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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 121 - No. 130 (24. Mai - 4. Juni)
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Die,^Nürgerzeit«ng"
erscheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummer liegt ein Unter-
haltungsblatt, „Der Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Ter deutsche
Michel" bei

Verkündigungsblatt und Anzeiger
für Stadt und Land.

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Heidelberg, Donnerstag, 25. Mai

1893.

Expedition:
HauptstratzeLS.

Expedition:
Hauptstraße SK.

Gnechkiilmid in Finanuwiheil.
Sotiropulos, der neue Ministerpräsident und Finanz-
minister Griechenlands schmeichelt sich mit der Hoffnung,
3 8 Millionen Steuerrückstände in die Staats-
kasse zu bringen und damit die dringendsten Ansprüche
der auswärtigen Gläubiger zu befriedigen. Wohl ihm
und den Besitzern griechischer Papiere, wenn dies ge-
lingt; aber wenn man erwägt, daß neben den Serben
die Griechen die lässigsten Steuerzahler sind, daß die Rück-
ständigen auch nicht gerade unter der wohlhabenden Be-
völkerung zu suchen sind, ist ein gewisser Pessimismus
am Platze. Die Athener Versprechungen haben eine große
Aehnlichkeit mit den griechischen Budgetziffern, sie rechnen
nie mit den gegebenen Thatsachen.
Wenn das Vertrauen in die Zukunft von Hellas, in
seine großen Hilfsquellen und die Entwicklung seines
Handels gerechtfertigt wäre, so könnten ja die zahlreichen
griechischen Millionäre im In- und Auslände die bc-
ncthigte Anleihe aus eigenen Mitteln zu Stande bringen;
allerdings dürfen sie dann nicht, wie der Bankier Syn-
gros, der „Wohlthäter des Vaterlandes", der in der letzten
Zeit des Ministeriums Delijannis der Regierung mit
21/2 Millionen unter die Arme griff, Wucher zins en
berechnen. Syngros erhielt, wie wir der „Voss. Ztg."
entnehmen, für dieses Geld, das zur Deckung des vor-
jährigen Aprilcupons gebraucht wurde, zunächst 450 000
Drachmen Spesen, Druckausgaben und Stempelvergütung,
weiter 6 v. H. und Vi pCt. Provision für ein halbes
Jahr. Als Sicherheit wurden ihm 5 Mill. Nominäl-
Obligationen der Bahn Piräus-Larissa überlassen mit dem
Rechte, sie am Verfalltage in London zu veräußern. Für
700000 Drachmen, die Syngros außerdem von der
unter seiner Leitung stehenden Epiro-Thessalischen Bank
vorstreckte, zahlte die Regierung gleichfalls 6 v. H. 'Z
pCt. Provision, hinterlegte aber außerdem den gleichen
Betrag in Noten zum Goldcurs von 140, also 980 000
Dr. Papiergeld bei der Bank, die berechtigt sein sollte,
dieses Geld zum landesüblichen Zinsfüße von 7—8 p.
H. zu verwerthen. In Wahrheit erhielt die Bank der-
art von der eigenen in Noth befindlichen Regierung 13
Procent für ein kleines kurzfristiges Darlehen.
Solche Geschäfte wollte Trikupis nicht machen; daß
sie Sotiropulos nicht erspart bleiben werden, scheint fast
sicher. Die gesammte Staatsschuld Griechenlands
beträgt nach dem Berichte des englischen Commissars Law
749 638 351 Dr., wovon auf die schwebende Schuld 138
Mill, und auf die Notenausgabe für Rechnung der Re-
gierung 87,8 Mill, entfallen. Das Hausübel, an dem
die griechischen Finanzen leiden, liegt zum großen Theil
in den bedeutenden Fehlbeträgen, welche die griechi-
schen Budgets ausweisen. In dem Zeitraum von 1882

