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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0290

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servativen konnte man zntrauen, daß sie den traurigen Muth be-
säßen, die Bevormundungsversuche der Militärpartei gegen die
Volksvertretung zu unterstützen. Kurzum, Nationalliberale und
Konservative haben wieder einmal in einer entscheidenden Frage
ihre Abgeordnetenrechte und damit diejenigen ihrer Wähler mit
Füßen getreten.
Solche hochtrabenden Worte der ultramontanen Presse,
solches absprechende Maulheldenthum in der eigenen Partei
haben es der Centrumsfraktion begreiflicherweise erschwert,
nachzugeben. Wenn man erst so dick thut und nachher
doch klein beigeben mutz, dann mag das allerdings recht
schmerzlich sein. Darum soll man lieber das Dickthun
bleiben lassen. Herr Lieber, der Centrumsführer, wand
sich gestern förmlich vor Schmerzen, als er erklärte, das
Centrum werde die Forderung der Regierung erfüllen,
zwar noch nicht heute, aber doch noch rechtzeitig und ganz
gewiß.
Glauben Sie nur, es ist uns nicht leicht geworden. (Großes
Gelächter.) Wir wissen ja, was man auf dieser Seite (auf die
Nationalliberalen deutend) daraus machen wird (Heitere Zurufe
links; sehr wahr! im Centrum, allgemeine Heiterkeit), obgleich
wir überzeugt sind, daß es auch Ihnen sehr unangenehm sein
wird, wenn aufgelöst wird. (Lebhafte Zustimmung bei den
Sozialdemokraten und im Centrum.) Dazu kommt das Be-
wußtsein, das alle Vaterlandsliebe nicht aus dem Herzen zu
reißen vermag, daß die Behandlung, die die Sache bis jetzt ge-
funden hat, nicht sehr einladend für uns war, noch mit einem
letzten Vermittlungsvorschlage hervorzugehen. (Stürmische Zu-
stimmung im Centrum. Große Heiterkeit bei den übrigen
Parteien.) Ich kann den verbündeten Regierungen, auch der
Heeresverwaltung den Vorwurf nicht ersparen, daß sie es im
Grunde um uns nicht verdient haben. (Schallende Heiterkeit.)
Da im kommenden Herbst mit der Durchführung der
neuen Organisation des Heeres erst angefangen wird, so
hat die Militärverwaltung reichlich Zeit, sich die noch
fehlenden Mannschaften nachbcwilligen zu lassen, ohne
von ihrem ursprünglichen Plan abzugehen. Für das
Centrum bedeutet der Kampf um die Militärvorlage eine
verlorene Campagne, auf welcher zudem noch der Fluch
der Lächerlichkeit ruht. Es wollte nach oben und nach
unten groß thun und mußte schließlich klein beigeben; es
wollte sich einen guten Platz sichern und setzte sich zwischen
zwei Stühle. Es geht doch nichts über eine geschickte
Führung!
Deutscher Reichstag. Berlin, 16. März. Das Haus
und die Tribünen sind stark besetzt, auch die Hoflogen.
Am Bundesrathstisch Kriegsminister v. Goßler, Staats-
sekretär v. Podbielski, preußischer Staatsminister des In-
nern Frhr. v. d. Recke, Staatssekretär v. Thiclmann,
Reichskanzler Fürst Hohenlohe.
Zweite Berathuug des restirenden Theils des Reichs amts
des Innern.
Abg. Singer (Soc.) berichtet unter großer Unruhe des
Hauses über die Kommissionsverhandlungen und beantragt
Namens der Kommission, den Rest des Etats unverändert an-
zunehmen.
Präsident Graf v. Balle strem erbittet mehrmals Ruhe,
wenigstens für die Stenographen (Heiterkeit).
Die restirenden Titel des Etats des Reichsschatzamtes werden
angenommen. Da mehrere Abgeordnete angesichts der Geschäfts-
lage des Hauses auf bas Wort verzichten, folgt die zweite Be-
rathung des Post et als.
Staatssekretär v. Podbielski berichtet hierbei über die
künftige Gestaltung der Laufbahn der mittleren und höheren
Postbeamten.
Nach Erledigung dieses und anderer unwesentlicher
Etats erfolgt die dritte Lesung der Militär-
vorlage.
