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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 1 - No. 10 (1. Januar - 12. Januar)
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urger

Verkimdigungsblatt nn- Anzeiger

Die „Bürgerzeitung"
«scheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummer liegt ein Unter-
haltungsblatt, „Tcr Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei.

Abonnementspreis
für Heidelberg: monatl. 40 Pfg. mit
Tragcrlobn, durch die Post bezogen
vierteljabrb Mk. 1.— ohne Znstellgev.
Jnscrtionsprcis: 10 Pi. iür die.l-'palt.
Petirzcilc od. deren Raum. <rm" iocale
Geschäfte- u. Pr-vann-:--- -> °--t-

7.

Heidelberg, Sonntag, 8. Januar

18S3.

ZUM Abonnement
auf die ,,BÜrgrr- ,'jeitrmg" laden wir crgebenst
cin. Bei
Reichhaltigkeit und Billigkeit
ist dieselbe auch kein Parteiorgan.
Der Preis ist der niedrigste aller Blätter
in Baden, er beträgt
monatlich nur 40 Pjg.
mit Trägerlohtt, durch die Post bezogen
vierteljährlich 1 Mk.
ohne Zustellungsgebübr.
Bestellungen werden für auswärts durch die Post,
innerhalb der Stadt durch uysere Träger entgegenge
nommcn.
Verlag der „Bürger-Zeitung".
Woher der russische Deutschenhaß?
Daß em sehr großer Haß gegen die Deutschen in
Rußland vorherrschend ist, darüber sind diejenigen mit
sich im Maren, die Rußland kennen. Woher stammt
diese Antipathie? Der auch in Deutschland bekannte
Amerikaner Bigelow, der Jugendgenosse des deutschen
Kaisers, veröffentlicht soeben in der Wochenschrift „The
Speaker" einen für uns Deutsche beachtenswertsten Auf-
satz über diesen Gegenstand. JiP demselben läßt Herr
Bigelow einen, wie er sagt, höchst gebildeten Russen
sprechen, mit dem er über dieses Thema eine Unterhaltung
gehabt. Er macht sich einfach zum Mundstück dieses
Russen, ebne seine Ideen zu theilcn. Da die letzteren
aber so zu sagen tvpisch sind, dürfte es von Interesse
sein, dieselben hier in Kurzem zu reproducireu:
Den im Ausland vielfach verbreiteten Glauben, daß
keine öffentliche Meinung in Rußland enstirt, erklärt
unser Russe für falsch. Troy der Eensur nimmt die
Regierung Akt von dieser öffentlichen Meinung. Europa
wundert sich, daß Rußland sich nach dem Besitz von Kon-
stantinopel sehnt. Jeden: russischen Schulknaben wird
es eingctricktert, den Halbmond über der Moschee von
St. Sopbia in Konstantinopel als eine seinem Gotte zu-
gefügte Beleidigung anzusehen. Er fragt nicht darnach,
ob der Besitz von Konstantinopel dem russischen Handel

und seinem Lande Gewinn bringen wird, oder nicht. Er
fühlt sich in seinem religiösen Glauben dadurch verletzt.
Nach unserem Gewährsmann würde jede russische Re-
gierung, welche dieses Gefübl,. das in der Brust selbst
des unwissendsten Russen lebt, ohne Beachtung läßt, eine
Revolution hcrvorbringen. Der Russe, obwohl sanft von
Natur, ist ein Fanatiker in der Religion. Der Zar setzt
diesem,Verlangen kein Hinderniß entgegen. Er selbst ist
im Gegentsteil eine Verkörperung dieser populären Aspira-
tionen und sehnsuchtsvollen Bestrebungen. Daher muß
es ausgesprochen werden. Wer auch immer im nächsten
Kriege unser Feind sein wird, derselbe kann nur einen
Zweck haben, nämlich den: die Wiedergewinnung und
Wiederherstellung „unserer heiligen Kirche am Bosporus."
— Die Russen hassen die Deutschen, weil sie sie -—
ihre besten Freunde — vcrratben baben. Peter der Große
empfing die Deutschen in seinem Reiche mit offenen
Armen und gab ibnen Privilegien jeder Art. — In der
Mitte des 18. Jahrhunderts brach cin Krieg aus, welcher
aus persönlichen Feindseligkeiten zwischen der Kaiserin
Elisabeth und Friedrich dem Großen entsprang. Zur
rechten Zeit für den König von Preußen starb die russische
" Kaiserin. Ihr Nachfolger, Peter der 111., ein Bewunderer
des großen Königs, wurde aus einem Feinde ein Ver
bündeter und Preußen war gerettet!
Ein zweites Mal rettete Rußland Preußen in den
Kriegen gegen Napoleon. — Nikolaus war ebenfalls ein
Freund des Königs von Preußen, Friedrich Wilhelm I V.
Nikolaus war der Protektor und Beschützer des göttlichen
Rechts und der Legitimität der Könige von Europa.
Selbstverständlich wurde er daher 1848 von den Oester
reichern zur Hilfe gegen die aufständigen Ungarn gerufen.
Was war sein Dank dafür? Im Krimkriege war das-
selbe Oesterreich Rußlands Feind. Rußland batte sich,
Dank dein feindlichen Oesterreich, von den dänischen
Fürstenthümern zurückzuzieben. Preußen war in diesem
Kriege neutral geblieben und BiSniarek, der 1859 in
St. Petersburg anlangte, hatte deshalb eine sympathische
Aufnabme. Et fand hier einen gitten Boden für seine
Pläne gegen Oesterreich. Einen großen, gar nicht zu
untn-schätzenden Dienst leistete Rußland dem Königreich
Preußen, indem cs im Kriege von 1866 neutral blieb.
Oesterreich, das sich gegen Rußland so treulos benommen,
w rdc nun bestraft. In der Konsolidation des nord-
deutschen Bundes, aus dem das deutsche Kaiserreich
erstand, batte Bismarck die Sympathie des Zaren. —
Frankreich, dessen Betragen im Krimkriege nicht vergessen
worden war, kam nun atr die Reihe. Bismarck suchte

