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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0534

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Daris, 20. Mai. Die Räthe der drei Kammern
des Cassationshofes erhielten heute die amtliche Mit-
theilung daß sie am 29. Mai in der Civilkammer zu-
sammentreten sollen, um in öffentlicher Sitzung über die
Revision des Dreyfusprozesses zu verhandeln.
Das Publikum Frankreichs nicht nur, sondern, man darf
sagen, Europas, wird froh sein, wenn diese Dreyfussache
endlich auf irgend eine Weise zu Ende gebracht sein wird.
Belgien. Brüssel, 20. Mai. Die Entlarvung eines
Mitglieds der hiesigen französischen Handels-
kammer als Chef der französischen Spionage
in Belgien hat nunmehr einen bereits offenen Konflikt
zwischen dem hiesigen Gesandten Gsrard und dem
französischen Handelsminister Delombre einerseits und
der Mehrzahl der hiesigen französischen Unterthanen, an
ihrer Spitze der demissionirende Vorstand der Handels-
kammer, zur Folge. Der heutige Ltoilo LsIZs ver-
öffentlicht einen Briefwechsel zwischen dem Präsidenten der
Handelskammer und dem Minister, aus dem hervorgeht,
daß der Gesandte Gorard durch den französischen Kriegs-
minister beauftragt war, den Spion bis zum Aeußersten
zu decken. Andererseits bestreitet Delombre dem demissio-
nirenden Vorstand der Handelskammer das Recht, eine
Generalversammlung zur Wahl seiner Nachfolger ein-
znberufen. Alle Vollmacht dazu läge jetzt in den Händen
des hiesigen Gesandten. Der demissionirende Vorstand er-
klärt, sich nicht zu fügen. Die Angelegenheit erregt großes
Aufsehen.
Rußland. St. Petersburg, 19. Mai. Unter dem
Vorsitz des Kaisers wurde hier eine Konferenz zur Be-
rathung der Deportations frage abgehalten. Dabei zog
der Kaiser Nachstehendes in Erwägung: Der seit dem
17. Jahrhundert bestehende Modus der Deportation von
Verbrechern nach Sibirien hat sich, je mehr das Land
durch freiwillige Ansiedler besiedelt wird, als schädlich für
Sibirien erwiesen. Mit der Verbesserung der Verkehrs-
mittel und der fortschreitenden kulturellen Entwickelung
Sibiriens hat die Deportation allmählich den Charakter
einer Strafe verloren, während der Schaden, der dem Ge-
biete durch die Verbringung von Verbrechern dorthin zu-
gefügt wird, mit jedem Jahre größer wird. Nachdem sich
mit der Frage der Aufhebuug der Deportation und der
Zwangsarbeit bereits die Kaiser Alexander II. und Ale-
xander III. beschäftigt haben, betrachtet Kaiser Nikolaus
diese Angelegenheit als ein Vermächtniß seiner Vorfahren
und erblickt in der Deportation ein schweres Hinderniß für
die Entwickelung Sibiriens. Er hat daher gestern befohlen,
daß unter dem Präsidium des Justizministers eine Kom-
mission zusammentritt, welche über den Ersatz der De-
portation durch andere Strafen und über die
damit in Zusammenhang stehenden Angelegenheiten be-
rathen soll.
Asien. Die Eisenbahnlinie Tientsin-Tschinkiang,
welche von einer deutsch-englischen Gesellschaft gebaut
werden wird, hat eine Länge von ca. 1000 Kilometer.
Der nördliche von der deutschen Gesellschaft zu bauende
Theil ist 610 Kilometer lang.
