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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 91 - No. 100 (19. April - 29. April)
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BerkLndignngsblatt und Anzeiger

. Die,^Sürgerzeitung"
'^Nnr täglich mit Ausnahme vok
> Sonn- und Feiertagen.
M Sonntagsnummer liegt ein Untcr-
?ltungsblatt, „Der Erzähler", mit dem
"*>or. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei.

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vierteljährl. Mk. t — ohne Zustellgeb.
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Petitzeile od. deren Raum. Für locale
Geschäfts- u. Privatanzcigen 5 Pf.

SS.

Expedition:
Hauptstraße 25.

und
zum

Vorrecht der Einjährig-Fniwilligr«.
Mit der Zeit werden sogar konservative vernünftig.
Ms beweist diesmal ein Artikel der streng conscrvativen
^renzbotcn", der sich mit den Einjahrig-Freiwilligen be-
lästigt und ganz vernünftige Ansichten zu Tage fördert,
ist bekannt, daß eine der Hauptforderungen der
Atzungen der Volkspartei die Abschaffung der Einjährig-
Miwilligen ist, umsomehr fällt es auf, daß sich auch der
"dservative Grenzbotenmann zu gleicher Ansicht bekehrte.
Im Anfänge des Aufsatzes wird ganz richtig hervor-
hoben, daß es eine große „Willkür" sei, die Dauer der
.Manschen Ausbildung von einer Menge zufammenhang-
her Schulkenntnisse abhängig zu machen", um so mehr,
? schon die unfertige Secundanerbildung hinreiche, um
Pn jungen Mann zum Einjährigen zu machen. Der
Mfasser verbreitet sich dann mit großer Offenheit über
h Schäden dieser theils in der „Militärpresse", theils
geduldiges Absitzen auf der Lank des Gymnasiums
der Realschule erworbenen Halbbildung und weist
M die zahlreichen Fälle von Unwissenheit unter den
Pjährig-Freiwilligen hin, die oft so haarsträubend
Mu, daß sich ihrer ein jeder Junge aus der ersten Classe
Volksschule schämen würde.
.. Mit dieser Halbbildung Hand in Hand geht dann,
M der Verfasser richtig bemerkt, die Sucht zu glänzen
Mch allerlei Aufwand (Ertrauniformen, patentes Auf-
pn, kostspielige Festessen, Schuldcnmachen u. f. w.).
Mr Verfasser irrt freilich, wenn er glaubt, die Sucht,
hsch und fein aufzutreten, wäre blos eine Sünde der

Bestellungen
^f die „Bürger-Zeitung" für die Monate
Mai und Juni
!hden fortwährend von sämmtlichen Postanstalten, Brief-
egern und unfern Agenturen zum Preise von
97 Pfennig -WU
Mi in's Haus, sowie von unfern Trägern
Jägerinnen bier und der nächsten Umgebung
Mise von
nur 40 Pfg. monatlich
^gegengenommen.
Neu hinzutretcnde Abonnenten erkalten die „Bürger-
Mtung" bis Ende des Monats unentgeltlich.
. Verlag der „Bürger-Zeitung".

Heidelberg, Freitag, 28. April

Expedition:
Hauptstraße 25.

1893.

Einjährigen, in sehr vielen Garnisonen wird das „officier-
mäßige Auftreten der Herren Einjährigen — selbstver-
ständlich außer Dienst — geradezu zur Vorschrift ge-
macht. Der Verfasser irrt ferner, wenn er die besondere
Wehrsteuer, die durch diese äußere Schneidigkeit der Herren
Einjährigen deren Eltern in Gesammtdcutschland auferlegt
wird, auf 12 Millionen Mark schätzt (d. h. für 6000
Einjährige im Durchschnitt 2000 Mark), da es Kavallerie-
regimenter gibt, wo der Einjährige durchschnittlich zwölf-
bis fünfzehntausend Mark braucht.
Man kann diesen Erörterungen ohne Weiteres nur
Beifall geben, auch der Bemerkung des Verfassers,
daß der Einjährige in Wirklichkeit nicht ein Jahr, sondern
zwei bis drei Jahre dient, kann man ruhig zustimmen.
Es heißt darüber:
Nach dem Dienstjahre haben die Beförderten erstens
eine achtwöchige Unterofficiersübung durchzumachen, dann
eine achtwöchige Vicefeldwebelübung und wenn ihre
bürgerliche Stellung nicht so ist, daß sie zum Officier
gewählt werden können, nochmals eine längere Uebung.
Dann erst kommen die drei pflichtmäßigen achtwöchig^n
Hebungen als Reserveofficier. Da haben wir schon zwei
volle Jahre. Nun dauern aber die längeren und kürzeren
Uebungen weiter, bis er nach zwölf Jahren in die Land-
wehr zweiten Aufgebots versetzt wird. Und auch da kann
er noch zu militärischen Dienstleistungen eingezogen
werden.
Das ist richtig, und so ist es denn auch nicht selten,
daß sehr viele Einjährige, denen die Unabhängigkeit lieb
ist, auf die Officierprüfung und Beförderung verzichten.
Der Aufsatz erwähnt dann ferner noch die Nachtheile,
die ein Einjähriger später in seinem Berufe erleide, sehr
oft komme es vor, daß der Militärfreie bei einer Be-
werbung um ein Staatsamt den Vorzug erhalte, trotzdem
der Einjährige das Dienstjahr dem Staate zum Opfer
gebracht habe. Das ist wahr, viele Behörden scheuen die
Geschäftsstörung, die durch die vielen Uebungen der Be-
förderten eintreten, wahr ist aber auch, daß in einzelnen
Staatsämtern die Beförderung die erste Bedingung zur
Anstellung ist.
Zum Schluffe kommt der Verfasser zu der Forderung,
daß das Berechtigungswesen, das ein Krebsschaden für
Schule und Volk und ein Ballast für die gebildete Mittel-
klasse sei, abgeschafft werden müsse und sagt:
Wir Deutschen sind alle in dem Vorurtheil befangen,
daß wir bei einem Manne nicht darnach fragen: „Wie
ist seine Bildung? sondern immer nur, woher
hat er seine Bildung, welche Schule hat er besucht, bis

