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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 101 - No. 110 (30. April - 11. Mai)
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Der Sonntagsnummer liegt ein Unter- ,, «r L F' L.
Haltungsblatt, „Der Erzähler", mit dem 4 -ß- -ß- H -ck- ^1
Humor. Repräsentanten „Der deutsche L v *
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10«. H.NS-N. Heidelberg, Samstag, k. Mai 18S3.

Westelrungen
«uf die „Bürger-Zeitung" für die Monate
Mai und Juni
»erden fortwährend von sämmtlichen Postanstalten, Brief-
trägern und unfern Agenturen zum Preise von
IM" 97 Pfennig -MU
frei in s Haus, sowie von unfern Trägern und
Trägerinnen hier und der nächsten Umgebung zum
Preise von
nur 40 Pfg. monatlich
entgegengcnommen.
Verlag der „Bürger-Zeitung".

Ein Werk friedlicher Lultur.
Mitten im Lärm des Tages, im Kampfe um den
Militarismus und die Jnteressen-Politik sei ein Augenblick
Halt gemacht und die Aufmerksamkeit auf ein Werk der
friedlichen Cultur gelenkt, das am 1. Mai im fernenAmcrika
seine Pforten geöffnet hat, auf die Chicagoer Welt-
ausstellung. Es thut gut, aus dem wilden und haß-
erfüllten Treiben der Gegenwart sich einmal hinüber retten
zu können in einem tröstlichen Ausblick, der uns zeigt,
daß all' der Lärm und Scandal, wenn er auch gelegent-
lich daS Interesse der weitesten Volkskreise auSzufüllen
scheint, doch nicht das Wesen der Zeit bedeutet, daß
vielmehr neben ihm und unkümmcrt um derartige un-
erbauliche Untcrströmungen der Weltverkehr und die
Völkerfreundschaft fortschreiten. Beweis dessen ist das
Chicagoer Unternehmen und die Theilnahme, die eS bei
fast allen Völkern der Erde gefunden hat.
Die Weltausstellung ist bestimmt, den 400. Jahres-
tag der Entdeckung Amerikas durch Christof Columbus
zu feiern. Anfangs stritten sich die Städte Amerikas um
die Ehre und den Vortheil, daS Unternehmen, in ihren
Mauern erstehen zu sehen, bis Chicago, die Garten- und
Nunderstadt am Michigan-See, den Sieg davon trug.
Die Wahl dieser Stadt muß gerade in Deutschland an-
genehm berühren, da in ihr das deutsche Clement stark
vertreten ist. Deutschland wird aber auch selbst auf der
Ausstellung würdig erscheinen. Der Reichstag hat statt-
liche Summen für die deutsche Abtheilung bewilligt, so-
l>aß Deutschland unter den fremden Staaten in den
äußeren Aufwendungen voransteht. Derartige Be-
willigungen find sicherlich besser angebracht, als die zu

-v)

An einem Knnr.
Kriminalgeschichte von Jenny Hirsch.
(Schluß.)
Entsetzt ließ Hans das Blatt sinken; war es möglich,
lv weit hatte sich Lina von dem Bestreben fortreißen
^ssen, jeden Verdacht von ihm abzulenken? Sie hatte
nicht nur geschehen lassen, daß man Johanna ver-
dächtigte, sondern sogar gegen sic gezeugt. So verwerflich,
fv verbrecherisch Hans in seinem grenzenlosen Leichtsinn,
'v seiner maßlosen Genußsucht gehandelt hatte, war er
^vch nicht schlecht von Hause aus. Gegen den Gedanken,
°«ß für sein Verbrechen eine Unschuldige, ein Weib büßen
^lltc, lehnte sich Alles auf, was noch Gutes in seiner
-lsatur lebte. Und dieses Weib war Johanna, die er
^stst geliebt, die sich ihm freundlich gezeigt hatte, der er
^elleicht mehr geworden wäre, hätte seine eigene Schuld
^,d Lina'S Eifersucht ihn nicht aus ihrer Nähe verbannt,
sollte nicht leiden, und wofür?
..?ru nitnlo, pro iiikilo/' murmelte er bitter, „man
vürdet die Schuld auf mich Elenden, dessen Tage
^iählt sind, der nichts weiter zu thun hat, «ls sein Ver-
^chen zu bekennen und zu sterben!"
. Er ließ den Arzt rufen und beschwor ihm, dafür zu
°rgen, daß er ein Geständniß so ablegen könne, daß es
Deutschland volle Glaubwürdigkeit besitze. Der deutsche
,°Nsul ward benachrichtigt, Hans gab seine Aussagen vor
Eugen zu Protokoll, und das amtlich beglaubigte
^ähriftstück ward abgesandt; da aber, wie aus den
Altungen ersichtlich, die öffentliche Verhandlung gegen
unschuldig Angeklagte bereits begonnen hatte, so ward

