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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0604

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zur Beurtheilung der geplanten Reform durchaus,
zweckmäßig. Wir reisen jetzt in Baden in Folge des
Kilometerheftcs für 2,^ Pf. den Kilometer Schnellzug 3.
Klasse. Dabei kann, wie die mehrjährige Erfahrung lehrt,
die Bahn bestehen. Will man durchaus — was wir
für unnöthig halten — einen Unterschied zwischen Schnell-
zug und Personenzug machen, dann muß der Satz 2,, oder
allenfalls 2,z Pf. als Taxe für den Schnellzug bestimmt
und die für Personenzüge geltende Grundtaxe entsprechend
herabgesetzt werden. Sonst machen wir keinen Fortschritt,
sondern einen Rückschritt.
— Der Voranschlag der Generalsynode wird schon einige
Zeit vor der Einberufung der Synode den bethciligten Kreisen
bekannt gegeben. Diesmal soll ein lange gehegter Doppelwunsch
der protestantischen Geistlichkeit erfüllt werden: die Verkürzung
der Zulagefristen innerhalb des Gcholtsrahmens; ferner eine wenn
auch nur in mäßigen Grenzen gehaltene Aufbesserung der Ruhe-
gehälter. Die Mittel hierzu sind zunächst durch die mit den
Ständen vereinbarte bedeutende Erhöhung des Staatszuschusses
an die Geistlichen der beiden Bekenntnisse gegeben; dieser Mehr-
zuschuß kann für die katholische Kirche auf jährlich ISO 000 Mk.
ansteigen, wenn dort die allgemeine Kirchensteuer zur Einführung
gelangt. Für die protestantische Kirche beträgt der jährliche Mehr-
zuschuß 100000 Mk-; die protestantische Kirche erhebt bereits die
allgemeine Kirchensteuer. Die Einberufung der Generalsynode
dürfte gegen den Schluß des Juli stattfinden; die etwas ungünstige
Zeit läßt sich nicht wohl vermeiden, weil die Synode doch vor
der eigentlichen Wahlbewegung zum Landtag beendet sein soll und
namentlich nicht in die Zeit des Landtags selbst hineinreichen
kann, was dann zu befürchten wäre, wenn etwa die Verhandlungen
der Synode sich unerwartet in die Länge ziehen sollten.
Bayern. München, 10 Juni. Durch allerhöchste
Entschließung von heute Nachmittag ist der gegenwärtige
Landtag, nachdem er heute feierlich geschlossen worden
war, aufgelöst und angeordnet worden, daß die Wahlen
der Abgeordneten zum Landtag unverzüglich eröffnet werden.
Die llrwahlen finden am Montag, den 10. Juli, die Ab-
geordnetenwahlen am Montag, den 17. Juli statt. Die
Veröffentlichung der bezüglichen allerhöchsten Entschließung
wird am Montag im Gesetz- und Verordnungsblatt erfolgen.

Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben dem
Vorstand des Geheimen Kabinets, Geheimen Legationsrath Dr.
Freiherrn von Babo, die Erlaubniß zur Annahme und zum
Tragen des ihm verliehenen Kommandeurkreuzes zweiter Klasse des
Schwedischen Nordstern-Ordens ertheilt; den Maschineninspektor
Friedrich Sachs bei der Verwaltung der Eisenbahnhauptwerk-
stätte auf 1. Juli l. I. auf sein Ansuchen aus dem staatlichen
Dienste entlassen.
— Forstassessor Alexander Krieger in Forbach "wurde nach
Baden versetzt und dem dortigen Forstamt als zweiter Beamter
zugewiesen.
Karlsruhe. 10. Juni. Der Prinz-Regent von
Bayern richtete gestern ein sehr liebenswürdiges Telegramm
an den Großherzog, worin derselbe in den wärmsten Wor-
ten seinen Dank für die freundliche Aufnahme bei den
Großherzoglichen Herrschaften und seine Befriedigung über
die bei Ihren Königlichen Hoheiten verlebten Tage äußert
und ausspricht, die Erinnerung daran werde ihm unver-
geßlich bleiben. Die Antwort des Grobherzogs war dem-
entsprechend von wärmstem Dank erfüllt. — Heute Vor-
mittag nach halb 9 Uhr reiste der Großherzog mit der
Kronprinzessin Victoria nach Baden-Baden. Dieselben wur-
den dort von dem Amtsvorstand, Geheimen Regierungsrath
Haape, und dem Stellvertreter der Bürgermeister, Stadt-
rath Meyer, empfangen. Nachmittags traf der Erbgroß-
herzog über Straßburg kommend in Schloß Baden ein,
wo derselbe zwei Tage zu verweilen gedenkt. — Morgen
Nachmittag wird der Großherzog sich nach Philippsbnrg
begeben, um daselbst der hundertjährigen Gedenkfeier der
Beschießung der Reichsfestung Philippsburg, verbunden mit
der Enthüllung eines Kriegerdenkmals, anzuwohnen. Die
Rückkehr nach Schloß Baden wird am Abend erfolgen.

