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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0230

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Wilhelmshafen, 1. März. Bei der Vereidigung
der Marinerekruten, die Oberleutnant Pfundheller
vornahm, richtete der Kaiser eine kurze Ansprache au die
Rekruten. Hierauf brachte der Jnspccteur der zweiten
Marine-Jnspcction, Hoffmaun, einen Hurrahruf auf den
Kaiser aus. Nach Beendigung der Feier fuhr der Kaiser,
der Admiralsuniform trug, zur Werft und besichtigte in
Begleitung des Erbgroßherzogs von Oldenburg und des
Staatssekretärs Tirpitz den neuen Kreuzer „Victoria Luise",
der vor kurzem in den Dienst gestellt wurde, sowie den
Neubau des Linienschiffes „Kaiser Wilhelm II." Dann
begab sich der Kaiser ins Marinccasino, wo gcfrühstückt
wurde.
Kiel, 1. März. Die hier ausgebildete Stamm-
compagnie für das dritte Seebatatllon hat sich
heute unter Führung des Oberleutnants v. Kusserow nach
Wilhelmshaven in Marsch gesetzt, um sich mit dem am 4.
März auf dem Dampfer „Darmstadt" abgehenden Ab-
lösungstrausport nach Kiautschou zu begeben.
Deutscher Reichstag. Berlin, 1. März. Weiter-
berathung des Etats: Titel Brausteuer.
Abg. Dr. Paas che (ntl.) befürwortet eine Resolution, die
einen Gesetzentwurf verlangt, durch den die Anwendung von
Surrogaten und Zusatz von Süßstoffen und sog. Konservirungs-
mitteln bei der Bierbereitung verboten wird.
Abg. Gamp (Rp.): Ein Vergleich mit dem bayerischen Bier
sei nicht möglich. Dann müßte auch die bayerische Biersteuer
berücksichtigt werden. Bayern bewillige eben Exportprämien.
Alle Surrogate seien auch nicht schädlich, wie Stärkezucker und
Stärkesyrup. Er empfehle, die Resolution an eine Kommission
zu verweisen.
Abg. Wurm (Soz.) spricht sich Namens seiner Partei für
die Resolution aus.
Titel Brausteuer und eine Reihe weiterer Titel wird ge-
nehmigt, die Beschlußfassung über die Resolution bis zur dritten
Lesung verschoben.
Beim Etat der Stempelabgaben spricht Abg. Beckh (freis.
Vp.) für die Aufhebung der Staatslotterieen. Das Reich
dürfe das Fortbestehen dieser unmoralischen Einrichtungen nicht
unterstützen.
Zu dem Posten von 25000 Mk- zur Herausgabe eines Werkes
über die Sixtinische Kapelle in Nom bemerkt Abg. Dr. Freiherr
v. Hertling (C.): Die Pflege von Kunst und Wissenschaft sei
eigentlich Sache der Einzelftaaten. Mindestens müßten für das
Reich einheitliche Grundsätze aufgestellt werden, nach denen der-
artige Subventionen gewährt würden.
Staatssekretär Dr. Graf v. P o sa d o w 8 k y erwidert: Unter
gewissen Voraussetzungen muß das Reich derartige Forderungen
übernehmen, namentlich da, wo der Zweck der Sache allen Staa-
ten zugute käme.
Abg. Dr. Lieber stimmt zu.
Bet dem Titel Ausschmückung des Reichstags. Rate 100000
räth Graf Kanitz (kons.) zu größerer Sparsamkeit. Gewisse
Deckengemälde seien mit großen Kosten hergestellt und dann als
ungeeignet befunden worden. Der leitende Architekt beziehe jetzt
noch ein Jahresgehalt von 10000 Mk. Das sei mindestens un-
gewöhnlich. 1 Million solle noch gefordert werden, hoffentlich
würde soviel nicht gebraucht werden.
Abg. Tr. Lieber (C.) erklärt: So könne es mit der Aus-
schmückung nicht weiter gehen. Neuerdings ausgestellte Malereien
von Stuck könnten kaum noch als Malereien bezeichnet werden.
Diese Sudeleien sähen wie ein Tintenklcx aus und seien ein
Spott und Hohn auf jedes ästhetische Gefühl, da solle man billiger
die Titelblätter der Jugend aufhängen, als für diese Spoitgeburt
von Dreck und Feuer 30060 Mk. auszugeben.