Amerika. In Albany ist nach dem Berl. Tageblatt
dieser Tage ein Kriegsgericht zusammengetreten, das
über die schimpflichen Anklagen zu entscheiden haben wird,
die gegen den Kommandanten und drei Stabs-
offiziere des 71. Neu-Iorker-Milizregiments
erhoben werden. Am 1. Juli v. I. war das Regiment
vor Santiago engagirt. Der Oberst Down es unterließ
es aber, trotz des direkten Befehls von General Kent, sein
Regiment zur Attacke zu führen. Derselben Unterlassungs-
sünde machte sich Oberstleutnant Smith schuldig, während
Major Whittle zurückblieb, als sein Bataillon vorrückte.
Kapitän Austin endlich weigerte sich, dem direkten Befehl
des Generals, anzugreifen, Folge zu leisten. Aus diesem
Grunde ist die vom Höchstkommandirenden, Gouverneur
Roosevelt, eingesetzte Untersuchungskommission zu dem Re-
sultate gelangt, daß die genannten Offiziere der Feigheit
schuldig und demgemäß vor einem Kriegsgericht zu pro-
zessiren seien. Die Einzelheiten der Anklageschrift ergeben,
daß das Verhalten dieser Offiziere allerdings ein unglaublich
skandalöses war. Der Herr Major hatte sich hinter einem
Stoß wollener Decken verkrochen, der Herr Oberstleutnant
war vor Angst krank, während der Herr Oberst und
Kommandant ruhig den Spott der vorüberziehenden Re-
gimenter mitanhörte und sich selbst dann noch nicht einmal
rührte, als seine Soldaten einzeln das Regiment verließen,
um mit anderen Truppentheilen auf eigene Faust in den
Kampf einzugreifen. Gouverneur Roosevelt begleitet die
Akten der Untersuchungskommission mit einem Schreiben,
in dem er klipp und klar ausspricht, daß „die höchsten
Offiziere des 71. Regiments dasselbe mitSchmach bedeckt
haben und dadurch den guten Ruf der amerikanischen Frei-
willigen geschädigt hätten. Zur Ehre der Mannschaften aber sei
gesagt, daß sie sich durch das traurige Beispiel ihrer höchsten
Offiziere nicht anstecken ließen, sondern dadurch ihre Ehre
retteten, daß sie ohne diese gegen den Feind vorgingen.
Es gibt keinerlei Rechtfertigung für das Betragen dieser
Offiziere, denen die Kardinaltugend des Soldaten, der
Muth, abgeht. Sie haben sich als vollkommen unfähig
und ihrer Stellung unwürdig gezeigt. Bezüglich des
Kapitäns Austin will der Gouverneur es nur bei einem
strengen Verweis bewenden lassen, da den untergebenen
Offizier bei der Haltung seiner Vorgesetzten der Vor-
wurf und die Verantwortung nicht in voller Stärke treffen
könne."

Das amerikanische Büchsenfleisch auf der
Anklagebank.
Nach fast dreimonatiger Thätigkeit hat das amerikanische
„Fleischgericht" seine Arbeiten beendet und soeben seinen Bericht
an die Bundesregierung abgelieferl. Die Quintessenz des sehr
eingehend begründete» und von der Oppositionspresse, namentlich
auch der ll.ewyorker SruatSzeitling als Vorkommen unpaikeiisch
anerkannt n Berichts ist etwa in fo.g »den Sätzen ü geben:
1. Die Behauptung des General Miles, daß etnbalsamirtes

(chemisch-präparirtes) Kühlfleisch als Truppennahrung geliefert
wurde, ist durchaus unerwiesen.
2. Das in Büchsen verpackte frische oder gekochte Rindfleisch,
wie es auf den Transportschiffen und als Feldration auf Kuba
zur Verwendung kam, war in sehr vielen Fällen als Nahrungs-
mittel vollkommen ungenügend.
3. Es ist General Miles der Vorwurf zu machen, daß er es
unterließ, dem Kriegsminister sofort Bericht zu erstatten, als er
die Beobachtung gemacht hatte, daß die Truppenernährung eine
fehlerhafte sei.