Ausland.
Oesterreich-Ungarn. Wien, 10. Juni. Nach der
Neuen Fr. Presse ist der Inhalt des neuen österreichisch-
ungarischen Ausgleichs-Uebereinkommens im We-
sentlichen folgender: Die Dauer der Zollgemeinschast und

des Bankprivilegiums soll bis 1907 festgestellt und die
neue Organisation der Bank sofort durchgeführt werden.
Die bis 1903 ablaufenden Handelsverträge sollen nur mit
der Geltungsdauer bis Ende 1907 erneuert werden, sodaß
sie gleichzeitig mit der Zollgemeinschast ablaufen.
Holland. Haag, 9. Juni. Die mit der Berathung der
Schiedsgerichts frage betraute Unterkommission ist heute
zusammengetreten. Da auf Vorschlag des Barons Staal
der englische Antrag zuerst zur Besprechung angesetzt war,
so gab der englische Bevollmächtigte Pauncefote eine
Erläuterung des Antrags, der als Grundlage für die
Berathung der Frage betreffend die Errichtung eines
Schiedsgerichtshofes dient. Die Sitzung, die drei Stunden
währte, war der vorläufigen Prüfung des englischen An-
trages gewidmet, damit die Delegirten in die Lage gesetzt
sind, ihre Regierungen zu Rathe zu ziehen, oder sich unter
einander zu besprechen, bevor Beschlüsse gefaßt und ein
endgiltiger Vorschlag schriftlich formulirt wird. Es wurde
in der heutigen Sitzung kein Beschluß gefaßt. Mehrere
Delegirte sollen den Wunsch geäußert haben, daß die Per-
manenz des Schiedsgerichtshofes mehr thatsächlich in Er-
scheinung trete. Diese Permanenz würde namentlich von
den kleinen Staaten freudig begrüßt werden, während die
Mehrzahl der Großmächte der Ansicht ist, daß man bezüg-
lich der Permanenz des Schiedsgerichtshofes nicht über
den Vorschlag Paunccfotes hinausgehen dürfe, ohne die
Resultate der Konferenz in Frage zu stellen.
Frankreich. Die für den gestrigen Sonntag in Paris
getroffenen Vorsichtsmaßregeln waren äußerst
streng. 6000 Schutzleute, 20 Cavallerieschwadronen, eine
Jnfanteriebrigade wurden auf dem Wege vom Elysse nach
dem Rennplatz von Longchamps ausgestellt. 1200 Berittene
der republikanischen Garde und 100 berittene Gendarmen
unterstützten sie. Es war streng verboten, die Rennbahn
zu überschreiten. Der Polizeipräfekt hatte bestimmte
Weisungen für alle möglichen Ruhestörungen ertheilt. Jeder
Versuch einer Kundgebung gegen das Staatsoberhaupt
oder die Regierung sollte sofort streng unterdrückt werden.
Für die Stadt Paris selbst wurden zahlreiche Wach-
mannschaften in Bereitschaft gehalten.
Paris, 10. Juni. Ein Redakteur des Figaro hatte
eine Unterredung mit dem freigclassenen ehemaligen Oberst-
leutnant Picquart. Dieser ist abgespannt, sein Bart
ist grau geworden, seine Haltung gebeugt, doch bewahrt
er seine gute Laune. Auf die Bemerkung, daß Dreyfus
ihm seine Rückkehr nach Frankreich danke, erwiderte Picquart:
„Es ist ei» großer Augenblick für ihn, wenn er diese
Insel verlassen kann, auf der er sterben sollte." Er sprach
ferner die Ansicht aus, daß der Kommandant des „Sfax,"
den er kenne, seinen Gefangenen mit aller Menschlichkeit
behandeln werde. Nach der Verhaftung du Paty de
Clams befragt, erklärte Picquart: „Daran hat man
wohl gethan. Ich habe bemerkt, daß man nach dem vielen
Herumtappen und allen Kämpfen endlich dahin gelangen
werde, das zu thun, was w>r als nothwendig und un-
umgänglich bezeichnet hatten. Als ich das Cherche-Midi
verließ, war ich der festen Ueberzeugung, daß ich nur
einem anderen Platz mache." Es heißt, daß der Wortlaut
des Erkenntnisses in Sachen Picquarts heute bekannt ge-
macht werde.
