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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0392

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fus in Verbindung gestanden zu haben. Auch ein Vertreter
Frankreichs im Auslande berichtete damals Gleiches. Henry
und Gonse modifizirten hierauf ihre bisherigen Lügen, indem sie
sagten, Schwartzkoppen habe durch Vermittlung eines Agenten,
also nicht direkt, mit Dreyfus in Beziehung gestanden. Paleologue
bestätigt, daß Graf Münster sowie der italienische Botschafter
wiederholt Schritte unternahmen, besonders vor d m Esterhazy-
Kriegsgericht. Graf Tornielli schlug sogar vor, den italienischen
Militärattache Panizzardi als Zeugen vor dem Kriegsgericht
erscheine» zu lassen. Sämmtliche Schritte und Vorstellungen des
Ministeriums des Auswärtigen scheiterten jedoch am Kriegs-
Ministerium und Generalstab, sogar die Mittheilung des fran-
zösischen Botschafters in Nom vom letzten Frühjahr, daß Ester-
hazy von ausländischen Regierungen Geld bezogen habe und daß
in Berlin über 200 von ihm gelieferte Dokumente existirten,
blieb eindrucklos. Geheime Briefe des deutschen Kaisers kennt
Paleologue nicht, er erinnert sich nur, daß Henry Anfang No-
vember 1897 einmal eine Anspielung auf deren Existenz machte.
Trarieux, der ehemalige Minister, erklärte, daß er im
März 1898 vom italienischen Botschafter Tornielli, mit
dem er persönliche Beziehungen unterhielt, folgende vertrauliche
Auskünfte erhalten habe. Die italienische Regierung, so erzählte
Tornielli, hat eingehende Untersuchung bei allen Truppenkörpern
darüber angestellt, ob Dreyfus mit dem italienischen Militärattachs
irgend welche Beziehungen gehabt hätte. Es fei aber nichts ent-
deckt worden, insbesondere versicherte auch Panizzardi, vor dem
Prozeß von 1894 nicht einmal den Namen Dreyfus gekannt zn
haben. Dies, sagte Tornielli weiter, bewies uns jedoch nur, daß
unser Militärattache nichts mit der Verurtheilung des Dreyfus
gemein haben konnte; es bewies nicht, daß Dreyfus das Opfer
eines Rechtsirrthums gewesen sei- Erst zwei Jahre später, Ende
1896, ging uns ein Licht auf, als im Matin das Vorderem; und
das geheime Aktenstück, in dem sich die Worte „os cansills äs v."
befanden, veröffentlicht wurde. Der italienische und der deutsche
Militärattachs konnten feststellen, daß eine Verwechslung begangen
worden war, nnd daß Dreyfus das Opfer eines Jrrthums ge-
wesen. Das Schriftstück „6s oansiils äs v." konnte auf Dreyfus
nicht angewandt werden, weil die Militärattaches zu ihm keine
Beziehungen hatten. Das Vorderem; aber war ein Lichtstrahl; die
in ihm aufgezählten Schriftstücke waren in der That den; deutschen
Militärattachs mitgetheilt worden, aber von einen; anderen
Offizier; die Schrift des Bordereaus war die persönliche
Handschrift dieses anderen Offizieres. Ein Vergleich war
leicht anzustellen, da der deutsche Militärattachs im Besitze
einer umfangreichen Korrespondenz dieses Offizieres war.
Weiter erzählte der italienische Botschafter, er habe einen Brief
v. Schwartzkoppens gesehen und gelesen, worin dieser positiv sagt,
daß er Dreyfus nicht kenne und daß Esterhazy die Hand-
lungen zuzuschreiben seien, derentwegen Dreyfus verurtheilt
wurde. Der Gmf Tornielli trat alsdann in oie Einzelheiten
dieses Briefes ein. Er erzählte, daß Esterhazy glaubie, bei dem
deutschen Mililärattachs Schutz suchen zu müssen gegen die An-
griffe der Familie Dreyfus. Anfang October begab sich Ester-
hazy zu Schwarzkoppen, flehte ihn an, zu verhindern, daß die
Familie Dreyfus einen Proceß gegen ihn anstrenqe. Schwach»
koppen solle der Familie Dreyfus bedeuten, sie sei im Jrrthum.