4. General Eagan hat sich eines schweren Vergehens schuldig
gemacht, als er so bedeutende Quantitäten von Büchsenfleisch be-
zog, ohne sich vorher zu vergewissern, ob dasselbe eine geeignete
Truvpennahrung abgeben dürfte.
5. Es ist unwahr, daß die Soldaten als „Versuchskaninchen"
dienten, um die Verwendbarkeit gewisser Fleischpräparate dadurch
festzustellen.
6. Die Fleischverpacker trifft kein Vorwurf, daß sie die Armee
mit denselben Konserven versorgten, wie sie sie in den Handel zu
bringen pflegen.

Aus Stadt und Land.
Heidelberg, 23. Mai.
* Die Pfiugstfeiertage waren vom Wetter nicht sonderlich be-
günstigt. Am Pfingstsonntag setzte gegen Mittag Regen ein, der bis
zum Abend anhielt und den Aufenthalt im Freien unmöglich machte.
Da das Wetter Vormittags nicht ungünstig war, hatte sich ungemein
zahlreicher Besuch von auswärts eingefunden, dem das Vergnügen
leider stark verwässert wurde. Eine große Zahl von Gästen hatte
sich zu dem Concert des städtischen Orchesters auf dem Schlosse
eingefunden, die in der Halle lange nicht alle Aufnahme finden
konnten. Von der Musik, die im Kiosk spielte, war wenig zu
vernehmen. Abends sollte das Concert im Stadtgarten abgehalten
werden. Der Regen hatte aufgehört und es wäre der Aufenthalt
daselbst wohl schon möglich gewesen, ob bei dem stark durch-
feuchteten Boden auch angenehm, das ist allerdings eine andere
Frage. Es war aber inzwischen die Verlegung des Concertes in
den Saalbau anberaumt worden. Der große und der kleine
Saal waren mit Zuhörern überfüllt. Die Leistungen des
Orchesters, die hier sehr gut zur Wirkung kamen, wurden mit
lebhaftem Beifall bedacht. Eine Composition von Musikdirektor
Radig, „Sehnsucht", Lied ohne Worte, wurde von Herrn Concert-
meister Grau sehr schön vorgetragen, auch die andern Nummern
fanden eine vortreffliche Wiedergabe. — Am gestrigen Pfingst-
montag schien es. als sollte das Regenwetter eine Fortsetzung
finden, denn in den Frühstundcn rieselte es stark herab und grau
in grau zeigte sich der Himmel. Doch noch während des Vor-
mittags klärte sich das Wetter auf und nun konnte manches am
Vortage versäumte Vergnügen nachgeholt werden. Die Concerte
auf dem Schloß und im Stadtgarten waren gut besucht. Das
bessere Wetter kam auch der gestern eröffnten Messe zu gut, die
eine Menge Landleute herbeigelockt hatte.
K Fuchs'sche Waggonfabrik. Die Firma H. Fuchs,
Waggonfabrik hier, wurde durch die Rhein. Creditbank in
Mannheim in eine Aktiengesellschaft mit einem Aktienkapital
von Mk. 1500 000 umgewandelt. Der Auffichtsrath besteht aus
den Herren Carl Fuchs, Fabrikant, als Vorsitzender, ferner 2
Direktoren der Rhein. Creditbank in Mannheim, Herrn Wolf-Wenk
in Mannheim, Herrn Rechtsanwalt Dr. Rosenfeld in Mannheim
und Herrn Branereidirektor Olinger hier.
ff Der IV. Verbandstag der deutschen Frauen-Hilfs- und
Pflegevereine unter dem Rothe» Kreuz findet in der Zeit vom
5. bis 8 Juni hier in Heidelberg statt. Es ist Hoffnung vor-
handen, daß die Kaiserin Friedrich zu dem Verbandstag
hierher kommt. Am 8. Juni findet aus Anlaß des Verbands-
tags eine Schloßbeleuchtung statt.
