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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
No. 131 - No. 140 (6. Juni - 16. Juni)
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^^-K'MSE-°- Berkündigungsvlatt und Anzeiger
Sonn- und Feiertagen. «F
Der Sonntagsnummer liegt ein Unter- ,, F" L F" L. L
Haltungsblatt, „Der Erzähler", mit dem H' H-t- H" -tz-»-
Humor. Repräsentanten „Der deutsche L .
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Heidelberg, Mittwoch, 7. Ium

1893.

Expedition:
H»irptstratze2S.

Expedition:
Hauptstraße 25.

Zur- Wcrywewegung.
Heidelberg, 6. Juni.
ft Je näher der Tag heranrückt, an welchem die Ent-
scheidung in dem politischen Kampf der Parteien fallen
soll, um so heißer wird der Streit geführt, in der Hoffnung,
die Wankenden zu stärken, die Saumseligen heranzuziehen.
Anzuerkennen ist, daß im Allgemeinen der Wunsch und
die Absicht besteht, den Kampf sachlich und höflich zu
führen und die bisher häufig beliebten Verunglimpfungen
der Gegner zu vermeiden.
Dennoch bringen die Gegner Gründe vor, deren
Sachlichkeit eine ernste Ueberzeugung nicht anerkennen
wird. Hierzu verleitet sic die Hoffnung, daß diese Gründe
gerade aus die hiesige Bevölkerung wirken müßten. Sie
können deßhalb der Versuchung nicht widerstehen, soche
Mittclchen zu probiren, so wenig zutreffend sie auch sind.
Ein recht grobes, jedoch hartnäckig versuchtes Mittel
dieser Art, ist die Ausbeutung des beklagenswerthen
Schicksals, welches unser schönes Land vor 200 Jahren
so schwer getroffen hat. DieZcrstörung derpfälzer
Lande, der Stadt und des SchlosseSHeidel-
berg in den Jahren 1689 und 1693 durch die Söldner-
heere des französischen Tyrannen Ludwig XIV. tönt
als drohender Hinweis auf zukünftige Ereignisse gar zu
oft in nationalliberalen Wahlreden wieder, als daß man
dazu vollständig schweigen könnte. Wir möchten diesen
Einschüchterungsversuchen darum kein größeres Gewicht
beilegen, weil sie hauptsächlich in den Reden eines hohen
Gemeindebeamten wiederkehren.
Ganz unsachlich, ja fast unhöflich ist cs aber, sich
darüber zu ereifern, wenn die freisinnige Partei am
22. Mai d. Js. im Bandhaus des Heidelberger Schlosses
eine Wählerversammlung abhielt, ohne vorher in einem
Geschichtskalender nachgeschlagen zu haben, ob dieser Tag
nicht vor 200 Jahren ein Unglückstag für das Schloß
war. So boshaft ist selbst die freisinnige Partei nicht,
sich diesen Tag und diese Stätte zu einer Demonstration
besonders ausgesucht zu haben, auch nicht so unklug.
Sachlich unzutreffend und daher nicht zu billigen ist,
wie bemerkt, dieses Hereinzichcn des furchtbaren Unglücks,
das die Pfalz vor 200 Jahren betroffen hat und warum ?
Darum weil das, was dadurch bewiesen werden soll,
nicht bewiesen werden kann, weil damit Dinge neben-
einander gestellt und verglichen werden, die gänzlich un-
vergleichbar sind!
Die Pfalz und Heidelberg wurden zu einer Zeit der
größten Erniedrigung, Uneinigkeit und militärischen
Schwäche deö heiligen, römischen Reichs deutscher Nation
zerstört. Zu einer Zeit, wo ein organischer Zusammen-