Der deutsche Attache, weigerte sich und Esterhazy zog eine Pistole
hervor und drohte Selbstmord zu begehen. Nur mit großer
Mühe konnte er ohne Aufsehen heransgeführt werden. Einige
Tage später kam er wieder, war vollständig ruhig und erklärte,
er habe nichts mehr zu befürchten, seine Vorgesetzten hätten ihm
gesagt, sie würden alles thnn, um ihn gegen die Gefahren eines
Processes zn vertheidigen. Trarieux erzählte dann weiter, er
habe den italienischen Botschafter gefragt, was es mit dem
Schriftstück os Oanaills äs v, das auf Dreyfus bezogen worden
fei, nach seiner Meinung für eine Bewandniß habe. Der Botschafter
Tornielli erklärte darauf, daß das Schriftstück wahrscheinlich nicht
echt sei. Ter deutsche Attachs habe ihm erklärt, daß es einen Agenten
gab, der seine (Schwartzkoppens) Handschrift aufs genaueste nach-
ahn en könne, das sei Lemercier-Picaid. Wenn aber das Schrift-
stück echt ist, fuhr Tornielli fort, so ist es zunächst materiell un-
möglich, daß es sich auf Dreyfus bezieht, da Dreyfus keine Be-
ziehungen zu den Attachss hatte; es kann sich z. B. auf eine
andere Person beziehen, die die Attaches kannten, z. B. den
Civiiisten, der dem deutschen Attachs Karten und Pläne ver-
schaffte, die im Handel schwer zu haben waren. Dieses Indi-
viduum Namens Dubais hatte für seine Lieferungen nnver-
schäurt hohe Preise gestellt, worüber die Attachss sich unterhielten.
Wem jetzt in der Dreyfus-Lache die Augen noch nicht
aufgehen, der ist unheilbar blind. Konstatirt ist vor dem
Kassationshof, daß dem Kriegsgericht ein Schriftstück vor-
gelegt wurde, das der Angeklagte nicht zu sehen bekam,
sodaß also die Prozeßvorschriften zu seinem Nachtheil
gröblich verletzt wurden. Das allein ist Grund genug zur
Aufhebung des ersten llrtheils. Dann ist jetzt festgestellt,
daß Esterhazy das Bvrdereau geschrieben hat, welches
den Hauptbelastungsbeweis für Dreyfus gebildet hat, und
daß das den Richtern allein vorgelegte geheime Schriftstück
6a oanmills u. s. w., das als Ergänzungsbeweis dienen
sollte, sich ganz sicher nicht auf Dreyfus, sondern wahr-
scheinlich auf einen gewissen Dubais bezog.
Afrika. Nach dem Temps sind die Arbeiten der deutsch-
französischen Kommission, die mit der Abgrenzung
zwischen Dahome und Togo auf Grund des Abkommens
vom 12. Juli 1897 beauftragt worden ist, augenblicklich
unterbrochen infolge einer Meinungsverschiedenheit, die
sich an Ort und Stelle den beiden Ehefs, dem Major Cls
und Freiherrn v. Massow, ergeben hat. Der Streit soll
durch eine andere deutsche Mission, die ebendort unter
Führung des Herrn Dr. Kersting arbeitete, veranlaßt
worden sein. Man glaubt, daß die in Paris begonnenen
Unterhandlungen zn einer befriedigenden Lösung führen
werden.

Aus Stadt und Land.
Heidelberg, 14. April.
