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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 78 - No. 91 (1. Juli - 31. Juli)
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Heidelberger Lamilienblätter.

Belletriſtiſ

che Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 89.

Sonntag, den 26. Julii

1868.

Die Entſtehung der badiſchen Ver-
faſſung. ö
(Schluß.)
Die wichtigſten Rechte, welche darin der Bevöͤl⸗
kerung zugeſichert waren, beſtanden in Gleichheit
der Rechte der dreiſchriſtlichen Confefſionen; Gleich-
heit aller Stände — mit Ausnahme der Standes-
herren — gegenüber der Militärdienſtpflicht; gleiche
Verbindlichkeit, zu den allgemeinen Staatslaſten bei-

zutragen; gleiche Berechtigung aller Unterthanen zu

allen Staatsämtern mit Ausnahme der Hofämter;
unbedingtes und koſtenfreies Recht des Wegzuges;
in dem erſten Marſchall'ſchen Entwurf auch noch
Preßfreiheit. Ferner war darin ausgeſprochen, daß
das Kirchenvermögen auf keine Weiſe ſeiner Be-
ſtimmung entzogen werden könne, daß die Ablöſung
der hier und da noch laſtenden Leibeigenſchaftsge-
fälle nicht verſagt werden dürfe. In bürgerlichen
Rechtsſachen ſollten alle Erkenntniſſe von den or-
dentlichen Gerichten ergehen; in Kriminalſachen kein
Unterthan ſeinem ordentlichen Richter entzogen wer-
den; Marſchall wollte ſogar die Unabſetzbarkeit
der Gerichtsglieder höherer Inſtanzen ausgeſprochen
ſehen; in Privatrechtsverhältniſſen ſollte der Fiskus
bei den Gerichtshöfen Recht nehmen; Competenz-
conflikte zwiſchen Gerichten und Verwaltungsſtellen
ſollte die oberſte Staatsbehörde erledigen; die Lage

der Staatsdiener endlich durch ein beſonderes Geſetz.

geſichert werden. So geartet waren die Entwürfe,‚
welche im April 1848 der Commiſſion für Bun-
desangelegenheiten vorgelegt worden waren. Sie be-

gann ſofort ihre Berathungen über den hochwichti-

gen Gegenſtand.
Die Verfaſſungsurkunde, welche aus dieſen Be-
rathungen hervorging, an denen außer den ſchon
genannten Commiſſionsmitgliedern auch noch die
Miniſter Sensburg und Schäffer und der General
von Tettenborn, etliche Male der Großherzog ſelbſt
Theil nahmen, der eigenhändig einige Aenderungen
in dem Concept anbrachte, war von dem Finanzrath
Nebenius verfaßt. ö

Seit geraumer Zeit hatte dieſer ausgezeichnete

Mann ſich damit beſchäftigt, eine genaue Kenntniß
der Verfaſſungen aller Länder zu erwerben und die
nanderswo bewährten Einrichtungen den Verhält-
niſſen ſeines Heimathlandes anzupaſſen. Keine der
vielen Conſtitutionen — ſagt er ſelbſt in einem

Brief an den Herrn v. Reizenſtein — die ſeit vie-
len Jahren erſchienen ſind, kein gutes Buch über
dieſe Materie, das in einer ihm bekannten Sprache

geſchrieben war, inſofern er ſie nur aufzutreiben

wußte, ließ er ungeleſen. ö
Die guten Beſtandtheile des zweiten von Sens-
burg vorgelegten Entwurfs ſtammen von Nebenius
her und waren dann nur von ſeinem vorgeſetzten
Miniſter, der den ganzen Entwurf für ſeine Arbe it.
ausgab, mit eigenen Gedanken und Tendenzen ver-
ballhornt. ö ö
Erſt als die Aufgabe, eine Verfaſſung auszu-
arbeiten, dem Comite für Bundesangelegenheiten
zugewieſen wurde, trat der beſcheidene und bisher
überall zurückgeſetzte Mann offen als Verfaſſer der
wichtigen Urkunde auf und wurde vom Großherzog
zum Referenten ernannt. ö
Officiell iſt übrigens, ſo viel ich weiß, ſeine
Autorſchaft dem Lande niemals bekannt gemacht
worden. Von den jetzt Lebenden kennen nur We-
nige dieſes ſein unvergängliches Verdienſt um Baden,
das gewiß, ſo gut als die Leiſtungen ſeines Freun-
des Winter, eines Denkmals würdig wäre. Die
Einen wollten ihm nur die Bearbeitung der finan-
ziellen Fragen zuerkennen, Andere nur die äußer-
liche Redaction, während in der That Nebenius der
ganze fertige und (wie er ſelbſt ſagt) nach reifem
Ueberlegen, Erwägen und Debattiren ſowohl an
Form als Inhalt mit nur wenigen unbedeutenden
Abänderungen, angenommene Entwurf angehört.
Von wichtigeren Punkten war nur der § 59, der
die Domänenfrage regelte, gegen ſeinen Vorſchlag
entſchieden worden.
Als der Großherzog in der ruhigen Zurückge-
zogenheit des Schwarzwaldbades Griesbach Linde-
rung für ſeine Leiden ſuchte, waren die Arbeiten
des Comite's noch nicht völlig beendet. Dex kranke
Herr hat dort noch mehreren Berathungen deſſelben
angewohnt und endlich am 22. Auguſt 1818 die
Urkunde unterſchrieben. ö ö
Ein lauter Ruf des Jubels tönte durch das
Land, als im Regierungsblatt die Verkündigung
dieſes Grundgeſetzes erfolgte.
Allenthalben wurden Feſte veranſtaltet und
Dankadreſſen unterzeichnet, die in ſtattlicher Reihe
noch immer einliefen, als der kranke Fürſt Gries-
bach verlaſſen und nachdem der raſch gefaßte Plan,
im ſüdlichen Frankreich Geneſung zu ſuchen, eben
 
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