A Rudersport. Der Heidelberger Ruder-Club hatte für
Pfingstmontag eine Fahrt von Heilbronn nach Heidelberg ge-
plant und zu diesem Zweck 2 Vierer und 2 Zweier dahin voraus-
geschickt. Nur dadurch wurden die 16 Ruderer veranlaßt, trotz
des schlechten Wetters die Fahrt durchzuführen. Sie wurden
dadurch belohnt, daß für nicht unbescheidene Ansprüche der Tag
ein recht guter wurde. Um 9 Uhr verließen die Mannschaften
Heilbronn, vor 2 Uhr legte man in Eberbach zum Mittagessen
an, um 7 Uhr wurde in Ziegelhausen das Abendessen ein-
genommen und später in Begleitung von Clubmitgliedern, die
bis dahin entgegengefahren waren, die Fahrt beendet.
— Umgekippt. Drei junge Leute, die sich am Sonntag Nach-
mittag mit Bootfahren vergnügten, wobei das Boot umkippte,
fielen ins Wasser, konnten sich aber durch Schwimmen retten, so
daß der Unfall ohne ernste Folgen verlief.
iü Schöffengerichtssttzung vom 20. Mai. 1) Joseph Sepp,
Fabrikarbeiter in Heiligkreuzsteinach, erhielt wegen Körperverletzung
eine Geldstrafe von 15 RL, 2) Johann Gremper, Küblermeister,
und Karoli»e Schadt, Dienstmagd, beide hier, erhielten wegen
unehelichen Zusammenlebens je 14 Tage Haft. 3) Die Klage
gegen Andreas Wedel, Landwtrth in Dossenheim, wegen Belei-
digung der Spengler Friedrich Ridinger Ehefrau in Dossenheim
und 4) diejenige gegen Frau Dr. Bertha Naumann Wittwe,
Wirthschafterin des Kurhauses in Neckargemünd, wegen Beleidi-
gung des Bierbrauers August Beysel in Neckargemünd, wurden
durch Vergleich erledigt.
— Polizeibericht. Am Samstag wurde ein Bettler verhaftet,
ein Student kam wegen Ausdrehens von Gaslaternen zur An-
zeige. Am Sonntag wurden drei Bettler verhaftet, eine weitere
Person wegen groben Unfugs und eine von einer auswärtigen
Behörde wegen Diebstahls ausgeschriebene Mannsperson. Sechs
Personen kamen wegen Unfugs und Ruhestörrng zur Anzeige.
Gestern wurden eine Schaustellerin wegen Unfugs, ein Student
wegen Unfugs und Widerstands, zwei Bettler und eine Manns-
person wegen Diebstahls verhaftet. Ein Schlosser kam wegen
Körperverletzung zur Anzeige.
O Heiligkreuzsteinach, 20. Mai. Zu der Mittheilung aus
Neckargemüno vom 15. Mai, das Unglück der Frau Jmhoff von
Heiligkreuzsteinach betr., ist berichtigend mitzutheilen, 1) daß es die
Frau des Bä cker Meisters Heinr. Jmhoff war, und nicht die des
Births Franz Jmhoff, 2) hatte sie kein Körbchen bei sich und
lief nicht Tags vorher schon auf den Schienen herum; die Frau
war am 15. Mai, Morgens um 1 Uhr noch in ihrem Bette,
8) ist durch die Aerzte bestätigt, daß sie geisteskrank war.
Die Familie besprach schon vor drei Wochen, ob man sie nicht
in eine Anstalt verbringen wolle. Sie soll auch zu dem Bahn-
wärter, der ihr begegnete und sie fragte, ob sie böse Absichten
habe, weil sie auf der Bahnlinie sei, gesagt haben: „Nein, das
habe ich nicht, ich weiß aber nicht wie mir es ist und wo
ich bin".