Are Irrfahrt des Kobens.
Roman von C. Wild.
3,2 18ci (Fortsetzung.)
Frau von Dahlen hob den Arni, als ob sie zum Schlage
vusheben wollte, aber sie ließ ihn wieder sinken — ein finsterer
Blick streifte den ungehorsamen Sohn.
„Ich dagegen schwöre Dir," sagte sie mit starker Stimme,
, daß Du Melitta von Molitor nie Dein eigen nennen wirst.
Ich habe mitJhrem Vater gesprochen, er ist gegen eine Ver-
bindung mit Dir so wie ich. Auch er hat andere Verfügungen
über sein Kind getroffen und wird alles daran setzen, Eure
Vereinigung zu verhindern. Melitta ist Dir so wie so ver-
loren."
Ein Zucken ging über das bleiche Gesicht des jungen
Mannes, aber er antwortete nicht.
Mit einer gebietcrffchen Bewegung wies Frau vouDahlen
vach der Thür. „Geh," sagte sie, „morgen verlobst Du Dich
mit Alma von Minden."
Sie. sah nicht oder wollte es nicht sehen, wie bei ihren
fetzten Worten ein ganz eigener Ausdruck in den Zügen ihres
SvhueS sichtbar ward — man konnte nicht sagen, daß es
Trotz war und doch sprach sich in diesem jungen, schönen
Gesichte ein fester, unerschütterlicher Entschluß aus.
Georgine folgte ihm mit den Blicken, wie er ruhig und
schweigend hinausging; ein unbehagliches Gefühl beschlich
sie —sie halte die Empfindung, als sei ihre Macht über den
Sohn soeben in Trümmer gegangen.
Frau von Dahlen verbrachte den Rest des Abends allein
m ihrem Zim wer; sic bedurfte der Sammlung, um ihre
gewohnte stolze Haltung zu bewahren.
, Sie hatte eine elende Nacht und erst der Morgen brachte
chr sür einige Stunden Schlaf und Erquickung.
Als sie erwachte, war es schon ziemlich spät geworden;
vrau Georgine machte eiligst ihre Toilette und ließ ihren

bis 1891 konnte nur einmal im Jahre 1887 ein Neber-
schuß von 6,72 Mill, ausgewiesen werden, während die
übrigen Jahre mit Fehlbeträgen von 9,26, 22,6, 28,0,
28,4, 6,9, 2,2, 10,2 und 2,7 Mill, schlossen. Ver-
letzte Voranschlag, der vom Ministerium Trikupis für das
Jahr 1893 vorgelegt wurde, schließt allerdings mit einem
Ueberschusse von 6 Mill. Dr., nach der scharfen Kritik
jedoch, die der Abgeordnete Eftarias (der gegenwärtige
Kultusminister) Ende Januar in der griechischen Kammer
an dem Voranschlag übte, sind die Einnahmen um rund
3 Mill, zu hoch, die Ausgaben um rund 20 Mill, zu
niedrig veranschlagt, sodaß auf einen Fehlbetrag von 23
Mill, gerechnet werden müsse. Der Agioverlust, der in
dem Staatsvoranschlage mit 8,7 Mill, beziffert wird, er-
höht sich nach Eftarias bei einem voraussichtlichen Curse
von 60 v. H. bereits auf 14,5 Mill-, wodurch dieser
Posten allein eine Erhöhung von 5,8 Mill, erzieht.
Die Finanzlage, die das neue Ministerium über-
nommen hat, ist also trostlos und selbst das Eingehen
von 38 Mill. Steuerrückständen könnte nur über die
Noth des Augenblicks hinweghelfen. Zu einschneidenden
Hilfsmitteln, wie bedeutender Steuererhöhung und Ein-
führung des verhaßten Tabakmonopols ist schwerlich eine
griechische Volksvertretung zu haben; die Herabsetzung der
Militärausgaben auf ein Drittel und Einstellung aller
Schiffsbauten sür die Marine will aber der König und
der Kronprinz nicht, — so bleibt sür das Ministerium
kein Ausweg aus der Sackgasse. Und doch müssen diese
Maßregeln getroffen werden, wenn Griechenland den
Staatsbankerott vermeiden will. Einer auswärtigenKontrole
wirb es auf die Dauer so wenig entgehen, wie ihr die
Türkei und Aegypten entgangen sind.

