Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0039

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Erscheint täglich.
Sonntags ausgenommen.
Preis
mit Familienvlätt'rn
monatlich 50 Pf.
frei in's Haus gebracht.
Durch die Post bezogen
vierteljährl. 1.25
ausschließlich Zustellgebühr.
Telephon-Anschluß Nr. 82.


JnsertionSgebühr
15 Pf. für die Ispaltige
Pctitzene od deren Raum.
Für hiesig» Geschäfts- und
Privatanzeigen bedeutend
ermäßigt.

Gratis-Anschlag
der-Jnserate auf den Plakat-
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäulen.

Telephon-Anschluß Nr. 82.

Xi-.s.

Mittwoch, den 11. Ionuor

1898.

Politische Umschau.
Heidelberg, 11. Januar.
Einen durch die Ausweisungen in Schleswig „ge-
moßrcgelten" Landwirth hat der Spczialcvrrespondent des
Bcrl. Tagebl. persönlich ausgesucht. Was er über den
Mann und seine „Maßregelung" berichtet, ist sehr in-
teressant. Der Betreffende heißt Michelsen, war früher
dänischer Offizier, kaufte später in Schleswig ein Gut und
wurde preußischer Unterthan. Dann wurde er Vorstand
des dänischen Sprachvereins und Mitglied des dänischen
landwirthschaftlichen Vereins. Als solcher, so erzählt der
Spezialbcrichtcrstatter, hat er sich, ob nun in gemäßigter,
ob in provozirender Weise, an der dänischen Propaganda
bctheiligt. Noch aber war von Ausweisungen in Apenrade,
längst nachdem sie in Haderslebcn schon begonnen hatten,
nichts zu spüren. Da kam eines Morgens der Polizei-
diener zu Herrn Michelsen in den Hof und übcrbrachte
einem seiner drei aus Dänemark gekommenen Knechte die
plötzliche berühmte Ordre. Ein paar Tage später, und
der Polizeidiener kam wieder und brachte dieselbe Ordre
auch den beiden anderen Knechten. Der Erste dieser Aus-
gewicscncn ging nach Dänemark zurück. Hundert hilfreiche
geldgesüllte Hände, die Hände des dort eigens zu Gunsten
der Ausgewiesencn zusammengctretcnen Hilfscomitecs, haben
sich ihm in demselben Augenblick, als er die Grenze über-
schritt, cntgcgengestreckt, aber er brauchte sie nicht, er ging
zu seiner Mutter. Auch die beiden anderen Knechte, halb-
wüchsige Burschen, grämten sich nicht sonderlich. Das
Komitee würde ihnen ja sofort einen andern Dienst ver-
schaffen, und außerdem gelangten sie auf diese Weise drü-
ben im Valerlande, das sich bisher nur ziemlich wenig mit
ihnen beschäftigt hatte, zu plötzlichem Ansehen und Ehren
und Märtyrerthum — eine Aussicht, die sich ihrem gewe-
senen Dienstherr« sehr deutlich bemerkbar gemacht hat.
Und wie haben Herrn Michelsen die Ausweisungen ge-
troffen? Unangenehm war es für Herrn Michelsen, daß
im Augenblick Niemand da war, der seine Milchkühe ver-
sorgte, ober Frauen aus der Nachbarschaft halfen einst-
weilen aus. Nun hat er längst Ersatz, und zwar dies-
mal deutschen, den ihm Niemand mehr wegnehmen kann.
Die einzige von Herrn von Köller Betroffene war in
Wahrheit nur Fräulein Michelsen. Ich traf diese liebens-
würdige junge Dame iü der Küche, und sie erzählte mir,
wie sie mit ihrer Mutter, als keine Knechte im Hause
Waren, hat mit helfen und anfassen müssen. Aber Fräu-
lein Michelsen arbeitet sehr gern, und deshalb hat sie
Herrn v. Köller nichts übel genommen. — So der Be-
richterstatter des Berliner Tageblattes. Wie man sieht,
hat Niemand einen materiellen Schaden genommen, aber
der Zweck der Regierung ist insofern erreicht, als Herr
Michelsen nun nicht mehr mit dänischem Gesinde demon-
striren kann, sondern auf deutsche Arbeiter angewiesen ist.
Der Berichterstatter zieht aus dem weiteren Verlauf der
Maßregelung von seinem freisinnigen Standpunkt freilich
die Folgerung, daß eine solche Maßregelung, die materiell
Nicht verspürt werde, gar keinen Zweck habe. Hätte
Herr Michelsen keine deutschen Arbeiter bekommen, dann
hätte derselbe Korrespondent zweifellos über unerhörte
Grausamkeit gewettert. Unrecht muß die Regierung auf
alle Fälle haben. Das verlangt in solchen Fällen das
freisinnige Programm.
In dem Streit wegen Ausdehnung der französischen
Niederlassung in Shanghai hat Frankreich den
Nückzug antreten müssen und wiederum ist es von
England hierzu gezwungen worden. Das wird den in
Frankreich herrschenden verbissenen Groll gegen England