X Sauptmanns „Fuhrmann Henschel" als Rezitation
ist eine Aufgabe, die ein ganz ungewöhnliches Charakterisirnngs-
talent seitens der Vortragenden bedingt. Die große Anzahl der
agirenden Personen sind in ihrer Charakteristik nicht so scharf ge-
trennt, als es z. B. in dem früher rezitirten Hauptmannschen Drama:
„Die versunkene Glocke" der Fall ist und bieten dem Rezitator
dessen Ziel es ist, dem Hörer ein klares, greifbares Bild jeder
einzelnen Erscheinung zu geben, Schwierigkeiten, die nur der Ge-
übte überwinden kann. Laut uns vorliegenden Berichten ans
Görlitz hat unlängst das Künstlerpaar Geißel-Fernan mit der
Rezitation von Sudermanns „Johannes" einen großen Erfolg er-
rungen, der wohl ein glückverheißender Vorbote für das hiesige
künstlerische Unternehmen sein dürfte.
» Der Dampfer ..Heilbronn tag beute Mittag noch in
Zicgridansen und man me;tz dort nichts davon, daß er nach
Mannherm hinuntersahren und morgen von dort eine neue
Probefahrt flußaufwärts unternehmen >oll.
Schlohbesucher machen wir auf die in heutiger Nr. d. Bl.
enthaltene Bekanntmachung des Gr. Domänenamts betr. Sperrung
eines Theils des Burgweges an Werktagen aufmerksam.
Berichtigung. In dem Bericht der Handelskammer über den
Gang von Handel und Industrie im Handelskammerbezirk
während des Jahres 1898 muß es heißen: 1) bei Lederfabri-
kation nicht „Grobmaterialien", sondern Gerbmatertalien, 2) bei
Portland-Cementwerk nicht „die Absatzverhältnisse haben

sich weit günstiger gestaltet", sondern haben sich weiter günstig
gestaltet, 3) bei Ma n ufa k tu r w aa r e n h a nd e l sn gros
nicht „die Sammetwaaren", sondern die Sommerwaare.
d) Sch-ffengerichtssttznng vom 13. April. 1) Elisabeth Beckel
aus Wiesbaden erhielt wegen Unterschlagung 3 Wochen Ge-
fängniß. 2) Michael Rittlinger, Maurer in Sandhaufen, wegen
Beleidigung und Sachbeschädigung 1 Woche Gefängniß und
3 Tage Haft. 3) Jakob Eder, Fischer dahi-r, wegen Körper»
Verletzung 30 Mk. Geldstrafe ev. 6 Tag- Gefängniß. 4) Karl
Ludwig Seiler. Bahnarbeiter in St. Ilgen, wegen Körperverletzung
1 Woche Gefängniß. 5> Johann Mitscb, Schlosser in Plank-
stadt, wegen Unterschlagung 1 Woche Gefängniß. 6) Johann
Adam Hemmerich, Zimmermann. Friedrich Wolf, Tagiöhner,
Peter Wolf, Maurer, Helene Hemmerich, Ehefrau geb. Treiber,
alle in Wieblingen, angeklagt wegen Beleidigung, Widerstand und
Ruhestörung; Hemmerich erhielt 2 Monate Gefängniß und 2
Wochen und 3 Tage Haft. P. Wolf 3 Woche» Gefängniß und
3 Tage Haft/ F. Wolf und die Ehefrau Hemmerich wurden frei-
gesprocben. 7) Philipp Melchior Nagel, Former in Frankenthai,
Karl Ludwig Spahr, Former dahier. Gottlieb Niedermann,
Former aus Hanau, anaeklagt wegen Körperverletzung; Nagel
erhielt 10 Mk. Geldstrafe ev. 2 Tag Gefängniß, Riedermann
3 Tage Gefängniß, Spahr wurde freigesprochen. 8) Heinrich
Kettenrina. Schmied. Heinrich Zimmermann, Mühlenarveiter,
beide in Bammenthal. wegen Widerstand, Beleidigung und Ruhe-
störung; Jeder erhielt 30 Mark Geldstrafe ev. 6 Tage Haft.
