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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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und den Plakatsäule«.

Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Xr. 78.

Dlninrrslug, den 3V. Mär?

I8S9.

Des Charfreitags wegen erscheint die nächste
Nummer am Samstag.
Bestellungen
auf die Heidelberger Zeitung für das II. Quartal 1899
werden bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den
Agenten, bei den Trägern in der Stadt, sowie in der
Expedition, Untere Neckarstr. 21, fortwährend angenommen.
Bezugspreis: monatlich nur 50 Pfg., frei in's Haus
gebracht ; durch die Post bezogen Mk. 1.25 vierteljährlich,
mit Zustellgebühr Mk. 1.65.
Gegensätze in der Sozialdemokratie.
Aufs Neue ist der Gegensatz in der Sozialdemokratie
zum Ausdruck gekommen, der seit längeren Jahren bei den
verschiedensten Anlässen und in den verschiedenartigsten Ge-
stalten zu Tage getreten ist, der Gegensatz zwischen den
Stürmern und Drängern, die alles Heil von einem
frohen gewaltsamen „großen Kladderadatsch" erwarten,
und den „Opportunisten", die in Anbetracht der
Widerstandsfähigkeit der geltenden Gesellschaftsordnung
das reformatorische, gesetzliche Hineinwachsen in die neue
vorziehen. Die Basis des Streites ist das Erfurter Pro-
gramm, das 1891 beschlossen und als der unantastbare
Abschluß des dogmatischen Aufbaues der Väter der Sozial-
demokraten Marx und Engels galt. Darin war die Weiter-
entwickelung der bürgerlichen Gesellschaft geschildert: Unter-
gang der Kleinbetriebe; hier ein riesengroßes Proletariat,
dort eine kleine Zahl von Kapitalisten und Großgrund-
besitzern; Monopolisirung der Produktionsmittel; Wirth-
schaftskrisen; Verelendung der Massen, Niedergang ihrer
Lebenshaltung, Zunahme der Ausbeutung. Das waren
die unerläßlichen wirthschaftlichen Voraussetzungen für den
Kampf um die Macht, der den Ucbergang der Produk-
' lionsmittel in den Besitz der Gesammtheit und die Be-
' freiung der Arbeiterklasse bringen sollte.
Vor einem Jahre bereits wurde nun mitten aus der
- Partei das Schlagwort von der „Verelendung" der
Massen als ein Unsinn erklärt, und auf dem letzten
Parteitag, der im verflossenen Jahre in Stuttgart statt-
sand, warf einer der Führer, ohne daß cs Folgen hatte,
die ganze Kladderadatschtheorie zum alten Eisen und er-
klärte kurz und bündig, daß der Arbeiterschaft kein größe-
res Mißgeschick widerfahren könnte, als wenn sie jetzt oder
bald die politische Verantwortung erhielte. Nun ist der
sozialdemokratische Schriftsteller Ed. Bernstein gekom-
men, dessen schriftliche Erklärung bereits den letzten Partei-
tag erschreckte und der mit der Autorität des unmittel-
baren Auslegers von Marx und Engels von der Partei
ausgcstattet worden, und wirft in einer eingehenden
Schrift, die sich mit den „Voraussetzungen des Sozialis-
mus und den Aufgaben der Sozialdemokratie" befaßt, das
ganze Geklügel des Erfurter Programms der „Kraftmeier"
in der Partei zusammen.
Nichts bleibt bei diesem Zusammensturz heil. Unter-
gang der Kleinbetriebe? Die Antwort Bernsteins lautet:
im Gegentheil; nur die Zwergbetriebe gehen zurück, die
Klein- und Mittelbetriebe im Gewerbe nehmen zu. Ebenso
ist es im Handel; es ist „utopistisch", von den kapitalisti-
schen Waarenhäusern eine nennenswerthe Aufsaugung der
kleineren und mittleren Geschäfte zu erwarten; sie schädigen
Wohl einzelne kleinere Geschäfte, ober neue Spezialitäten
Und neue Kombinirung von Geschäften bilden sich aus.
»Vielfach zeigt der kleine Mittelbetrieb die stärkste Zu-
nahme; die Landwirthschaft zeigt entweder Stillstand oder
direkt Rückgang des.Größenumfangs der Betriebe. Und
die Verminderung der Besitzenden? Bernstein antwortet:

„Daß die Zahl der Besitzenden zu- und nicht abnimmt, ist
nicht die Erfindung bürgerlicher Harmonieökonomen, son-
dern eine von den Steuerbehörden oft sehr zum Verlust
der Betreffenden ausgekundschaftete Thatsache, an der sich
heute gar nicht mehr rütteln läßt." Dann wirft er die
„Krisentheorie" mit Zahlen um und die Zusammenbruchs-
theorie, die „Diktatur des Proletariats" umschreibt er: „sie
heißt, wo die Arbeiterklasse nicht schon sehr starke eigene
Organisationen wirthschaftlichen Charakters besitzt und durch
Schulung in Selbstverwaltungskörpern einen hohen Grad
von geistiger Selbständigkeit erreicht hat, die Diktatur von
Klubrednern und Literaten." Die „Konzentration des
Kapitals" wirft er mit dem Nachweis um, daß gerade die
Form der Aktiengesellschaft die Aneignung von Kapitalien
durch einzelne Magnaten zum Zweck der Konzentrirung
gewerblicher Unternehmen überflüssig mache. Aehnlich be-
handelt er die Lobpreisung des Milizsystems, die üblichen
Angriffe auf die auswärtige und Kolonialpolitik, und wirft
damit alle die Götzen um, die die jetzige Führung der
Sozialdemokratie errichtet hat, um zum blinden Kultus
davor die ihnen glaubenden Massen zu führen.
Die Schrift von Bernstein ist ein böser Schlag in das
Comptoir der revolutionären, phantastischen Sozialdemo-
kratie. Wer sich in Träumen wiegt, der mag sich nicht
gern zur nüchternen Wirklichkeit erwecken lassen und grollt
dem, der ihn aufrüttelt. So wird Bernstein ohne Zweifel
heftige Anfeindungen erfahren. Möglicherweise wird er
aus der Partei fliegen; indessen wahrscheinlich ist das nicht,
denn innerhalb der Partei gibt es eine ganze Anzahl von
Leuten, die im Grunde seine Meinung theilen. Und dann,
was hilft es, den Mann aus der Partei zu stoßen, wenn
man seine thatsächlichen Feststellungen und die daraus ge-
zogenen Schlüffe nicht zugleich umstoßen kann! Selbst
Bebel, der Verkünder des großen Kladderadatsch, glaubt
heute nicht mehr, daß ein solcher in überblickbarer Zeit
bevorsteht. Mit einer gewissen Wehmuth hat er kürzlich
in Jena von seiner Lteblingsprophezeihung Abschied ge-
nommen. Ist der Kladderadatsch aber nicht zu erreichen,
so ist es Unsinn, auf ihn durch revolutionäres unfrucht-
bares Verhalten hinzuwirken, statt in positiver Arbeit an
dem Wohle der Gesellschaft und ihren einzelnen Theilen
mitzuwirken. Ein Theil der Sozialdemokraten sieht dies
ein, der andere zieht aber das unfruchtbare Raisonniren
vor, denn das ist viel leichter als mitzuarbeiten. So muß
denn Bebel seufzend konstaliren, daß cs zu einer Spaltung
innerhalb der Sozialdemokratie kommen könnte.
Es ist begreiflich, daß die bürgerlichen Parteien diesen
Prozeß mit großer Aufmerksamkeit verfolgen.

Deutsches Reich.
— Die Norddeutsche Allg. Ztg. berichtet: Gutem Ver-
nehmen nach werden als Vertreter des deutschen
Reiches an der Abrüstungskonferenz im Haag der
Botschafter Graf Münster, der Professor an der Univer-
ität München Freiherr v. Stengel, der Professor an der
Universität Königsberg Zorn und je ein höherer Offizier
des Heeres und der Marine theilnehmen.
— Bei den neuesten Personalveränderungen in der
Armee ist der älteste Generalmajor im Heere bei der Be-
förderung zum Generalleutnant übergangen worden, und
dies ist kein Geringerer als der Bruder unseres Kaisers,
Prinz Heinrich von Preußen, der in der Marine noch
nicht zum Viceadmiral heransteht, als dem entsprechenden
Dienstgrade eines Generalleutnants im Heere. Es ist be-
kannt, daß Prinz Heinrich auch vielfach zum Generalmajor
übergangen wurde, weil es sein persönlicher Wunsch war,