gewissen anderen Zwecken. Sic dienen der Cultur und
dem Verkehr, mehren die Achtung, wie das Ansehen des
Lande» und sind fruchtbringend angelegt, indem sie dem
vaterländerländischen Erwerbsleben Vorthcile bringen. Auch
die Einzelstaatenhaben verschiedentlich noch größereSummen
bewilligt; sie wollen — und das ist sehr lobenswerth —
Gewerbetreibende hinüberschicken, damit sie sich an dem
Neuen, Interessanten und Practischcn, das sic unstreitig
in der Weltausstellung finden werden, weiterbilden und
sich für ihren Beruf vervollkommnen. Zu wünschen ist,
daß hierbei möglichst viele intelligente Arbeiter berück-
sichtigt werden, die Ergebnisse der Ausstellung durch ent-
sprechende Veröffentlichungen und Vorträge mit Demon-
strationen zugänglich gemacht werden.
Daß Deutschland die Weltausstellung so stark beschickt
hat, ist in der jetzigen Zeit doppelt erfreulich. Es ist ein
Beweis der Sympathie, die unser Volk mit den freiheit-
lichen Brüdern jenseits des großen Wassers verbindet, in
deren Adern ja so mancher Tropfen deutschen Blutes
fließt. ES ist aber auch ein Beweis dafür, daß man bei
uns trotz aller agrarischen Agitation es begriffen und es
als unumstößlich erkannt hat, daß Deutschland bei seiner
stark wachsenden Bevölkerung der Ausfuhr bedarf, um
seine Inwohner zu ernähren und den Stand des National-
vermögens zu erhöhen. Denn wenn man sich — wie
die Schutzzöllner es thörichter Weise verlangen — auf
den einheimischen Markt beschränken will oder kann, dann
braucht man keine Weltausstellungen. Solche Veranstal-
tungen stehen unter dem „Zeichen des Verkehrs",
unter den auch unsere Politik gestellt werden
muß, wenn Deutschland nicht verarmen und
zurückgehen soll- Die Wichtigkeit einer gutfundirtcn
Landwirthschaft wird von uns nicht verkannt. Aber
wenn die Landwirthschaft ihre Producte lohnend verwcrthen
will, müssen die zahlungsfähig sein, die sic ihr ab-
nehmen sollen.
Noch in anderer Beziehung wird die Chicagoer Aus-
stellung in Deutschland mit Interesse verfolgt. Auch in
Amerika machen sich ähnliche Tendenzen geltend, wie bei
uns. Man träumte von einem allgemein wirtschaftlichen
und politischen Bund Amerikas und Mac Kinley wurde
zum Vater eines ausgebildeten Schutzzollsystems. Der
Traum des „Panamerikanismus" hat sich sehr bald als
illusorisch erwiesen und auch gegen die Schutzzölle nahm
das amerikanische Volk Stellung bei der letzten Präsidenten-
wahl, bei der es den Demokraten Cleveland auf den
Schild erhob. Es wird nicht ausbleiben, daß diese Wahl
und die jetzige Ausstellung der Agitation der Tarifgegner

ein Telegramm vorausgeschickt. Ein zweites Telegramm
fertigte Hans an seine Schwester ab; wie schwer sie auch
gefehlt, sie hatte cs aus Liebe zu ihm gethan, drohte ihr
durch sein Geständniß Gefahr, so sollte sie wenigstens
die Möglichkeit haben, sich ihr zu entziehen-
Die Aufregung hatte die letzten Kräfte des Kranken
erschöpft, nach Beendigung seines Geständnisses ging es
schnell abwärts mit ihm, wenige Tage darauf war er
nicht mehr; fast gleichzeitig mit seinem Bekenntniß traf
die Nachricht von seinem Tode ein; Lina von Mörner
wollte den Bruder jenseits des Oceans aufsuchen, während
er zu einem ferneren, unbekannten Lande entrückt ward.
Sie hatte prophetisch in ihrem Briefe an Werdenfcld
gesprochen, als sagte sie, sie habe Schiffbruch gelitten und
gehe zu ihrem Bruder. Die „Hansa" ward in der Nähe
der englischen Küste von einem Sturm erfaßt und erlitt
wirklich Schiffbruch; nur wenige Passagiere des prächtigen
Dampfers entkamen; Lina von Mörner gehörte nicht zu
den Geretteten; wohl aber fand sich ihr Leichnam unter
denjenigen, welche das Meer dem Lande zurückgegeben
hatte.
In fremder Erde ward ihr ein einsames Grab bereitet,
fern von ihr in einem anderen Welttheile hatte Hans
das Ziel seines unruhigen, unstätcn Lebens gefunden.
Zwei begabte, zu den besten Hoffnungen berechtigte und
berechtigende Menschen waren zu Grunde gegangen am
Fluche der Lüge.
XIV.
Es war ein sonniger, würziger Frühlingstag, als
Johanna Bertelsmann das Gefängniß und gleich "darauf
auch die Stadt verließ. Sie war anerkannt die einzige