Afrika. Das Reutersche Bureau meldet aus Capstadt
vom 7. d.: Einem Telegramm aus Bloemfontein
zufolge ist die öffentliche Meinung daselbst zu
Gunsten des Präsidenten Krüger. Der Volksraad des
Oranjefreistaates faßte eine Resolution, in der erklärt wird,
daß die Vorschläge Krügers betreffend das Wahlrecht der
Uitlanders sehr billige seien. Der Vorschlag, alle künftigen
Angelegenheiten einem Schiedsgerichte zu unterbreiten, sei
der beste Weg, den fortwährenden Frieden und das ersehnte
Zusammenwirken in Südafrika zu sichern.
Pretoria, 10. Juni. Der Volksraad von Trans-
vaal sprach seine Zustimmung zu den Vorschlägen des
Präsidenten Krüger betr. das Stimmrecht und das Schieds-
gericht ausmidrichteteandenAusführendenRcckhdas

Kleine Zeitung.
— Arnold Voecklin. Am 6. d. war aus Zürich eine Mel-
dung der Züricher Post über eine neuerliche Erkrankung Arnold
Boecklins telegraphirt worden. Die Franks. Ztg. erhält nun aus
Florenz folgende Zuschrift:
Firenze, 8. Juni.
Als langjähriger Hausarzt Prof. Boecklins ersuche ich die
Redaktion der Frankfurter Zeitung uni Berichtigung der irrtüm-
lichen Mittheilung über eine neuerliche Erkrankung desselben.
Thatsächlich befindet sich Prof. Dr. Arnold Boecklin vollständig
wohl nnd arbeitet fast den ganzen Tag in seinem Atelier.
Hochachtungsvoll
Dr. Edgar Kurz.
— Von der Reise des Kaisers nach Cadinen und speziell
von seinem Aufenthalt in Elbing theilt die Elbinger Ztg. u. A.
Folgendes mit: „Der Kaiser war sehr gut aufgelegt und erzählte
von der Kreuz- und Querfahrt nach dem Elbinger Bahnhof: „Da
sieht man die Bahn dicht vor sich liegen und dennoch kommt man
nicht zum Ende. Immer geht die Fahrt im Zickzack hin und
her." Als er den Oberbaurath Koch erblickte, lagte der Kaiser
scherzend: „Na, Herr Obereisenbahndirigent, machen Sie es man
nicht so, wie cs mir vor einiger Zeit erging. Wir waren im
Eisenbahnzug beim Essen Mir gegenüber sah mein Adjutant,
der ein Paar große Stiefel mit dicken schweren Sohlen anhatte.
Auf einmal gab es einen Ruck und mein Adjutant war ver-
schwunden. Dafür hatte ich aber ein Paar mächtige Stiefelsohlen
auf dem Tisch. Eulenburgs Teller flog in die Höhe, überschlug
sich und fiel direkt auf meinen Teller, so daß ich nunmehr zwei
Koteletts hatte. Mein Essen blieb im Ucbrigen vom Ungemach
verschont. Neben mir schwebten zwei Beine in der Luft, und wie
ich genauer hinsah, war es ein Diener, der gerade Kartoffeln und
Erbsen serviren wollte und mit dem ganzen Tablett kopfüber
hingestürzt war. (Der Kaiser markirle das Umfallen mit seinem
Stocke, es handelte sich augenscheinlich um den Unfall des Hof-
zuges in Sachsen.) Natürlich war von dem ganzen Porzellan
auch nicht ein Teller ganz geblieben." Ueber diesen Vorfall mußte
der Kaiser recht tüchtig lachen, und die originelle Art, in der er
ihn zum Besten gab, steckte unwillkürlich die Umstehenden an, die
in die Heiterkeit miteinstimmteu."