Staatssekretär Dr. Graf o. Posadowsky erklärt: Das
angezogene Bild habe allerdings in seinen Symbolen wenig
mit einer gesetzgebenden Körperschaft zu lhun. Mit Wallot sei
von Jahr zu Fahr neu contrahirt, wonach er die Bauten und
deren Ausschmückung zu leiten habe. Hoffentlich gelänge es der
neuen Commission, die Frage zu lösen, gemäß der Würde des
Hauses und zum Besten der deutschen Kunst.
Abg. Brömel (freis. Vg.) findet das Urtheil von Dr. Lieber
über jenes Gemälde etwas scharf, im übrigen sei es Thatsache,
daß der Schmuck des Reichstagsgebäudes nicht an seine Beslim
mung erinnere. '
Bei Titel 8, Betheiligung Deutschlands au der Pariser Welt-
ausstellung, theilt Reichskommissär Dr. Richter mit, die Aus.
stellungSgebäude seien soweit fertig gestellt, daß ihre Vollendung
bis Ende dieses Jahres zu erwarten sei. Eine Erschwerung er-
wachse der deutschen Ausstellung daraus, daß man im Auslande
mit gradezu übertriebenen Erwartungen an unsere Ausstellung
herangehe, während auf der Chicagoer Weltausstellung die deutsche
Abtheilung überraschte. Die Verhandlungen mit der französischen
Regierung haben sich stets iu Sen angenehmsten Formen bewegt.
Deutschland werde mit den übrigen großen Nationen den gleichen
Platz haben. Wir werden unsere Anstrengungen darauf richten
müssen, neben diesen Staaten würdig iu die Erscheinung zu
treten. Durch die häufigen Zusammenkünfte seien die betreffen-
den Persönlichkeiten sich auch menschlich näher getreten und es
hätten sich theilweise glänzende Beziehungen zwischen den Ver-
tretern der Länder entwickelt. Die Transportkosten würden bei
unserer günstigen geographischen Lage nur gering sein. Hierin
fei Deutschland besser gestellt als andere Länder, zum Beispiel
als die Vereinigten Staaten, die auch erst nach Beendigung des
spanisch-amerikanischen Krieges mit den Vorbereitungen beginnen
konnten. An der Esplanade des Invalides seien zwei große Ge-
bäude für die Kunst errichtet; in dem einen nähme Frankreich,
in dem anderen Deutschland einen beträchtlichen Raum ein. In
Deutschland komme besonders das Maschinenwesen in Betracht.
Die Ausstellungen des Reichsversichcrungs- und des Reichs-
gesundheitsamtes versprechen nach Umfang und Inhalt interessant
zu werden. Die noch verbleibende Zeit werde zu einer wirksamen
Dekortrung der großen deutschen Weltausstellung ansreichen. Er
müsse Allen danken, die mit ihren reichen Erfahrungen und Fach-
kenntniffen das Unternehmen unterstützen.
Das Haus vertagt schließlich die Weiterberathung auf morgen.
Badischer Landtag, ö. 0. Karlsruhe, 1. März.
121. öffentliche Sitzung der Zweiten Kammer.
Zur Berathung steht der Gesetzentwurf, betr. die Aen-
derung des Verwaltungsrechtspflegegesetzes.
Den Bericht der Justizkommission erstattet Abg. Kopf (C).
Die vorgcschlagenen Aenderungen gehen in erster Linie dahin,
daß die für gewisse Materien getroffenen Bestimmungen des
Gerichtsverfaffungsgesetzes und der Zivilprozeßordnung auch für
das verwaltungsgerichtliche Verfahren zur Anwendung kommen

Musikdirektor Radig hatte die Oper sehr sorgfältig ein-
studirt und wurde sogar das gefällige Orchesterzwischenspiel leb-
haft beklatscht.
Ganz entschiedene Fortschritte macht neuerdings Hr. Gabel-
mann. Slört auch noch immer die zu flache Vocalisirung
und der oft gepreßte Ton, auch gelegentlich eine forcirte Note,
so sang er den Tonio doch überraschend frei und frisch und
wußte seine Stimme zumeist wirklich angenehm zur Geltung zu
bringen.
Wacker war auch der Sulpice des Hrn. Diener gehalten,
angemessen die Marchesa der Frl. Sander. Hr. Stell ner
amüsirte, fiel aber mit der Art seiner Komik aus dem Rahmen
der komischen Oper. vr. 8.