Das Bachstelzchen.
8) Novelle von Martha Renate Fischer.
(Fortsetzung.)
VII.
Die Kartoffelernte fing mit Herbstkälte an, die Luft war
üebelfeucht, qanz grau das frühe Moraenlicht.
, Die Hackerinnen arbeiteten in plumpen Männerstiefeln,
?en Rock hoch geschlagen und hinten zusammengesteckt, um
°en Kopf ein Tuch gebunden. Und in keinem anderen Putze
^schien das Bachstelzchen.
.. AlS dann aber der Tag herauf kam, der Nebel sank und
?>e Sonne strahlte, schälte sie sich aus der Unbeholfenheit
§raus. stand da in blankgeputztcn Pantoffeln und rothen
Strümpfen.
Auch das Tuch vom Kopfe verschwand.
Wenn sie dann ihren gefüllten Korb abgelicfert hatte,
5un zu Wanders trat und ihre Zahlmarke holte, hob sie den
Mck und ihre Augen erinnerten ihn schüchtern an etwas ge-
meinsam Erlebtes.
Aber cs blieb immer eine halbe Frage zurück: — Reut
^ Dich auch nicht, fragten die Augen — wie wir da zu
Zweien saßen am Tisch, mit dem feinen Tüchlein bedeckt und
den beiden Blumentöpfen —? und dann standen wir vor
Lade — und ich habe Dir Dein Bild gezeigt - und es
Dir nicht schön genug-? — ->nd weißt Du wohl
.dann bin ich in dem feinen Putz — und wir tanzten —
«d Du schenktest mir die Ohrringe-?
Wanders dachte: Ich war ein Esel, daß ich fortging . . .
sjwtete sich straff auf und wurde dunkelroth; denn er schämte
'W seiner Gedanken.
zu, Unter den Hackern befanden sich auch die Dienstboten-
loß eine Magd blieb daheim der Frau zur Hilfe.
^ Die beiden Knechte und das Mädchen arbeiteten neben-
j «ander auf dem einen Flügel. Und an der Stelle war
Mnier Geräusch und Wortwechsel.

noch steigern. Frankreich hatte um die Erweiterung seiner
Niederlassung in Shanghai schon vor anderthalb Jahren
nachgesucht, da dieselbe fast wieder zu einer förmlichen
Chinesenstadt geworden war, die allerdings unter franzö-
sischer Munizipalität stand. Der chinesische Taotai hatte
wenig Schwierigkeiten gemacht und nur die Verhandlungen
mit der Ningpo-Gilde wegen Beseitigung des Joßhauses.
d. h. des Gebäudes, in denen die Leichen der nach der
Heimath zu schickenden Angehörigen aus Ningpo auf-
bcwahrt werden, führte zu langen Verhandlungen, schließ-
lich zu Streitigkeiten und Blutvergießen, als die Franzosen
sich des Gebäudes bemächtigen wollten. Später wollte
die chinesische Verwaltung den Franzosen ein Gebiet jen-
seits des Joßhauses überweisen; weil auf demselben aber
einige Engländer ansässig sind, mischte sich England in die
Sache. Seinem Protest schloß sich Amerika an, während
der russische Gesandte die Forderung Frankreichs unter-
stützte. Als man in Peking sah, daß die Mächte getheilt
seien, schritt man gern dazu, den Franzosen die verlangte
Ausdehnung ihrer Niederlassung zu verweigern. Um der
Ablehnung zuvorzukommen, hat dann Frankreich seine
Forderung zurückgezogen.

