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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Xi-. 134.

Montag, drn 12. Zum

1899.

Ausschreitungen bei den Arbeitskämpfen der
letzten Jahre.
II.
2. Ausschreitungen von Arbeitern gegen
Arbeiter.
Die Ausschreitungen von Arbeitern gegen Arbeiter sind
häufig auf die Absicht zurückzuführen, den Beitritt der
nicht organisirten Kameraden zu den Arbeiterkoali-
tionen zu erzwingen. Zu diesem Zweck werden von den
organisirten Arbeitern und der mit ihnen Verbündeten
Sozialdemokratie alle erdenklichen Mittel angewandt: Ver-
spottung, Beleidigung, Nöthigung, Sachbeschädigung, Miß-
handlung u. s. w. Es liegen Beispiele vor, daß die Ver-
folgten, welche trotz alledem zum Anschluß an die Verbands-
und Streikkassen nicht zu bewegen waren, ihren Beruf
aufgeben oder den Ort verlassen mußten. Der Druck zum
Beitritt wird in zweifacher Richtung ausgcübt: Der Nicht-
organisirte wird von seinen Arbeitskameraden drangsalirt
und der gemeinsame Arbeitgeber wird von dett Organisirten
dazu gedrängt, den der Mehrheit mißliebigen Arbeiter zu
entlassen. Wenn letzteres nicht geschieht, wird mit der
Einstellung der Arbeit gedroht, bisweilen auch der Streik
thatsächlich in Scene gesetzt und die betreffende Arbeitsstätte
für alle Arbeiter gesperrt. Im Baugewerbe gilt vielfach
die Parole, „keinen Unorganisirtcn zu dulden". Die Arbeit-
geber sind, um schweren materiellen Schädigungen vorzubeugen,
oft nicht in der Lage, den Forderungen bezüglich der Ent-
lassung oder der Nichteinstellung einzelner Arbeiter sich zu
widersetzen. Aus der Menge der Beispiele, die in der
Denkschrift für die hier berührten Konflikte angeführt werden,
sei nur eines zitirt: In Gartz a. O. sahen mehrere
Maurer sich genöthigt, dem Verbände der Maurer Deutsch-
lands beizutreten, weil es ihnen sonst nicht möglich war,
Arbeit zu erhalten; sie sinb in Folge dessen aus dem
Kriegerverein ausgcstoßen worden.
Der Streikzwang, welcher weiterarbeitende Genossen
zum Einstellen ihrer Thätigkeit veranlassen und Arbeits-
willige von der Aufnahme der Arbeit abhalten will, wird
mit den verschiedenartigsten Zwangsmitteln durchgesetzt.
Einschüchterung und Bedrohung spielen auch hier eine große
Rolle. Die Ausständigen zeigen sich hierbei bisweilen für
alle anderen Rücksichten und Erwägungen unzugänglich.
Das beweist z. B. ihr Verhalten gegenüber solchen Ge-
nossen, die aus Besorgniß für ihre Familie den Beitritt
zum Ausstand ablehnen. So wurde während des Textil-
arbeiterausstandes zu Cottbus ein Tuchmacher mit Todt-
schlag bedroht, nachdem er die Niedcrlegung der Arbeit
Unter dem Bemerken verweigert hatte, daß seine Frau in
den Wochen liege, und daß er für seine hungernden Kinder
sorgen müsse. Eine beliebte Art der Verrufserklärung
ist die Bekanntgabe der Namen der „Streikbrecher" in
Versammlungen oder Zeitungen. In München wurde im
Mai 1897 der Verein „Acbeiterschutz" als „katholische
Slreikbrecherorganisation" gcbrandmarkt. Der Terrorismus
gegen die Arbeitswilligen bedient sich noch anderer Mittel.
So wird berichtet, daß die Streikenden bisweilen die
Arbeitswilligen sammt ihren Familien durch Aufkündigung
der Wohnung vom Platze des Arbeiterkampfes zu vertreiben
oder durch Wegnahme des Handgepäcks und der Arbeits-
Werkzeuge einschüchternd und hindernd auf sie einzuwirken
versucht haben.
Kein Mittel zur Einschüchterung und Fernhaltung
Arbeitswilliger wird jedoch mit solcher Regelmäßigkeit und
so nachhaltigem Erfolge angewandt wie das „Streik-
vostenstehen". Von allen Seiten wird darüber geklagt,
daß die eingehend organisirte, planmäßige Ueberwachung.