Es liegt ein Antrag Lieber (Centn) vor, den Z 2, betr.
die Erhöhung der Friedenspräsenzstärke, nach den Kommissions-
anträgen wiederherzustellen und die Bereitwilligkeit aus-
zusprechen, daß der Reichstag, wenn sich die Un-
zulänglichkeit der von der Kommission bewillig-
ten g ri edensp rä senz st är k e Herausstellen solle,
mit der Regierung über die Gestaltung der Frie-
d enspräsenzstärke aufs neue v er Hand eln wolle.
Ferner verlangt der Antrag, daß bei den Bekleidungsämtern statt
aktiver Mannschaften Civtlhandwerker beschäftigt werden.
Kriegsminister v. Goßler: Sollte zwischen den Parteien
eine Einigung stattfinden, so werde die Rede des Kricgsministers
nichts daran ändern. Da er aber nicht gezwungen sei, Rücksicht
darauf zu nehmen, so wolle er die Vorlage als Soldat verfechten.
Redner tritt nunmehr nach Anerkennung eines Theils der Kom-
missionsvorschläge für die Regierungsvorlage ein. Wenn dieselbe
jetzt nicht bewilligt wird, werde sie unabwendbar wieder
kommen. Die Vorlage sei nur der Niederschlag einer lang-
jährigen Erfahrung. Die Neuorganisation der Artillerie mache
sie in einem bisher nicht dagewesenen Sinne zu einem brauch-
baren Werkzeug für die oberste Leitung. Eine neue Gattung
Verkeyrstruppe» sei geschaffen worden. Von der Kavallerie sei
der Bann, der fast 30 Jahre auf ihr gelastet habe, genommen
worden. Die neuen Formationen seien, wenn auch in bescheidenen
Grenzen, angenommen worden. Die Fußartillerie, die Pioniere
und der Train hätten die nöthige Verstärkung erhalten. Die
Hauptwaffe, die Infanterie, sei in geringerem Maße berücksichtigt
worden. Zur richtigen Verwendung im Kriege müsse die Infanterie
die nöthige Vorbildung im Frieden genossen haben. Die deutsche
Infanterie brauche starke Bataillone. Von der in der Vorlage
geforderten Verstärkung der Infanterie hänge die zweijährige
Dienstzeit ab. Die Erhöhung der Friedenspräsenzstärke und die
Verminderung der Abkommaudirten müßten Hand in Hand gehen.
Eine Verminderung der letzteren wie die Kommission sie wünsche,
würde jährlich 26000 000 Mk kosten. Die Forderungen seien in
mäßigen Grenzen gehalten. Richtig sei die Präsenzstärke so fest-
zusetzen, daß man allen Möglichkeiten gerecht werden könne. Er
bitte nochmals um Annahme der Vorlage, die unabwend-
bar wiederkehren werde.
Abg. Dr. Lieber (Ceutr.): Er könne dem Kriegsminister
seine Haltung nachfühlen. Er wolle die sachliche Polemik nicht
erneuern, vielmehr von dem soldatischen Kriegsminister an den
politischen Bundesrath und den Reichskanzler Berufung einlegen.
Die Vorschläge des Centrums wären nicht ein gebracht
worden, wenn sie die Regierung nicht als annehmbar
bezeichnet hätte und wenn sich nicht in der Rechten der Wunsch
zu einer Verständigung gezeigt hätte. Das Centrum sei sich be-
wußt gewesen, daß die Auflösung des Reichstages eine budget-
lose Zeit heraufbcschworen hätte. Redner erläutert dann die oben
mitgetheilten Anträge. Die Einführung wirklicher Handwerker
gegen Lohn entspreche dem Wunsche der Mehrheit der Budget-
kommission. Die Berechnung von 20000000 Mk. sei zweifelhaft.
Leicht sei es seiner Partei nicht geworden, diese Vorschläge zu
machen. Er wisse genau, was die Herren der Linken daraus
machen werden, aber auch, daß es der Linken sehr angenehm sei,
wenn der Reichstag nicht aufgelöst würde. (Stürmische Heiter-
keit,-»Lachen, Oho! links.) lieber das Interesse der Partei geht
mir die Liebe zum Vaterlande.
Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe: Der Herr Kriegs-
minister hat heute nochmals den militärtechnischen Nachweis ge-
führt, daß die Ihrer Beschlußfassung unterbreitete Militärvorlagc

nur dann die im Interesse unserer LandeSvcrtheidigung nöthige >
Ausbildung unseres Heeres sichert, wenn sic in ihrem vollen Um-
fange zur Durchführung gelangt. Im Hinblick jedoch auf die
militärische Wichtigkeit, die die von Ihrer Commission in zweiter
Lesung bewilligten Formationen besitzen, und in Erwägung, daß
deren Durchführung eine Verzögerung nicht erleiben darf, haben
sich die verbündeten Regierungen entschlossen, der Vorlage auch
in der verkümmerten Form, wie sie aus dem heute eingebrachten
Anträge sich ergiebt, zuzustimmen. Diese Erklärung vermag er
jedoch namens der verbündeten Regierungen nur unter dem Vor-
behalt abzugeben, daß diese entschlossen sind, vor Beendigung der
gesammten Organisation an das hohe Haus mit neuen An-
trägen heranzutrcten (Hört! hört! hört), die die Durchführung
der gegenwärtigen Vorlage in ihrem vollen Umfange
sicherstellen. Aus der von Mitgliedern des hohen Hauses be-
antragten Resolution 4. die die gleiche Eventualität in Aussicht
nimmt und hoffentlich zur Annahme gelangen wird, und nach den
eben gehörten Erklärungen des Herrn Dr. Lieber glauben die
verbündeten Regierungen die feste Zuversicht schöpfen zu dürfen,
daß ihre in der Vorlage gestellten Forderungen, wenn auch nicht
zur Zeit, so doch rechtzeitig für die vorgeschlagene Organisation
die Genehmigung des hohen Hauses finden werden. (Bravo!
rechts.)
Abg. v. Levetzow (kons.) stimmt namens seiner Partei den
Commissionsanträgen zu, in der Voraussetzung, daß tue Resolu-
tion 4 angenommen und loyal festgehalten würde.
Abg. v. Kardorff (Rp) spricht ebenfalls seine Zustim-
mung aus und hofft bestimmt, daß die verbündeten Regierungen
alsbald erneute Anträge Vorbringen werden. (Lachen links)
Abg. Bass ermann (ntl.) bedauert namens seiner Partei
den Abstrich von 7006 Mann. Die Zustimmung zu dem Antrag
des Abg. Dr. Lieber wird seiner Partei aber erleichtert durch
Annahme der Resolution 4
Abg. Richter (freist Vp.) stimmt den Centrumsanträgen zu.
Redner führt aus, die Vorlage falle ein Niederschlag langjähriger
Erfahrung sein. Sei das nicht jede Regierungsvorlage? (Heiter-
keit.) Die Lehre vom beschränkten Unterthanenverstande in
wilitsridno sei hier wieder gepredigt worden. Die Annahme
der Militärvorlage wäre eine Degression des Militär-
absolutismus. Die Resolution 4 sage eigentlich etwas Selbst-
verständliches. Es sei eine Brücke, die man einem Feinde baue,
der sich tapfer geschlagen habe, dessen Position aber unhaltbar
geworden sei.
Abg. Bebel (Soz.): Von einer Reichstagsauflösung hätten
nur die Sozialdemokraten Vortheil gehabt.
Abg. Preiß (Elsässer): Er stimme mit einer Anzahl seiner
Freunde gegen die Regierungsvorlage und gegen die Anträge
der Kommission.
Kriegsminister v. Goßler erklärt, daß der Bundesrath vor
seiner Stellungnahme die Beschlüsse der 2. Lesung abwarten
mußte.
Abg. Liebermann v. Sonnenberg (D. Reformp.):
Die Mißstimmung über die Art, wie der Kompromiß zu Stande
gekommen sei, sei weit verbreitet. Er sei für die Regierungs-
vorlage und gegen die Anträge der Kommission.
Abg. v. Wangenheim (B. d. L.) ist für die Anträge.
Nach unerheblicher Debatte wird die Gcneraldiskussion ge-
schlossen. Es folgt die Spezialberathung.
Der Z 1 des Kommissionsantrages wird ohne Debatte a n-
genommen.
§ 2, betreffend die Friedenspräsenzstärke,
wird nach kurzer Diskussion zwischen dem Kriegsminister
v. Goßler und dem Abg. Richter in einfacher Abstimmung
in der Kommissionsfassung angenommen.
Ebenso wird derLieber'scheAntrag gegen die Stimmen
der Volksparteien, Sozialdemokraten, Polen, Elsässer, Reform-
Partei angenommen.
Der Antrag Richter betreffend Festlegung der zweijährigen
Dienstzeit wird abgelehnt.
