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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0081

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Telephon-Anschluß Nr. 82.

M. 18.

Moillag, dt» 23. Jinuar

1899.

Deutsches Reich.
— Der Kaiser empfing am 21. ds. den Gouverneur
von Deutsch-Ostafrika, Liebert, zur Abmeldung.
— Der Reichsanzeiger schreibt: Die deutsche Presse
hat in der letzten Zeit wiederholt mit den Beziehungen
zwischen den deutschen und amerikanischen See-
offizieren auf der ostasiatischen Station sich beschäftigt.
Wir sind in der Lage, auf Grund mehrerer in der letzten
Zeit eingetroffenen Berichte festzustellen, daß das Verhält-
niß zwischen den genannten Offizieren nicht nur frei von
jeder Spannung ist, sondern daß der Verkehr im Gcgen-
theil einen sehr entgegenkommenden und herzlichen Charakter
trägt, wie dies gelegentlich wiederholter Besuche, Einladungen
:c. zum Ausdruck gekommen. DaS Verhalten der deutschen
Seeoffiziere ist stets in jeder Beziehung korrekt gewesen.
— Die Wahlprüfungskommission des Rcichs-
tages hat die Wahlen der nationalliberalen Abgeordneten
Faller (Donaucschingcn) und Fitz (Homburg-Kusel) für
giltig erklärt.
— Die überseeische Auswanderung über Ham-
burg umfaßte im Jahre 1898 39 882 Personen gegen
35 049 Personen im Vorjahre. Davon waren Deutsche
8170 gegen 8802 im Jahre 1897. Nach den Vereinigten
Staaten und Britisch-Nordamerika gingen 35 218 Aus-
wanderer.

Deutscher Reichstag. Berlin, 21. Jan. Es wird die
zweite Berathung des Etats des Reich Samts des
Innern fortgesetzt bei dem Titel „Staatssekretär".
Abg. v. Czarlinski (Pole) führt aus: In den polnischen
Landestheilen werde das Recht der polnischen Arbeiter illusorisch
gemacht, da kein Beamter angestellt würde, der der polnischen
Sprache mächtig sei. Mit der Weiterfübrung der sozialen Be-
strebungen sei seine Partei im allgemeinen durchaus einverstanden.
Abg. Vielhagen (Reformp.) fragt: Wie stellt sich die Reichs-
sozialpolitik zn der vom Staatssekretär des Reichspostamts ein-
geschlagenen Sozialpolitik oder der Beschäftigung von weiblichen
Personen und jungen Leuten von 16 Jahren? Redner wünscht
sodann Verbesserungen in der Bäckereivcrordnung.
Abg. Wicmer (frs. Vlksp.) begrüßt die in der Rede des Abg.
Frhrn- Heyl zu Herrnsheim zum Ausdruck gekommene Stellungs-
ändcrung der Nationalliberalcn zur sozialen Gesetzgebung.
Hoffentlich treten die Nationalliberalen mit der gesammten Linken
für das Coalittonsrecht und gegen die Verschärfung der Strafe
für Ausstände ein. Redner betont, daß für strafwürdig Ausständige
schon jetzt genügende Strafmittel vorhanden seien. Zu befürchten
sei, daß die entsprechende Vorlage im Geiste des Abg. Freiherrn
v. Stumm auefallen werde, dessen Ansichten ja nun einmal Werth
hätten bei denen, die diese Vorlage zu machen hätten. Reichs-
verdrossenheit sei wohl vorhanden, dagegen fehlen allseitige Rechts,
garantteen. Sie sind nicht einmal für die deutschen Bundes-
lürsten vorhanden. (Beifall links.)
Abg. Schrempf'(cons.) erklärt Namens der Conservativen,
daß die bisherige soziale Gesetzgebung allerdings ihren Zweck
nicht erfüllt habe. Es habe weite Kreise und auch die Regierung
Iwtzig gemacht, wenn die Gewährung immer weiterer Bortheile
und Rechte durch die Hetzarbeit der Sozialdemokratie nur immer
weitere Mißstimmung und größeren Klassenhaß Hervorrufe. Wenn
d>c Lasten der sozialen Gesetzgebung nur das Großunternehmer-
wum trüge, so würde seine Partei gern soweit als möglich mit
der Linken gehen, aber die Hauptlasten der neuen Gesetzgebung
sagen auf dem Mittelstände. Das moderne Faustrecht des
Streikes, wodurch viel Kapital und viel gesunder Bürgersiun ver-
wren gehen, müsse abgeschafft werden.
Abg. Oertel (Soc) spricht gegen die Bäckereiverordnung.
Abg. Prinz v. Schön aich-Carolath befürwortet die
Miicrerrichtung von Volksküchen und die Zulassung weiblicher
Abiturienten zum ordentlichen Universitätsstudtum.
. StaatSsecretär Dr. Graf v. Posadowsky: Die Arbeiter-
devölkerung solle die Ueberzeugung bekommen, daß ihre Interessen
Ms dem Gebiete der Socialpolitik fest und unparteiisch gewahrt
»Nd schnell erledigt werden. So werde auch auf die schnelle Er-
"digung der Rentenansprüche Werth gelegt. Allerdings seien in
.Wem von dem Abg. Czarlinski angeführten Falle für die Er-
^Wmig mehr als zwei Jahre gebraucht worden. Das habe
?ver an den Verhältnissen, nicht an den Behörden gelegen. Auch
" Vorwurf gegen die Postverwaltung, daß sie Frauen- und