Deutsches Reich
— Der Kaiser stattete am Montag Nachmittag dem
türkischen Botschafter in Berlin, Tewfik Pascha, einen
Besuch ab.
— Die Magdeburger Strafkammer verurtheilte den
Redakteur der sozialdemokratischen Volksstimme,
Müller, wegen Beleidigung des Kaisers und des
Prinzen Eitel Fritz durch ein „Märchen aus Bagdad" zu
vier Jahren Gefängniß.
Deutscher Reichstag. Berlin, 10. Jan. Präsident
Graf Ballestrem eröffnet die Sitzung mit Glückwünschen
zum neuen Jahr. Zur Ehrung des Andenkens des ver-
storbenen Abgeordneten Dieben erhebt sich das Haus von
den Plätzen. Das bisherige provisorische Präsidium wird
auf Antrag des Abg. Dr. v. Levetzow (cons.) durch Zu-
ruf endgiltig für die Dauer der Tagung gewählt.
Ohne Verhandlung werden die Vorlagen betreffend die Con-
trole des Reichshaushaltsetats u. s. w. für 1898 sowie betreffend
das Uebereinkommen zwischen Deutschland und Holland über die
Behandlung ärztlicher Angelegenheiten für Grenzgemeinden erledigt.
Es folgt die Interpellation des Abg. Frhrn. v. Wangen-
heim über die Ergebnisse der EnquLte der verschiedenen Bundes-
staaten über die angebliche Fleifchnoth.
Staatssekretär Dr. Graf v. Posadowsky erklärt sich znr
sofortigen Beantwortung bereit.
Abg. Frhr. v. Wangenheim (cons., Bund der Landwirthe)
will die Frage rein sachlich behandeln. Redner geht auf die
Denkschrift des Berliner Magistrats über die Fleischversorgungs-
frage ein und stellt fest, daß die Fleischproduktion und der Fleisch-
consum gestiegen seien. Die landwirthschaftlichen Kreise wünschten
die Aufrechterhaltung der jetzigen Ausdehnung der Grenzsperre.
Durch die Einfuhr aus verseuchten Ländern sei der Landwirt-
schaft ein ungeheuerer Verlust erwachsen. In den letzten Jahren
sei das Angebot allgemein größer als die Nachfrage gewesen.
Die Preissteigerung für alle Sorten Fleisch sei ganz außerordent-
lich gering. Die kleine landwirtschaftliche Bevölkerung könne
heute nur noch durch Viehzucht verdienen; diese sei aber durch die
Seucheneinschleppung sehr in Frage gestellt. Seine Partei bitte
dringend, die Grenzen nicht weiter zu öffnen. Die deutsche Vieh-
zucht bedürfe noch immer des Schutzes. Von einer Fleifchnoth
könne keine Rede sein. (Lebhafter Beifall rechts.)
Staatssekretär Dr. Graf v. Posadowsky legt die Ent-
stehung und die Art der vom Reichskanzler veraulaßten Enquöte
dar. Die Antworten auf die Umfragen seien teilweise erst in
den letzten Tagen eiugegangen, meist mit einer umfangreichen
Statistik. Deshalb könne nur der allgemeine Eindruck der Ant-
worten wiedergegeben werden. Die Preise des Rindfleisches seien
in den letzten Jahren allerdings in einzelnen Gegenden etwas
gestiegen, in anderen Gegenden dagegen stabil geblieben oder
sogar gefallen. (Hört! hört! rechts.) Man könne deshalb keines-