Josephmens Glück.
21) Erzählung von A. von der Elbe.
(Fortsetzung.)
Im Frühsommer erhielt Josephine einen herzlichen Brief
von der Moser, in welchem diese ihr mittheilte, daß sie sich
bald Wiedersehen würden» da Frau Delbitz ihr höflich ge-
schrieben habe, und jetzt selbst wünsche, daß sie komme- Ein
zweites Kind werde erwartet, Cora sei sehr verstimmt und
Ubellaunischer denn je, sie sei auch wohl ernstlich leidend, da
sie dielen Winter in ihrer Vergnügungssucht kein Maß ge-
kannt habe. —
Also der Reichthum mehrt sich bei den Nachbarn und ist
vicht einmal willkommen, dachte Josephine, und sah mit
Spannung der Ankunft Luisens entgegen-
In dieser Zeit wurde Josephine mehr und mehr von ihrer
Vorliebe für den kleinen, jetzt etwa einjährigen Sohn Brunos
beherrscht- Er war nach seinem Großvater, dem alten Herrn
van Haften, der Jan hieß, Johannes getauft und wurde
Hans genannt.
Die stattliche Amme, die als Pflegerin bei dem Kinde
keblieben war, ließ ihr hübsches Hänschen gern bewundern.
Und die freundliche Dame von drüben, bot der Gelangweilten
Wan che gütige Ansprache und kleine Unterhaltung.
Wenn Josephine jenseits ihrer beiden Grundstücke mit der
Wärterin zusammentraf, setzte sie sich gern neben sie auf eine
ber in der Allee stehenden Bänke und spielte mit dem Kinde.
Es waren dies glückliche Augenblicke, nach denen sie sich leb-
haft sehnen konnte. Sie hielt dabei wachsam Umschau, ob
Mch von den Angehörigen des Kleinen niemand in die Nähe
komme, und wagte nicht, diese heimlich genossenen Minuten
iu verlängern, um nicht mit dem Kinde getroffen zu werden.
. Eines Tages, als Josephine einen Gartenweg in der Nähe
?es Außengitters harkte, sah sie die wohlgenährte Lotte von
orüben, gemächlich ihr vergoldetes Wägelchen mit dem hell-
blauen Ausputz vor sich herschiebend, die Allee entlang
wmmen.