und fand wiederum Wohlwollen in Rußland. Gortschakaff
bielt Oesterreich in Schach, wäbrend die deutschen -rruppcn
sich ihren Weg nach Paris erkämpften. Dafür gebübrte
Rußland ewiger Dank von Preußen. WaS geschah? Im
Jahre 1877 brachte Rußland noch einmal Anstrengungen
Konstantinopel zu erobern. Es wurde erwartet, daß
Bismarck die Gelegenheit ergreifen würde, seine Dank-
barkeit gegen Rußland an den Tag zu legen. Rußland-
war nicht erfolgreich. Kein Kongreß wurde in Berlin
im Jabre 1878 abgcbaltcn. Von Bismark erwartete
Rußland Alles. Was aber tbat er? Er babe kein Jn-
tcrrcsse an der orientalischen Frage, sagte er kalt und
gelassen, und Rußland verlor Alles in den diplomatischen
Verhandlungen, was cs auf dem Schlachtfelde gewonnen.
Das war die Dankbarkeit Preußens gegen Rußland für
die ihm 1866 und 1870 geleisteten Dienste. Von diesem
Augenblick an begann Rußland die Freundschaft Frank-
reichs zu kultiviren. Rußland ahnte, daß Preußen im
Bündnis; mit England gegen den Zaren bandeln werde.—
Bosnien und die Herzegowina sind zwei andere Zeugen
der Tbäligkeit Bismark's gegen Rußland. 40000 rus-
siche Unterthemen, die ihr Leben auf deutschem Boden
fristen wollten, trieb er aus dem Lande. Ist es zu ver-
wundern, daß jetzt die Russen die Deutschen verfolgen?
Bismark spielt sich als Friedensstifter zwischen Rußland
und Deutschland auf, aber iu Rußland wird er als der
einzige Deutsche angesehen, welcher in der Brust der
Russen einen Haß gegen Deutschland wachgerufen, der
nur in einem Kriege enden kann." Lupiönti mrt! meint
der Engländer. Die Antwort aus diese oft erbobencn
Anklagen bat Fürst Bismarck bekanntlich erschöpfend in
seiner Rede vom 6. Februar 1887 gegeben. Man braucht
diese nur nachzulcsen, uni dem Gewährsmann des Herrn
Bigelow zu beweisen, daß die öffentliche Meinung Ruß
lands Unrecht bat. -—

Deutsches Reich.
Berlin, 6. Jan. Der Kaiser begab sich inBegleiiung
des Flügeladjutanten vom Dienst in vierspänniger ge-
schlossener Equipage zur Abhaltung einer größeren Hof-
jagd auf Hasen nach Buckow, Das Stelldichein war um
KU/2 Nhr in Buckow angesetzt. "Nachdem der Kaiser am
Treffplatz eingetroffen war und die anwesenden geladenen
Gäste begrüßt batte, nabm die Hofjagd sofort mit dem
ersten Treiben auf Hasen ihren Anfang.,
Berlin, 6. Jan. Der Reichstag beginnt in seiner
ersten Sitzung mit der ersten Lesung der Steuerge-
setze, darauf folgt die zweite Lesung des Etats.