zu welcher Classe ist er gekommen? Sind diese Fragen
genügend beantwortet, dann ist das Urtheil über den
Mann fertig. Wir sind durch den Berechtigungsschwindel,
der mit unserer Schulbildung verbunden ist, das reine
Schulmeistervolk geworden. Das ist kläglich. Giebt
es in unserem Jahrhundert wirklich keine anderen Wege,
die zur Bildung führen, als die zwischen den Schulbänken
am Schulkathedcr vorbei? Mit diesen Vorurtheilm muß
endlich aufgeräumt werden. Und der erste Schritt dazu
kann nur sein: Fort mit den Einjährig-Frei-
willigen!
Die Aufhebung der Einjährig-Freiwilligen würde aber
auch die Hauptforderung der freiheitlichen Parteien, die
Verkürzung der Dienstzeit, günstig beeinflussen.
Ist erst jeder Unterschied geschwunden, und muß selbst das
reichste Muttersöhnchen so lange dienen, wie das Tag-
löhnerkind, dann werden schon bald die Zustimmungsver-
sammlungen der Commerzienräthe zur Heeresvermehrung
und zur langen Dienstzeit schwinden, und für den un-
parteiischen Beobachter wird es dann ein Vergnügen sein,
zu sehen, wie schnell gewissen Leuten die Erkenntniß
kommt, daß es auch mit kürzerer Dienstzeit geht.
Deutsches Reich.
Karlsruhe, 26. April. Der neu ernannte Referent
für das Gefängmßwescn, Ministerialrat!) H uebsch wird
zugleich die Arbeiten des katholischen Kultus übernehmen.
Als Nachfolger von Huebsch in der Staatsanwaltschaft
wird Dr. Jolly-Offenburg bezeichnet.
Berlin, 26. April. Der Reichskanzler Graf C a p r i v i
gab gestern Abend ein großes parlamentarisches Souper,
welchem die Spitzen der Reichs- und der Staatsbehörden,
Mitglieder des Bundcsrathes sowie des Reichs-und Land-
tags beiwohnten. In der Unterhaltung wurde auch das
politische Gebiet gestreift und Ansichten über das Budget
der Militärvorlage ausgetauscht.
Berlin, 26. April. Aus den politischen Unter-
haltungen, die auf dem gestrigen Diner bei dem Reichs-
kanzler geführt worden sind, haben die Theilnehmer den
Eindruck gewonnen, daß die Regierung noch zu weiterer
Nachgiebigkeit in der Militär Vorlage bereit
wäre, falls sich ihr die Möglichkeit, eine Mehrheit zu
bilden, zeigte.
Berlin, 26. April. Der „Reichsanzeiger" meldet:
Staatssecretär Frhr. v. Marschall hatte heute eine
längere Unterredung mit dem italienischen Minister des
Auswärtigen Brin. Die Audienz, welche Frhr. v. Mar-
schall gestern beim Papst hatte, dauerte anderthalb Stunden.