— Polizeibericht. Zwei Taglöhner gerielhen gcsteru Mit-
tag au einem Bauplatz in der Bergheimerstraßs mft einander
in Streit, wobei der eine dem andern einen Messerstich in
die Brust versetzte; die Verletzung soll jedoch nicht lebens-
gefährlich ftin.
Mörlenbach, 14. April. Seit Dienstag tagt hier die
zur Enteignung des zum Babnbau nisthigen Geländes
ernannte Commission. Leider konnte in welen Fällen eine
Einigung auch jetzt nicht erzielt werden; denn viele Grund-
besitzer verlangen geradezu unerhört hohe Summe». Diese
Leute müssen natürlich erst durch Schaden klug werden; denn
nun werden die Arbeiten in Angriff genommen und — die
Enteianunosvroz sie am Gericht emgeieitek.
-j> Mannheim, 11. April. Heute fand im Rathhaussaale die
K reis v e r sa mm l un g für den Kreis Mannheim statt. Die
Kreisumlage von 2,9 Pfg. reicht infolge der stetig wachsenden
Ausgaben nicht mehr aus. sie hätte eigentlich schon in diesem
Jahre erhöht werden sollen. Man hat mit Rücksicht auf die
Stadt Mannheim, welche 75 pCst der Kreissteuern aufbcingt,
noch davon Abstand genommen, wird aber im nächsten Jahre
unbedingt zu einer llmlageerhöhung schreiten müssen. Bei der
Position „Landwirthschaftliche Kreiswinterschule Ladenburg" ent-
svaini sich eine lebhafte Debatte über die sich aus 5000 Mk. be-
laufende tteberschreitung des Voranschlags bei der baulichen Um-
änderung des Schulhauses. Die Schuld, daß für diesen Umbau
nicht 5000 Alk., sondern ca. 10 000 Mk gebraucht worden sind,
trägt nach den Darlegungen des Vorsitzenden, Hrn. König, der
Landwirthschaftslehrer Römer von Ladenburg, auf dessen Veran-
lassung der Bau nicht nach dem vom Kreisansschuß genehmigten
Plane, sondern nach einem ganz andern Projekt ausgesührt
wurde, sodaß für den Erweiterungsbau der Schule statt der be-
willigten 4800 Mk. nur 8400 Mk., dagegen für die Lehrerwoh-
ming statt der bewilligten 800 Mk. etwa 7000 Alk. ausgegeben
worden sind. Herr König theilte mit, daß der Kreisausichuß
bei der Regierung den Antrag gestellt habe, Hrn. Rainer von
seiner Stelle abzubernfen, mit der Begründung, daß der Beamte,
welcher in dieser Weise seine Geschäfte führe, und seine persön-
lichen Voitheile so in den Vorderginnd stelle, daß er sich eine
schöne Wohnung herstelle und die «schule oeriiachläisige, kein
Vertrauen mehr genieße. Die Entscheidung des Ministeriums
stehe noch aus. Bei der Erörterung des Etats der Krei-pflegs-
anstalt Weinheim ersucht Herr Stadtr th Dreesbach-Maimheim
den Kreisausschuß, zu protestiren gegen die Absicht der Regie-
rung, die Jrrenanstaiteir in Baden dadurch zu entlaste!;, daß
man einen Theil der Geisteskranken in die Kreispflegeanstalten
bringr. Der Kreisansschuß soll da lim wirken, dan noch eine
Irrenanstalt in Baden errichtet wird und zwar für diejenigen
Geisteskranken, an deren Heilung nicht zu denken ist. Herr König
erwiderte, daß die Kreisanstnlten nach ihren Statuten vervflichret
seien zur Ausnahme von ruhigen Geisteskranken Wenn Herr
Drcesbach im Landtag dahin wirke, daß eine Anstalt errichtet
werde, in der solche Geisteskranke Pflege finden können, werde
der Kreisansschuß gern bereit sein, auf ne zu verzichten. Bei
der Vortage des Kreisausschusses über die Errichtung des Lamey-
denkmals gab O'oeiliürgermeisiec Beck seiner großen Freude über
das Projekt Ausdruck.
