einem der in den §8 1 und 2 bezeich-
netcn Zwecke dient, also wenn sie entweder zu Koali-
tionen der im Z 1 bezeichneten Art zu nöthigen oder
von solchen zurückzuhalten bezweckte, oder wenn durch
die Ueberwachung zu Gunsten eines Ausstandes oder
einer Aussperrung in die Freiheit des Arbeitgebers bei
der Wahl seiner Arbeiter oder in die Freiheit des
Arbeitnehmers bei der Verwerthung seiner Arbeitskraft
eingegriffen werden soll. Ueberwachungen, welche keinen
der in den W 1 und 2 bezeichneten Zwecke verfolgen,
kommen nicht in Betracht."
Der Gesetzentwurf läßt mithin sich daran genügen, die
Arbeitsfreiheit vor unzulässigen Bedrängungen und Drang-
salirungen zu schützen.

Josephineus Glück.
17) Erzählung von A. von der Elbe.
(Fortsetzung.)
Augenblicklich stand Josephine seinem Herzen nicht sonderlich
Nahe. Sie war doch zu beleidigend schroff gewesen. Den
Verdruß, den Bruno empfand, übertrug er auf sie und setzte
ihn auf ihre Rechnung.
Der Aufenthalt hier im Hause würde ihm nun auch un-
möglich werden. Schade l Er hatte sich hier so sehr behag-
lich gefühlt. Jetzt aber würde er lieber heute als morgen
gehen. Wirklich eine dumme Geschichte I
Deutlich empfand er, daß er an einem Wendepunkt ange-
kommen sei. Und jetzt stieg — schmeichelhaft und tröstlich —
das Bild der kleinen pikanten Cora van Lasten, mit dem
Nimbus von Luxus und Reichthum, der sie umstrahlte, vor
seinem inneren Auge empor. Sie war ihm in letzter Zeit
auffällig entgegengekommen, und er glaubte sich nicht zu
täuschen, wenn er annahm, daß er ihre Hand gewinnen könne.
Sollte er zugreifen? Freilich waren verstimmende Eindrücke
auch nicht ausgeblieben.
Josephe hatte in ihrem Tagebuche ungünstig über die
Haflens geurtbeilt, indes wann ward je ein Weib der Neben-
buhlerin gerecht ?
Er war ersucht worden, heute Abend bei Hastens das
Amt des Vortänzers zu übernehmen. Vielleicht würde schon
die heutige Fete die erwünschte Gelegenheit bieten, Coralie
für sich zu gewinnen.
Es gehörten nun aber doch sein ganzer Leichtsinn und
diel gesellschaftliche Abgeschliffenheit dazu, der Erregung
Herr zu werden, und mit unbefangener Miene zum Ball zu
gehen. -
Als Bruno am Abend die elegante Haften'sche Villa be-
trat, begann er zum ersten Male Menschen und Dinge mit
Lem Interesse, aber auch mit der Kritik eines Mannes an-
Luffehen, der im Begriff steht, ein wichtiges Geschäft abzu»

Deutsches Reich.
— Die Elbinger Zeitung theilt eine Aeußerung des
Kaisers mit, die er gelegentlich seiner Reise nach Ca-
dinen machte. Sie lautet:
In Cadinen muß noch manches anders werden; ich meine be-
sonders die Arbeiterwohnungen. Das scheint überhaupt
noch ein Uebel hier im Osten zu sein. Der schöne Viehstall in
Cadinen ist ja ein wahrer Palast den Arbeiterwohnungen gegen-
über. Es muß dafür gesorgt werden, daß nicht etwa die Schweine-
ställe besser sind, wie die Arbeiterwohnungen.
Die Wohnungsfrage ist im Osten zweifelsohne eine der
brennendsten; aber auch in vielen andern Städten und Ge-
genden Deutschlands tritt sie immer lebhafter hervor und
verlangt Lösung und Besserung.