mit

An einern Anar.
Criminalgeschichte von Jenny Hirsch.
(Forschung.)
Sie trat vor den Spiegel und betrachtete sich .
^°ßer Aufmerksamkeit. Ihr Gesicht war etwas bleicher
K sonst, das erschien aber der Sachlage ganz ange-
Msin und ward mit einem Kopfnicken der Befriedigung
M ihr wahrgenommen. Der schwarze stumpfe Stoff des
Mauten Trauerkleides hob ihre Gestalt und die Weiße
Haut, die schwarzen Jetperlen, die sie als Kette
p Armbänder trug, stachen vortheilhaft von dem schön-
Mrintcn Nacken und den vollen Armen ab ; das röthlich-
pbe Haar ward durch einen leicht darüber geworfenen
Mpeschlewr weniger verhüllt als gedämpft. Wohl waren
z blauen Augen etwas matter, wohl zeigten sich um
M Mund einige Fältchen, das gab ihr aber ein
pachtendes, leidendes Aussehen, das sich durch Blicke
M Lächeln nach Gefallen zu verstärken oder zu ver-
;pen gedachte. So eifrig war sie in das Studium
Ms Spiegelbildes vertieft, daß sie das leise Oeffnen
plach dem Vorsaale führenden Thüre überhört hatte
z ° wieder in ihrer nervösen Weise zusammenfuhr, als
M «ntretende Diener meldete: „Herr Assessor von
^denfeld,"
Sie faßte sich schnell, schritt langsam zu einem Divan,
8 sich hineinfallen und sagte gelassen. „Ich lasse bitten."
wenige Augenblicke darauf trat Werdenfeld in's
M'Mer. (5x war bleich, das Wiedersehen der lange ge-
spenen Räume erschütterte ihn auf das Tiefste, er suchte
Bewegung unter einer gemessenen Haltung zu ver-

bergen, und steifer, als er vielleicht beabsichtigt hatte,
klang die Anrede: „Das gnädige Fräulein haben befohlen."
„Ich habe gebeten, erwiederte Lina leise, indem sie
sich mit studirter Langsamkeit von ihrem Sitze erhob
und dem Assessor die kleine weiße Hand zum Gruße
entgegenstreckte. „Vielleicht war es eine allzu große Kühn-
heit von mir. Ach, der liebste Gast meines theueren
verewigten Onkels ist ja ein Fremdling in seinem Hause
geworden." Ein leises Schluchzen bebte durch ihre
Stimme, sie führte ein Taschentuch mit schwarzem Trauer-
rande an die Augen.
„Ich verdiene den Vorwurf," begann der Assessor,
„aber-"
„Es sollte kein Vorwurf sein," unterbrach sie ihn
schmelzend, „ich verstehe Sie vollkommen; wer miede nicht
gern eine Stätte, an welche sich so furchtbare Erinnerungen
knüpfen; ich — ich bin daran gebannt —"
Wie vom Uebermaaß ihrer Empfindungen überwältigt,
wankte sie und sank in den Divan zurück; der Assessor
stand in peinlicher Verlegenheit vor ihr.
„Es war nicht bloß eine solche Schwäche, die mich
zurückhielt," sagte er in etwas wärmerem Tone, „ich
glaubte, die tiefste Zurückgezogenheit sei Ihnen erwünscht.
Als ich mit Ihnen an der Leiche des Barons stand, als
ich ich mir später erlaubte, Sie noch einmal aufzusuchen,
bat ich Sie, über mich zu befehlen, wenn Sie meiner
bedürften."
„Und da ein solcher Ruf nicht kam, kamen auch
Sie nicht," entgegnete sic mit mattem Lächeln.
„Sehen Sie mich hier, sobald er an mich ergangen."

„Und ich danke Ihnen von ganzem Herzen dafür,"
versetzte sie, ihm abermals die Hand reichend, die er er-
griff, aber, ohne sie an die Lippen zu führen, wieder
sinken ließ. Verletzt zog sie sie zurück, fuhr aber, ohne
sich etwas merken zu lassen, mit größter Lebhaftigkeit fort:
„Setzen Sie sich zu mir, lassen Sie uns plaudern, ich
vermochte heute das Alleinsein nicht zu ertragen, vermochte
heute nicht, die landläufigen Phrasen meiner älteren und
jüngeren Bekanntinnen anzuhören, darum bat ich Sie:
Kommen Sie, helfen Sie mir den schweren Tag über-
stehen, der den noch furchtbareren vorangeht, an welchem
wir Beide unsere Rollen im Schlußact der entsetzlichen
Tragödie zu spielen haben."
Mit gefalteten Händen und gesenktem Kopfe saß sie
vor ihm, wie der verkörperte Schmerz, aber der Assessor
fühlte sich eisekaltangeweht. Das Bild, das sie gebraucht,
erschien ihm bezeichnend, sie war eine Schauspielerin und
spielte eine Rolle.
„Was könnte meine Gegenwart besonders Tröstliches
für Sie haben?" begann er, um doch etwas zu sagen.
„Sind wir nicht Schicksalsgefährten?" rief sie lebhaft.
„Sie waren - dem geliebten Verklärten wie ein Sohn,
Sie verlebten den letzten, folgenschweren Abend mit uns,
Sic sahen den Knoten sich schürzen, der eine so gräßliche
Lösung fand. Es ist mir als wären Sie der nächste
Verwandte, den ich noch auf Erden besitze. Begegnen
wir uns nicht in allen diesen Gefühlen?"
„Gewiß, gnädiges Fräulein, nur vielleicht in einem nicht;
in — in der Empfindung für Ihre unglückliche Cousine."
„Sie täuschen sich, Sie täuschen sick!" rief sie bei-
nahe heftig.
 
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