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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
No. 11 - No. 20 (13.Januar - 24. Januar )
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https://doi.org/10.11588/diglit.43990#0067

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MMr-WIeÜum

Verkündigrmgsblatt und Anzeiger

M is

HeideLherg, Mittwoch, 18. Januar

1893

Die „Bürgerzeitung"
erscheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummer liegt ein Unter-
haltungsblatt, „Ter Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei

Abonnementspreis
für Heidelberg: monatl. 40 Pfg. mit
Trägerlohn, durch die Post bezogen
Vierteljahr!. Mk. 1.— ohne Zustcllgeb.
Lnsertionrpreis: 10 Pf. für die l-spali.
Petitzeilc od. deren Raum. Für locale
Geschäfts- u. Privatanzeü. - 5 W'>



Englische HLr^LHeiL'e.
Die Rede des Grafen Caprivi welche'- wir am Samstag
Erwähnung thaten, findet in den englischen Tagesblättern
große Beachtung. Nach der „Morning Post"hat bei der
gegenwärtigen Lage der Politik auf dem Eontinent die
öffentliche Kundgebung des deutschen Reichskanzlers An-
spruch auf das höchste Interesse- Die Discussionen über
die Heeresvorlage im deutschen Reichstage träfen merk-
würdigerweise mit einer Lage in Frankreich zusammen,
für welche man schwer eine Parallele finden könne.
Ist Deutschland sei die Stimmung im Allgemeinen
eine so sricdliche, daß man bier durchaus dem Nach-
barlande eine schnelle Lösung aus seinen Nöthen wünsche,
schon aus dem Grunde, weil aus solchen abnormen Vor-
gängen in Frankreich eher Krieg als Frieden hcrvorgeben
könnte. In der Rede des Kanzlers finde dieser Wunsch
seinen aufrichtigen Ausdruck. Die Staatsmänner müßten
mit den Worten des Grafen Caprivi rechnen, daß Frank-
reich jetzt in „einem Zustande der Gährung" sei, der
dann gefährlich werden könne, wenn ein hervorragender
Mann austritt, der die Vvlksleidenschaften zu entfesseln
versteht. Daher mag es zwar jedem Deutschen hart er-
scheinen, daß die Prämie für die Versicherung des na-
tionalen Lebens des Reiches noch über den gegenwärtigen
Satz hinaus erhöht werden müßte, aber wenn die höchste
militärische Autorität die Erhöhung desselben fordere, so
sei es thöricht, sich dagegen zu wehren.
Nach dem Bericht des Berliner „Daily-News"-Corre-
spondenten, war die Rede des Kanzlers, über deren In-
halt ja verschiedm" Gerüchte im Umlauf sind, friedlich
was Deutschland selbst betrifft, im klebrigen aber doch im
Alarmton gehalten. Wenn die Rede ibren Zweck erreicht
habe, was nach dem Urtheil des Korrespondenten der
Fall sei, werde Europa auf eine Reibe von Jahren hin-
aus wieder Gemüthsruhe genießen. Nach der „Daily
News" ist die Bemerkung des Grafen, daß Rußlands
neuer Weg nach Konstantinopel über Berlin gebt, miß-
verstanden worden. Sie soll weder vorzeitigen Enthu-
siasmus auf der einen Seite noch Beunruhigung auf der
anderen Hervorrufen.
Nach der „Times" zeichnet sich die diesmalige Rede
des Kanzlers von derjenigen, mit der er die Vorlage ein-
brachte, durch größere Bestimmtheit, Festigkeit und Offen-
heit aus. Dinge, die früher in wohlerwogener diplo-
matischer Rede vorgebracht worden, werden jetzt einfach
konstatirt und Schlüsse, die zu machen dem Verständnis
der Bürgerschaft überlassen waren, werden als definitive