Kinderarbeit in socialpolitisch nicht berechtigtem Umfang und
Geschäften verwende, sei ziffernmäßig nicht zu begründen. Be-
züglich des ärztlichen Studiums der Frauen solle eine Verein-
barung der verdündeten Regierungen getroffen werden, daß auch
solche Studirende, die auf den Hochschulen nur als Gast die
erforderliche Vorbereitung genossen, zu den medizinischen, zahn-
ärztlichen und pharmaceutischen Uebungen zuzulassen seien, wenn
ihre Immatrikulation aus bloß formalen Gründen nicht erfolgte.
Eine betreffende Vorlage sei bereits in Vorbereitung. Redner
bespricht sodann ausführlich die in Aussicht genommene
Reform der Seemannsordnung. Auf dem Gebiete der sozialen
Fürsorge werde fortgefahren werden. Es sei von Reichs-
verdrossenheit gesprochen worden. Es gähe wohl keinen
Menschen, der nicht eine ernstliche Befriedigung empfinde, daß
die deutschen Stämme im deutschen Reich geeint seien.
Es stehe wohl noch Mancher abseits, aber mehr aus historischen
Erinnerungen. Durch die Begründung des Reiches wurden viel-
fach Wünsche und Hoffnungen geweckt, wobei die Macht des
Staates überschätzt wurde. Vorschläge wurden stark kritisirt, aber
keine Gegenvorschläge gemacht. Daraus müssen Enttäuschungen
entstehen, die mit der politischen Reife immer mehr schwinden.
Daher entsteht eine gewisse Verdrossenheit, aber keine Reichs-,
sondern eine Staatsverdrossenheit. Mit der fortschreitenden poli-
tischen Bildung dürfte die Enttäuschung schwinden und das Ge-
fühl der Freude immer mehr Raum gewinnen.
Nach weiteren Bemerkungen verschiedener Abgeordneten ver-
tagt sich das Haus auf Montag 1 Uhr. Tagesordnung: Novelle
zum Gerichtsverfassnngsgesetz, Interpellation zum Weingesetz,
Fortsetzung der Etatsberathung.
Schluß 5 Uhr.
Bade». Karlsruhe, 21. Jan. Der Bericht des
Geh.-Raths Joos über das Wassergesetz für die Erste
Kammer bezweifelt die Dringlichkeit der Vorlage, beantragt
jedoch keine wesentlichen Aenderungen.
Elsaß-Lothringen. Nach der Erklärung des Eisen-
bahnministers Thielen besteht die Absicht, auch für die
Reichseisenbahnen die Bahnsteigsperre ein-
zuführen.
Preußen. Eine wesentliche Ermäßigung des
Gütertarifs auf den preußischen Staatsbahnen, die
in der Hauptsache landwirthschaftlichen Erzeugnissen zu
Gute kommt, hat soeben der Minister Thielen angeordnet.
Danach werden vom 1. April 1899 Butter, sämmtliche
Gartenprodukte und geräucherte Heringe zum Frachtgüter-
tarif angenommen und als Eilgüter befördert. Durch diese
Anordnung tritt gegenüber den bisherigen Sätzen eine
Verbilligung der Fracht um die Hälfte ein.
— Seitens des Oberpräsidenten der Provinz
Ostpreußen wird an zuständigen Stellen Umfrage gehalten,
wie es sich in den einzelnen Kreisen mit der Zahl der
dort befindlichen russisch-polnischen Arbeiter ver-
hält. Die russische Regierung will ihren Arbeitern die
Erlaubniß entziehen oder wenigstens wesentlich erschweren,
in Preußen Arbeit zn suchen. Es ist in letzter Zeit öfter vorge-
kommen, daß russischen Arbeitern, weil sie zur Erneuerung
ihrer Grenzkarten nach Rußland zurückgekehrt waren, von
den russischen Beamten keine Grenzkarten mehr erhielten.
Es soll statistisches Material zusammengestellt werden, um
einen Ueberblick über die Zahl der in der genannten Pro-
vinz im letzten Jahre in den einzelnen Kreisen beschäftigten
russisch-polnischen Arbeiter zu erhalten. Die russischen
Arbeiter dürfen sich nach den jetzt geltenden Bestimmungen
nur etwa sechs Monate, vom 1. Mai bis 1. November,
dort aufhalten, dann müssen sie wieder bis zum Mai des
nächsten Jahres in ihre russische Heimath zurück. Di-
Amtsvorsteher sind angewiesen, diese Bestimmung streng
aufrecht zu erhalten.
Berlin, 21. Jan. Im preußischen Ab-
geordnete «Hause begann heute die erste Lesung des
Etats. Abg. Richter griff die Finanzpolitik der Re-
gierung in längerer Rede an, auf die Finanzminister
Dr. v. Miguel in seiner Erwiderung eingehend sich
äußerte. Hierbei führte dieser bezüglich der Verhältnisse in

