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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0501

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Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Xr. 111. Crjics Matt. Samstag, de« 13. Mai

I89S.

Der Schlich des badischen Landtags.
Karlsruhe, 12. Mai. Um '/^11 Uhr fuhr Se. Kgl.
Hoheit der Großherzog unter dem Geläute der Glocken
nach dem Ständehaus, vor welchem ein Bataillon des 1.
Badischen Leib-Gren.-Regiments Nr. 109 mit der Fahne
Aufstellung genommen hatte.
Seine König!. Hoheit wurde daselbst von den Abord-
nungen der beiden Kammern, dem Hofstaate, dem Staats-
Minister und den Mitgliedern des Staatsministeriums
empfangen und in die für denselben bestimmten Gemächer
geleitet. Der Großherzog beehrte daselbst die sämmtlichen
Mitglieder der Deputationen beider Kammern und außer-
dem die Mitglieder des Staatsministeriums mit Ansprachen.
Sodann begab sich Seine Königliche Hoheit unter
Vortritt der Chargen in den Sitzungssaal der Zweiten
Kammer, wo die Mitglieder beider Kammern vereinigt
waren.

Bei dem Erscheinen des Großherzogs wurde derselbe
durch die Stände mit einem dreimaligen Hoch begrüßt,
das der Abg. Dr. Wilckens ausbrachte. Nachdem Seine
Königliche Hoheit auf dem Thronsessel Platz genommen
hatte, wurde den Mitgliedern der Ständekammern durch
den Staatsminister die Erlaubniß ertheilt, sich niederzvsetzen.
Hierauf verlas der Großherzog die
Thronrede.

Edle Herren und liebe Freunde!
Der nun zu Ende gehende Landtag hat durch die Zahl und
hohe Bedeutung der Ihnen gestellten Aufgaben in den beiden
Abschnitten seiner Tagung Ihre Thätigkeit in ungewöhnlichem
Maße in Anspruch genommen. Tiefgehende Meinungsverschieden-
heiten, die mit Vorschlägen eingreifender Veränderungen unserer
von Mir treu behüteten Verfassung in Zusammenhang stehen,
lchienen zu Beginn des Landtags ein fruchtbares Zusammen-
arbeiten zwischen Meiner Regierung und der Volksvertretung
Su gefährden. Wie der Verlauf des Landtags zeigte, haben sich
Mdessen jene gegensätzlichen Erscheinungen der Erledigung der
den Ständen gestellten Aufgaben nicht hinderlich erwiesen. Ich
erblicke darin eine Bethätigung der Einsicht, daß unter den
heutigen schwierigen Verhältnissen die Volksvertretung erfolg-
reicher handelt, wenn sie, statt schroffe Gegensätze hervorzukehren,
Mit der durch Mein Vertrauen berufenen Negierung zusammen
mr das Wohl des Landes arbeitet. Nur auf diesem Wege wird
bei gegenseitiger Achtung Pflichthafter Ueberzeugungen cs möglich
lein. Bestrebungen, die Grundfesten des Staates zu erschüttern,
Unt Erfolg entgegenzutreten und unserem Lande eine fortschreitende,
aber maßvolle und besonnene Entwicklung zu sichern.
Die mühevolle Arbeit, die der Landtag während seiner langen
Tagung zur Bewältigung zahlreicher und schwieriger Vorlagen
auf sich nahm, erkenne Ich dankbar an.
Sie haben im ordentlichen wie im außerordentlichen Budget
Namhafte Mittel bewilligt und. einer Reihe wichtiger Unter-
nehmungen Ihre Förderung angedeihen lassen; die Gunst der
wirthschaftlichen Lage, welche die Einnahmequellen des Landes
weichlich fließen läßt, hat diese erfreuliche Ausgestaltung des
Staatshaushalts ermöglicht, ohne an die Steuerkraft der Be-
völkerung größere Ansprüche zu stellen.
In Folge der von Ihnen genehmigten Vorlagen über die Ver-
vollständigung des Staatsbahmietzes und über die Bewilligung
°°n Zuschüssen zur Herstellung von Nebenbahnen wird das Ver-
Ursleben des Landes eine erwünschte Förderung erhalten. Mit den
s"r Ergänzung von Betriebseinrtchtungen und Bahnhofbauten
Mllligten reichen Mitteln ist die Staatsbahnverwaltung be-
Migt, den Anforderungen des in steter Steigerung begriffenen
Arkehrs zu entsprechen und die. ihr zukoimnende Stellung im
Wettbewerb mit anderen Bahnen zu behaupten.
Freudig begrüße Ich, daß Sie dem Vorschläge Meiner Re-
merung, den »Archen auch weiterhin aus Staatsmitteln Beiträge
M Besoldung der Pfarrer zu leisten, zugestimmt haben. Gern
^>tze Ich auch die namhafte Erhöhung der bisherigen Zuschüsse
»ul Es wird dadurch ermöglicht, ohne drückende Belastung der
-ronfesstonsgenossen das Dienstetnkommen auf einen Betrag zu
Zungen, der bei der Wichtigkeit des Amtes und den gesteigerten
Ansprüchen des Lebens erwünscht erscheint. Diese Fürsorge des
taates für die Kirchen wird, so hoffe Ich zuversichtlich, auch
^li^a^llchemeine^oh^ünstiaen^iii^luß^üben^^^^^^^^