— Bismarckfeier der Studentenschaft Auf dem Vertreter-
tag, der im Herbst vorigen Jahres die Abgesandten sämmtlicher
deutschen Hochschulen vereinigte, war einmüthig beschlossen worden,
den Tag der Sommersonnenwende, den 21. Juni, als Bismarck-

gedenklag einzuführen. Von allen Höhen sollten weithin leuchtende
Feuer mit ihrer Flammenschrift den deutschen Mann, das deutsche
Haus erinnern, von neuem auf's innigste des großen Kanzlers
zu gedenken. — In diesem Jahre soll diese studentische Feier zum
ersten Male stattfinden und allerorts werden schon umfassende
Vorbereitungen getroffen, Fackelzüge und Kommerse geplant. Die
Studentenschaft der Technischen Hochschule in Hannover gedenkt
diese Feier hesonders glanzvoll zu begehen durch ein Bismarck-
festspiel, verfaßt von dem auf dem Gehiete patriotischer
Dichtung bekannten und bewährten Hofbuchhändler Adolf Kiepert,
welches an vier Abenden, vom 16. bis IS. Juni, im Königlichen
Hoftheater in Hannover zur Aufführung gelangen soll. Die
Bilder des Festspiels, die bedeutende Momente aus dem Leben
des dahingegangenen Fürsten behandeln, werden von 200 Stu-
direnden und Damen der hannoverschen Gesellschaft dargestellt,
den Entwurf und die Gruppirung der Bilher hat der Maler
Professor Ernst Jordan übernommen, die Regie oanä. arok. Hans
Waag. Der Reinertrag wird der Bismarcksäule für Hannover
zu Gute kommen.
— Ein Wunder moderner Technik. Am Freitag ist die
Eisenbahnbrücke der Oberhessischen Bahn über die Kinzig bei
Gelnhausen innerhalb einer Zwischenpause von nur zwei Stunden
zwischen zwei verkehrenden fahrplanmäßigen Zügen vollständig
ausgewcchselt, d. h. eine neue konstruirte Brücke an Stelle der
alten ungenügenden Brücke gesetzt worden, sodaß nicht die ge-
ringste Verkehrsstörung im Betriebe eintrat. Die Ausführung
dieser Aufgabe hatte eine große Menschenmenge aus Nah und
Fern herbeigelockt, u. a. waren auch 60 Studirende der Techni-
schen Hochschule in Darmstadt, mehrere Professoren, viele Höhere
Eisenbahnbeamte re. zugegen. Ausgeführt wurde das moderne
Kunststück, welches an amerikanische Muster erinnert, von der
Firma C. H. Jucho in Dortmund, deren Chef persönlich an-
wesend war. Die Brücke ist 33 Meter lang. Die alte war mit
der neuen verkoppelt. Nach Passiren des Zuges um halb 1 Uhr
wurde sofort mit den Arbeiten begonnen nnd in zwölf Minuten
war die Auswechslung vollständig beendet, die alte war fort und
es stand an ihrem Platze die neue stärkere, besser konstruirte
Brücke. Nach 45 Minuten waren die sämmtltchen Arbeiten fertig,
die Schienenstränge wieder verbunden und ein Zug hätte die
Linie wieder passiren können. Alle Anwesenden, die Sachver-
ständigen nicht ausgeschlossen, waren geradezu verblüfft, so schnell
ging die Ausführung, welche von Ingenieur O. Jöster bei Jucho
geleitet wurde, von statten,

Ersuchen, alsbald eine Vorlage über den Gegenstand ein-
zubringen. Krüger erklärte, er werde, wenn möglich, am
Montag einen entsprechenden Entwurf dem Volksraad
vorlegen. ^_
Aus Stadt und Land.
Heidelberg. 12. Juni.
Vismarckgedenkfeier. Der Studentenschaft theilt der studen-
tische Bismarckausschuß mit, daß er den Bismarckgedenktag am
21. Juni d. I. durch eine Gedächtnißfeier (6 b. o. t.) und durch
einen Fackelzug nach dem Bismarkdenkmal (Anfang 9 ll. o. t.)
zu feiern gedenkt. Das Nähere wird in den nächsten Tagen be-
kannt gegeben werden.
^ 25jiihriges Jubiläum der Heidelberger Volksbant. Die
Heidelberger Volksbank feiert gegenwärtig das Jubiläum ihres
25jährigen Bestehens, und sie hat es so eingerichtet, daß mit
dieser Feier zugleich der 31. Verbandstag der unterbadischen
Kreditgenossenschaften verbunden ist. Die Doppelrolle als Jubi-
larin und Uebernehmerin des Verbandstages stellt an die Volks-
bank weitgehende Ansvrüche in Bezug auf Arbeit und Mittel.