Der Rest der Vorlage wird mit den dazu gehörenden Reso-
lutionen gemäß den Lieber'schen, bezw. Kommissionsanträgen
angenommen.
In namentlicher Schlußabstimmung wird die ganze
Militärvorlagc mit 222 gegen 132 Stimmen endgiltig
angenommen. Dagegen stimmen die Sozialdemokraten,
die beiden Volksparteien, die Elsässer, Polen, Welfen, Antisemiten,
die bayrifchen Bauernbündler, etwa 10 Mitglieder des bayrischen
Centrums und der Straßburger Abg. Riff (frs. Vgg.)
Samstag 1 Uhr: Kleinere Vorlagen.
Baden. Mosbach, 13. März. Gestern Nachmittag
halb 3 Uhr hielt Herr Landgerichtsdirektor Zentner,
als Vertrauensmann des deutschen Flottenvereins in der
Eisenbahn-Restauration von L. Groh einen Vortrag über
die Bedeutung der deutschen Flotte.
In dem äußerst interessanten und lehrreichen Vortrag gab
der Redner nach der Bad. Neckarztg. zuerst einen Ueberblick über
die Entwicklung?- und Ruhmesgeschichte der deutschen Flotte der
Vergangenheit und zeigte an der Hand derselben, wie schon in
den frühesten Zeiten unser deutsches Volk den Beruf in sich ver-
spürt habe, seine Herrschaft auch über die Meere auszudehnen.
Freilich folgte einer Zeit kraftvollen Aufschwunges ein unauf-
haltsamer Verfall der deutschen Seemacht, und nur vorübergehend
suchte der große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Preußen aufs
Neue eine preußische Seemacht und ausländische Kolonien zu
schaffen. Durch die Annahme des Flottengesetzes im Reichstage
ist dem deutschen Reiche eine Flotte gesichert, wie eine solche zur
Verlheidigung unserer Küste und zum Schutze unseres blühenden
Handels und unserer auswärtigen Kolonien nothwendig ist. Das
Verständniß hierfür in die weitesten Kreise unseres Volkes zu
tragen und das Interesse daran zu wecken, ist der Zweck des
deutschen Flotteuvereins. Zu demselben haben sich bereits im
Bezirk Mosbach 60 Mitglieder angemeldet. Lebhafter Beifall
wurde dem Redner von Seiten der Anwesenden für seine vor-
trefflichen Ausführungen zu Theil. Leider war der Vortrag nicht
so zahlreich besucht, wie zu wünschen gewesen wäre. Die an
diesem Tage abgehaltene Prüfung der Konfirmanden trägt wohl
die Schuld daran.

Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben den
praktischen Arzt Edmund Friedrich Kamm in Kleinlaufenburg
zum Bezirksarzt in Adelsheim ernannt.
— Amtsregistrator Heinrich Zeh ring er in Neustadt wurde
zu Großh. Bezirksamt Säckingen und Amtsregistrator Karl
Liede in Säckingen zu Großh. Bezirksamt Neustadt versetzt.
— Forstassessor Otto Eberbach in St. Blasien wurde nach
Bonndorf versetzt und mit der Leitung des Bezirksforsteidienstes
daselbst betraut, ferner Forstassessor Rudolf Wall in Freiburg
der Bezirksforstei Wolfsboden in St. Blasien und Fomassessor
Josef Müller in Karlsruhe der Bezirksforstei Freiburg als
zweiter Beamter zugetheilt.
Karlsruhe, 16. März. Heute Abend ertheilte der
Großherzog dem Königlich Württembergischen Gesandten
Freiherrn von Soden eine Privataudienz. Hierauf wurde
der Gesandte auch von der Großherzogin empfangen
und nahm dann an dem darauf folgenden Hofcoucert theil.
Zu diesem um 8 Uhr beginnenden Concert sind an etwa
hundert Personen Einladungen ergangen. _
A u s l a n d.
Rußland. Petersburg, 15. März. Gestern be-
gann vor dem Militärbezirksgerichte die Verhand-
lung des Monstreprozesses gegen die Generäle

Jlowaiski und Korotschenzow sowie die Obersten Slussa-
rew, Popow, Wigilianski nebst den neun Komplicen wegen
Fälschung, Wucher, Erpressung, Bestechlichkeit, Betrügerei
und Spitzbüberei. Die Verbrechen sind in großem Maß-
stabe von den genannten Offizieren und Jntendanturbeamten
begangen worden. Mehr als hundert Zeugen werden ver-
hört. Die Verlesung der Anklageakte wird drei Tage in
Anspruch nehmen. — Nach dem gestrigen Sitzungsproto-
koll des sibirischen Eisenb ah ncomitsS bleibt
gegenwärtig nur noch ein Fünftel der ganzen Strecke zu
vollenden. Die Arbeiten werden mit größter Beschleuni-
gung ausgeführt werden.