Posen, West Preußen und Nordschleswiz
aus, daß nicht der Staat dort die Gegensätze verschärft
habe. Die Regierung ließ jahrelang die Agitation gehen.
Diese wuchs aber in ihrer Dreistigkeit, sodaß schließlich
eine Vertheidigung dagegen nöthig wurde, die mit aller-
größter Milde erfolgte. Nachdem sich Graf Limburg-
Stirum gegen Richters Ausführungen, besonders gegen die
über Landwirthschaft gewendet, wies Cultusminister Dr.
Bosse Richters Angriffe in der Angelegenheit Delbrück zu-
rück. Diese Sache liege nicht auf dem Gebiete der Lehr-
freiheit, sondern auf dem des Beamtenrechts und des Be-
amtentactes. Das Verfahren wurde nicht wegen der in
der fraglichen Schrift enthaltenen Kritik der Regierungs-
verhandlungen eingeleitet. Maßgebend war die Form der
Kritik, die eine völlige Verurtheilung der Regierung in sich
schloß.

Ans der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben
die Jngenieurpraklikanten Karl Kitiratschkv in Karls-
ruhe, Karl Wi ela n dt in Karlsruhe und Wilhelm Kern
in Mannheim zn Regierungsbaumeistern bei der Wasser- und
Straßenbauverwaltung ernannt.
— Betriebsassistent Wilhelm Meßmer in Pforzheim
wurde zur Versetzung der Stationsverwalterstelle nach Thaingrn
und Expeditionsassistent Friedrich Benz in Mannheim zur
Verseilung einer Betriebsassistentenstelle nach Pforzheim
versetzt.
Ausland.
Oesterreich-Ungarn. Prag, 21. Jan. Heute Abend
fanden wiederholt Ansammlungen von einer meist aus
Handwerksburschen und halbwüchsigen Jungen bestehenden
Menge statt, die von der Polizei zersprengt wurden. Zwei
deutsche Studenten wurden angegriffen; der eine erhielt
einen Stockhieb über den Hut und einen Faustschlag ins
Gesicht, dem andern wurde der Havelock zerrissen. Die
Studenten mußten in ein Haus flüchten, von w o sie durch
Wachleute nach Haus geführt wurden. Um 9 Uhr war
die Ruhe überall wieder hergcstellt.
Italien. Rom, 21. Jan. Der Papst, der wieder
hergestellt ist, empfing heute eine Abordnung.
England. London, 21. Jan. Die großen Blätter be-
obachten der Samoa-Angelegenheit gegenüber eine
auffallende Zurückhaltung. Keines von ihnen hat bisher
in einem Leitartikel diese Sache auch nur berührt. Der ameri-
nische Vertreter der Times meldet aus Washington, man
arbeite an der Einleitung einer Conferenz der Verein.
Staaten, Deutschlands und Englands, die, sobald die Re-
gierungen einen amtlichen Bericht über den Sachverhalt
empfangen hätten, voraussichtlich in Berlin zusammen-
treten würde. Bis dahin habe das amerikanische Kabinet