Die Führer und Leiter des Instituts haben sich aber gesagt:
„Wenn Etwas gemacht wird, dann soll cs recht sein." Dement-
svrechend haben sie bei Aufstellung des Programms gehandelt.
Während heute und morgen der Verbandstag im Vordergrund
steht, war der gestrige Abend speziell dem Jubiläum der Volks-
bank gewidmet. Zur Feier desselben wurde ein Bankett in dem
großen Saale des städt. Saalbaues abgehalten. Auf dem Pro-
gramm standen 22 Nummern, so daß das Bankett von
7'/, Uhr his nach Mitternacht dauerte. Es wurden Orchester-
vorträge des Orchestervereins und Choroorträge des Liederkianz
zu Gehör gebracht. Frl. Marie Voit, Herr Zähringer und Herr
Dürr erfreuten die Hörer mit solovorträgen und führten auch
ein Terzett aus dem Nachtlager auf. Die gediegenen künst-
lerischen Leistungen der Herren Dürr und Zähringer sind hier
allgemein bekannt. Frl. Marie Voit besitzt einen hübschen aus-
giebiqen Sopran, die frische Stimme ist kunstgerecht gefchult nnd
die Dame versteht geschmack- und ausdrucksvoll vorzutragen, so
daß sie ebenfalls wärmsten Beifall erntete. In den Kreisen der
am Fest theitnehmendeu Besucher von auswärts wurde die
Vermuthung ausgesprochen, die Vortragenden seien wohl Mit-
glieder einer Opernhühne. Herr Max Dittrich trug einen selbst-
verfaßten Prolog vor, der in schwungvollen Worten die Volks-
bank feierte. Begrüßt wurde die Festversammlung von dem
Vorsitzenden des Aufsichtsraths der Äolksbank, Herrn Voit.
In freundlichen Worten gab derselbe seiner Freude über die
stattliche Zahl der zum Feste Erschienenen Ausdruck, hob hervor,
wie die Volksbank sich aus kleinen Anfängen emporgearbeiret
und wie sie vor Jahren die Gefahr, Schiffvcuch zu leiden, glück-
lich überwunden habe. Mit Genugthuung konstatirte der Redner,
daß die Bank nie auf solcher Höhe gestanden wie jetzt. Sodann
erklärte er, daß man alles ausbieken wolle, um den Gästen in diesen
Tagen einige heitere Stunden zu bereiten und hieß sie alle
herzlich willkommen. Namens des Stadtrathes sprach Herr
Stadtrath Am mann seine Freude darüber aus, daß der Verbands-
tag Heidelberg als Ort der Tagung gewählt habe. Er konstatirte,
daß ein Aufschwung in Handel und Gewerbe erfolgt sei und
daß dieser Aufschwung naturgemäß auch dem Jurereffe an
den Kreditgenossenschaften zugut gekommen sei, die ihren Theil
zur Ermöglichung des Aufschwungs beitragen. So interessirten
sich auch in Heidelberg zahlreiche Kreise für den Genossenschafts-
tag und seine Verhandlungen. Sodann brachte der Redner der
Volksbank die Glückwünsche der Stadl zum Jubiläum dar. Ec
sprach den Wunsch aus, daß die Volksbank unter ihrer bewährten
Leitung noch lauge wachsen, blühen uuo gedeihen möge. Zum
Schluß wünschte er den Berathungen des Verbandstags günstigen
Verlauf. Herr Dr. Ullrich, Mitglied des Verwaltungsrarys
der Volksbank, hielt die Festrede. Er gab in derselben eine Ge-
schichte der Gründung der Bank und ihres Schickmls, das nicht
immer ungetrübt war. Der eigentliche Gründer ist der ver-
storbene Herr Jaco > Lindau, der Grüudungstag der 12. Juni
1874. Von den zehn ersten Aufsichtsrathsmttgtiedern sind nur
noch die Herren Cläß, Schäfer und Franz Popp am Leben;
keiner von ihnen aber gehört der Genossenschaft noch heute an.
In der ersten Zeit wurden schwere Fehler gemacht. Man hakte
ein großes, lheures Personal, arbeitete auf Dividenden hin, so-
daß die Sicherheit der Unternehmungen nicht scharf genug ge-
prüft wurde und vernachlässigte die Dotirung des Reservefonds.