seine Beförderung ausschließlich in der Marine der Reihe
nach erfolgen zu sehen, ohne besonders bevorzugt zu werden.
— Der österreichische Konsul in Sansibar, Dr. Oskar
Baumann, der seit längerer Zeit an einem schweren kör-
perlichen Leiden litt, ist nun auch geistig erkrankt.
Nach einer vorübergehenden Besserung blieb sein Zustand
stationär. (Dr. Baumann erregte bekanntlich vor einiger
Zeit unangenehmes Aufsehen durch einen Aufsatz, in dem
er allerlei unbegründete Beschuldigungen auf die Beamten
von Deutsch-Ostafrika häufte.)
— Aus Peking meldet das Reutersche Bureau, daß
der dortige deutsche Gesandte Frhr. v. Heyki ng seit nahe-
zu 14 Tagen an einem Halsübel leide, das allgemeine
Schwäche und große Heiserkeit verursache. Das Befinden
des Gesandten soll Besorgnisse erregen.
Baden, ff Mannheim, 29. März. Heute Abend fand im
Saalbausaale eine von der hiesigen nationalliberalen
Partei veranstaltete Trauerfeier für den Fürsten Bis-
marck statt. Der Saal war mit Trauertuch und Silber, sowie
schwarz umflorten Wappen und Fahnen geschmückt. Zahlreiche
Verehrer des verstorbenen Altreichskanzlers, namentlich viele
Damen, hatten sich eingefunden. Ferner waren die Spitzen der
Staats- und städtischen Behörden und Vertreter des Offiziercorps
anwesend. Ein Orgelpräludium eröffnete die Feier, worauf eine
circa 200 Köpfe starke Sängcischaar unter Leitung des Herrn
Musikdirectors Bieling den Silcher'schen Bardenchor mit unter-
legtem Text vortrug. Sodann hielt Herr Geh. Kommerzienrath
Kart Eckhard dieGedächtnißrede. In circa halbstündigen, packen-
den Ausführungen entwarf der langjährige, hochverdiente Führer
der badischen Nationalliberalen ein Bild des Wirkens und
Schaffens des großen Todten. Die inhaltreiche und gedanken-
volle Rede des Herrn Eckhard machte auf die Zuhörer einen ge-
waltigen Eindruck. Der Gesang des niederländischen DankgebetS
durch den Männerchor, sowie der von der hiesigen Grenadier-
kapelle gespielte Trauermarsch aus der Götterdämmerung schloß
die Feier.
Württemberg. Stuttgart, 28. März. Die Be-
stattung der Aschcnuriie des verstorbenen Oberbürgermeisters
v. Rümelin hat heute Vormittag auf dem Pragfriedhos
stottgefunden. Die Glocken der Stiftskirche läuteten. Wie
der Schwäbische Merkur mittheilt, konnte der Stadtdekan
Braun der Bitte der Wittwe Rümelins, bei der Bestattung
mitzuwirken, mit Rücksicht auf die kirchlichen Bestimmungen
nicht entsprechen. Das Glockengeläute erfolgte, weil die
Stadt für solche Feiern sich das Anrecht auf die Glocken
Vorbehalten hat. Die Kosten für die Grabstätte sind auf
die Sladtkasse übernommen worden.
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Groß Herzog haben den
Direktor der Schulanstalt „bbiäsrioianum" in Davos, Heinrich
Mühlhäuser aus Karlsruhe, zum Hofrath ernannt.
Karlsruhe, 29. März. Gestern Abend gegen 11
Uhr verabschiedete sich der Großherzog von Oldenburg von
den höchsten Herrschaften. Derselbe begab sich zum Haupt-
bahnhof und richtete sich in seinem Waggon ein, um dann
mit dem um 2 Uhr durchfahrenden Schnellzug die Reise
nach Basel fortzusetzen. Der Großherzog wird einige
Wochen in Italien verweil n. Heute Vormittag empfing
der Großherzog den Präsidenten des Evangelischen Ober-
kirchenraths Dr. Wielandt zu längerem Vortrag. Um 6
Uhr nehmen die Großherzoglichen mit den Erbgroßherzog-
lichen Herrschaften an dem Abcndgottesdienst in der Schloß-
kirchc theil.__
Au s l a n d.
Oesterreich-Ungarn. Wien, 29. März. Zu den
Vertretern Oesterreich-Ungarns bei der Abrüstungs-
Konferenz im Haag wurde der erste Sektionschef im
Ministerinm des Aeußern, Graf Welsersheimb, und der
Gesandte im Haag, Okolicsanyi, delegirt; ihnen werden
ein hoher Militär und ein juristischer Beirath betgegeben.