Die Irrfahrt des Keöens.
Roman von C. Wild.
),I2 18ci (Fortsetzung.)
„Ich konnte nicht mehr in Erfahrung bringen, als daß
Du nach Deutschland gereist seiest," fuhr Bernard Tisson fort.
»Dennoch hätte ich Deine Spur verfolgt, aber leider fehlten
wir die genügenden Mittel, und dann hatte ich Unglück. Man
erwischte mich beim Spiele und ließ mich meine Ungeschicklich-
keit büßen. Für einige Jahre verschwand ich aus der Welt
— als ich das Gefängniß verließ, litt es mich nicht mehr in
dem schönen Frankreich — ich ging erst nach England, dann
Nach Deutschland — so kam ich hierher und ein glücklicher
Zufall ließ mich Dich treffen."
Molitor sah keineswegs danach aus, als ob er diesen Zu-
fall als einen glücklichen preise; er hatte wohl seine Fassung
wieder erlangt, war aber immer noch sehr bleich, als er sagte:
»Ich will Dir die Mittel geben nach Frankreich zurückzu-
kehren."
Bernard Tisson lachte hell und schneidend auf. „So war
ks nicht gemeint, mein Freund," rief er, „fortschickcn lasse ich
wich nicht, ich gedenke hier zu bleiben."
„Hier?" rief Molitor mit sichtlichem Schrecken.
„Nun, und warum nicht? Es gefällt mir hier sehr gut
Und ich möchte auch das Leben eines vornehmen Mannes
whrcn. Ich habe diese Irrfahrt um s Glück satt. Ich bin
Drin Freund, Du führst mich in die Gesellschaft ein, und
Möglicher Weise gelingt cs nur auch, eine so brillante Partie
fv machen wie Du — Du weißt, ich habe bei dem schönen Ge-
schlechte stets Glück gehabt."
Molitor zerbiß sich vor Wuth die Lippen, daß das Blut
Mvorfprang; er kannte diesen einstigen Gefährten feines
früheren Abenteurerlebens.
Tisson ließ sich nicht so leicht abfchiitteln, er war listig,
kwtvaudt, schlau und von großer Ausdauer und Zähigkeit.

halt des Reichs fast nur dem Namen nach bestand, —
wo ein habsburgischer Kaiser, dessen Interesse sich nicht
über seine Erblande erstreike, und der seine Beziehungen
zum Reich nur für diese auszubeuten suchte, an der
Spitze stand und die einzelnen Reichsländer cs nicht
verschmähten, mit dem Erbfeinde zu pactiren, sich gar
mit ihm zu verbünden! Zu einer Zeit, wo der furcht-
bare 30 jährige Krieg kaum einige Jahrzehnte beendigt
war und Deutschland verheert, auf Jahrhunderte geschwächt
und zerspalten hatte.
Die Schwäche Deutschlands im 17. Jahrhundert war
nicht zum geringsten Theile verursacht durch die Schürung
des religiösen Zwiespalts, sowie durch die selbstsüchtige
Politik einzelner deutschen Staaten, die ihr eigenes Interesse
ohne Rücksicht auf das Wohl der Gesammtheit zu fördern
suchten, in ähnlicher Weise wie man jetzt den Vortheil
einzelner Klassen der Bevölkerung betreibt, ohne sich zu
fragen, ob dies der Gesammtheit nutzt oder schadet.
In welch' jämmerlicher Ohnmacht das deutsche Reich
in jenen Jahrzehnten lag, weiß Jeder; denn zu dieser
Zeit, 1680—81, raubte Ludwig XIV. auf Grund der
Beschlüsse seiner sogen. Reunionskammcrn eineMenge
Städte des Elsaß, darunter die Perle Straßburg,
die deutsche Reichsstadt, „welche von Kaiser nnd Reich ver-
lassen war." Das deutsche Reich leistete diesem Gewalt-
streich nicht den geringsten Widerstand. Und ebenso fielen
die Pfalz und Heidelberg im Jahre 1689 den Banden
eines Melac und Anderer ohne Schwertstreich in die
Hände. 4 Jahre später 1693 lieferte die Feigheit des Be-
fehlshabers Stadt und Schloß den Feinden vonncuem aus.
Mit diesen Zeiten wagt man cs nun die heutigen zu
vergleichen? „Wär der Gedanke nicht so verwünscht gescheit,
man wär versucht, ihn herzlich dumm zu nennen", möchte
man citiren.
Das heutige Deutschland, das militärisch unbestritten
den ersten Rang einnimmt, das über nahezu 4 Millionen
Streiter verfügt, die ein bis ins einzelne ausgearbeiteten
Mobilmachungsplan und ein vorzügliches Eisenbahnnetz
in wenig Tagen zum großen Theil an die Grenze werfen
können, das von einer starken einheitlichen Centralgewalt
geleitet wird, dieses deutsche Reich will man
mit jenem Jammerbild vor 200 Jahren
vergleichen und daraus dasselbe Unheil
prophezeien!
Wahrlich, dann hätte man ebensowohl die Einfälle
der Römer und Hunnen als Schreckmittel benützen
können.
Daß ein künftiger Krieg Schrecken und Noth ver-
breiten wird, weiß leider Jeder. Ja, der Einsichtige darf
die Hoffnung aussprechen, daß gerade das drobende Ge-