auch wenn keine strafbaren Ausschreitungen mit ihr ver-
bunden sind, zum terroristischen Streikzwange führe. Aus
Leipzig wird — um nur ein Beispiel anzuführen — auf
Grund langjähriger Erfahrungen berichtet, daß die unaus-
gesetzte Belagerung der Bahnhöfe, der öffentlichen Straßen
und Plätze, der Arbeitsstätten und ihrer Zugänge eine
starke Einschüchterung Hervorrufe; „das Gefühl des steten
Bcobachtetseins und Begleitetwerdens übt einen sehr be-
deutenden Druck auf die Arbeitswilligen aus." Die Zu-
sammenrottung von ganzen Schaareu ausständiger
Arbeiter ist eine nicht seltene Begleiterscheinung dieser
Ueberwachungsthätigkeit. Bei einigen Ausständen wurde
der von den Streikkomitees nach militärischem Muster
organisirte und bisweilen bezahlte Postendienst in so aus-
gedehntem Maße gehandhabt, daß er ganze Ortschaften
vollständig umschloß. Die Ueberwachung des Bahnhofs-
verkehrs hat wiederholt erhebliche Verkehrsstörungen hervor-
gerufen und das Eingreifen der Polizei nöthig gemacht.
Behörden, Arbeitgeber und Arbeiter haben
zu den mannigfachsten Mitteln greifen müssen, um Be-
lästigungen der Arbeiter durch Streikposten zu verhindern.
Polizeiliche Hülfe zum Schutze der Arbeitswilligen und
der von auswärts zugezogenen Arbeiter hat mehrfach in
Anspruch genommen werden müssen; in mehreren Fällen
war auch eine fortgesetzte polizeiliche Bewachung von ge-
sperrten Arbeitsstellen zum Schutze der Arbeitenden noth-
wendig. Von den Maßnahmen der Arbeitgeber gegen
den Terrorismus der Streikenden sei lediglich erwähnt die
Unterbringung der von auswärts herangezogenen Arbeits-
kräfte in eigens hierzu eingerichteten Schiffen während des
Hamburger Hafenarbeiterstreiks; doch mußten auch diese
Kasernenschiffe sehr bald unter polizeiliche Bewachung ge-
stellt werden. Die Arbeiter selbst suchten sich in andern
Fällen zu schützen, indem sie nur in geschlossenen Haufen
zur Arbeit und nach Hause zogen. Charakteristisch für die
einschüchternde Wirkung der Ueberwachungsthätigkeit ist
eine Mitthetlung aus Stettin, nach welcher bei den Ar-
beitseinstellungen in vier dortigen Fabriken Niemand die
Arbeit ausgenommen hat, solange die Ausständigen sich in
der Nähe der Arbeitsstellen aufhielten, daß aber nach
der Entfernung der Streikposten die Arbeiter wieder in
Schaarcn zu den Arbeitsstätten kamen. Aehnliche Erfah-
rungen sind auch an anderen Orten gemacht worden.
Vom bayerischen Justizministerium, von der großherzoglich
hessischen Regierung und von anderen Seiten wird über-
einstimmend hervorgehoben, daß schon die einfache That-
sache der Beaufsichtigung in hohem Grade einschüchternd
auf die Arbeitswilligen wirkt. Zudem hat die Aufstellung
von Kontrolposten ungemein häufig zu Bedrohungen und
Ehrverletzungen geführt. Aus Halle wird berichtet, daß
ein großer Theil der anläßlich der Ausstände verübten
und gerichtlich abgeurtheilten Stcafthaten das Streikposten-
stehen zum Vorläufer hatte, und aus Leipzig heißt es:
„Bei Weitem die meisten der vorgekommenen und zur Be-
strafung gezogenen Streikausschreitungen sind von Streik-
posten begangen oder hängen doch mit dem Streikposten-
stehen mehr oder weniger eng zusammen."
Zur Erregung und Steigerung der Leidenschaft und
Aufreizung der Arbeiter haben vielfach berufsmäßige
Agitatoren milgewirkt, die ohne Rücksicht auf die that-
sächlichen Verhältnisse die Unzufriedenheit und Streiklust
anschürten, die Ausstandsbewegung in Gang brachten und
einen friedlichen Ausgleich zu Hintertreiben suchten, um die
„Führung" in Händen zu behalten. Ihre Einwirkung
war besonders gemcinschädlich, wenn sie zu Ausschreitungen
aufreizten oder durch ihr eigenes Beispiel anfeuerten. Ein
Bericht aus Cottbus bemerkt, „daß ohne jene Hetzer zahl-

reiche Arbeitseinstellungen mit ihren schwerwiegenden wirth-
schaftlichen und anderen Nachthcilen vermieden wären."
In den Arb eiterkreisen selbst wird der von den
Streiklustigen oder den Agitatoren ausgeübte Zwang
vielfach als ein unerträglicher Druck schwer empfunden.
In der Denkschrift wird (S. 64—67) eine Reihe charak-
teristischer Beispiele aufgeführt, wie in manchen Fällen
lediglich die Furcht vor den Streikführern Arbeitswillige
zum Anschluß an einen Ausstand veranlaßt hat. Die
Drohungen erstreckten sich in einem einzelnen Falle auf den
gänzlich unbetheiligten Lehrling. Wiederholt ist von Arbeitern
zugegeben worden, daß sie zum Streiken genöthigt wären,
weil das nun einmal so beschlossen sei.
Die durch die Arbeitskämpfc hervorgerufene Spannung
zwischen den Arbeitswilligen und den Ausständigen oder
Ausgesperrten findet auch nach der Wiederaufnahme der
Arbeit, und zwar mitunter selbst geraume Zeit hernach,
ihren Ausdruck in mannigfachen Ausschreitungen
gegen die dem Kampfe ferngebliebenen Ar-
beiter. Wörtliche und thätliche Beleidigungen, Miß-
handlungen und Sachbeschädigungen, die sich ausschließlich
als Bethätigungen des Rachegefühls darstellen, werden in
größerer Zahl mitgctheilt. Weit deutlicher ab er als durch
einzelne Verfehlungen wird die Rücksichtslosigkeit und Er-
bitterung der Ausständigen durch die theils offe nen, theils
geheimen Bestrebungen veranschaulicht, deren Ziel die
Aechtung und Brodlosmachung der sogenannten Streik-
brecher ist.