Ein Frauenherz.
13) Erzählung aus dem Leben von A. M. Witte.
(Fortsetzung.)
^,.„Jch lernte vor einigen Jahren in Thüringen ein junges
Mädchen dieses Namens kennen, darum erschien sie mir
ffuch vom ersten Augenblicke an nicht fremd, aber dennoch
!n sie eine andere geworden. Die Schönheit, welche damals
!si der Knospe schlief, hat die Hülle gesprengt, jetzt erscheint
sie, wie das reiche Leben selbst." „Das kann ich gerade nicht
Me», denn sie ist außerordentlich blaß; aber nun lodert
Brandensteins Herz, und der Widerschein dieser Flamme er-
ffuchwt ihr Antlitz; habe ich mich nicht ebenso schwungvoll
poetisch ausgcdrückt wie Sie?" „Eine flüchtige Jugend-
jchwärmcrei, die nie ernst genommen wurde; ich interejsirte
-j"ch sogar sehr für ihre Freundin, die jetzt an einen Stabs-
^ät Böhmer verheiratbet ist." „Ganz recht, eben diese Dame
^Uipsahl uns Fräulein v. Holzen." „Ich dachte, sie sei längst
?srheirathet," der junge Kürassieroffizier wollte noch mehr
'ugen, brach aber ab. als er den sonderbaren Ausdruck in dem
Mblichen Gesichte des Herrn von Winnig bemerkte. Sollte
derselbe, welcher für alle weiblichen Wesen nur das Interesse
?es Lebemannes hatte, der nur die Rennbahnen besuchte und
em Sport huldigte, Pferde trainirte und hohe Summen
erspielte, wirklich dem jungen Mädchen sich nahen wollen?
. Brandenstein war ein junger, reicher Offizier, der mir
. 'Atem, fröhlichem Sinn durchs Leben ging, aber von durch-
aus edler Gesinnung; er konnte nicht dulden, daß einer
Kume so begegnet ward; gerade weil sie in einer abhängigen
Quellung schutzloser war, als wenn eine Heimalh ihr ein ge-
v'lles Relief verliehen hätte, hielt es für Kavalierspflicht, sie
°u warnen. Sterneck schien allerdings auch für sie einftehen
wollen, mehr aber seiner Mutter als ihrer selbst wegen;
^hU^ichloß daher, unter irgend einem Vorwände ihr zu
s„ .Sterneck forderte beide Herren auf, ihn am Abend zu be-
tucyen, und Brandenstein fand sich pünktlich ein. Die Villa