^ Mannheim. 13. April. (Strafkammer.) 1) Die Be-
rufung des Taglöhners Franz Kaspari aus Mauer, dm das
Schöffengericht wegen Widerstands zu 14 Tagen Ge äugniß ver-
urlheilt hatte, wurde als unbegründet verworfen. 2) Ebenfalls
ohne Erfolg blieb die Berufung der Wilhelm Grün Eheleute
gegen ein llrtheil des Schöffengerichts Heidelberg, welches wegen
Diebstahls eine Gefängilißstrafe von 5 Tagen ausgesprochen hatte.
3) Der Cigarrenmacher Friedrich Ren sch von 'Nußloch erhielt
wegen Sittlichkeitsvergehens im Sinne des Z 176 Ziff. 3 R.-St.-
G.-B. 1 Jahr Gefängniß. 4) Der 19jährige Hausbursche Wil-
helm Zörner von Heilbronu stahl in Heidelberg seinem Stuben-
genossen Heinrich Schweizer ein Sparkassenbuch, erhob darauf
unter Mißbrauch der Unterschrift des Inhabers bei der Spar-
kasse in Heidelberg 30 Mk. und erschwindelte sich außerdem von
Schweizer und dem Tagiöhner Otto Hauptmann je eine Taschen-
uhr. Das Urtheil lautete auf 3 Monate Gefängniß. 5) Der
Gärtner und Diener Heinrich Oehlschläger von Nohrbach
beschwindelte auf den Namen seiner Dienstherrin, der Oberstleut-
»antswittwe Ehreureich in Heidelberg zahlreiche Personen um
Geld, Lebensmittel u. s. w., gab seiner Herrschaft, wenn ein
Posten zu bezahlen war, einen höheren Betrag an, lieferte aber
auch diesen nicht ab, sondern behielt ihn für sich. Mit Rücksicht
auf seine Vorstrafen lautete da- Urtheil auf 1 Jahr, 5 Monate,
9 Wochen Gefängniß und 3 Jahre Ehrverlust. 6) Der 21 Jahre
alte Diener Karl Haag ans Bartmstein (Württemberg) hat durch
eine Reihe kecker Schwindeleien sein Talent als Hochstapler er-
wiesen. Als Bursche des Studenten Fröhlich in Heidelberg be-
gann er sich Schuhe, Hemden, feine Weine u. s. w. ans den
Namen seines Herrn zu erschwindeln. Dann verlegte er sich auf
die Spezialität, als Diener dieses oder jenes a eligen Herrn bei
Kanflenten und Geschäftsleuten Geld oder Waaren zu borgen.
Zuletzt verflieg er sich gar einmal dazu, als angeblicher Diener
des Herrn Baron von Erck dem Herrn Professor Thode eine
Karte zu überbringen, worin der Baron ersuchte, ihm durch seinen
Dimer ein Darlehen von 100 Mark zu übermitteln. Herr Thode
war einer der Wenigen, der nicht hereinfiel. Einig - Tage später
radelte Haag auf einem Rade, das er auf den Namen eines Frei-
herrn v. Ellhausm erschwindelt hatte, nach Langenzell und über-
reichte im Schlosse dem Prinzen von Löwenstein ein Billet, durch
das ein Baron v. Dorn seinen „lieben Löwmstein" um ein Dar-
lehen von 800—1000 Mark ersuchte. Wenn das Billet nicht einen
auffallenden Formschnitzer enthalten hätte, so wäre ihm der Be-
trag wohl ausgefolgt worden. Die Anrede lautete drolliger Weise:
„Ewige Durchlaucht." So wurde er kurzerhand abgewiesen. Der
schon wiederholt bestrafte raffinirte Patron wurde zu 3 Jahren
Gefängniß verurtheilt.