Italien. Rom, 16. März. Wie der Figaro von
hier meldet, wird der Papst, dessen Gesundheit sich lang-
sam, aber stetig bessert, nächstens ein Consistorium abhal-
ten, um einzelne Cardinäle zu ernennen. Es seien 14
Vacanzen vorhanden. Die Aerzte suchten jedoch diese
Feierlichkeit so weit als möglich hinauszuziehen. Der Papst
denke hauptsächlich an das Conklave, und angesichts dieser
Möglichkeit wünsche er, daß das heilige Collegium mög-
lichst vollzählig sei. Der Messagero behauptet, daß der
Papst an allgemeiner fortwährend zunehmender Körper-
schwäche leide, die die Aerzte etwas beunruhige, doch sei
für den Augenblick keine Gefahr vorhanden.
Die An- und Abmeldung zur Krankenversicherung und
die Folgen ihrer Versäumung.*)
Von Rechtsanwalt Dr. Schoch in Heidelberg.
(Die beigefügten Einschaltungen rühren von der hiesigen Orts-
krankcnkasse her. Redakt. der Heidelb. Ztg.)
Das Krankenversicherungsgesetz schreibt in 8 49 vor, daß der
Arbeitgeber jede bei ihm beschäftigte versicherungspflichtige Per-
son, sofern sie nicht einer besonderen, den Ortskrankenkassen gleich-
stehenden Kasse angehört, spätestens binnen drei Tagen nach dem
Beginn der Beschäftigung bei der zuständigen Meldestelle der
Ortskrankenkaffe oder Gemeindekrankenversicherung an- und binnen
drei Tagen nach ihrer Beendigung abzumelden, ferner auch jede
Veränderung im Lohn- oder Arbeitsverhältniß, welche für die
Versicherungspflicht oder die Beitragshöhe von Bedeutung ist,
binnen drei Tagen noch deren Eintritt anzuzeigen habe.
Diese Meldepflicht liegt nur dem Arbeitgeber ob und berührt
nur ihn und seine Verpflichtungen; die in dem Dienstverhältniß
stehende Person wird schon allein durch den Eintritt in die ver-
sicherungspflichtige Beschäftigung Mitglied der zuständigen Kasse
und im Krankheitsfall ihrer Fürsorge theilhaftig, auch ohne daß
sie angemeldet ist, während mit der Beendigung der versicherungs-
pflichtigen Thätigkeit ihre Mitgliedschaft und die Fürsorgepflicht
der Kasse mit Ausnahme einzelner besonders gesetzlich vor-
gesehener Fälle, wie Erwerbslosigkeit bis zu drei Wochen oder
freiwillige Beitragsentrichtung, aufhört, auch ohne daß eine Ab-
meldung stattgefuuden hat.
Für den Arbeitgeber dagegen kann eine Verspätung oder
Unterlassung der Meldungen recht unangenehme civil- und straf-
rechtliche Folgen haben, und die Fälle sind leider auch nicht selten,
wo eine Nachlässigkeit, Gesetzesunkenntniß oder falsch angebrachte
Sparsamkeit denselben theuer zu stehen kommt. Zur Vermeidung
der hier vorkommenden Unterlassungsfehler beizutragen, ist der
Zweck dieses Aufsatzes.
Die Meldepflicht obliegt dem Arbeitgeber; wenn er die
Anzeigen auch nicht persönlich zu machen hat, bleibt er doch
immer haftbar für ihre Besorgung, und zwar selbst wenn er zu-
lässigerweise einen Betriebsbeamten allgemein mit der Erfüllung
der ihm aus dem Krankenversicherungsgesetz entstandenen Ob-
liegenheiten betraut hat. Es genügt nicht, wenn dem Versicherungs-
pflichtigen oder einer andern Person rechtzeitig der Auftrag zu
den nölhigen Meldungen gegeben wird, sondern der Arbeitgeber
oder Betriebsleiter muß dessen Ausführung durch Entgegennahme
der für jede Meldung ertheilten Bescheinigung kontroliren. Eben
zu diesem Behuf wird über jede Meldung eine Bescheinigung er-
theilt, deren Aufbewahrung sehr im Interesse eines Arbeit-
gebers liegt.