ollen. Sodann will der Gesetzentwurf mit Rücksicht auf ver-
chiedenc Bestimmungen des Reichsgesetzes vom 26. Juli 1897,
die Abänderung der Gewerbeordnung betr. (Handwerkernovelle)
die Zuständigkeit der Verwaltung auf folgende Klagen ausdehnen:
1. über die Verpflichtung der Handwerksbetriebe zum Ersatz
der von den Gemeinden oder weiteren Kommunalverbänden aus-
gelegten Kosten der Errichtung und Thäligkeit der Handwerks-
kammern,
2. gegen die Verfügung der Bezirksräthe, durch welche die
Befugniß zum Halten und zur Anleitung von Lehrlingen entzogen
oder eine Beschränkung bezüglich der Zahl der von einem Meister
zu haltenden Lehrlingen ausgesprochen wird,
3. gegen die Entschließungen der Bezirksräthe, durch welche die
Genehmigung des Statuts von eingeschriebenen Hilfskassen, von
Orts-, Betriebs- (Fabrik-) oder Baukrankenkassen oder von freien
Innungen versagt, oder die Abänderung eines solchen Statuts
angeordnet, die Schließung einer solchen Krankenkasse oder Innung
oder eines Jnnungsausschuffes ausgesprochen, oder die Auflösung
einer Orts- oder Innungs-Krankenkasse abgelehnt wird.
Endlich will der Gesetzentwurf bei diesem Anlasse einige bet
Anwendung des Verwaltungsrechtspflegegesetzes zu Tage getretene
Mängel und Lücken durch entsprechende Abänderung und Ergän-
zung beseitigen.
Der Berichterstatter beantragt Annahme des Entwurfs in der
Kommissioiisfassuiig.
Minister Eisenlohr erklärt sich mit dem Entwurf einver-
standen und korrigirt einige Druckfehler im Kommissionsbcricht.
Das Gesetz wird hierauf, dem Antrag des Abg. Fieser entsprechend
einstimmig enbloc angenommen.
Den zwciren Gegenstand der Tagesordnung bildet der Gesetz-
entwurf betreffend die Zwangsvollstreckung wegen öffent-
lich rechtlicher Geldforderungen. Berichterstatter Avg. Breitner
(Centr.) beantragt Annahme der Gesetzesvo-lage mit einigen
redaktionellen Abänderungen» was ohne Debatte einstimmig
geschieht.
Schluß der Sitzung dreiviertcl elf Uhr Nächste Sitzung
Freitag, Vormittags 10 Uhr.
Bayern. Würzburg, 1. März. Wie der Ger-
mania von hier gemeldet wird, hat Professor Schell be-
züglich seiner auf den Index gesetzten Schriften gestern
gegenüber den theologischen Professoren erklärt, er unter-
werfe sich dem UrtheilRoms und wolle seine
Lehre mit den kirchlichen Lehren in Einklang
bringen. Dasselbe drückte er heute dem Bischof von
Würzburg gegenüber aus. (Gestern noch auf stolzen
Rossen, heute schon zu Kreuz gekrochen, notabene, wenn
die Notiz der Germania richtig ist.)

Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Grobherzog haben dem
Direktor der Großherzogltchen Kunsthalle in Karlsruhe, Hofmaler
Ernst Richard, das Kommandeurkreuz 2. Klasse des Ordens
Berthold des Ersten und dem Ministerialdirektor im preußischen
Ministerium für geistliche, Unterrichts- und Medizinälaugelegen-
heiten, Wirklichen Geheimen Oberregierungsrath Dr. Althoff
in Berlin, das Kommandeurkreuz 1. Klasse des Ordens vom
Zähringer Löwen verliehen.
— Durch Entschließung Großh. Steuerdirektion wurden Buch-
halter Ludwig Klaiber beim Finanzamt Emmendingen zum
Finanzamt Sinsheim und Buchhalter Karl Schmitt beim
Finanzamt Sinsheim zum Finanzamt Emmendingen, beide in
gleicher Eigenschaft, versetzt.
— Oberrath der Israeliten. Mit höchster Ent-
schließung vom 18. Februar d. I. ist an Stelle des verstorbenen
Oberraths S. Bensheim in Mannheim Fabrikant D. Kahn da-
selbst zum Mitglied des Großh. Oberraths der Israeliten er-
nannt worden.