-j- Mannheim, 13. April. (Schwurgericht.) 8. Fall.
Eine Doppelanklage wegen Meineids gelangte heute gegen dm
25 Jahre alten Kaufmann Leopold Sichel jr. von Grünsfeld
vor üem Schwurgericht zur Verhandlung. Der Angeklagte ist
Mitinhaber der Maschinmhandluitg von Gebr. Sichel in Grüns-
feld. Letztere bezog im Jahre 1897 von der Firma Moritz Weil
jr. in Frankfurt a. M. eine Nähmaschine System Döring. Da
sie dieselbe nicht verkaufen konnte, suchte man sie der Lieferantin
zurückzugeben, indem man die erfundene Behauptung aufstellte,
die Maschine sei nur in Commission übernommen worden. Es

kam zum Prozeß, Leopold Sichel wurde ein Eid zngeschoben, und
er beschwor am 4. Juli 1898 vor der II. Civilkammer des Land-
gerichts Mosbach, am 12. September 1897 sei in Grünsfeld
zwischen ihm als Beauftragter der Firma Gebr. Sichel nnd dem
Inhaber der Firma Weil ein bindender Kaufvertrag in der
Weise abgeschlossen worden, daß die Firma Sichel aus dem Ver-
kaufspreis einer Döringschen Nähmaschine einen Nutzen von 25
Mk. haben sollte. Die Firma Sichel habe dann, um sicher liefern
zu können und um Lagergeld zu sparen, im September oder
Oktober 1897 eine solche Maschine von Worms nach GrünSfeld
kommen lassen und dort zur Verfügung der Firma Weil, die
darüber zu disponiren versprochen habe, gehalten. Beim anderen
Meineid handelte es sich um eine ganz verschiedene Sache. In
der ersten Schwurgerichtsperiode dieses Jahres ist das im elter-
lichen Hause Sichels bedienstet gewesene Dienstmädchen Marie
Wolfstädter aus Hetschbach wegen Kindermords zu 2'/, Jahren
Gefängniß verurtheilt worden. Im Vorverfahren hatte sie den
heutigen Angeklagten als Vater des getödteten Kindes angegeben.
Sichel wurde darauf als Zeuge vorgeladen. Er sollte am 2.
Dezember v. Js. erscheinen, kam aber erst am 3. nnd brachte
nach geleistetem Zeugeneid eine Entschuldigung wegen seines Aus-
bleibens vor, die gänzlich erfunden war. Er b haupiete, er habe
einen Termin vor dem Gericht in Würzburg wahrnehmen müssen,
was durch die späteren Ermittelungen Lügen gestraft wurde. Zur
Sache behauptete er, gleichfalls der Wahrheit zuwider, er habe
mit der Wolfstädter seit Anfang 1897 intimen Umgang nicht mehr
gepflogen. Das Urtheil lautet auf 3 Jahre Zuchthaus und 5 Jahre
Ehrverlust-
ö. 14. Karlsruhe, 13. April. Der Ober-Postdirektor und
Geh. Ober-Posiralh Friedrich Heß feierte heute seinen 70. Ge-
burtstag. Herr Staatsminister Dr. Nokk brachte Herrn Heß
persönlich seine Glückwünsche dar, Herr Minister Brauer über-
sandte aus dem Urlaub ein Glückwunschtelegramm- Ferner
sandten Glückwünsche Staatssekretär von Podbielski, Ministerial-
direktor Witlko in Berlin nnd der Geh. Legationsrath Freiherr
von Marschall. Das Ministerium des Aeußern überreichte eine
prachtvolle Blumenwende.