Sätze ausgesprochen. Besonderen Werth legt das Blatt
der einCuchtenden Auseinandersetzung des Kanzlers über
die gegenwärtige Lage Frankreichs bei. Auch die „Times"
meint, daß der Bestand der Republik von Deutschland
durchaus gewünscht wird. Aber in den gegenwärtigen
Wirrnissen in Frankreich sehe Graf Caprivi mit Recht
eine Gefabr für die allgemeine Ruhe und insbesondere
diejenige seines Landes. Obgleich die Aussichten nach
Osten bin beruhigender seien als nach Westen, so bestebe
doch zwischen dem russischen und deutschen Volke ein
Haß, der von Gründen nicht beherrscht, plötzlich die
Schranken der Besinnung durchbrechen könne. Außerdem
arbeite Rußland an seiner Ausbildung zur größten
Militärmacht Europas, baue sein wirksames System von
strategischen Eisenbabnen aus und berge stets eine wirk-
same, mächtige Kriegspartei, welche ein deutscher Staats-
mann nie. übersehen darf. Auf das russische Wort, daß
es zwei Wege nach Konstantinopel gebe: einen über Ber-
lin, den andern über Wien, antwortet der Kanzler mit
der klaren Erklärung, daß das Leitprinzip der deutschen
Politik die Erhaltung der österreichisch-ungarischen Mo-
narchie tslls (inello sei, welches nie vorher eine so be-
stimmte und bündige Form gefunden. Auch das sei
richtig, daß Deutschland allen Grund habe, anzunehmen,
daß Dänemark in eine vorbeugende Gegenallianz hinein-
gezogen sein mag. —
Der „Daily Telegrapb begleitet die Rede Caprivi's
u. a. mit folgenden Worten: Es ist gut, daß man
uns ein klares Bild der Gefahren vorgelegt, welche wir
zu vermeiden und der Freundschaften und Bündnisse, die
wir zu suchen haben. Niemand kann sich beklagen, daß
es Bismarck's Nachfolger in dieser Beziehung nicht ge-
glückt sei. Verglichen mit dem ausgeschiedenen Minister
des Aeußern mag es ihm an Finesse und diplomatischer
Geschicklichkeit fehlen, aber er hat dafür die soldatische
Tugend der geraden Sprache, welche für die Sicherheit
des Staates mehr thun mag, als all' die ausgeklügelten
Heimlichkeiten und die staatsmannähnliche Zurückhaltung
eines vergangenen Meisters der kontinentalen Jntrigue.

Deutsches Reich.
Berlin, 14. Jan. Die Steuerkommission des
Abgeordnetenhauses hat die erste Lesung des Gesetzes über
Aufhebung direkter Staatssteuern beendet und das
ganze Gesetz mit einigen geringen, früher bereits be-
richteten Aenderungen angenommen; namentlich ist die
Verpflichtung zur Rückzahlung der Grundsteuerentschädig-