Deutsches Reich.
— Die Ergebnisse der 1895 veranstalteten Berufs-
zählung sind jetzt in der amtlichen Statistik des deutschen
Reiches veröffentlicht worden. Daraus ist zu ersehen,
daß die in der Landwirthschaft thätige Bevölkerung seit
der vorletzten Berufszählung 1882, also seit 13 Jahren,
nur um Prozent zugenommen hat. Die Industrie
weist einen Zuwachs von 29,5 Prozent, Handel und Verkehr
einen solchen von 48,9 Prozent auf. Einem Stillstände
in der Landwirthschaft steht demnach eine sehr starke Zu-
nahme in der Industrie, Handel und Gewerbe gegenüber.
Die Zunahme der industriellen Bevölkerung in Deutschland
ist im Vergleich mit anderen Ländern eine riesige. Sie
hat sich in Deutschland innerhalb der letzten 13 Jahre
beinahe um 30 Prozent vermehrt, in England aber nur
um 13, in Frankreich gar nur um 3 Prozent zugenommen.
— Der durch seine Hetzreden gegen die Juden in letzter Zeit
bekannt gewordene Graf Pück le r-Klein-Tschirne kam, die
Brust geschwellt von freudigen Gefühlen über seine jüngst er-
folgte Freisprechung, nach Berlin und wollte einen Vortrag
über „Freigesprochen und verurtheilt" halten. Bekanntlich be-
ruhte die Freisprechung des Grafen zum Theil auf der Er-
wägung des Gerichts, man dürfe seine Hetzereien nicht tragisch
auffassen, weil sie vor Landleuten gefallen wären, die nun ein-
mal an eine grobe Sprache gewöhnt seien, eine Begründung,
die übrigens für die Landleute nicht sehr schmeichelhaft und
wohl auch nicht ganz verdient ist. Er sing auch gleich wieder
ganz Hainbuchen an und forderte auf, die Knüttel zu ergreifen
und mit den Knütteln dreinzuschlagen. Die Berliner Polizei
dachte aber „eines schickt sich nicht für alle" und der überwachende
Polizeikommtssar erklärte die Versammlung für aufgelöst.
Baden. * Zn den Angaben des württembergischen
Ministerpräsidenten über die geplante Aenderung der
Personen tarife für die Eisenbahn bemerkt die
Redaktion der Karlsruher Zeitung: „Dieser neue Tarif
würde genau mit den Preisen unseres Kilometerheftes über-
einstimmen." Die Redaktion des amtlichen Blattes über-
sieht dabei, daß die Kilometerhefte die Benützung des
Schnellzuges gestatten, während nach der geplanten sog.
Reform der Schnellzugszuschlag erhalten bleiben soll.
Im Uebrigen ist der Vergleich mit unserem Kilometerheft