In hervorragendem Maße war Ihre Mitwirkung für die Be-
rathung der zahlreichen, auf fast allen Gebieten der Gesetzgebung
erforderlichen Aenderungen geboten, die mit der Einführung des
Bürgerlichen Gesetzbuches im Zusammenhang stehen. Durch den
Fleiß und die Sorgfalt Ihrer Kommissionen und durch das ein-
trächtige Zusammenwirken der beiden Kammern unter sich und
mit der Regierung ist es möglich geworden, diese hochbedentsame
Aufgabe zu einem gedeihlichen Ende zu führen. Insbesondere
erfüllt es Mich mit Genugthuung, daß die dem Landesrechte
vorbehaltenen Fragen der Organisation der freiwilligen Gerichts-
barkeit und namentlich des Grundbuchwesens eine dem bestehenden
heimischen Nechtszustand sich thunlich anschließende Lösung ge-
funden haben.
Unser engeres Vaterland ist damit bereit, in die Rechtsgemein-
schaft mit dem gesammle» deutschen Reich etnzutreten und mit
sreudiger Genugthuung dürfen Sie mit Mir die große nationale
Errungenschaft aus vollem Herzen begrüßen.
Nach so langer Tagung begleiten Sie Meine theilnehmenden
Wünsche für Ihr und Ihrer heimathlichen Kreise Wohlergehen.
Möge Gottes Gnade segnend über dem Vaterlande walten!
Nach Verlesung derselben erklärte Staatsminister Dr.
Nokk im Allerhöchsten Auftrag den Landtag f"'r geschlossen.
Der Großherzog verließ unter dem dreimaligen Hochruf
der versammelten Stände in der gleichen Begleitung wie
beim Eintreten den Saal und sodann das Ständchaus.
Ihre Königliche Hoheit die Großherzogin und Ihre Groß-
herzogliche Hoheit die Fürstin zur Lippe wohnten der Feier
in der Hofloge an.

Deutsches Reich.
— Die Postkommission des Reichstages nahm
den Antrag Dasbach an, für jeden Anschluß an das Fern-
sprechnetz folgende Sätze cinzuführen: Bis 50 Theilnehmer
75 Mk., bis 100 Theilnehmer 90 Mk., bis 150 Theil-
nehmer 110 Mk.. bis 200 Theilnehmer 120 Mk., bis
500 Theilnehmer 110 Mk.. bis 1000 Theilnehmer 150 Mk.,
bis 5000 Theilnehmer 160 Mk., bis 20 000 Theilnehmer
170 Mk., über 20 000 Theilnehmer 180 Mk. An Orten
ohne Fernsprechnetz werden für jeden Theilnehmcranschluß,
der nicht über fünf Kilometer von der Vermittelungsstelle
entfernt ist, 75 Mk. erhoben.
Deutscher Reichstag. Berlin, 12. Mai. Fortsetzung
der Beralhung des Invalide nversicherungsge»
s e tz e s.
Es wurde zunächst über die Verhältnisse der ländlichen Arbeiter
gesprochen, sowie über die Landbesitzverhältuisse im Osten und über
die Anträge der Sozialdemokraten dazu- Nach unerheblicher
weiterer Debatte wird § 3a nach Ablehnung des Antrags Richter,
den Paragraphen an die Kommission zurück zu verweisen, sowie
nach Ablehnung des früher mitgetheilten Antrags Albrecht und
Genossen in der Kommissionsfassung angenommen.
Es folgt Berathung des Z 4 betreffend die versicherungspflich-
tigen Personen in Verbindung mit § 9 betreffend den Gegenstand
der Versicherung zugleich mit einem Anträge Albrecht zu 8 4, der
halb Erwerbsunfähige von der Versicherung befreien will, und
einem Anträge Albrecht zu 8 9, der die Invalidenrente neben der
Unfallrente bewilligt.
Beide Paragraphen wurden unter Ablehnung der Albrecht'schen
Anträge in der Fassung der Kommission angenommen, 8 9 mit
einem vom Abg. Lehr beantragten Zusatze, die Invalidenrente sei
neben der Unsallrente zu bewilligen, soweit crstere die letztere
übersteigt.
Darauf wird die Weiterberathung auf morgen 1 Uhr vertagt.
Baden. Karlsruhe, 12JMai. Der la n d stä n di s ch e
Ausschuß trat heute unmittelbar nach erfolgtem Kammer-
schluß im Kommissionszimmer der Ersten Kammer unter
dem Vorsitz Seiner Großherzoglichen Hoheit des Prinzen
Karl zu seiner ersten Sitzung zusammen. Die Präsidenten
der Ministerien des Innern und der Finanzen wohnten
der Sitzung an. Von letzterem wurden dem Ausschuß die
Rechnungen der Amortisationskasse, der Eisenbahnschuldeu-
tilgnngskasse und des Domänengrundstocks zur verfassungs-
mäßig vorgeschriebenen Prüfung vorgelegt. Aus den Dar-