Karlsruhe, 1. März. Der Großherzog er-
theilte heute Vormittag von 10 Uhr an bis 2 Uhr einer
Anzahl von Personen Audienz, darunter dem Geheimrath
und Professor Dr. Bekker an der Universität Heidelberg,
dem Kirchenrath und Professor Dr. Lemme daselbst, den
evangelischen Pfarrern Schmidt in Gaiberg, Weiser in
Nußloch und Hofmann in Strümpfelbrunn, dem Geistlichen
Verwalter Welker in Sinsheim, dem Amtsrichter Steg-
müller in Sinsheim und dem Regierungsbaumeister Sing
in Heidelberg. Um 6 Uhr besuchten der Großherzog und
die Großherzogin den Abendgotlesdienst in der Schloß-
kirche, bei welchem der Pfarrer Zipse von Heiligkrenz-
steinach die Predigt hielt. Der Genannte war vor dem
Gottesdienst von den Großherzoglichen Herrschaften em-
pfangen worden. Später besuchten Ihre König!. Hoheiten
das Abendconcert in der Festhalle.

Ausland.
Italien. Rom, 1. März. Der Chirurg Mazzoni ge-
währte, als er aus dem Vatican zurückkehrte, einem Ver-
treter der Agenzia Stefani eine Unterredung und versicherte
ihm, er habe heute Vormittag dem Papst ein Geschwür
an der linken Hüfte operirt. Die Operation sei voll-
ständig gelungen. Das Fieber, an dem der Papst litt,
wurde ausschließlich durch das Geschwür hervorgerufen,
das entzündet war. Mazzoni äußerte sich befriedigt über
den Zustand des Papstes. Der Papst hat heute einige
Nahrung zu sich genommen. Lapponi stellte bei dem Be-
such, den er dem Papste um 1'/, Uhr Nachmittags ab-
stattete, fest, daß der Zustand des Papstes ziemlich
befriedigend ist. Im Vatican laufen eine große An-
zahl von Depeschen ein; die Prälaten, die Mitglieder der
Diplomatie und der Aristokratie erschienen persönlich im
Vatican. Heute Nachmittag wurde folgendes von den
Aerzten Lapponi und Mazzoni Unterzeichnete Bulletin
angeschlagen: Seine Heiligkeit wurde heute Vormittag
10 Uhr an einem alten Geschwür, das unvermuthet sich
entzündet hatte, operirt und überstand die Opera-
tion sehr gut, obwohl von der Anwendung von Chlo-
roform abgesehen wurde. Das Befinden des Papstes ist
ziemlich befriedigend. Bei dem hohen Alter des Papstes
muß man auf alles gefaßt sein. Gestern Nachmittag hatte
er einen Ohnmachtsanfall und die allgemeine Schwäche
dauert an. Die hier anwesenden Cardinäle hielten in Er-
wartung der äußersten Möglichkeit gestern bereits eine
Besprechung.
Rom, 1. März. Die Geschwulst, die entfernt wurde,
soll die Größe einer Orange gehabt haben; der Papst ist
schon lange von Hämorrhoiden geplagt. Der schnelle
Eingriff hat dem beginnenden Fäulnißprozeß vorgebeugt.
Asien. Peking, 1. März. Die Posten für die neue
Eisenbahnlinie nach Pao-ting-Fu, 80 Meilen südwestlich
Peking, wurden von 200 Chinesen angegriffen.

Diese zerstörten einen Theil des Materials und versuchten
die Brückentheile fortzuschaffen. Die Ortspolizei war macht-
los. Menschen wurden nicht angegriffen.

National liberale Versammlung.