ungen in der Fassung der Regierungsvorlage durchgc-
gangen. Nur ist bei ratenweiser Rückzahlung die Amor-
tisirungsquote herabgesetzt worden. Gegen die vollständige
Aufhebung der Isx Huene protestirte namentlich Herr
v. Zedlitz, aber ohne Erfolg. Dann ging die Kom-
mission zu dem ihr überwiesenen Gesetz über, welches die
Ueberschüsse der Einkommensteuer für Volksschulzwecke
verwenden will. Von konservativer Seite wurde beantragt,
dieses Gesetz abzulehnen, dafür aber etwaige Ueberschüsse
der Vermögenssteuer für Volksschulzwecke zu verwenden.
Gegen diesen Antrag erklärte sich der Finanzministcr.
Zur Abstimmung kam es noch rncht.
Berlin, 15. Jan. Heute Vormittag wurde das
Krönung s- und Ordensfest im königlichen Schlosse
in der herkömmlichen Weise begangen. Dasselbe begann
in den braunschweigischen Kammern mit der Verleihung
der Orden und Ehrenzeichen an die neudekorirten Per-
sönlichkeiten. Um 11^2 Ubr versammelten sich die ak-
tiven Staatsminister im Rittersaale, die königlichen Prinzen
und Prinzessinnen im Kurfürstenzimmer, die Hofstaaten
und das Gefolge in der boisirten Galerie, während alle
anderen zur Feier Geladenen um 12 Uhr in der Schloß-
kapelle zum Gottesdienst anwesend waren. Nachdem im
Rittersgale dem Kaiser und der Kaiserin die neuernann-
ten Ritter und Inhaber von Orden pp., im Königinnen-
Gemach die neudekorirten Damen des Luisenordens und
des Verdienstkreuzes vorgestellt worden waren, begab sich
der - of im geordneten Zuge in die Schloßkapelle zum
Gottesdienste, der von dem Hof- und Domprediger
Vieregge abgehalten wurde. Nach 1 Ubr fand alsdann
im Weißen Saal und den angrenzenden Gemächern die
Galatasel statt, tzu der 800 Einladungen ergangen
waren. Die Tafelmusik gaben die Kapellen des Kaiser
Alcrander-Garde-Grenadier-Regiments und des Garde-
Füsilier-Reaimcnts. Zu Seiten des Kaisers und der
Kaiserin speisten die Prinzen und Prinzessinnen deS
königlichen Hauses. Gegen Ende der Tafel trank der
Kaiser auf das Wohl der alten und der neuernannten
Ritter. Alsdann verließen Kaiser und Kaiserin den
Weißen Saal, um in den inneren Gemächern Cercle
zu halten.
Berlin, 16. Jan. Den Abendblättern zufolge ist
der Kaiser leicht erkältet und konnte deshalb die
Kaiserin zur Beiwohnung der heutigen Gedächtnißfeier
für Werner Siemens nicht begleiten. — Die Steuer-
kommission des Abgeordnetenhauses lehnte
den ihr überwiesenen § 1 des Gesetzes, welches die Ueber-
schüsse der Einkommensteuer als Volksschulfonds verwenden

In schwerem Weröcrcht.
13) Criminal-Novelle
von Reinhold Ortmann.
(Fortsetzung.)
Das junge Mädchen war leise aufgestanden und hatte
sich dem betrübten Mütterchen genähert. Sanft und
schmeichelnd legte sie ihren Arm um den Nacken der alten
Frau und ihre großen blauen Augen schauten liebevoll
flehend in das treue, kummervolle Gesicht.
„Das kann ja Dein Ernst nicht sein, meine liebe, süße
Mama! Du wärest doch nimmermehr im Stande, ein
Stück Geld höber zu achten, als die tiefe, heilige Liebe,
welche zwei junge, warme Menschenherzen erfüllt und an-
einanderfesselt bis in den Tod! „Wo still ein Herz in
Liebe glübt, 0 rühret, rühret nicht daran!" singt der Dichter
so wahr und schön. Wie solltest Du, deren treue Brust
die ganze Welt mit gleicher Liebe umschließt, fähig sein,
die junge, zarte Pflanze zu zerstören und lediglich um
eines nichtigen materiellen Interesses willen das Lebens-
glück Deines Kindes aufs Spiel zu setzen!?"
Die Züge der Greisin verklärten sich bei den warmen
Worten des jungen Mädchens und sie drückte einen innigen
Kuß auf die weiche, rosige Wange, welche sich dicht an
die ihrige geschmiegt.
„Ja, Du hast Recht, mein liebes braves Mädel,
ich würd's doch nimmer über's Herz gebracht haben, wenn
cs auch vielleicht für rns Alle das Beste gewesen wäre.
Nun, der liebe Gott wird meinen Jungen ja wohl nicht
verlassen und ihm nach den trüben Tagen auch Meder