— Der kaiserliche Botschafter in Rom, Freiherr von
S aurma - Je lt sch, hat wegen seines dauernd angegriffe-
nen Gesundheitszustandes die Enthebung von seinem Posten
nachgcsucht und ist daher in den einstweiligen Ruhe-
stand versetzt worden. Zu seinem Nachfolger ist dem
Vernehmen nach der frühere Gesandte in Stockholm, Ge-
neraladjntant Graf Wedel, ernannt worden.
Deutscher Reichstag. Berlin, 6. Juni. Der Reichs-
tag hat heute seine Berathungen wieder ausgenommen.
Das Haus ist schwach besucht.
Vor Eintritt in die Tagesordnung ergreift Staatssekretär
v. Bnlow das Wort und giebt folgende Erklärung ab: Ich
habe dem hohen Hause witzutheilen, daß Deutschland mit Spanien
einen Staatsvertrag über die Abtretung der Karolinen-,
der Palao- und der noch im Besitze Spaniens befindlichen
Marianen-Jnseln abgeschlossen hat. Zur Ausgestaltung der
deutschen Besitzungen im großen Ozean, wie im Hinblick auf die
seit langem auf den Karolinen bestehenden deutschen Handels-
interessen haben wir es für unsere Pflicht gehalten, dafür Sorge
zu tragen, daß diese Inselgruppen bei einem Besitzwechsel für
Deutschland nicht verloren grngen. Das mit der königlich spani-
schen Regierung am 11. Februar d. I. getroffene Abkommen lautet
in deutscher Uebersetzung folgendermaßen: 1. Spanien wird an
Deutschland die Karolinen- mit den Palao- und Marianeninseln,
Guam ausgenommen, gegen eine aus 25000000 Pesetas festge-
setzte Geldentschädigung abtreten. 2. Deutschland wird dem spani-
schen Handel und den spanischen landwirtschaftlichen Unterneh-
mungen auf den Karolinen-, den Palao- und den Marianeninseln
die gleiche Behandlung und die gleichen Erleichterungen gewähren,
welche es dem deutschen Handel dort gewähren wird, und wird
auf den genannten Inseln den spanischen religiösen Ordensge-
sellschaften gleiche Rechte und die gleichen Freiheiten gewähren,
wie den deutschen religiösen Ordcnsgesellschaften. 3. Spanien
wird ein Kohlendepot für die Kriegs- und Handelsmarine im
Karolinenarchipel, ein zweites in Palao und ein drittes im
Marianenarchipel errichten und auch in Kriegszeiten behalten
können. 4. Dieses Abkommen soll sobald als möglich der durch
die Gesetze der beiden Länder vorgeschriebenen verfassungsmäßigen
Zustimmung unterbreitet und soll ratifizirt werden, sobald diese
Zustimmungen vorliegen. Gleichzeitig ist über die wechselseitige
Gewährung der Konventionaltarife eine Verständigung zu Stande
gekommen, in welcher den Wünschen und Interessen des deutschen
und spanischen Handels entsprochen wird. Sobald die Kortes
den Verkauf der genannten Jnselpruppen genehmigt haben, werden
wir diesem hohen Hause sofort die erforderliche Vorlage zur Be-
schlußfassung unterbreiten und werden dem Hanse mit allen Aus-
künften zugleich Gelegenheit zu voller sachlicher Prüfung geben.
Mit Rücksicht hierauf und angesichts der Thatsache, daß die ge-
troffenen Vereinbarungen in diesem Augenblick einem fremden
Parlament zur Berathung vorliegen, würde die kaiserliche Re-
gierung auch ans Gründen der internationalen Kourtoisie es mit
Dank anerkennen, wenn das hohe Hans von einer weiteren Be-
sprechung zur Zeit noch Abstand nehmen würde.
Das Haus tritt in die Tagesordnung ein: Nachtragsetat.