legungen des Präsidenten des Finanzministeriums war zu
entnehmen, daß, wie im Bereich der allgemeinen Staats-
verwaltung, so auch in dem der ausgeschiedenen Verwal-
tungszweige die Rechnungsabschlüsse bemerkenswerth günstige
sind. Dies gilt namentlich auch von der Eisenbahnschulden-
tilgungskasse. Infolge des außerordentlich lebhaften Ver-
kehrs im verflossenen Jahre haben die Eisenbahnen und
die Dampfschifffahrtsverwaltung einen um 9 038 612 M.
höheren Ueberschuß als der Voranschlag vor-
gesehen hatte, abgeworfen; der Reinertrag der badischen
Siaatsbahn, der Main-Neckar-Bahn und der Dampfschiff-
fahrtsverwaltung erreichte die ungewöhnlich hohe Ziffer
von 23 519 412 M. Infolge dessen konnte trotz eines
außerordentlichen Aufwands für Eisenbahnzwecke (Er-
weiterung des Bahnnetzes, Umbau von Bahnhöfen, Ver-
mehrung der Betriebsmittel rc.) in Höhe von 10 438 645 M.
eine effektive Minderung der Eisenbahnschuld um 3 353 819
Mark herbeigeführt werden. Die badische Eisenbahnschuld
stellt sich demnach Ende 1898 auf 325 675 432 M., an-
nähernd auf denselben Betrag, welchen sie im Jahr 1879
(mit 324 138 664 Dt.) erreicht hatte. In den 20 Jahren
1879/1898 hat sich also die Eisenbahnschuld nur um die
Summe von 1538 768 M. erhöht, obwohl in diesem
Zeitraum für Ausbau des badischen Bahnnetzes rund 140
Millionen Mark verausgabt worden sind. Im Jahre
1879 hat der Reinertrag der Staatsbahn 12 702 598 M.
im Jahre 1898 dagegen, wie oben bemerkt, 23 519 412
Mark betragen, der Reinertrag hat sich also in diesem Zeit-
raum von 20 Jahren nahezu verdoppelt, die effektive Last
der Eisenbahnschuld also um nahezu die Hälfte vermindert.
Die Reinerträgnisse der Eisenbahn- und Dampfschifffahrts-
verwaltung stellen im Jahre 1898 eine Verzinsung der
Eisenbahnschuld von 7,22 Proz. dar. — Das Aktivver-
mögen der Amortisationskasse erfuhr im Jahr 1893 eine
Vermehrung von 1 195 839 M.; das Gesammtaktivver-
mögcn des Staats, das in der Amortisationskasse ange-
legt ist, erreichte demgemäß eine Höhe von 6 510 670 M.
und, wenn von der unverzinslichen Schuld des Staats an
den Domänengrundstock abgesehen wird, eine Höhe von
27 081998 M. — In den Geldkapitalien des Domänen-
grundstocks ist wegen großer baulicher Aufwendungen im
Jahr 1898 eine Minderung von 288 079 M. eingetreten;
der Stand dieser Domänengrundstocksgeldkapitalicn selber
auf Ende 1898 beziffert sich darnach auf 7 178 902 M.
Das gesammte domänenärarifche (landwirthschaftliche und
forstwirthschaftliche) Vermögen umfaßte Ende 1898 eine
Fläche von 111771 da mit einem Grundsteueranschlag
von 80 660 420 M.
L 6. Karlsruhe, 12. Mai. Die nationalliberale
Kammerfraktion versammelte sich beute Nachmittag im
„Rothen Hans" zum Abschieds mahl. An der festlichen Ver-
anstaltung nahmen auch die zum Schlußakt des Landtags er-
schienenen Damen der Abgeordneten theil. Es herrschte unter
den Anwesenden eine freudig gehobene und angesichts der Wahlen
durchaus zuversichtliche Stimmung, die nicht zum geringsten von
der eben vernommenen Kundgebung des Lanbesherrn beeinflußt
war. Allgemein war man der Ueberzeugung, daß das badische
Volk den Verlauf der Landtagsperiode richtig beurtheilen und
erkennen werde, daß sein Heil nicht in ultra-radikalen Bestrebun-
gen liegen kann. Redner würzten das Mahl.
— Von dem vornehmen und sachlichen Ton, in
dem die Ce nt r u m sp r esse den Kamstf gegen politische
Gegner führt, giebt folgende Auslassung des Bad. Lands-
mann einen Begriff. Das ultram. Blatt schreibt nämlich
über die Klosterdebatte in der Ersten Kammer:
Dieser Prof. Meyer ist der geistige Führer fast der ganzen
Ersten bad. Kammer; dabei stellt er seiner Herkunft entsprechend
seine persönliche Ansicht möglichst in den Vordergrund. Er sei
kein Freund von Klöstern, erklärte er, indem er zur Begründung
beifügte, das „beschauliche Leben" der Klosterinsassen halte