ff Mannheim, 19. Mai. (Oberrheinische Turnlehrer-
Versammlung.) In unseren Mauern tagt heute und morgen
die oberrheinische Turnlehrerversammlung. Sehr zahlreich haben
sich die Turnlehrer aus Baden, Württemberg, Hessen, Elsaß-
Lothringen und der Pfalz eingefunden. Auch von der Schweiz
sind eine größere Anzahl Gäste entsandt worden. Von den her-
vorragenderen Turnlehrern seien genannt: Direktor Eckler von
der Kgl. Preuß. Turnlehrer-Bildungsanstalt in Berlin, Direktor
Keßler von der Akad. Turnbildungsanstalt in Stuttgart, Turn-
inspektor schmuck-Darmstadl, Kgl. Sächs, Oüerturnlehrer Bret-
schneider-Nossen a./Elbe, der Vorsitzende des holländischen Turn-
lehrerverbandes van Aaken-Rotterdam, Schulrath Küppers-Berlin,
Schnlinspektor Schreiber-Kaiserslautern, Direktor Maul-Karls-
ruhe, Turnlehrer Michels und Spüler aus Winterthur, Gymnasial-
turnlehrcr Hans Mayer-Kaiserslautern, Assistent Leonhard von
der Tuurlehrerbildungsanstalt in Karlsruhe u. s.w. Heute Nach-
mittag fanden zunächst Turnspiele der Schüler des Gym-
nasiums, im Anschluß hieran solche von 11 Klassen des Real-
gymnasiums, sowie von 26 Klassen der Volksschule statt. Die
Lnrn>p:.l. e.folgt.n nach ü.r von Herrn Direktor Maul in Karls-
ruhe vorgeschlagenen Methode und erregten das lebhafte In-

teresse der fachmännischen Zuschauer. Abend halb 9 Uhr begann
im Hotel National die Vorv ersammlun g. Der Vorsitzende
des Gesammtausschusses, Herr Reallehrer K a b u s - Mannheim,
bewillkommnete die Versammlung, seiner großen Freude über den
zahlreichen Besuch Ausdruck gebend. Hierauf referirte Herr
Direktor Maul aus Karlsruhe. Vorsitzender der dortigen Turn-
lehrerbildungsanstalt, über die Entwickelung des Schulturnens in
Baden in den letzten 4 Jahren. Aus den Mittheilungen des
Herrn Direktors Maul ging hervor, daß das Schulturnwesen in
Baden in den letzten Jahren ganz gewaltig zugenommen hat.
Während vor 30 Jahren in Baden nur ein einziger Turnsaal
vorhanden war, gibt es deren jetzt über 70. Dagegen herrscht
noch ein sehr großer Mangel an Spielplätzen, sodaß das Schul-
turnen leider vielfach nur ein Hallenturnen sein müsse. Während
früher in Baden die Turnlehrerkurse nur nach Bedarf abgehalten
wurden, finden jetzt jährlich zwei regelmäßige Turnlehrerkurse
statt. An den 8 Tnrnlehrerkursen der letzten 4 Jahren betheiligten
fich 115 Volksschullehrer, 75 Mittelschullehrer, 20 Mädchenschul-
turnlehrer und 60 Mädchenschulturnlehrerinnen. Seit dem Jahre
1871 find an der Karlsruher Turnlehrerbildungsanstalt 43 Kurse
abgehalten worden, in denen zirka 1500 Turnlehrer ausgebildet
wurden. Auch die akademisch gebildeten Lehrer belheiligten sich
in den letzten Jahren lebhaft an den Kursen, was früher nicht
der Fall war- Das Mädchenturnen in den Volks- und Höheren
Töchterschulen sowie das Damenturnen hat sich in den letzten
Jahren in Baden gleichfalls sehr entwickelt. Der Vortrag ses
Herrn Direktor Maul fand eine sehr beifällige Aufnahme. Die
nächste Oberrheinische Turnlehreroersammlung soll in 2 Jahren
entweder in Straßburg, Offenburg oder Karlsruhe stattfinden.