Abg. Bebel (Soc.): Die Nachtragsforderung für die Schutz-
gebiete zeigten die Werthlosigkeit unserer Colonieen. Er wolle
aber von einer eingehenden Erörterung des Karolinenabkommens
gegenwärtig absehen, obwohl er nicht geneigt sei, in Dingen, die
das allgemeine Interesse so nahe berühren, politische Curtoisie
gelten zu lassen. Redner kommt auf den Gesetzentwurf zum
Schutze des gewerblichen Arbeitsverhältnisses zu sprechen. Das
sei das stärkste Attentat, das je auf die Freiheit und Menschen-
würde des Arbeiterstandes verübt wurde. (Bewegung.) Der Ent-
wurf komme in einem Augenblicke, wo jenseits der Vogesen das
an einem einzelnen begangene Unrecht gutgemacht wird, und wo

jenseits der Alpen das Königthum sich veranlaßt sieht, durch eine
Amnestie das im vorigen Jahre begangene Unrecht auszugleichen.
Die Vorlage ist ein Schandgesetz.
Präsident Graf Ballestrem ruft den Redner zur Ordnung.
Abg. Bebel ruft: Bei Philipp! sehen wir uns wieder.
Staatssekretär Dr. Graf v. Posadowsky: Er werde sich
durch Bebels Worte nicht verleiten lassen, jetzt in gleichem Tone
zu antworten, da er sich die Patronen nicht aus dem Laufe ziehen
lassen werde, die er bei der Berathung der Vorlage gegen diese
Herren anzuwenden gedenke. Das Volk möge zunächst die Denk-
schrift zur Vorlage prüfen. Diese sollte Auswüchse der Coalitions-
sreiheit treffen, die kein Kulturstaat dulden kann. (Beifall rechts,
Lachen links.)
Der Nachtragsetat wird nach unerheblicher Debatte der
Budgetkommiffion überwiesen, ebenso nach kurzer Debatte die
Reichsschuldenordnung.
Morgen 1 Uhr Reichsinvalidenfonds und Jnvalidenversichernngs-
novelle.
Baden. Karlsruhe, 6. Juni. Die Landesztg. schreibt:Aufdem
Schwarzwald haben sich in letzter Zeit zwei Vorgänge abgespielt,
die nicht ohne öffentliche Besprechung bleiben dürfen. Der eine,
der Triberg zum Schauplatz hat. betrifft das Verhältniß des
Reserveoffiziers zu seinem bürgerlichen Beruf und wir erholten
über denselben aus guter Quelle folgende Mitlheilungen: Der
Bezirksarzt von Triberg wurde kürzlich in seiner Eigenschaft als
Reserveoffizier von dem Major des Meldeamts Triberg eines
Abends dienstlich aufs Meldeamt gerufen. Der Bezirksarzt er-
schien nicht, entschuldigte sich jedoch am anderen Morgen, da ihn
sein ärztlicher Beruf zu einer Wöchnerin gerufen habe, so daß
es ihm unmöglich gewesen sei, zu erscheinen. Schon aber war
vom Meldeamt die Meldung des Dienstvergehens ans Bezirks-
kommando nach Donaueschtngen abgegangen, von wo dem Reserve-
offizier (Bezirksarzt) dann ein 2tägiger Stubenarre st auf-
erlegt wurde. Wir haben vor unserer militärischen Organisation
hie aufrichtigste Hochachtung, allein Arzt und Stubenarrest
— man braucht dies- beiden Worte nur nebeneinander zu stellen,
um sofort den unversöhnlichen Widerspruch zu fühlen! Gewiß
hätten die bestehenden Vorschriften auch eine andere Regelung der
Angelegenheit ermöglicht, und die Vera ntwortung für die natur-
widrige Maßregel. durch die den Kranken der Arzt entzogen wird,
trifft in. erster Linie die Personen, die es nicht verstanden
haben, die Forderungen des militärischen Dienstes in Einklang
u bringen mit der Rücksicht auf die wichtigen Berufspflichten
es Arztes, der zu jeder Stunde des Tages und der Nacht bereit
sein muß, ans Krankenlager zu eilen. Aber auch im System
muß eine Lücke vorhanden sein, wenn dasselbe die Möglichkeit
einer derartig unglückseligen Maßregel offen läßt. Wir zweifeln
keinen Augenblick daran, daß der Fall den Anlaß zu Bestimmungen
geben wird, die eine Wiederholung eines solchen, die besten Volks-
kreise im Innersten aufregenden Vorkommnisses unmöglich machen.