wegs behaupten, daß die Preise für Rinder und Rindfleisch un-
gewöhnlich hoch seien; sie hielten sich vielmehr auf der Höhe
früherer Jahre. Dagegen seien die Schweinefleischpreise in ein-
zelnen Gegenden sogar erheblich gestiegen. Der Fleischbedarf in
den industriellen Gegenden sei absolut und relativ gestiegen.z Es
hänge das zusammen mit dem Wachsthum der städtischen Be-
völkerung, der größeren Wohlhabenheit und dem Steigen der
industriellen Löhne. Auch auf dem Laude verlange jetzt das Ge-
sinde mehr Fleischnahrung. In Preußen und in anderen Bundes-
staaten sei die Schweinezucht in Groß- und Kleinbetrieben ge-
stiegen. Auch die Durchschnittsqualität des Schweinefleisches
habe sich gehoben. Die Quote der Fletschnahrung, die vom
Auslande eiugegangen sei, sei verhältnißmäßig gering; sie stehe
hinter 8 Prozent erheblich zurück. In einigen Theilen Deutsch-
lands übersteige das Angebot die Nachfrage. Fast üherall steige
das Angehot. Aus Sachsen werde ein Zusammenhalten der
Viehhändler, aus anderen Gegenden ein Zusammenhalten der
Schlächter bezüglich der Preise gegenüber den Landwirthen ge-
meldet. Die meisten Regierungen sprechen sich dahin aus, daß
von einer eigentlichen Fleifchnoth der Bevölkerung nicht die
Rede sein könne und daß es im Interesse der Fleisch Versorgung
einer Vermehrung der Zufuhr vom Auslande nicht bedürfe.
(Bravo rechts.) Die Untersuchungen des deutschen Landwirth-
schaftsrathcs und des kaiserlichen statistischen Amtes stimmten
mit diesen Engsten im Wesentlichen überein. Der Reichskanzler
sei daher zu der Ueberzeugung gekommen, daß die Vie herzeugung
auch dann für die Volksversorgung ausrciche, wenn allmählich,
absolut und relativ, der Fleischbedarf steige. Hinsichtlich der
Seucheneinschleppung sei zu betonen, daß. wenn Deutschland sich
fortgesetzt vom Auslande neuen Ansteckungsstoff zuführen lasse,
die Viehseuchen in Deutschland nie aufhören werden. Möge die
Landwirthschaft in dem Streben, die heimische V iehzucht zu
heben, und den heimischen Markt zu vergrößern, eifrig fortfahren
und das erstrebte Ziel erreichen. (Lebhafter Beifall rechts.)
Das Haus tritt in die Besprechung der Interpellation ein.
Fisch deck (fr. Vp.» spricht sich gegen die Grenzsperre aus,
Dr. G e rstenberger (Centr.i für ihre Beibehaltung.
Landwirthschaflsminister Frhr. v. Hammer st ein: Die ge-
troffenen sanitären Maßregel» verstoßen in keiner Weise gegen
die in unseren Handelsverträgen niedergelegten Verpflichtungen
gegenüber dem Auslande. Die Absicht, durch Sperrmaßregeln
die Preise der Landesproduktion zu steigern, liegt den verbündeten
Regierungen vollständig fern. Wir haben uns bei den Handels-
verträgen ausdrücklich auf sanitärem und veterinärem Gebie: freie
Bewegung Vorbehalten. Deutschland ist mit Quarantänen,
seucbenpolizeilichen und veterinären Maßnahmen viel weniger
rigoros als das Ausland. Deutschland muß sich möglichst un-
abhängig vom Import machen. Das Ziel, daß Deutschland sich
selbst ernähre, halte ich für sehr wohl erreichbar.
Regiernngskommtssär Schröder stellt fest, daß die Ver-
pflegungskosten des gemeinen Soldaten nur um Hz Pfennig pro
Mann und Tag gestiegen seien und daß, da die Verpflegung des
Soldaten der des Arbeiters ähnele, von einer kolossalen Vcr-
theuerung der Ernährung des kleinen Mannes nicht gesprochen
werden könne.
Morgen 1 Uhr Fortsetzung. Schluß 5 Uhr.
Baden. Karlsruhe, 10. Januar. Am Sonntag
fand dahier eine Landesversammlung der badischen Anti-
semiten statt. Es wurden verschiedene Kandidaturen
aufgestellt; im Landtagswahlbezirk Karlsruhe-Land soll der
konservative Abgeordnete v. Stockhorner, der ohne Zweifel
wieder aufgestellt wird, unterstützt werden. Konsul Köster-
Heidelberg führte den Vorsitz und die Verhandlungen be-
trafen vornehmlich Organisationsfragen und die Er-
weiterung der Programme für die Landtagswahlen. Der
Ausschluß des Agitators Reuther aus der Partei wurde gut-
geheißen. Die Abgeordneten Pfisterer und Mampel be-
richteten über ihre Thätigkeit im Landtag und man gab
dem Wunsche Ausdruck, die Reden der Abgeordneten möchten
in Zukunft im Parteiorgan veröffentlicht werden.
Karlsruhe, 10. Jan. Der engere Ausschuß
der nationalliberalen Partei ist auf nächsten
Freitag, den 13. Januar, Abends 7 Uhr, hierher ein-
berufen worden, um über die im Monat März stattfindende
Tagung des Landesausschusses und über verschiedene andere
Parteiangelegenheiten zu berathen.
Hessen. Darmstadt, 9. Jan. Der Frankfurter
Zeitung wird von hier geschrieben: Die aus Heidel-