So kam bald eine schlimme Zeit. Schwere Verluste traten ein
und die Frage, ob die Bank liquidiren solle oder müsse, trat auf.
Zum Glück fanden sich Männer von Muth, die in dieser schweren
Zeit den Kopf oben hielten und nicht verzagten. Die Dicectiou
wurde neu bestellt, auch im Aufsichtsrath traten Aenderungen ein.
Durch Energie, zähe Arbeit und strenge Beachtung der Genossen-
schaftsprinzipien ist es nicht nur gelungen, die Bank wieder flott
zu machen, sondern sie hat sich von Jahr zu Jahr kräftiger ent-
wickelt und steht heute angesehen in geregelten und sehr günstigen
Verhältnissen da. Als äußeres Zeichen der Anerkennung für die
beiden Direktoren wurde den Herren Dünkel und Kunz namens
des Vecwaltungsraths je ein schöner silberner Pokal überreicht,
die nachher, mit Champagner gefüllt, die Runde machten. Herl
Dünkel dankte in seines College» und seinem Namen für die
Ehrung und gab das Gelöbniß ab. für die Lank in der gleiches

— Andree und die Berliner Luftschifferabtheiluna. D.'*
durch Vermittlung der anthropologisch-geographischen Gesellscha"
in Stockholm der Oeffentlichkeit übermittelte Kunde von Andrer
giebt den Anstoß zu einer von der Berliner Luftschifferabtheilung
geplanten Dauerballonfahrt Als es bekannt wurde, daß Andrer
die Absicht habe, zu versuchen, mittels Ballons den Nordpol z»
erreichen, wurde ihm aus den Kreisen der Berliner Luftschiffes
abtheilung der Rath ertheilt, doch vorerst eine Dauer-Probefahrt
zu unternehmen, um überhaupt erst festzustellen, wie lange selb
Ballon sich in der Luft erhalten könne. Andree hat diesen zweifeb
los sehr vernünftigen Rath leider nicht befolgt, und deshalb be-
absichtigt die Berliner Luftschifferabtheilnng nun, mit dem Fesseb
ballon der Berliner Gewerbe-Ausstellung den Versuch ihrerseits
auszuführen, um dadurch ein Urtheil zu ermöglichen, wie lange
der Andree'sche Ballon sich voraussichtlich in der Luft erhalte»
hat und wie weit derselbe getrieben worden, bezw. wo er niederge'
gangen sein kann. Freilich ist dieser Versuch nicht ganz gefahrlos-
An der Ausarbeitung des Projektes wird mit dem größten Eise»
gearbeitet. „
— Wien, 9. Juni. Heute starb hier der berühmte Kuü"
Historiker und Aesthetiker des Kunstgewerbes Hofrath Bru»"
Bücher, früherer Direktor des österreichischen Museums. Er w<ü
hochangesehen auch als vornehmer Charakter und unabhängigst
Kritiker. Seine Hauptwerke sind „Geschichte der technischen Künste
und „Kunst im Handwerk". Er war 1826 zu Cöslin in Pommer»
geboren als jüngerer Bruder von Lothar Bücher.
— Christiania, 10. Juni. Das Kronprinzenpaar von Italic»
traf hier ein, um den Herzog der Abruzzen vor seine'
Nordpolfahrt zu begrüßen. Das Kronprinzenpaar beabsichtig''
bis an die Grenze des Eismeeres den Herzog zu begleiten, »1.
später Spitzbergen zu besuchen. König Oskar hat befohlen, dlst
die Festung und die Forts von Christiania die „Stella Polare
mit dem Herzog der Abruzzen an Bord bei ihrer Abfahrt feie»
lichst salutiren.
— Madrid, 10. Juni. Der gestrige Hagelschlag richte,
für viele Millionen Schaden an. Noch jetzt liegen die Stravfl
einen halben Meter hoch mit Haufen von Eis. Die Faeaden d»
Häuser sind wie bombardirt, gelöchert und abgebröckelt. A',
Pferde- und die elektrische Bahn circuliren noch nicht miede'
Man zählt Hunderte von Verwundeten. Das Dorf San PedA
in Valladolid wurde durch eine Wasserhose überschwemmt;
Häuser sind zerstört. Es sind bereits 10 Leichen aus dem Schlad^
herausgezogen.
 
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