beschlossen, die Angelegenheit ruhen zu lassen, da es in der
Ansicht übereinstimmt, der deutsche Konsul in Apia könne
keine diesen Fall vorsehende Weisungen gehabt haben und
sein Verfahren werde, falls es sich als unberechtigt heraus-
stelle, von seiner Regierung rückgängig gemacht werden. .
Afrika. Nach einem jetzt veröffentlichten Abkommen
zwischen England und Aegypten soll der Sudan
unter der gemeinsamen Herrschaft der genannten
beidenLänder stehen. Die britische und die ägyptische Flagge
sollen zu Wasser und zu Lande gemeinsam geführt werden
mit Ausnahme der Stadt Suakim, wo nur die ägyptische
Flagge geführt werden soll. Die oberste militärische und
bürgerliche Macht soll in die Hände eines Mannes gelegt
werden, der den Titel Generalgouverneur des Sudan führt,
der ernannt werden soll oder auch wieder abgesetzt werden
kann durch ein Dekret des Khedive in Uebereinstimmung
mit der englischen Regierung. Die Gesetze, Anordnungen

Das Bachstelzcheu.
Novelle von Martha Renate Fischer.
(Fortsetzung.)
Aennchen that ihr junges Herz aus, erzählte und beichtete-
Kter Vierguts hörte: Da waren zwei junge, unschuldige
Mnschen, die sich innig liebten. War aber keine Möglichkeit,
sie zu einander kommen konnten.
^ „Sieh mal," sagte er, „Anneken das gebt so nicht weiter.
läuft direkt mang in en Höllenpuhl. Gieb mir mal die
ssAringe der — die wer' ick ihm wieder geben. — De willst
^ 3«, wat willst De denn? — Behalten? For An-
. nken? —' Der alle Mann fing an einen Psalm zu sprechen,
^ er selber dichtete:
„Herr, mein Gott, ich schreie zu Dir!
„Ich bin verdurstet und schreie zu Dir. Tränke mich
»aus Deiner Weisheit und gieb mir Manna aus Deinem
-Wort, daß ich satt werde.
.„Ich bin wie der Zweig am Baum, den der Wind, her-
»vieder drückt, daß rr suchet auf der Erde.
. „Also drücket mich meine Trübsal, Herr mein Gott, und
»>ch suche im Staube.
. „Und ich finde Dich im Staube, und ich finde Dich in
"?kr Halmfrucht und in der Feldfrucht und in der Frucht
-Ks Strauches und Baumes und in allerlei Kraut und
'Blumen.
».»Und ich finde Dich am Himmel in den Gestirnen,
»ocachts und am Tage.
^„Und ich finde Dich in ollem was lebet, in jedwedem
"Mhjer, das der Mensch pflegt, und in dem Gethier des
"Waldes, und des Wassers und der Lüfte.
„Aber mein Herz ist voll von meiner Trübsal und mein
"^Uge ist blind von meinen Thränen geworden-
-.„Herr mein Gott, tröste mich, auf daß ich wieder lob-
""»gen kann.
„ »Ich stimme mein Saitenspiel und singe meinen Lob-
"Sescwg. Haiielujahl"