^ Heidelberg, 2. März. Gestern hielt die hiesige national-
liberale Partei tm Gartensaale der Harmonie eine Versammlung
ab, die erste in diesem Winter, abgesehen von der geselligen
Vereinigung vor Beginn des Reichstags. Wie Herr Geh. Rath
Meyer, der der Versammlung präsidirte, hervorhob, macht sich
nach Reichstagswahlen erfahrungsgemäß eine gewisse Ermüdung
geltend. Auch konnte der fällige Landtagsbericht nicht erstattet wer-
den, da eben der Landtag zur Zeit ausnahmsweise noch beisammen
ist. Herr Geh. Rath Meyer warf sodann einen Blick auf die
gegenwärtige politische Loge. Zunächst widmete er dem Fürsten
Bismarck Worte treuen Gedenkens und dann gedachte er auch in
freundlicher Weise des Grafen Cavrivi. mit dessen Politik man
zwar in mehreren Fällen nicht einverstanden sein konnte (Urias-
brief, preuß. Schulgesetz), der aber doch immer guten Willen
und Opfermuth gezeigt und durch Einschlagung der Handels-
vertragspolitik und durch Einführung der zweijährigen Dienstzeit
Gutes gewirkt hat. Redner erwähnte dann der Kaiserreise nach
dem Orient, die man zwar überschätze, wenn man sie einem ge-
wonnenen Krieg gleich erachte, die aber doch Nutzen bringen
werde. Es kann keine Frage sein, so führte der Redner bei
dieser Gelegenheit aus, ob Deutschland eine Weltpolitik treiben
olle, wir treiben sie und jeder Staat, der Grobstaat bleiben
vill, muß sie treiben. Zum Glück ist die Grundlage zu einer
tarken Flotte gelegt. Die Konstellation in Europa hat sich, wie
Redner weiter ausführte, in der letzten Zeit geändert. Wohl
besteht der Dreibund und anderseits der Zweibund noch fort,
allein das Vordringen der slavischen Bewegung in Oesterreich
kann doch schließlich einmal das deutsch-österreichische Bündniß
beeinträchtigen, andererseits sind Frankreich und Italien intim,
Rußland und Frankreich weniger intim geworden. Deutschland
in seiner Stärke darf sicher sein, immer als Bundesgenosse
begehrt zu werden und zu unserer auswärtigen Politik dürfen
wir Vertrauen haben, insbesondere zu Herrn von Bülow, auf
de» ein Strahl vom Genie Bismarcks gefallen zu sein scheint.
Von der Abrüstungskonferenz verspricht sich Redner kaum prak-
tische Erfolge. Auf die innerpolilische Lage kommend, konstatirte
der Redner mit Bedauern, daß das Centrum auch nach den Neu-
wahlen im Reichstag ausschlaggebend geblieben sei. Das würde
sich nicht eher ändern, uls bis die Linksliberalen anders ver-
fahren und sich in Bezug auf Fragen, die den Schutz und die
Kraft des Reichs betreffen, zuverlässig zeigen. Vom Jesuiten-
gesetz, das das Centrum Angebracht und der Reichstag an-
genommen hat, hofft Redner sicher, daß der Bundesrath es auch
diesmal wieder ablehnen wird. Er lobte dabei den vielgeschmähten
Abgeordneten Hieber (Württemberg), der so energisch und kräftig
gegen die Zulassung der Jesuiten gesprochen hat. Sodann wandte
sich der Redner der Militärvorlage zu. Die Neuorganisation durch
Aufstellung dreier weiterer Armeecorps und die Vermehrung der
Artillerie ist von der Commission angenommen. In Bezug auf
die Stärke der Jnfanteriebatatllone bestehen Differenzen. Nach
dem Regierungsvorschlag würde eine Erhöhung der Präsenz um
11000 Mann, nach dem Antrag Bassermann um 8000 Mann nöthig
werden, während das Centrum bis jetzt nur 5000 Mann be-
willigen will. Doch ist nicht anzunehmen, daß es zu einem
großen Militärconfltkt kommen wird. Die Politik Preußens in
Nordschleswig ist von hier in ihren einzelnen Maßnahmen nicht
zu beurtheilen, aber ihr Geist muß als gut bezeichnet werden.
Zu bedauern ist, daß der Reichskanzler die Besprechung derselben
im Reichstag mit dem formalen Vorwand ablehnte, sie sei
preußische Sache. Da sie die auswärtige Politik betrifft, geht
sie das Reich und den Reichstag auch an. Jedenfalls kann
man die Ausweisung einiger Hunderte Ausländer nicht
mit der Bedrücknngspolitik vergleichen, die Dänemark seiner
Zeit gegenüber dem Deutschthum in Schleswig geübt.
Wenn Prof. Delbrück das doch gethan, so stellt er seinen Kennt-
nissen ein schlechtes Zeugniß ans. Die Regierung hätte den
Mann aber nicht zum Märtyrer machen sollen, indem sie ihn
vor das Disziplinargericht zog. Man messe ihm dadurch nur
eine Bedeutung zu, die er in Wirklichkeit nicht hat und außerdem
müsse doch auch die Freiheit der Meinungsäußerung geachtet
werden. Delbrück sei doch kein unmittelbarer Staarsbeamter.