In den Ausschuß wurden gewählt: Kabvs, Berg, Leutz, sämmt
lich von hier, Kabus-Straßburg und Heckmann-Karlsruhe.
ff Mannheim, 19. Mai. Das von dem badischen Groß-
herzogspaar dem Alterthumsverein für seine Ausstellung
zur Verfügung gestellte F r a n k e n t h a l e r P o r z e l l a n ist
hier eingetroffen und hat im Waffensaal der Sammlung Auf-
stellung gefunden. Die Gruppen und Figuren aus dem Großh.
Besitze stellen eine Auswahl aus den überaus reichen und werth-
vollen Beständen des Zähringer Museums in Karlsruhe dar und
sind durchweg prächtige Stücke von größter Seltenheit und her-
vorragendem Kunstwertk. Es sind besonders hervorzuheben:
ein Chinefenhaus, ein Liebespaar in der Laube, Neptun und
Amphitrite (reich bemalt), allegorische Figuren der Monate, der
Elemente und der Welttheile, sowie eine Reihe origineller fein
modellirter Genreszenen.
8 17. Phjlippsburg. 19. Mai. Am 11. Juni wird in der
alten Reichsfestung Philippsburg die 100jährige G e d e n kfe i er
der Belagerung begangen. Dem Fest soll der Groß-
herzog beiwohnen, sowie ein Nachkomme des Kommandanten
jener Zeit, Fürst Otto zu Salm-Horstmar. Es soll dabei, neben
dem Kriegerdenkmal, auch dem einstigen Wohlthäter der Stadt,
dem Rheingrafen, ein würdiges Denkmal errichtet werden. Die
alte, heute im weiten Reich wenig mehr bekannte Stadt besitzt
eine ruhmwürdige Vergangenheit. Die Werke wurden 1733 her-
gestellt, 1734 wurde die Stadt von den Franzosen genommen;
sodann wurden die Werke 1789 wieder in Stand gesetzt, 1799
heschossen, 1800 an die Franzosen übergeben und geschleift.
8. 17. Karlsruhe, 22. Mai. Heute Vormittag wurde im
Hardwalde in der Nähe der Schießstände die Leiche eines 7—8
Jahre alten Mädchens aufgefunden, an welchem sichtlich ein
Lustmord verübt worden ist. Wem dasselbe gehört und wann
dasselbe von zu Hause fortgelockt worden ist, ist noch unbekannt,
ebenso die Person des Mörders.
8. 0. Rastatt, 22. Mai. Vor einigen Tagen wurde ein
Osstziersbursche durch einen Kameraden aus Unvorsichtigkeit in
den Kopf geschossen. Der Unglückliche ist nunmehr den Ver-
letzungen erlegen.
8. 6. Baden, 23. Mai. Ein seltenes Familienfest
feierten heute die Zwillingsbrüder Franz Raver und Michael
Stephan, nämlich ihren 92. Geburtstag. Zur Theilnahme an
der Feier war eine Schwester der bejahrten Geburtstagsbrüder,
die 81jährige Wittwe Ignaz Bürd, und ein Bruder, der 76jährige
Benedikt Stephan, der vor 50 Jahren nach Amerika ausgewandert
ist und seitdem die deutsche Erde nicht mehr gesehen hat, herbei-
geeilt.
8 Kehl, 20. Mai. In unserer Stadt und Umgegend mit ihrer
von jeher als echt patriotisch gesinnten Bevölkerung fand die
Gründung eines „Deutschen Fl ott e n v e r e i n s" warmen
Wiederhall. So darf jetzt schon mit Zuversicht vorausgesagt
werden, daß die hier ins Auge gesagte Bildung einer Sektion
genannten Vereins jedenfalls eine stattliche Zahl Mitglieder auf-
weisen wird. Es sind auch die beiden Herren, welche an der
Spitze der Bewegung stehen, so recht dafür geeignet: Herr Pro-
fessor und Direktor der hiesigen Höheren Bürgerschule Blum,
ein als schneidiger Redner bekannter Herr, und Herr Kaufmann
Damance, welcher bei allen gemeinnützigen Unternehmungen
in vorderster Reihe steht und eine der populärsten Personen ist.