Deutsches Reich.
Berlin, 23. Mai. Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt:
„Die BWermeldung, der Kaiser werde als Bundes-
feldherr kurz vor den Wahlen in einer besonderen Kund-
gebung an das deutsche Volk sich wenden, entbehrt
der Begründung."
Berlin, 23. Mai. Die „Nordd. Allg. Ztg." ver-
öffentlicht folgendes Telegramm des Prinzen He rm a nn
von Sachsen-Weimar an den Kaiser: „Der
kaiserlichen Majestät, dem obersten Kriegsherrn, huldigen
die in Eßlingen zum Bundestag versammelten 8000
Kameraden des württembergischen Kriegerbundes mit ehr-
furchtsvollem Gruß und dem Ausdrucke treuester Hin-
gebung für Kaiser, Reich, König und Vaterland."
Hierauf antwortete der Kaiser sofort, er sei hocherfrent
durch den Huldigungsgruß und spreche dem württem-
bergischen Kriegerbunde für den Ausdruck der Treue und
Hingebung für Kaiser und Reich seinen herzlichsten Dank aus.

Sohn rufen, sie hoffte ihn jetzt anderen Sinnes zu finden.
— Es dauerte ziemlich lauge, ehe man ihr Botschaft brachte,
der junge Herr sei nirgends zn finden — sein Bett sei über
Nacht unberührt geblieben.
Frau von Dahlen ward todteublaß, sic ließ sofort an-
spanuen und fnhr zur Rosenvilla. Was sie bei Molitor
wollte, wußte sic wohl selbst kaum; welcher Zweck sie eben
auch zur Roscnvilla geführt, sie erreichte ihre Absicht nicht,
denn das Haus war öde und verschlossen, die Bewohner des-
selben hatten es verlassen.
Frau von Dahlen stieß einen Schrei des Einsetzens aus;
sic rüttelte mit wahnsinniger Hast an allen Thürcn, keine
wollte sich öffnen. Es war nur zu klar, Herr von Molitor
hatte mit seiner Tochter die Gegend verlassen. Aber ihr
Sohn Walter, was war aus ihm geworden? Hatte er sich
ihnen angeschlvssen, war er geflohen, bloß nm nicht die ihm
verhaßte Heirath schließen zu müssen — ach ja — so war es,
gewiß, es konnte nicht anders sein!
Mit der Angst eines Ertrinkenden klammerte sich Geor-
gine an diesen Gedanken — Walter hatte sie nur schrecken
Wollen — in zwei bis drei Tagen kam er wieder zurück, und
daun wollte sie sich auch nachgiebig zeigen und den Plan
einer Verbindung mit Fräulein von Minden aufgeben, nur
Melitta von Molitor durfte nie die Seine werden.
Georgine ging einige Male hin und her, ehe sie daran
dachte, zu ihrem Wagen zurückzukehren; vor ihrer Diener-
schaft wollte sie ruhig erscheinen, nichts durfte den Sturm
verrathen, der in ihrer Seele tobte. Es dauerte jedoch ge-
raume Zeit, ehe sie in der Verfassung war, sich mit der ge-
wohnten Gelassenheit ihrer Dienerschaft zn zeigen. Sie fuhr
nach Hause, mit der heimlichen, kaum eingestandenen Hoff-
nung, Walter schon daheim zu finden.
Doch diese Hoffnung erwies sich als trügerisch.
Frau von Dahsen "schloß sich in ihr Zimmer ein und
blieb den ganzen Tag über für alle unsichtbar. Die stolze