Drohen konnte er den Mann nicht, denn dieser hatte ihn in
feiner Hand, er mußte sich fügen und dann zufehen, wie er
ihn auf gütliche Weife los wurde.
„Du verlangst viel, Bernard," sagte er nach einer Pause,
„das wäre ein gewagtes Spiel, gefährlich für uns beide."
„Ah bah, ich fürchte nichts! Was könnte mir auch gefcheh'n!
Meine Strafe habe ich abgedüßt, etwas Neues auf dem Kerb-
holze habe ich nicht, und Dein Ansehen hier bietet mir ge-
nügenden Schutz."
„Aber als was soll ich Dich denn hier einführen?" rief
Molitor ungeduldig.
„Als Deinen Freund, der ich doch auch bin. Wir können
sogar ausnahmsweise bei der Wahrheil bleiben. Auf der
Durchreise habe ich Dich zufällig getroffen und Du hast mich
eingeladen, einige Wochen bei Dir zu verweilen."
„Aber ich heirathe in zwei Monaten und reise dann mit
meiner Frau nach dein Süden."
„Um so besser, dann kannst Du mir dicRofenvilla über-
lassen," versetzte Bernard Tisson kaltblütig.
„Die Billa gehört nicht mir, ich habe sie nur gemiethet,"
sagte Molitor finster.
„Thut nichts! Dann verlängert nmn die Miethe. Mache
kein so saueres Gesicht, es nützt Dir nichts, Du bringst mich
nicht so bald wieder los," spöttelte Tisson.
Molitor erbebte vor Zorn; es zuckte ihm in der Hand,
dem Frechen eine derbe Züchtigung a»gedeihen zu lassen, aber
er bezwang sich.
Tisson hatte die Macht, ihn hier gänzlich unmöglich zu
machen, alle die jahrelangen Pläne Und Berechnungen zu zer-
stören, ihn in's Verderben zu stürzen — er mußte feinen For-
derungen nachgeben, sonst war alles verloren!
„Bernard," sagte er mit einer gewaltigen Anstrengung
ruhig zu bleiben, „muß das fein? Ich würde Dich reich aus-
statten, Dir alle Mittel zu einem bequemen Leben geben, nur
dränge Dich hier nicht in meine Kreise. Bleibe so lange Dn

sperrst dieser Schrecknisse, welche für alle Betheiligten
gleich groß sind, es verhüten wird, daß der Krieg aus-
bricht. Eine maßlose Vermehrung der Kriegsmacht auf
deutscher Seite würde als eine Bedrohung auf der anderen
empfunden werden und den Zündstoff häufen.
Man bleibe uns doch fern mit Vorlesungen von
chauvinistischen Artikeln, die vor mehreren Jahren in einer
französischen militärischen Zeitschrift erschienen, wie es in
der nationallibcralen Versammlung am Sonntag geschah.
Denken wir lieber daran, daß in deutschen chauvinistischen
Blättern die Redensart von dem st dlano"
d. h. die Franzosen müssen im nächsten Krieg bluten,
bis sie weiß werden, dazu den Ton angegeben hat.
Also keine ungerechtfertigte Angst bei
der Wahl; denn der Aengstliche thut gar
leicht einen Fehltritt, den er zu spät be-
reuen wird.