Wanders ging hin und jagte scharf: „Ich bitte mir Rüde
aus. Ihr sollet den anderen Leuten zum Exempel dienen.
Schämt Euch!" .
Der geprügelte Knecht antwortete: „Na ja — das Reden
ist blos for die Bauern. Ich Hab' aber schon bei Herrschaften
gedient, und da hat keiner waS gegen gehabt."
„Da hättest Du bleiben sollen."
„Js mir auch schon leid, daß ich mich so verschlechtert
Hab'."
„Deine Zeit ist bald um — und nun Ruhe!" Seine
Stimme dröhnte. Er blieb auf oem Platze stehen.
Der Knecht sah ihn mit glimmenden Blicken an, alle paar
Minuten schlichen seine Augen heran. Und das merkte Wan-
dels, er hatte seinen Gehftock nichr, wie er zu thun pflegte,
am Arme hängen, sondern er hielt ihn griffdast in der Faust,
als wolle er zuschlagen.
Zur Frühstückszeit, wenn die Leut; ihren Imbiß nahmen,
ging Wanders ein Stück zurück, setzte sich auf die Wagen-
deichsel und hielt seine Mahlzeit.
Da merkte er an den Gesichtern der andern, daß der auf-
rührerische Mensch schlechte Redensarten führte. Machte sich
dabei an des alten Vierguts. Tochter heran. Und Aennchen
hielt ihm stand und redete auf ihn ein, redete ohne alle Scheu.
Wanders wunderte sich, daß er nicht eifersüchtig wurde.
War er ihrer so sicher?
Aber Aerger überkam ihn. Das Bachstelzchen sollte sich
nicht vergeuden an diesen Dreckfink und Mistvogel. Der Kerl
hatte ein Gesicht, dos die Faust herausforderte, ein Schnapp-
hahn und Galgenaesicht. So die schäumende und schleichende
Kanaille. Seine Mutter war gewiß eine Hexe und Fleder-
maus gewesen und sein Vater ein Wolfsmensch.
Herr! Herr! Herr! Da geräth er in Wuth über die
verehelichen Vorfahren! Und er ruft seine zornigen Augen
zurück und schickt die zärtlichen aus.
Ei, Du Bachstelzchen! Du allerreizendstes I Wie adrett
und hübsch har sich das Mädel doch gemacht! Bachstelzchen —
ich rufe Dich! —ich rufe Dich tief innen! Mein Bach-
stelzchen mit den Sonnenaugen und Sonnenscheinhaaren!

Mit der ganzen weißen, rosigen Haut! «schneeballbaut! Apfel-
blülhenhaut! Mein Mädel! Mein Mädel! Mein kleines
Sonnenscheinmädel! — Ei sieh! Dein Rock ist schon geflickt!
Und Dein Leibchen! Darf Dir so ein Flicken fest am Herzen
liegen! Nimm mich an Dein Herz — Sonnenscheinmädel!
Bachstelzchen! — Rothe Strümpfe und geputzte Pantöffelchen!
Und die runden, hübschen, festen Besuchen-
„Mensch." sagte Wanders zu sich selber, „Du bist ja von
Sinnen. Ich glaube, der Kerl dichtet Verse. Warte, — Du
— wenn das Dein Hund wüßte!"
Als die Arbeit wieder ausgenommen wurde, hackte Aenn-
chen in der Nähe der Dienstboten.
„Läufst Du nun mir nach," sagte der Knecht," „oder thust
Du cs wegen dem?"
Wenn Aennchen ihre Zahlmarke holte, baten ihre Augen:
Versteh mich auch recht-ich Hab' Sorge um Dich!
Schütz' Dich, ich bitte Dich! — Und so oft sie auch kam: Ich
bitte Dich — schütze Dich!
Wanders konnte ihrer Bitte nicht antworten. Er stand
hier als der Herr, der die Arbeit beaufsichtigte, nicht als der
Jungherr mit Licbesgedanken. Morgens kam er zugleich mit
seinen Dienstboten, traf auf die Minute ein, und die Arbeit
ging sogleich los. Mittags wurde er durch seine Mutter ab--
gelöst. Es bot sich keine Gelegenheit, mit dem Bachstelzchen
zu plaudern.
Stand die Mutter bei den Leuten, so war die Zucht bei-
nahe eine noch straffere. Aber auch zu der redeten Bach-
stelzchens Augen. Sie sprachen: Ich habe Dir was zu
sagen-
Am Abend sah die Frau eine weibliche Gestalt, die das
Umschlageluch über den Kopf genommen hatte, sich auf der
Dorfstraße vor dem Gehöfte umher treiben.
Da sie sich bemerkt sah, trat die Gestalt unter einen Baum
und entfernte das Tuch vom Gesicht, um erkannt zu werden-
Aber es war schon allzu dunkel. Die Mutter konnte nicht
sehen, war es eine ältere oder junge Person, die da mit ihr
reden wollte. Darauf war es angelegt, wie sie aus den
Winken entnahm. (Fortsetzung folgt.)
 
Annotationen