heitere, glückliche Stunden bescheeren! — Doch böre!
— Ist das nicht sein Schritt?"
In der That wurde draußen auf der Treppe ein lang-
sam näher kommender Mannesschritt vernehmbar, bei dessen
müdem," schleppendem Ton Frau Weiß einen neuen Seufzer
nicht unterdrücken konnte, denn sie erinnerte sich noch sehr-
deutlich an die Zeit, wo ihr Sohn stets leicht wie eine
Feder, immer zwei Stufen auf einmal überspringend, die
Treppe hinaufgeflogen war, uni sie mit fröhlichem Gruß
und irgend einem lustigen, auch wohl übcrmütbigen Scherz
in seine Arme zu schließen. Heute war das Alles anders
geworden. Langsam und schwer kam Richard die Treppe
herauf, finster und mit kurzem, kaum vernehmbarem Gruß
trat er in das Zimmer, weder auf seine Mutter, noch auf
seine treue Schwester mehr als einen ganz flüchtigen Seiten-
blick werfend. Ja, er unterließ es sogar zum ersten Mal
in seinem ganzen Leben, den versäumten Morgengruß nach-
zuholen und der Mutter e.nen Kuß kindlicher Liebe auf
die welken Lippen zu drücken. Hastig und schweigend
schritt er auf die Thür zu, welche nach seiner kleinen
Werkstätte führte; aber das überströmende Mutterherz ver-
mochte sich nicht länger zu halten, und noch ehe er den
Tbürgriff in der Hand hatte, hielten ihn ihre Worte
zurück.
„Um Alles in der Welt, Richard, sage mir, wie soll
das noch enden! — Mit jedem Tage wirst Du verdrieß-
licher und schweigsamer. Anstatt uns Dein ganzes Herz
auszuschütten und an Deinen Leiden theilnehmen zu lassen,
behandelst Du mich und Louise einsilbig und unfreund-
lich, und seit heute bin ich Dir sogar nicht einmal mebr
einen Morgengruß werth.

Richard wandte sich um und beugte sich liebevoll auf
das Gesicht der Matrone herab.
„Vergib mir, liebe Mutter. Es ist nicht Lieblosigkeit
gegen Dich und Louise, die mich so wortkarg macht; es
sind nur die trüben, trostlosen Gedanken, die mich Tag
nnd Nacht nicht verlassen wollen. Vergib^ mir und dringe
nicht weiter in mich; ich trage cs am Besten allein."
Damit wandte er sich schnell wieder der Thüre zu
und war im nächsten Augenblicke in ter Werkstätte ver-
schwunden, Mutter und Schwester in einer noch gedrück-
teren Stimmung zurücklassend als zuvor. Der einzige
Grund seines Verschwindens war der Wunsch, die kleine
Wunde, welche er sich bei der Arbeit im Lauenfeld'schen
Palais zugezogcn, so schnell als möglich zu verbinden, ebe
einer von seinen Angehörigen ihrer gewahr und dadurch
vielleicht unuötbig geängstigt wurde. Hastig entledigte er
sich seines Rockes, nahm das mit Blut befleckte Taschen-
tuch vom Arm und legte ein a f ein Stückchen Leinwand
gestrichenes Pflaster auf die ungefährliche Verletzung-
Daun machte er sich daran, die Spitze des Instrumentes,
mit dem er sich verwundet, durch Abschleifen von den
durch das daran haften gebliebene Blut hervorgerufenen
Rostflecken zu reinigen und das Werkzeug mit allen üb-
rigen an seinen Platz zu legen.
Schon während dieser halb mechanisch ausgeführten
Beschäftigungen schienen Richard's Gedanken sich in ganz
anderen Kreisen zu bewegen, als in den Schranken, welche
ihm die vier weißgetünchten Wände seiner Arbeitsstube
setzten und als jetzt auch das letzte Stück seinen rechten
Platz erhalten batte, ließ er sich auf einen der harten Holz-
schemel nieder, stützte den Kopf in die Hand und schaute
 
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