Deutsches Reich.
H Heidelberg, 6. Juni. (Zur Offenburger
Rede.) Die Anstrengungen gewisser Parteien, das Ober-
haupt unseres Großherzogthums in den Wahlkampf herein-
zuziehen, sind endlich von Erfolg gekrönt worden. ' Was
am 14. Mai bei dem Kriegervereinsfest in Heidelberg
nicht glückte, ist am 4. Juni in Offenburg glänzend
in Erfüllung gegangen. Der Großherzog von Baden hat
die versammelten Kriegervcreine direct aufgefordert, nur
Anhänger der Militärvorlage zu wählen und diese Auf-
forderung mit unzweideutigen Vorwürfen gegen die oppo-
sitionellen Parteien verbunden. Mögen die Worte nun
gelautet haben: „gehen Sie den geraden Weg"
wie die officiellen Blätter berichten, oder „gehen Sie
den geraden Weg der Ehre" wie die „Frankfurter
Zeitung" mittheilt: in beiden Fällen wird damit der
Opposition, welche gegen die Bewilligung der ganzen
Militärvorlage und gegen das Huene'sche Angebot ist,
ein Makel angeheftet. Denn was das Gegcntheil des
„geraden WegS" odergar des „geraden Wegs der
Ehre" ist, bedarf hier keiner Auseinandersetzung. Selt-
sam bleibt aber auch bei dieser Rede wieder die Ver-
schiedenheit der Lesart in den officiösen und den unab-
hängigen Blättern. Die wahre Bedeutung und der Zweck
der militärvereinlichen Organisation und ihrer liebevollen
Pflege durch die regierenden Gewalten wird durch diese
Vorgänge in Offenburg auch dem Blinden klar wer-
den. Gleichzeitig erfährt auch die Bedeutung jenes Para-
graphen der Statuten, welche den Kriegervereinen die Be-
schäftigung mit Politik untersagen, eine treffliche Erläu-
terung. Noch lebhaft klingen uns die Worte in den
Ohren, welche ein Redner in der nationallibcralen Ver-

willst in der Rosenvilla, aber verlange nicht, daß ich Dich
bei meiner Braut cinführe. Was kann Dir daran gelegen sein.
Dich von mir als meinen Freund anfführen zu lassen, für
immer wirst Du doch nicht hier bleiben wollen?"
Tisson nickte.
„Doch doch," meinte er, „ich habe große Lust, mich hier
ansässig zu machen, und denke daran, eine Vortheilhafte Hei-
rath zu schließen, die mich aller weiteren Sorge überhebt.
Apropos, was macht die schöne Georgine?"
„Sie ist todt," versetzte Molitor gepreßt, „doch waren
wir geschieden, ich bin schon seit Langem frei. Aber Bernard,"
setzte er hinzu, „wenn Dn schon durchaus hier bleiben willst,
dann spiele nicht mehr auf die Vergangenheit an — die Wände
könnten Ohren haben," fügte er bei, sich hastig umsehend —
„ein aufgefangenes Wort und meine Stellung ist hier er-
schüttert."
„Beruhige Dich, lieber Freund, ich werde meine Nolle
ganz ausgezeichnet spielen," sagte Tisson, „und nun zu an-
genehmeren Dingen — ich sehe hier Dein Frühstück, laß mich;
doch Theilnehmen, ich fühle einen ganz respektablen Appetit."
Er nahm indem Stuhl Platz, welchen Molitor bei seinem
Eintritte verlassen und begann den anfgetragenen, kalten
Speisen tapfer zuzusprechcn.
Molitor sah ihm eine Weile schweigend zu, dann fragte
er: „Was soll geschehen? Hast Du Gepäck initgebracht?"
„Einen Koffer, den ich in der Vorhalle abladen ließ.
Meine Garderobe ist nicht reichhaltig, aber anständig, Dv
kannst mich überall mit Dir hinnehmen."
„Gut, ich werde Befehl geben, für Bich ein Zimmer her-
znrichten" — er warf einen Mick auf die Uhr — „schon so
spät," rief er, „meine Brant wird mich erwarten —ich muß
Dich für heute schon Dir selber überlasten."
„Nicht nöthig," meinte Tisson lakonisch, „ich mache rasch
Toilette und fahre mit Dir. So lange wirst Dn doch warten
können?"
 
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