Dem neuen Gesetzentwurf betr. die Invalidenversicherung sagte
Redner manches Gute nach, manche Vorschläge desselben seien
aber doch sehr zu bedenken. Hätte man. wie s. Zt. die National-
liberalen Vorschlägen, eine Reichsonstalt errichtet, dann wäre die
Sache viel einfacher gegangen und man hätte nicht nöthig, z»
Gunsten einzelner nolhleidender Anstalten gesetzgeberische Maß-
nahmen zu treffen. Gegen eine sogen. Zuchtkausvorlage sprach
Redner sich ganz entschieden aus. Eine Erweiterung und Ver-
schärfung des Z 153 der Gewerbe-Ordnung, wie sie die Regie-
rung schon 1891 vorschlug, sei zu diskutiren, aber niemals sei
über Gefängnißstrafen hinaus zu gehen. Mit dem Bankgesetz,
das von gewisser Seite scharf angegriffen wird, erklärte Redner
sich im Prinzip für völlig einverstanden; der Kriegsgefahr und
der Gefahr politischer Einflüsse auf die Bank wegen ist es besser,
wenn diese Privatunternehmen bleibt. In Bezug auf den
Discontirnngsvorschlag der Regierung, der die anderen Noten-
banken streng an das Vorgehen der Reichsbank bindet, hat ein
Kompromiß Aussicht, wonach nur für den Fall, daß der Discont
der Reichsbank 4 Proc. übersteigt, die anderen Notenbanken ver-
pflichtet sind, mit ihrem Discont nicht dahinter zurückzubleiben;
sonst dürfen sie höchstens um V» Proc. billiger als die Reichsbank
discontiren. Im Großen und Ganzen bezeichnet- der Redner
die politische Lage iu Deutschland als nicht unerfreulich, man
werde in Deutschland schwerlich mit irgend einem anderen Lande
tauschen, deßhatb sei auch der Reichsverdruß ein Phantom. ZuM
Schluß forderte Redner dazu auf, das Vermächtniß Bismarcks
hoch und theuer zu halten. (Lebhafter Beifall.)
Herr Landtagsabgeordneter Dr. Wilckens sprach dann über
die Fragen, die den Landtag gegenwärtig beschäftigen. Er bezeichnte
die Annahme des Fieser'schen Kompromißvorschlags in der
Dotationssrage als wahrscheinlich und sehr erwünscht. Da».»
verbreitete er sich über die Arbeiten der Justizkommission, die
nur noch das Wassergesctz zu erledigen habe und deren Arbeite»
vom Plenuiy bisher sn trloo gebilligt worden seien, was bisher
wohl kaum da war. Eingehend verweilte Redner bei de»
Bestimmungen über die Grund- und Psandbuchführung sowie
bei denjenigen über die Zwangsenteignung. Eine gewisse
politische Bedeutung neben all diesen rechtlichen Fragen habe
die Frage, wie weit der Staat für Handlungen der Beamte»
hafte. Es sind mehrere Lösungen dieser Frage möglich!
man will sich nun bei uns an das württembergische Vor-
bild halten, wonach in erster Linie der Staat dafür Dritte»
gegenüber haftet. Auch die Ausführungen dieses Redners fände»
lebhaften Beifall.
Herr P a b st forderte zu einem Hoch auf die beiden Redner
auf, worin die Versammlung lebhaft einstimmte.
Zum Schluß wurde eine 16gliedrige Kommission bestim»»,
welche den großen Ausschuß zu wählen hat, der seinerseits wieder
den geschäftsführenden Ausschuß wählt. In diese Kommissid»
wurden vorgeschlagen die Herren: Ammann. C. L., StadtrotV,
Blum, W., Dr. Privatmann, Cantor, M., Hofralh, Ditteuey, C--
Stadtrath, Goos. L.. Kaufmann, Heß, F., Geometer, Klingel, M-
Kaufmann. Leimbach, C., Landtagsabgeordneter, Meyer,
Geheimrath. Meyer, A., Hauptlehrer, Praß, I., Stationsmeistek-
Rohrhurst, R., Professor, Trau, I., Privatmann, Ueberlc, Alber»
Stadtrath, Ueberle, K„ Weinhändler, Wolf, G., Fabrikant.
Mit einem Hoch auf Kaiser und Großherzog wurde die Ver-
sammlung um V.11 Uhr von dem Vorsitzenden geschloffen.
 
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