Wie um die Absurdität des ärztlichen Stubenarrestes recht deutlich
vor Augen zu führen, schoß sich ein Einwohner von Triberg eine
Kugel in den Kopf, während der Bezirksarzt im Stubenarrest
saß und ein anderer Arzt nicht aufzutreiben war; der Selbst-
mordversuch wäre wohl von Erfolg begleitet gewesen, wenn nicht
der Bürgermeister von Triberg, der glücklicherweise penstonirter
Offizier ist, den Bezirksarzt unter Uebernahme der Verantwortung
veranlaßt hätte, den Stubenarrest zu brechen und dem schwer
Verletzten zu Hilfe zu kommen, der dann auch am Leben erhalten
wurde. Der ganze Fall spricht in Anbetracht der besonderen
Umstände, von der Wöchnerin bis zum Selbstmordkandidaten,
eine so beredte Sprache, daß wir Weiteres nicht hinzuzufügen
brauchen. — Den zweiten Fall, der sich in Furtwangen er-
eignete, schildert die Straßb. Post wie folgt: Seit einigen Tagen
wohnte im Hotel Grieshaber in Furtwangen der alt katholische
Bischof Professor Dr. Weber, der in den altkatholischen Ge-
meinden dortiger Gegend die Firmung vollzog. Am Mittwoch
Mittag nun kam er in den Spetsesaal, um dort zu speisen. Es
sind hier 3 Tische. An dem einen speisen die Abonnenten, am
zweiten diejenigen, die vorzuspeisen wünschen, und am dritten
findet die tablo ä'bots statt. An diesem nun bat die Frau
Wirthin den Herrn Bischof, Platz zu nehmen und bot ihm den
obersten Platz an. Der Herr Bischof in seiner Bescheidenheit
setzte sich aber an die Seite des Tisches. Es war gerade Amts-
tag, an dem die Herren vom Amtsgerichte und Amte Triberg
mitzuspeisen pflegen, und die Frau des Hauses hatte wohl ange-
nommen, daß den Herren die Gesellschaft eines so hochgebildeten
Mannes, wie es Bischof Weber ist, nur angenehm sein könnte.
Diesmal hatte die Wirthin die Rechnung ohne den Oberamts-
richter gemacht. Dieser Herr, der eben eingetreten, winkte der
Wirthin, und fragte sie: „Wer ist der Herr? bitte." „Das ist
der altkatholische Herr Bischof", meint die Wirthin. Das aber
ist für den Oberamtsrichier zu viel und er erklärt: „Dann kann
ich nicht hier essen." Der Bischof, dem dieses Benehmen nicht

schließen. Es mochte in der Tbat nicht unangenehm sein, hier
als Mitbesitzer einzuziehen.
Der Hausherr legte heute sein müdes, gelbes Gesicht in
Falten, da Delbitz sich ihm als Tanzordner zur Vertilgung
stellte.
Cora eilte herbei, sehr hübsch in gelber Seide, eine Schnur
erbsengroßer echter Perlen um das bräunliche Hälschen ge-
schlungen, und sehr eifrig im Anordnen und Aussprechen
ihrer Wünsche.
Wie gut ihm ihre Jugend und Frische heute gefiel! Da
war nichts von heimlicher Sentimentalität und der Möglich-
keit, sich tugendhaft zu entrüsten. Coras ungebrochene Natur,
ihre entschlossene Offenheit übten heute einen unwidersteh-
lichen Zauber auf ihn aus.