In nächster Zeit sollen verschiedene Vorträge gehalten werden,
die sicher das weitere Wachsthum der Sektion zur Folge haben.
So werden wir in Bälde in der angenehmen Lage jein, von der
definitiven Bildung eines Zweigvereins jenes großen, weit-
schauenden, echt vaterländischen Flottenvereins berichten zu können.
A Vom Hanauerland, 20. Mai. Sehr theure Milch-
schweine gab es auf dem diese Woche in Kehl abgehaltenen
Schweinemarkt; junge Ferkel bis zu 6 Wochen galten pro Paar
5—40 Mk. Daß es unter solchen Umständen billiges Schweine-
fleisch gibt, ist nicht zu erwarten. Hervorgerufen wurden diese
hohen Preise theils durch die Ausschließung der von Maul- und
Klauenseuche betroffenen Gemeinden, theils durch die günstigen
Futteraussichten. Heu steht in Fülle zu erwarten, sodaß Kleie
und dergl. zur Schweinemast verwendet werden kann und nicht
dem Rindvieh verabreicht werden muß. Dagegen stehen die Obst-
bäume und Hausreben nicht besonders vielversprechend da. Das
Getreide schießt gegenwärtig gewaltig in die Halme und blüht
theilweise schon; sein Stand ist hoffnungerweckend. Dagegen be-
kommen die Leute ihre liebe Noth mit dem Tabak; die Setzlinge
werden von Ungeziefer oft alle zu Grunde gerichtet. Wenn sich
diese Kalamität beim Setzen auf den Aeckern wiederholt, dann
kann es schlimm werden. Doch hofft man das Beste.
Freiburg, 20. Mai. Am Donnerstag Abend hielt Herr Prof-
Dr. Reckendorf in der Aula der Universität, ferne Antrittsrede
über syntaktische Forschung, welche für Fachkreise ein hervor-
ragendes Interesse bot.
8. 6. Freiburg, 22. Mai. Die Frequenz der hiesigen Uni-
versität ist nach dem Ergebniß der letzten Immatrikulation
wiederum um 100 gegen das Vorjahr gestiegen. Etwa 1700
Studierende werden während des Sommersemefters die hiesige
Universität besuchen.
Aus Baden. Buchstäblich zu Tode geschleift wurde am Freitag
der Landwirth Michael Rinkel von Altenheim. Als er nämlich
nach beendeter Ackerbestellung das Pferd an den Wagen spannen
wollte, wurde das Pferd scheu und jagte in rasendem Galopp
davon. Rinkel wurde, da er das Lcitseil um die Hand gewickelt
hatte, IV, Kilometer weit geschleift. Als Straßenwart Schwärze!
das Thier gestellt hatte, bot sich ihm ein entsetzlicher Anblick dar.
Die Kleider des unglücklichen Rinkel waren in Fetzen zerrissen
und der Verunglückte blutete aus zahllosen Wunden im Gesicht
und an den Gliedern. Am Samstag früh ist Rinkel, ohne das
Bewußtsein wieder erlangt zu haben, gestorben. — Landwtrth
Bernhard Kleinhaus von Markdorf fiel am Freitag von einem
schwerbeladenen Wagen so unglücklich zu Boden, daß ihm die
Näder über die Brust gingen. Er starb an den Folgen der
inneren Verletzungen schon nach wenig Stunden. — Bei der
Rheinfähre in der Nähe von Säck ingen wurde
am Freitag auf badischer Seile die Leiche eines Mannes im
Alter von etwa 40 Jahren geländet; die Leiche ist bislang noch
nicht »ckognosc rr
— Lienstuachrichtc». Aus dem Bereiche des
Schulwesens. Karl Dieterle, Hilfslehrer in Handschuhs-
 
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