Kleine Zeitung.
di Farben-Zndustrie. Von allgemeinem Interesse ist das
Ergebinß der seit Mai v. I. vom hygienischen Institut zu Greifs-
wald auf Veranlassung des kgl. preußischen Geheimraths und
Universitätsprofessors Dr. Locsfler durchgefllhrten Versuche be-
yufs Feststellung der hygienischen Bedeutung der Anstrichfarben.
Zur Untersuchung wurden Kalkfarben, Leimfarben, Oelfarben,
Emailfarben. Amphibolinfarbcn und Zoncafarben herangezogen.
Durch die Untersuchung wurde die Ueberiegenheit der Zoncafarben
in ihrem Vechallen zu den pathogenen Bakterien über alle ande-
ren Anstreichfarben festgesiellt und hat Herr Professor Dr. Loeff-
ler erklärt, daß Zoncafarbe als Anstrichmittel den hygienischen
Anforderungen am denen entspreche und daß die experimentelle
Feststellung der vortrefflichen Eigenschaften der Zoncafarben als
ein wesentlicher Fortschritt in der Woynungsyygiene zu be-
grüßen sei.
— Nordseebäder auf Sylt. Die Seebadedirektion hat soeben
eine „Beschreibung der Nordjeebäder Westerland und Wenningstedt
auf Sylt" herausgegeben, welche den Besuchern dieser Bäder
einen ebenso werthvollen Führer wie Rathgeber bietet. Das mit
hübschen Illustrationen ausgestattete handliche Werkchen, in
welchem sich auch Angaben über die kürzesten und beguemsten
Reiseverbinduiigen von größeren Städten Deutschlands nnd
Oesterreich-Ungarns befinden, dient als zuverlässiger Wegweiser
in allen die Reise und den Aufenthalt auf der herrlichen Insel
Sylt betreffenden Angelegenheiten und ist in allen größeren
Neisebureaus, Ausgabestellen für zusammenstellbare Fahrschein-
hefte, sowie von der Seebadedirektion in Westerland gratis er-
hältlich^^ ___
Theater- und Kunstnachrichten"
Mannherm. (Großd. Hof- and ociittonarrncurrr.; Sonntag,
16. April: „Oberon." Rezia: Frau Cäcilre Mohor als Gast.
Karlsruhe. (Großh. Hoftheater.) a. Im Hofthealer in Karls-
ruhe: Samstag, 15. Avril: Zum ersten Male: „Das fünfte
Rad." Sonntag, 16. April: „Morgiane." „Sonne und Erde."
Dienstag, 18. April: „Das fünfte Rad." Donnerstag, 20. April:
„Mein neuer Hut." „Niobe." Freitag, 21. April: „Tannhäuser."
Samstag, 22. April: „Das fünfte Rad." Sonntag, 23. April:
„Der Trompeter von Säckingen." — b. Im Theater in Baden-
Baden: Mittwoch, 19. April: „Martha."
Darmstadt. (Großh. Hoftheater.) Sonntag, 16. April: Zweite
Gastdarstellung des Herrn Kammersängers Anthes: „Üohengrin."
Lohcngrin: Herr Anthes. Dienstag, 18. April: Letzte Gast-
dnrstellung des Herrn Anthes: „Der Prophet." Johann von
Leyden: Herr Anthes. Mittwoch, 19. April: „Der geraubte
Schleier."_
Handel und Berkehr.
Mannheim, 13 April. (Aktien.) Oberry. Bank 125.20 G.
Rheinische Kreditbank 146.— G. Rheinische Hypothekenbank
166.— B. Heidelberger Aktienbrauerei 137.— G. Schrödl'sche
Brauerei-Aktien 147.— G. Portland-Cementwerk Heidelberg
166. - G.
Frankfurt, 13. April. Effektensocietät. Abends 6'/. Uhr.