Cäsars Frack.
Humoreske von Reinhold Ortmann.
(Fortsetzung.)
. Mit beinahe ungestümer Lebhaftigkeit erhob sich die Amcri-
mlierin aus ihrem Sessel.
H »Aber läßt er denn nicht schon seit langem bei diesem
^roncnwerth arbeiten — der Herr Doktor?"
. Das Interesse, das sie für diese belanglose Toileilenfrage
"Agte, befremdete den künftigen Dramatiker immer mehr,
"»er er ging bereitwillig darauf ein.
.. .Nein." erwiderte er, .die Preise wären ihm, wie gesagt,
ZA zu hock. Er muß sich sein bischen Brod ja so sauer
Zrdienen, der gute Junge! Für kleine Talente wie seins ist
A Kampf ums Dasein heutzutage recht schwer."
Es war zweifelhaft, ob Mrs. Helen die letzte, wohlwollend
tu leidige Bemerkung noch gehört hatte. Sie war zur
"ochsenden Verwunderung Gregorh's mit raschen Schritten
Z» paar Mal im Zimmer auf und nieder gegangen. Dann
«Jeb sie dicht vor ihm stehen und sagte, eine augenfällige
Alegenheit tapfer niederkämpfend:
»Die Frage muß Ihnen sehr thöricht und unpassend er-
seinen, aber ihre Beantwortung ist für mich wirklich von
^°ßem. von sehr großem Interesse: Sind Sie ganz sicher,
Herr Doktor Holmfeld seine Kleidung nicht von einem
Schneider Namens Kronenwerth unfertigen läßt?"
«Ich kann einen Eid darauf leisten, gnädige Frau-"
»O, dann — dann bin ich Ihnen doppelt dankbar für
heutigen Besuch. Wollen Sie mir das Vergnügen
gochen, mit meiner Tante und mit mir zu Mittag zu speisen?
bis« vier — wenn es Ihnen recht ist. Und geben Sie mir,
lle. keinen Korb."
^„.Donnerwetter, das geht ja mit Siebenmeilenstiefeln vor-
W," dachte Cäsar Gregory und überlegte, ob nicht viel-
bn b Aon jetzt der rechte Zeitpunkt gekommen sei, der schönen
-Zv offenbar sehr wohlhabenden Witlwe einen Heirathsantrag
vrachen. Da er aber Holmfeld's Rivalität nicht mehr zu