Von geheimen Kräften zu einander gezogen, fand Bruno
sich heute Abend immer wieder mir der Kleinen zusammen.
Nicht, daß sie sich besser vertragen hätten als sonst. Coras
eigenwillige Laune, die bald dies, bald das wollte, trat heute
ebenso hervor wie früher, es herrschte aber doch eine gewisse
magnetische Anziehungskraft zwischen den Beiden-
Sollte sie nicht zu zähmen, zu erziehen sein? dachte er
voll Selbstgefühl. Und sollte er's wirklich mit ihr wagen?
Der reichlich gebotene Champagner beim Souper hatte
Brunos Blut erregt. Cora saß ihm gegenüber und er fand
sie reizend. Mit großer Befriedigung ließ er auch den
überall bervortretenden Glanz und Reichthum auf sich wirken.
Der Cotillon folgte.
„Auf ein Wort Lothar," sagte Bruno zum Leutnant von
Pilar, „bitte, nimm mir das Amt des Vortänzers ab."
„Ich begreife. Bist mit der Hasten engagirt, willst unge-
stüm sein. Na, viel Glück!" , .
Nun saß er neben dem Mädchen und suchte in die Stim-
mung zu kommen, die er brauchte.
Ein gewisses eigensinniges Verlangen regte sich in ihm,
dies trotzige, verzogene Kind sich zu unterwerfen. Ihre kno-
spende Schönheit lockte und reizte sein Begehren. Nein, er
wollte nicht mehr zaudern und überlegen.
Ihn schwindelte, Blicke und Worte wurden wärmer. Er

glaubte sich und leinen Entschluß noch in der Hand zu halten,
aber Cora war kühler als er, und ihr Wollen beherrschte
das seine.
So geschah, was das Mädchen sich vorgesetzt, er warb in
beißen Liebesworten um ihre Hand, um ihr Ja, sie gab ihm
ihr Ja und sagte ihm, daß ihr Vater ihn morgen gütig
aufnehmen werde.
^ Es kam ihm dunkel, mit einer Mißempfindung zum Be-
! wußtsein, daß man doch wohl auf seinen Antrag gerechnet
i habe- War er — während er aus freiem Entschluß zu handeln
- meinte — ein Spielball von Coras Laune gewesen?
Verstimmt trennte er sich von den lustig schwatzenden
j Gefährten und schritt zu dem dunkeln Hause unter hohen
^ Bäumen hinüber, in dem nur nach ein einsames Licht brannte
! und in dem er das Heimathsrecht verloren hatte.-
Während Bruno im glänzenden Ballsaale Liebesworte
flüsterte, durchlitt Josephine in ihrer einsamen Kammer die
schwersten Stunden ihres Lebens. Ihr stets ruhiges, von
Selbstbeherrschung getragenes Wesen, war völlig aus dem
Gleichgewicht gerathen. Sie brauchte Zeit, sich nur einiger-
maßen zu fassen.
Indem sie so schwer mit sich rang, tönte die Tanzmusik
zu ihr herüber, sie wußte, er war drüben, und ihr ahnte, daß
er den verhängnißvollen Schritt thun werde.
Wie hatte er zum Ball gehen können, nach alle dem, was
eben zwischen ihnen vorgefallen war? Wie konnte er so
Schwerwiegendes, wie das Gefühl seiner That, abschüttesn
gleich einem Nichts, und lustig sein? O. sie hatte sich furcht-
bar in ihm getäuscht, sie hatte ein Phantasiebild geliebt, nicht
den wirtlichen Menschen.
Und doch sorgte sie sich im nächsten Augenblicke um seine
Zukunft. Er und Cora van Haften, diese Ebe würde sein
Vergehen an ihr rächen. Aber wollte sie denn Rache? Wollte
sie nicht immer noch sein Glück?
(Fortsetzung folgt.)
 
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