Oesterr. Credit 223 40 b. Diskonto-Kommandit 194 b. Darm-
städter Bank 150.40 b. Deutsche Bank 207.50 b. Ottomane
114.90 B. 80 G. Berliner Bank 117 b. G. Berliner Handels-
gesellschaft 16140 b. Oesterr Staatsbahn 155.60 b. Lombarden
29 b Gotthard-Aktien 142.50—60 v. Schweizer Central 141.90
bis 142 b. Schweizer Nordost 97.50—60 b. Schweizer Union
77.20—30 b. Jura-Iimplon 88.10 b. 5pCt. Italiener 94.60
v. ult. 3pCt. Mexikaner 26.10 B. 26 G., 5pCt. dto. 3. Ser.
amort. 42.50 B. 40 G. 4pCt. Spanier 58.60 b. Türken C.
27.40 b. Bochumer 258.20 b. Gelsenkirchen 198—8.20 b. Harpener
193.80 b. Hibernia 2;0.90—211.20 b. Laura 239—9.50 b.
Edison 299.50 b. G. Hilgers 125.30 b. Buntweberei Göppingen
126 b. Bad. Zucker 55 b. G. Eschweiler 226.50 b. Helios
170.20 B. 10 G. Nürnb.-Fürther Str. 255.30 B. 20 G. Lokal-
und Straßenbahn 189 b. Emaillirw. Ulbrich 135 b. G. Court
167.80 B. 70 G. Hüttenheim Spinn. 102.50 b.
6sti—6Vz Uhr: Gelsenkirchen 198.30. Hibernia 210.80.
Spanier 58.60 P. 50 G. Lombarden 29 P. 29.90 G.
Bei ziemlich fester Gesammt - Tendenz zeigten namentlich
Montanwerthe fortgesetzte Befestigung.
Mannheim, 13. April. (Produktenbörse.) Per 100 Kilo.
Weizen Pfälzer 17.25 bis 17.50, Norddeutscher 17.— bis 17.25,
Azima 17.25 bis 18.25, Theodosta 18.— bis 19.—, Saxonska
—- dis —, Girka 17.25 bis 17.75, Taganrog —bis
—.—, rumänische —.— bis —.—, amerikanische Winter 17.75
bis 18.—, Amerikan. Spring 17.— dis 17.25, Walla-Walla
17.25 bis —Milwaukee —.— bis —.—, Kalifornier —
bis —.—, La Plata 16.75 bis 17.25, Kernen 17— vis —--
Roggen Pfälzer 15.50 bis —, russischer 15 75 bis —-
Gerste hies. Gegend 17.— bis —.—, pfälzer 17.75 bis 18.50,
Futtergerste 12.— bis 12 25, Hafer Bad. alter 15.25 bis 16.—>
neuer —.— bis —.—, Russischer 15.50 bis 16.25, Norddeutscher
—.— bis —.—, Mais Amerikan. mixed 10.50 bis —.—. Mais
Donan 10.50 bis —.—, Kohlreps deutscher neuer 24.75 b>S
—.—, Wicken 15.50 bis 16.—, Roth Kleesamen 100.— bis 105-,
Amerikaner —.— bis , Lucerne 85.— bis 86.—, Provence
116.— bis 125.—, Esparsette 26 — bis 27.—, Leinöl mit Faß
42 50 bis —.—, Rüvöl mit Faß 55.— bis , Petroleum
mit Faß ft. mit 20 Tr. 21.— bis —.—, Petroleum 10 00s
20.50 dis —.—, Sprit versteuert 113.50 bis ——, 90er un-
versteuert 28.25 bis —.
Weizenmehl 00 0 1 2 3 ^
28.- 26 - 24.— 23.— 22.- IS--'
Roggenmehl 0: 25.—, 1: 22.—.
Tendenz: Weizen etwas höher, Roggen fester, Gerste hoher»
Hafer und Mais unverändert.
 
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