Berlin, 23. Mai. Der „Reichsanz." schreibt, gegen-
über den Blättermeldungen, daß zur Deckung der Kosten der
Militärvorlage eine stärkere Belastung des
Tabaks oder die Einführung der Branntweinmonopols
geplant sei, schon der bisherige Verlauf der Angelegen-
heit beweise, daß diese Behauptungen auf Combinationen
beruhen und nicht zum geringsten Theile zur Beun-
ruhigung der betheiligten Kreise erfunden seien. Bis
jetzt mangle es an verläßlichen Anzeichen, daß andere
Steuerpläne ein größeres Entgegenkommen als die Er-
höhung der Branntweinsteuer fänden. Bis jetzt hätten
nur Pläne einer wirksameren Besteuerung des Lurus Aus-
sicht, näher in Betracht gezogen zu werden.
Bredow, 23. Mai. Der Kaiser hat an die Ge-
sellschaft „Vulkan" nachfolgendes Telegramm gerichtet:
„Nachdem mir gemeldet ist, daß die Probefahrten meiner
Nacht „Hohenzollern" abgeschlossen sind und das Schiff
in jeder Hinsicht bei tadellos arbeitenden Maschinen die
bisher fast unerreichte Schnelligkeit von 22 Meilen ge-
laufen habe, nehme ich keinen Anstand, dem „Vulkan"
meine Anerkennung und meinen königlichen Dank für
seine hervorragende Leistung auszusprechen. Meine
Marine sowohl wie ich persönlich sind dadurch in den
Besitz des augenblicklich schnellsten Schiffes in Europa
gekommen. Ein neuer Triumph der altbewährten
Leistungen des „Vulkan" und überhaupt des deutschen
Schiffbauwesens. Wilhelm."
Frankreich.
Paris, 23. Mai. Das Schwurgericht bat heute
Alton in oontuiunoiain zu 20 Jahren Zwangs-
arbeit wegen Entwendung von Geldern der Dynamit-
gesellschaft verurtheilt. Außerdem wurde Arton zum Ver-
lust der bürgerlichen Ehrenrechte auf 20 Jahre und zu
500000 Franken Strafe wegen Bestechung des ehe-
maligen Deputaten Sans-Leroy verurtbeilt.
Italien.
Rom, 23. Mai. Man erwartet heute die amtliche
Bestätigung der Lösung der Mi n isterkri s i s. Gio-
litti wird sich mit demselben Cabinet wieder verstellen,
nachdem es dem Senat gegenüber durch die Verleihung
der Finanzen anGagliardo und der Justiz an Eula,
die beiden jener Körperschaft angehören, gestärkt sein wird.
Damit erscheint das Dasein das CabinetL so lange ge-
sichert, als die Ordnung der Budget- und der Bankfrage
noch schwebt.
Rom, 23. Mai. Die Lösung der Krisis gilt für
nahe bevorstehend. Man versichert, außer Bonacci be-
halten auch andere Minister ihre bisherigen Portefeuilles.
Neu ernannt wurden der Justizminister und der definitive
Inhaber des Finanzministeriums, welches bisher interi-
mistisch vom Staatsminister mitverwaltet wurde. Die

Frau litt Höllenqualen, die Ungewißheit, was aus ihrem
Sohne geworden, war ihr ärger als der Tod, aber sie Wt
allein und schweigend — am Wenigsten aber durfte der Gatte
erfahren, was in ihrem Innern vorging.
Drei pcinvolle Tage und Nächte verflossen, dann kam ein
Brief von Walter. Er schrieb an seine Mutter, daß Melitta
von Molitor sein Weib geworden und bat, sie möge ihm
diesen eigenmächtigen Schritt verzeihen, er wünsche nichts
sehnlicher , als ihre Vergebung zn erlangen nnd ihr seine
junge Gattin als Tochter zuführen zu können. Die Wirk-
ung dieses Briefes auf die stolze Frau war eine schreckliche.
Eine Minute lang stand sie wie zu Stein erstarrt, dann stieß
sie einen rauhen, Heisern Schrei aus und siel der Länge nach
auf den Bodeu hin.
Halb besinnungslos lag sie da, eine Beute der heftigsten
Aufregung und es' doch nicht wagend, dieser freien Lauf zu
lassen. Frau von Dahlen war in diesem Punkte sehr vor-
sichtig ; Wände und Thürcn haben Ohren und sie wollte vor
ihrer Dienerschaft keine menschliche Schwäche zeigen. Kein
Mensch sollte wissen, daß sic auch weinen konnte, und mit
übernatürlicher Anstrengung unterdrückte Georgine das heiße
Schluchzen, das aus ihrer gequälten Brust hcraufstieg, um
sich über ihre Lippen Bahn zu brechen.
Wie eine vom Blitz gefällte Eiche lag das herrische Weib
am Boden, ängstlich bemüht, jeden Laut zu unterdrücken, der
ihren Schmerz verrathen konnte.
Endlich fand Georgine soviel Kraft, um sich emporzu-
richten ; todesmatt ließ sie sich auf einen Divan gleiten.
In diesem Momente hatte sie ihre ganze stolze Schön-
heit verloren, ein müdes, gebeugtes, gebrochenes Weib saß
sie da. „Das ist die Vergeltung," flüsterte sie, unwillkürlich
die Hände faltend. „Das ift die Vergeltung für all die Schuld,
die ich einst aus mich geladen, daß mich die strafende Hand
so schwer treffen mußte — so schwer und in meinen eigenen
Kindern — wenn Dahlen je eine Ahnung von allem hätte,
 
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