Versicherungspflichtig und darum an- und abzu-
melden sind im Allgemeinen alle in einem Betrieb beschäftigte«
Personen einschießlich der Dienstboten, jedoch ausschließlich der
Hausgewerbetreibenden, soweit für diese nicht statutarisch die
Versichernngspflicht festgesetzt ist. Der Kreis ist größer wie bei
der Alters- und Invaliditäts-Versicherung; denn einerseits ge-
hören dazu auch alle Angestellten unter 16 Jahren, anderseits
genügt jede Entschädigung, ob sie in Geld oder Unterhalt oder
sonstigen Naturalleistungen einzeln oder in Verbindung mit
einander gegeben wird, zur Begründung der Versicherungs-
pflichtigkeit, während bet der Alters- und Jnvaliditätsversicherung
die Gewährung von freiem Unterhalt allein nicht verstcherungs-
pflichttg macht. Nach der ganzen Tendenz der sozialen Fürsorge
sind wie überall von der Versicherung ausgeschlossen diejenigen
Personen, welche als technische, kaufmännische oder Betrtebs-
angestellte beschäftigt sind und einen täglichen Verdienst von mehr
als 6^/, oder einen jährlichen von über 2000 einschließlich
aller Nebenbezüge haben. Ferner besteht gesetzlich keine Ver-
sicherungspflicht für die Personen, die ohne jedes Entgelt in
einem Betrieb beschäftigt werden, z. B. Volontäre, und für solche
Arbeitnehmer, welche ausdrücklich oder nach dem Umfang der von
ihnen zu verrichtenden Einzelarbeit für weniger als eine Woche
eingestellt sind, also insbesondere Taglöhner oder Dienstmänner
zu Gelegenheitsarbeiten, Schreibaushilfen für wenige Tage,
Aushilfskellnerinnen.für Wirthschaften, Näherinnen in der Stör**)
u. dergl. mehr. Daß aber eine Anstellung einstweilen nur probe-
weise oder mit dem Recht kündigungsloser Entlassung zn
jeder Zeit erfolgte, genügt nicht zur Befreiung von der Ver-
sicherungs- und Meldepflicht. (Sehr häufig werden solche Per-
sonen, die zur Probe eingestellt waren und die vor Ablauf der
Probezeit die Beschäftigung wieder verlassen, nicht für vec-
sicherungspflichtig erachtet und von den Arbeitgebern nicht
zur Anmeldung gebracht. Dies' ist aber völlig irrig, und unter
Umständen kann sich eine derartige Unterlassungssünde bitter
rächen, siehe weiter unten.)
Familienangehörige sind nur dann nicht anzumclden,
wenn sie als solche und nicht als Angestellte gegen Lohn oder
Gehalt thälig sind; entferntere Verwandle aber, die gegen irgend
welches Entgelt, sei es auch nur freien Unterhalt, in der Haus-
haltung oder im Geschäft Dienste leisten, wie sie sonst vvN
Arbeitern oder Dienstboten besorgt werben, sind versicherungs-
pfltchlig und anzumelden, wenn sie nicht geradezu Familien-
mitglieder sind.
Nicht nothwendig ist, daß ein Angestellter, Arbeiter oder
Dienstbote regelmäßig den ganzen Tag oder jeden Tag in der
Woche in einem Betrieb beschäftigt ist; das Krankenversicherungs-
gesetz sieht vielmehr ausdrücklich das gleichzeitige Bestehe»
mehrerer versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse vor und
macht die Arbeitgeber für die daraus entstehenden Verbindlich-
keiten sammtverbindlich haftbar.
Einige Beispiele mögen eine Handhabe für zweifelhafte F»m
bieten.
Lerstcherungspflichtig sind: Lehrlinge auch unter 16 Jahre»'
die ein festbestimmtes Taschengeld von dem Meister anzuspreche»
haben oder bei ihm ohne Entschädigung Wohnung oder Kost ve
kommen; Knaben, die einige Stunden des Tags»-*
*) Nachdruck nur mit Genehmigung des Verfassers gestatte^'
**) Stör (auch Ster), die Arbeit, welche ein Gewerbetreibend-
im Hause des Kunden verrichtet.
 
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