zum Erfolg verhelfen wird, der dann auch Deutschland
zum Vortheil gereichen muß.
Man spricht jetzt bei uns sv viel von dem Ueber-
wiegen Amerikas, von seiner wirthschaftlichen Kraft und
seinen nachhaltigen Schätzen, Gefahren für das „alte"
Europa braucht man durchaus nicht zu fürchten, da ein
Ringen um die bessere Kultur und die bessere Wohlfahrt
die Reiche stärkt, nicht aber schwächt. Eines allerdings
setzt uns Amerika gegenüber in Nachthcil und wird bei
der Beurthcilung dieser Dinge immer überschätzt: Amerika
setzt seine beste Kraft an den ideellen und mate-
riellenFortschritt. Europa und vor allem Deutsch-
land erschöpft sich an dem elenden Ringen um
den Militarismus. Wenn wir jene Kräfte, die
dieser absorbirt, einst dem Kulturfortschritt, dem
sozialen Ausgleich, dem Erwerbsleben widmen
werden, dann brauchen wir den friedlichen Wettbewerb
der neuen Welt nicht mehr zu fürchten. Daß es ein-
mal oahin komme und diese gewaltigen
Summen an Geld und Intellekt für die
Werke des Friedens frei werden, das muß
die Sorge und Arbeit Aller sein, die esmit
dem Fortbestand unserer eigencnWelternst
meinen!

Deutsches Reich.
Berlin, 4. Mai. Der Kaiser fuhr gestern Abend
nach seiner Ankunft im Neuen Palais alsbald in einem
Sonderzuge nach Berlin und verweilte längere Zeit beim
Reichskanzler, von dem er dann in das neue Palais
zurückkehrte.
Berlin, 4. Mai. Caprivi hatte gestern noch in
später Abendstunde eine längere Unterredung mit dem
Kaiser. Caprivi beabsichtigt, soweit er das kann, auf eine
Beschleunigung der zweiten Lesung der Militär Vor-
lage zu dringen. Die Auflösung des Reichstags erfolgt
unmittelbar nach dem ablehnenden Votum.
Berlin, 4. Mai. Der Kaiser hat beute nach einigem
Schwanken seine Zustimmung zur Auflösung des
Reichstage» gegeben. Man erzählt im Reichstag,
Caprivi besitze bereits die unterschriebene Ordre.
Berlin, 4. Mai. In parlamentarischen Kreisen
wurde gestern Abend die Auflösung des Reichs-
tages als sicher betrachtet.
Berlin, 4. Mai. Die conscrvative Reichs-
tags-Fr acti on beschloß, dem Antrag v. Huene
zuzustimmen, vorausgesetzt, daß die Regierungsvorlage zu-
erst zur Abstimmung gelange. Die Fraction der Deutsch-

Erbin des Barons von Böhlendorf und als solche die
Besitzerin der Villa in der Vorstadt, aber sie mochte nicht
für eine Stunde in das Haus zurückkebren, keine Nacht
unter seinem Dache schlafen. Der Justizratb Birkner
hatte die Ordnung ihrer Angelegenheiten in die Hand
genommen, Werdenfeld Alles für ihre Abreise vorbereitet,
und von ihm begleitet fuhr sie unmittelbar aus dem Ge-
fängnisse nach dem Bahnhofe, um mit ihm nach seiner
schönen am Rhein gelegenen Heimath zu reisen, wo sie
im Hause seiner Mutter gastliche Aufnahme finden sollte,
bis sie als seine Gattin in das eigene Haus zog.
Auf dem Bahnhofe wartetete ihrer noch eine Ueber-
raschung, der alte Geheimrath Henning batte sich einge-
fundcn, um ihr Lebewohl zu sagen.
„Da ist noch Einer, der nie an Dir gezweifelt bat,
Johanna," sagte Werdenfeld scherzend.
„Und der doch gegen Sie Zeugniß ablegen mußte,"
fügte der alte Herr hinzu, „es war das so unser Ver-
hängnjß."
„Mein schwerstes Berbängniß war, daß ich meine
Freunde nicht erkannte," sagte Johanna, indem sie dem
Geheimrath herzlich die Hand reichte, „und Feinde und
Widerwärtigkeiten sah, wo keine waren; ich habe eine
ernste, harte Lehre bekommen, aber sie bat gefluchtet für
das ganze Leben."
„Bravo, bravo!,, rief der Gcheimrath, ihr die glühende
Wange klopfend, „das ist an und für sich schon eine
recht barte Nuß, man hat wahrlich nicht nöthig, es sich
noch künstlich zu erschweren; diese Philosophie ist eine
der besten Arzneien, die ich zu verschreiben vermag."
 
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