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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 40 - No. 52 (1. April - 29. April)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

* 51.

Sonntag, den 26. April

1868.

Das Schloß an der Weſer.
Eine wahrhafte Geſchichte von Eliſe Polko.
(Fortſetzung.) *

Gertrud ſah dieſe Liebe zwiſchen Vater und Elſe
mit neidloſer Freude. Sie ſelbſt ſchloß ſich deſto
inniger der Mutter an, in ihrer ſtillen, ruhigen
Weiſe; ſie gehörte nun einmal zu jenen Naturen,
von denen man zu ſagen pflegt: „Sie können ihr
Empfinden nicht zeigen!“ Nur ihrer Schweſter
gegenüber verrieth ſich zuweilen ihr Gefühl — die
hingebendſte Liebe leuchtete aus ihren Augen bei
jedem Blick, den ſie auf Elſe haftete. Die ganze

einfache Familie galt als ein Muſter von Eintracht,

Fleiß und Tüchtigkeit im ganzen Städtchen, man
achtete Vater und Mutter, liebte die blonde Gertrud
und bewunderte die „Prinzeſſin.“
Es war im Roſenmonat, als man Elſe's fünf-
zehnten Geburtstag feierte. Das Mädchen hatte
dem Vater einen Tag der Freiheit abgeſchmeichelt,
ſie bat, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang,
Alles nach Belieben thun und laſſen zu dürfen.
Und Gertrud mußte mit toll und fröhlich ſein, da
half kein Widerſtreben. Das war denn auch ein
toller Tag. Als Prinzeſſinnen wollten ſie den ehe-
maligen Geſpielen empfangen, der geſtern zum Be-
ſuch von der Univerſität heimgekehrt. Den Schlüſſel
zu jenem Kaſten von verſchollener Gewänder, oben
in der Kammer auf dem Boden des Schloſſes, hatte
der Vater hergeben müſſen — welche wunderlichen
Herrlichteiten kamen da zu Tage! Und ſo ſehr
Gertrud ſich ſträubte, ſie mußte ein lang ſchleppen-
des blaues Kleid anziehen mit ſteifem Mieder und
mächtiger vergilbter Halskrauſe, von deren tiefen
Falten ſich der ſanfte Kopf gar zu wunderlich ab-
hob. „Du ſiehſt aus, wie ich mir die heilige Eli-
ſabeth von Thüringen denke,“ ſagte Elſe. Sie ſelber
warf voller Erregung mit zitternden Händen ein
roſenfarbenes Gewand über, von fremdartigem
Schnitt, mit goldenem Saum, und befeſtigte einen
goldenen Reif um ihre Stirn. Wer hatte es wohl
geträgen? Wie Moderduft ſchlug es ihr entgegen
aus den Falten. Kalt legte ſich die Seide an die
runden Schultern und die Adern der ſchönen Hände
liefen ein wenig an, ſo eng preßte der Aermel den
ſchönen Arm. ö ö

Solche Mummerei war in dem Schloſſe noch
nie geſehen worden; die Mägde ſchlugen die Hände
über dem Kopfe zuſammen, die Mutter zog ein wenig
die Stirn kraus über ſo viel Zeitverſchwendung und
nur der Vater lächelte und meinte, die Elſe gleiche
zum Erſchrecken in dem fremden Gewande jener
böſen Hexe, die den armen Chorherrn in's Ver-
derben gelockt. Er habe einmal ein Bild von ihr
bei dem Beſitzer des weißen Landhauſes geſehen,
wo ſie genau ſo ſchöne Kleider getragen und eine
Goldkrone über der Stirn. Und die Hexe ſei über-
haupt ein vornehmes Fräulein geweſen aus fernen
fremden Landen. O, wie die Elſe da an die ſchöne
Iſabella dachte und heimlich ihr Alraunchen her-
vorzog und die rothe Hagebutte küßte!
Aber wie unerträglich lange diesmal der Werner
blieb, den man in der Lindenlaube erwartete. End-
lich kam er und mit ihm die Mutter.
„Wo ſind die Mädchen!“ ö
„Suche ſie Dir!“ ſagte der Amtmann und der
angehende Student war mit einem Satz die Stufen
hinabgeſprungen, um den Weg zum Lieblingsplätz-
chen Elſe's einzuſchlagen. Er trat in die Laube.
Ein leichter Schrei entfloh ſeinen Lippen, er blieb
wie erſtarrt ſtehen. Da flog eine Roſe zu ihm
hin — und Elſe's Stimme, wie ſie ein: „Willkom-
men!“ rief, traf ſein Ohr. Er hob die Blume auf,
beide Hände ſtreckte er Elſe entgegen, ſein Geſicht
glühte vor Erregung und Entzücken. Aber es war

Gertrud's Hand, die jetzt die ſeine ergriff. Nun

erſt ſchien er auch ſie zu ſehen. „Aber Gertrud —
um Gottes willen — welch' ein Aufzug — wie
ſiehſt Du aus — wie konnteſt Du Dich ſo ent-
ſtellen!“
Sie ſah ihn erſchreckt und verwirrt an, ihre
Augen füllten ſich mit Thränen. Vater und Mutter
traten mit der Pfarrerin in demſelben Moment in
die Laube. ö ö ö
„Was ſagſt Du zu der to llen Hexe, Werner?“
fragte der Amtmann.
„O, ſie ſieht aus, als dürfe ſie nie andere
Kleider tragen,“ rief er verwirrt.
„Nein, ich ſehe ſie doch lieber in ihrem ſchlich-

ten Alltagskleide, obgleich ſie mit ihrem blonden

Haar recht wie ein Ritterfräulein ausſieht,“ be-
merkte die Pfarrerin. ö ö
„Meinſt Du die Gertrud, Mutter? Ich hätte
 
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