Der alte Mann batte eintönig, sacht, in seinem dörfischen
Dialekt gesprochen. Nun streckte er die Hand, nahm die Ohr-
ringe. that sie in das bunte Scbächtelchen. das er einsteckte.
Aennchen saß mit gefalteten Händen und mit gesenktem
Kopfe. Als der Vater die blauen Knöpfchen nahm, quollen
ihr Thränen herauf. „
„Nu leg Dir hin, Anneken. schlaf noch en bisken.
Das Mädchen schlüpfte in's Bett. Der alte Mann nahm
die Lampe, trug sie zum Tisch zwischen den Fenstern, wo er

sie ausblies.
„Gu'n Nacht. Anneken."
„Gu'n Nacht, Vater."
„Wat, mein Kind?"
„Gute Nacht," sagte Aennchen. ^ .
Die Kammertbüre klappte zu. Der Alte schob seine Sachen
vom Körper und legte sich wieder zu Bett. Umständlich ruckte
er sich zurecht und sah nach seiner Uhr, den Gestirnen. „Halb
Dreie," sagte er. „Also bis Uhrer Fünfe."
Er weckte sich selber, seiner Bestellung gemäß, machte
Feuer und fütterte die Ziege, dann kam er an Aennchens
Bett, die noch in festem Schlummer lag. ^ .
„Anneken, steh uf! Geh melken! Gefuttert habe ick schon!

Geheezt ooch l"
Sie iubr empor rieb die Augen.
„Aber Vater — nee! Dat is doch meine Arbeet-"
„Wat redst De, Anneken! Red'hochdeutsch! Ick wollte Dir
noch ein bisken schlafen lassen» mein Kind."
Sie lief zum Ziigenstall, melkte, kochte die Milch ab-
Der Alte nahm eine Tasse voll und tunkte mit Brod, m-
deß Aennchen ihr Haar kämmte. ^ . „ , . ^ ,
„Ueberipute Dir nich, De hast gute Zeit, sagte der Vater
gemach. De bleibst zu Hause. Vielleicht gieb Dir de Frau
wat Arbeet mit Federreißen oder Körbeflicken. De hast ooch
noch so zu thun."
Äök? — —- —"
iDat is meine Sache," sagte er mit Nachdruck. „Ick will
dat nich. De kommst zu Unglück und der junge Herr ooch.
Er zog die Mütze über die Ohren, wickelte den Shawl um»

klinkte die Thür und sagte: „Adjes, Anneken. Un da liegt
die Bibel."
„Ick singe und preise Dir, Herr mein Gott.
„Siebe, ick liege vor Deinen Füßen im Staube.
„Hebe mir auf mit Deine Vaterarme, dat mein Herz
„froh werde."
Aennchen war mit vor die Thür getreten, hörte das Psal«
miren des alten Mannes noch aus dem trägen Morgendunkel,
in das er verschand.
(Fortsetzung folgt.)

Stadt-Theater.
O Heidelberg, 23. Januar.
„Der Trompeter von Stlkkingen." Oper in drei
Akten und einem Vorspiel von Viktor E. Neßler.
Nicht selten wird man kleinlauten Stimmungen über die Trag-
weite der Kritik zugänglich. Ganz besonders in einer Sonntags-
auffiihrung des „Trompeter". Es ist bekannt, wie die Oper vom
musikalisch - ästhetischen Standpunkt aus verlästert wird; ebenso
bekannt ist es aber, daß sie nur volle Häuser kennt. Das Publi-
kum hat eben seinen eigenen Geschmack, den es unter allen Um-
ständen behauptet. Hier für Heidelberg übt der Stoff zudem
seine doppelte Anziehungskraft: ein Sang aus Alt-Heidelberg
muß bei Jung-Heidelberg einen besonders fröhlichen Widerhall
finden. Und so war cs auch gestern Abend; das Haus war
nahezu ausverkauft und von einem Publikum besetzt, das in Ent-
zücken schwelgte.
Mit der prächtigen Vertretung der Titelpartie hat Herr
Görger schon im vorigen Jahre die Herzen gewonnen. Seine
vortrefflichen Mittel machen ihn auch für diese Ausgabe wie ge-
schaffen. Es ist eine Lust, dem seelenvollen Klang seiner Stimme
zu lauschen, mit der er die Trivialitäten der Musik in eine höhere
Sphäre erhebt. Nicht zum mindesten verdient die geschmackvolle
Art, wie er seine Arien aus der innigen Empfindung seines
Spieles gleichsam natürlich hervorströmen läßt, anerkennendste
Erwähnung. Es giebt Sänger, die bei dem Lied: „Behüt Dich
Gott" Geliebte Geliebte sein lassen, und den Abschiedsgesang an
 
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