fürchten halte, entschloß er sich doch, sie noch ein Weilchen
„zappeln zu lassen", und begnügte sich, unter lebhaften DankeS-
worten für die liebenswürdige Einladung sein pünktliches
Erscheinen zuzusagen.
Vielleicht wäre er in seiner Siegesgewißheit etwas
schwankend geworden, wenn er hätte beobachten können, was
nach seiner Verabschiedung in Mrs. Taylor's Wohnung ge-
schah. Zunächst lief die junge Wittwe lachend und trällernd
wie ein ausgelassenes junges Mädchen in das Zimmer ihrer
Tante, fiel ihr um den Hals und ries:
„Ich habe eine schreckliche Dummheit gemacht; aber ich
bin über alle Maßen glücklich, daß es eine Dummheit gewesen
ist. Der Brief war garnicht an ihn, sondern an seinen Freund
Gregory, den ich von Anfang an für einen Windbeutel und
Charlatan gehalten habe- Aber er soll seine Strafe empfangen
— o, er soll sie gründlich empfangen. Richte Dich darauf
ein. Tantchen, daß wir heute Mittag zwei Gäste haben
werden. Und sorge, daß es ein festliches Mabl wird, denn
man kann nicht wissen, was sich dabei ereignet."
Dann, ohne der Verwunderten weiter Rede zu stehen»
eilte sie wieder hinaus und klingelte nach ihrer Zofe-
„Hier. Anna!" sagte sie, ihr ein mit rascher Feder hin-
geworfenes Billet übergebend. „Diesen Brief müssen Sie
sogleich dem Herrn Doktor Holmfeld überbringen. Aber Sie
dürfen ihn nur in seine eigenen Hände legen, und wenn Sie
die halbe Stadt abkuchen müßten, um ihn zu finden. Es
steht zwar schon darin, aber Sie können ihm auch noch münd-
lich bestellen, daß eine Absage nicht angenommen würde, und
daß er um halb vier hier sein müßte — nicht eine Minute
später."
Die Kammerjungfer war entweder sehr wohl erzogen oder
an kleine Excentrizitäien ihrer amerikanischen Herrin bereits
gewöhnt, da sie nicht das kleinste Erstaunen über den plötz-
lichen WitterungSumschlag zeigte und sich vielmehr sofort
ausmachte, ihren delikaten Auftrag auszufübren. Vielleicht
aber hätte sie die Sonne von Mrs. Taylors Huld doch lieber
über dem künstlich gelockten Haupte des zweiten Besuchers

leuchten sehen, der ihr zwar auch bei seinem Fortgehen kein
Trinkgeld gegeben, sie dafür aber im zärtlichsten Tone einen
allerliebsten kleinen Käfer genannt hatte.

Ein zum Rapport befohlener Leutnant hätte nicht Pünkt-
licher bei seinem Vorgesetzten antreten können, als Werner
Hoimseld am Nachmittag bei Mrs. Helen Taylor erschien.
All' sein bitterer Groll gegen die grausame junge Wittwe
war dahingeschmolzen wie Aprilschnee in der Mittagssonne,
als er ihr reizendes Briefchen gelesen, diesen Brief» in dem
sie so lebhaft beklagte, daß ein Mißverständniß sie um das
Vergnügen gebracht habe, ihn schon am Morgen zu sehen,
und in dem sie ihn auf eine so unwiderstehlich herzliche Weise
einlud, ihr einfaches Mittagsmahl zu theilen. Wenn seine
Abweisung nur ein Mißverständniß gewesen war, so batte er
ja, Gott iei Dank, keinen Anlaß mehr, ihr zu zürnen, und
all' die süßen Hoffnungen, die er zu seinem Herzeleid an
diesem Vormittag für immer einsargen zu müssen geglaubt,
konnten nun eine fröhliche Auferstehung feiern.
Die l-a Uranos-Rosen, die er diesmal mitbrachte, waren
noch viel schöner, als die vom Morgen, und Mrs. Helen's
schönes Antlitz strahlte vor Vergnügen, als er sie ihr auf der
Schwelle des Salons, bis zu der sie ihm entgegengeeilt war.
in wortloser Befangenheit überreichte.
„Sie beschämen mich, Herr Doktor! Darf ich diese präch-
tigen Blumen denn aber auch wirklich als einen Beweis
dafür nehmen, daß Sie mir nicht mehr böse sind?"
Sein Blick versicherte sie dessen viel überzeugender, als
seine Worte, die noch immer etwas schüchtern und unbeholfen
herauskomen. Da, als sie sich anschickte, die Rosen bis auf
eine. d>e sie vorn an ihrem Kleide befestigt hatte, in eine
Vase zu stecken, erblickte er zu seiner grenzenlosen Ueber-
raschung in dieser Vase seinen Strauß von Vormittag. Ein
Jrrthum war unmöglich, denn er erkannte ihn an dem rothen
Bande, mit dem er umschlungen war.
(Fortsetzung folgt.)
 
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