lag in einem großen Garten, und ats er die Gänge desselben
durchschritt, rief er mehr und mehr sich die Zeit seiner Be-
kanntschaft mit Magdalene in das Gedächtniß zurück; er batte
damals von ihrer Verlobung munkeln hören, und er über-
legte, welch Geschick zwei Menlchen wohl geschieden habe,
die für einander bestimmt zu schein schienen. Leise träume-
risch neigten sich über ihm die Wipfel der Bäume, und Plötz-
lich bemerkte er eine schlanke Gestalt, welche einsam an einem
kleinen See stand und in das Wasser schaute; wie thränen-
umschleiert waren ihre Augen, als sie zu ihm aufblickte, wie
er sie begrüßend ihr ins Gedächtniß zurückrief, daß sie ihm >
nicht fremd sei. Magdalene zuckte leicht wie erschreckend zu- !
sammen.
„Lassen Sie jene kurze glückliche Zeit vergessen sein, Sie
finden mich hier als die Gesellschafterin der reichen Kom-
merzienräthin Sterneck." Schien es ihm nur io, daß eine
leise Bitterkeit in ihren Worten lag ? „Wollen Sic aber nicht
in den Salon gehen, die Herrschaften befinden sich dort."
Sie deutete leicht mit der Hand nach der erleuchteten Veranda. !
„Ich wollte Sie gern zuerst sprechen," er stockte, er
wußte nicht, wie das rechte Wort finden. „Wie ist es Ihnen !
möglich, hier auszuharrcn, wo alle ihre Lebensanschauungen i
mit denen dieser Familie so auseinander gehen. Geld und j
einzig Geld ist der Gott, vor dem sie sich beugen." — „Dar-
nach fragte ich zuerst nicht, ich war befriedigt, einen Wirkungs-
kreis zu finden, und dann bin ich an Wunderlichkeiten von !
frühester Jugend an gewöhnt, darum setzen mich diese nicht i
in Erstaunen."
Die etwas schrille Stimme der Kommerzienräthin tönte !
von der Veranda her; Beide schritten in das Haus; Bran-
denstein halte nur noch Zeit, Magdalene zuzuflüstern; „Seien
Sie auf Ihrer Hut, wenn man Ihnen zu nahen versucht."
Er begrüßte Sternecks etwas zerstreut, er war unzufrieden
mit sich selbst, er batte es wohl falsch angefangen, unruhig
suchten seine Augen immer Magdalene: ohne tieferes Inter-
esse bis jetzt für sie empfunden zu haben, fühlte er doch
eine gewisse Zuneigung zu diesem Mädchen, das so kühn den
Kampf mit dem Dasein ausgenommen; er hatte aus seinem

Lebenswege viele oberflächliche eitle Damen der großen Welt,
viele gefallsüchtige Frauen kennen gelernt; er hatte zu lange
in der Gesellschaft gelebt, um nicht einen genauen Einblick
in das Getriebe derselben gethan zu haben, und er hatte mit
richtigem Verständniß erkannt, daß viel Heuchelei und innere
Hohlheit unter der glänzenden Oberfläche lauerte; für Mag-
dalene hatte er schon damals die höchste Achtung empfunden,
welche sich nur steigerte, da er ihr Wirken und Walten hier sah.
Für einen unbefangenen Zuschauer wäre sie vielleicht ein
ganz glückliches Wesen gewesen; er wußte durch Erna und
durch einige Beobachtungen, welcher Selbstbeherrschung sie
fähig war. Er bewunderte sie, mit welchem Takt sie den
häufigen Taktlosigkeiten ihrer Herrin auswich, und wie sie
die Blicke der beiden anderen Herren an der Tafelrunde
nicht zu bemerken schien. Es war schade um sie, daß sie in
einer solchen Stellung voraussichtlich für immer bleiben
mußte; das Schicksal hatte ihr hinreichend Energie gegeben,
sich ihren Weg zu bahnen, ihr einen großen Schatz von
Kenntnissen verliehen, welche ihr dabei zu statten kamen, aber
wie mußte sie erst beglücken, wenn sie im Sonnenlichte der
Befriedigung im eigenen Haus zur Geltung käme! Er
mußte sich von den Gedanken, die ihn fesselten, losreißen,
als Winnig und Sterneck ihn mit seiner Schweigsamkeit neck-
ten und eine Promenade in den Garten Vorschlägen. Die
Dame des Hauses bannte ihn durch ein Gespräch über seine
Familie an seine Seite, und unruhig bemerkte er, wie Winnig
Magdalene mit Aufmerksamkeiten verfolgte. Derselbe schien
seine Taktik geändert zu haben und m>t vollem Sturm einen
Angriff zu wagen.
(Fortsetzung folgt.)

Stadt-Theater.
Q Heidelberg, 30. März.
„Die Anna Life." Schauspiel in 5 Aufzügen von Her-
mann Hersch. Zweites und letztes Gastspiel des Herrn Eugen
Frank vom katserl. und königl. Hofburgtheater in Wien.
Das Liebes- und Ehebündniß des alten — damals noch so
jungen — Dessauers mit de: braven Apothekerstochter ist noch
 
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