Es war Regenwetter gewesen, und Josephine hatte ihren
kleinen Liebling lange nicht gesehen.
Rasch warf sie ihre Harke hin und lief vor die Garten-
thür, wo eben Hans in seinem Wagen ankam. Er streckte
der Befreundeten die Arme entgegen und rief: „Tata —
Tata!" Sie neigte sich über das Kind und liebkoste cs.
Als sie wieder ausblickte, stand Bruno neben ihr. Seine
mißvergnügten, schärfer gewordenen Züge erhellte in diesem
Augenblick ein schwaches Lächeln.
„Wie gütig Sie gegen meinen armen Kleinen sind," sagte
er trübe.
„Warum arm?" entfuhr es ihr erstaunt.
Er zuckte die Achseln, sein Blick streifte die gleichgültig
dastehende Wärterin: „Fahren Sie nur weiter, Lotte."
Josephine wollte mit kurzem Gruß in den Garten zurück-
kehren, doch er trat dicht an sie heran und bat beweglichen
Tones: „Darf ich denn nicht einmal wieder bei Ihnen ein-
kehren? Bin ich ganz und gar aus dem Paradies: Ver-
trieben ?"
Sie lud ihn mit einer Handbewegnng ein, und beide
gingen Seite an Seite wie sonst, den oft beschrittenen Boskett-
weg hinunter.
„Es ist jetzt freilich lange her," begann er unsicher, „aber
ich möchte Ihnen doch noch sagen, Josephe, daß ich um den
Tod meines alten Gönners, Ihres theueren Vaters, mit Ihnen
getrauert habe. Ich wußte ia auch, was dieser Verlust Ihnen
bedeute, und wie wahrhaft betrübt sie gewesen sein werden."
„Ja, ich habe sehr gelitten."
„Und doch ist der Verlust eines geliebten Menschen durch
den Tod nicht das Schwerste, was wir zu tragen haben
können. Der Schatz an Liebe, den wir genossen und gegeben,
bleibt unverloren. Das Schwerste ist, täglich in ein Herz zu
blicken, das aller Liebe bar. nur an sich denkt."
Josephine erschrack; wohin verirrte sich seine Unterhaltung?
Er durste ihr nicht das Elend seiner Ehe aufdecken — nicht
ihr — sie wußte schon genug davon. Sie lenkte ab und
zeigte ihm die letzten Anlagen, die ihr Vater hatte machen
lassen.

„Sie wollen nichts Persönliches hören," begann er wieder,
mit der Offenheit, die er ihr früher bewiesen. „Sie mögen
recht haben. Es ist ja auch unmännlich zu klagen. Warum
Ihr gutes Herz mit belasten? Oder wohl gar in diesem
guten Herzen den häßlichen Gedanken wecken: Ihm ist recht
geschehen I — O, ich bin ja eigentlich ein beneideuswerther
Mann! Wir sind nach allen Seiten so elegant wie möglich,
ch kann haben und genießen, was ich mag. Mein Herr
chwiegervater ist außerordentlich generös. Wenn Sie hören,
daß ich mich alle Tage in Sekt betrinke, dürfen Sie sich nicht
wundern."
„Um alles in der Welt — welch' ein abscheulicher Ge-
danke!" Sie hob erschrocken die Hände.
Mittlerweile hatte sie, um der peinlichen Unterhaltung
ein Ende zu machen, ihre Schritte wieder zur Eingangsthür
gelenkt, und er war ihr zerstreut gefolgt.
„Leben Sie wohl," sagte er stehenbleibend, und reichte ihr
die Hand zum Abschiede. „Vergessen Sie mein Geschwätz.
Man hat seine dunklen Stunden. Alles in allem gerechnet
! bin ich ein beneidenswerlher Mensch."
Er ging, und Josephine kehrte erschrocken und tiefbewegt
in den Garten zurück. O wie innig bemitleidete sie den
glänzend gestellten Mann!
Seit wenigen Wochen befand sich die Hausdame bei Del-
bitz auf ihrem alten Posten, als ein unerwartetes, erschüttern-
des Ereigniß eintrat, das auch der Moser alle Hände voll zu
lhun gab.
Der alte Herr van Haften, der, ohne daß man sonderlich
aus seinen Zustand geachtet hatte, immer müder, unbesinn-
licher und schlaffer geworden war, wurde eines Morgens todt
in seinem Bette gesunden. Ein Nervenschlag hatte seinem
Leben ein jähes Ende bereitet.
So unartig und rücksichtslos Cora auch manchmal gegen
ihren Vater gewesen war, so brach doch jetzt, bei diesem ersten
Verlust, den sie erlitt, ihre leidenschaftliche Natur in voller
Ungebündigtheit und wilder Trauer hervor.
(Fortsetzung folgt.)
 
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