In schwerem Weröcrcht.
t>) Criminal-Novellc
von Reinhold Lrtmann.
(Fortsetzung.)
„Du kannst Dir wobl denken," sagte d'Hcrvilly nach
einer kurzen Pause in plötzlich ernster gewordenem Tone,
„daß ich mich nicht um meine wohlverdiente Nachtruhe
gebracht habe, : m mich bier nach deinem Befinden zu
erkundigen. Die Schuld au der für Dich vielleicht
etwas unliebsame:: Nebcrraschung trägt "lediglich Deine
vorhin ausgesprochene Weigerung, mir die lumpige
Summe zu geben, die ich in meinem Brief von Dir
gefordert. Ich gebrauche das Geld unbedingt morgen
Vormittag, und da wir vielleicht in den Tagesstunden
zu viel Zeit mit der Vorrede verloren baben würden,
zog ich es vor, nur die kleine Abschlagszablung auf der
Stelle zu holen!"
„Und wenn ich nun auch jetzt noch auf meiner
Weigerung bestände?" erwiderte die Gräfin, deren Sprache
gleichfalls ibre frühere Festigkeit wiedergefundeu hatte.
„Wenn ich Dir noch einmal wiedcrbolte, daß Du nicht
einen Pfennig von mir erhältst?"
Ein überlegenes Lächeln glitt über d'Hervilly's Gesicht.
„Weßbalb sollen wir uns durch solche überflüssige
Neckereien aufbalten, Stella! Ich denke, cs wird Dir
selbst angenehm sein, meinen Besuch so viel als möglich
«bzukürzen. Ich sage Dir also zum letzten Mal, daß
sch das Geld sogleich haben muß; aber nicht wie ich in
einen: meiner Briefe schnob, fünftausend, sondern zur

Deckung der Reisekosten und zur Belobnung für meine
gefährliche nächtliche Ereursion zehntausend Thaler."
„Nicht einen Pfennig!" rief die Gräfin aufspringend,
blitzenden Auges. „Deine Drohungen können mich nicht
schrecken, denn Du hast vorbin selbst gesehen, daß ich
Mittel besitze, die im Stande sind, Dich tiefer ins Ver-
derben zu stürzen, als Du mich je zu erniedrigen ver
magst. — Jcb habe Dir damals fast den vierten Theil
meines Vermögens gegeben, und Du erklärest Dich damit
zufriedcngestcllt. Deine Erpressungsversuche werden er-
folglos bleiben, darauf gebe ich Dir mein Wort."
Der Marquis bewahrte diesen: leidenschaftlichen Aus-
bruche gegenüber vollständig seine kaltblütige Ruhe.
„Es war in jener Zeit, «0 ich Dich zu lieben und
von Dir geliebt zu sein glaubte, eine große Thorheit von
mir, Dir durch meine Briefe unwiderlegliche Beweise von
der That zu geben, an der eben so wie an der letzten,
Du allein die Hauptschuld getragen, die aber nur auf
mein Haupt zurückfallen könnte. Ich babe es jetzt satt,
mich mit diesen Briefen einschüchtern zu lassen, und
außer den zehntausend Tbalcrn fordere ich für mein
ferneres Schweigen jetzt auch die Zurückgabe derselben."
„Ich glaube nicht, daß Du mich in: Ernste für so
thöricht hältst, aus ein solches Verlangen einzugeben.
Du wirst von mir weder das Eine noch das Andere
erhalten, und ich ersuche Dich, Dich mir dieser Erklärung
zu begnügen und mich zu verlassen."
Auf der Stirn des Marquis zog sich bei diesen nut
großer Entschiedenheit gesprochenen Worten eine finstere
Wolke zusammen; er trat dickt an sie beran und flüsterte
in drobcndem Tone:

„Setze Deinen Reichthum und Deine Freiheit nicht
so leicht aufs Spiel, Stella! Du überschätzest die
Macht Deiner Briefe, die Du glaubst als eine gefeite
Waffe gegen mich gebrauchen zu könne::. Verweigerst
Du ihre Herausgabe oder die Zahlung des Geldech so
liegt meine Denunciation morgen auf den: Bureau des
Staatsanwalts!"
„Wobl, ich lasse es darauf ankommen."
d'Hervilly biß sich wüthend auf die Lippen.
„Du glaubst nickt au die Wabrheit meiner Worte,
aber ich schwöre Dir, daß mich die Rücksicht auf mich
selbst nicht einen Augenblick abhalten wird, Dick zu
verderben. — Was liegt mir an meinem armseligen
Leben! — Ick will cs gern aufs Spiel setzen, wenn
ich damit meine Rache befriedigen kann!"
Auch diese Drohung blieb vollständig wirkungslos.
Die Gräfin ließ sich unmittelbar neben den: nach dein
Zimmer der Kammerjungfer führenden Glockenzuge in
einen Sessel nieder und betracktete kalt und rubi'g das
erregte Gesicht des Marquis.
„Ich babe mein letztes Wort gesprochen, Gaston,"
sagte sie: „versuche cs nicht, meinen Entschluß ;u
ändern — er steht felsenfest!"
„"Nun wohl," fischte der Franzose; „willst Du mir
die Briefe nicht geben, so werde ich sic selbst zu finden
wissen, und dann bin ich doch neugierig, ob Du nock
den Mutb baben wirst, mir das Geld zu verweigern!"
Damit machte er einen Schritt auf den Schreibtisch
zu, aber eiu wild drohender Ausruf der Gräfin hielt ihn
wieder auf. Hochaufgcrichtet stand das schöne Weib
neben dem Glockenzug, die rechte Hand fest an den Griff
 
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