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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 121 - No. 130 (24. Mai - 4. Juni)
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Die.^Vürgerzeitrtitg"
rrschnnt-täglich mit Ausnahme von
sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummer liegt ein Unter-
hartungsblatt, „Der Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei.

Verkündigttttgsblatt nnd Anzeiger
für Stcröt und Lcrnö.

Avonnemetttspreis
iür Heidelberg: monatl. 40 Pfg. mit
Trägerlohn, durch die Post bezogen
ricrteljährl. Mk. 1.— ohne Zlfftellgcb.
Insertionspreis: 10 Pf. für die 1-spalt.
Pctitzeile od. deren Raum- Für locale
Geschäfts- u- Prioatanzeigcn 5 Pf.

.« 124. Heidelberg, Samstag, 27. Mai

Expedition:
Hauptstraße 2S.

18S3.

MesteLungen
auf die „Bürger-Zeitung" für den Monat
jM- I « ni
werden fortwährend von sämmtlichen Postanstalten, Brief-
trägern und unfern Agenturen zum Preise von 48 Pfg.
frei in s Haus, sowie von unfern Trägern u. Trägerinnen
hier und der nächsten Umgebung zum Preise von
nur 40 Pfg. monatlich
entgcgengenommen.
Neu hinzutretende Abonnenten erhalten die „Bürger-
Zeitung" bis Ende des Monats unentgeltlich.
Verlag der „Bürger-Zeitung".
Das Larasstkan-Projerl.
Die Deckung der Ausgaben, die bei einer Annahme
der Militärvorlage erwachsen würden, beschäftigt nun auch
den „Rcichsanzeiger" in einem Entresilct des Reichs-
schatzamtes, aus dem man leider nur eine einzige Thal-
sache erfährt, daß nämlich die Reichsfinanzverwaltung „bis
jetzt" nur jene Projecte mit einiger Aussicht auf Erfolg
näher in Betracht gezogen hat, welche auf eine wirksamere
Besteuerung des Lurus abzielen. Im Uebrigen halten
die verbündeten Regierungen an der von ihnen einstimmig
borgeschlagenen Deckung nicht starr fest, sie sind vielmehr
bereit, „auch andere Möglichkeiten zur Beschaffung der
erforderlichen Mittel" zu erörtern, „sofern solche von der
Mehrheit des kommenden Reichstags vorgezogen würden" ;
sie wollen aber geduldig abwarten, bis die Dinge an sie
herantreten, d. h. bis Annahme oder Nichtannahmc und
die Natur der künftigen Reichstagsmehrheit entschieden sind
oder bis, was jedenfalls das Erwünschtere wäre, eine be-
willigungsfrohe Mehrheit ihnen die Steuervorschläge mit
offener Hand entgegenbringt. Das Reichsschatzamt gesteht
ein, daß es einen Plan zur Aufbringung der erforder-
lichen Mittel überhaupt nicht mehr besitzt, nachdem die
mechanische Erhöhung der Bier- und Branntweinsteuer
als thatsächlich gescheitert gelten kann. Die Reichsregie-
rung stellt also eine Vorlage in den Vordergrund des
Wahlkampfes, die nicht zum Wenigsten wegen der Auf-
bringung der Mittel die schärfste Opposition findet; sie
weiß aber in dem Augenblick, in dem sie das Volk zur
Entscheidung angerufen hat, nicht einmal zu sagen, in
welcher Weise sie sich die Herbeischaffung der verlangten
Millionen denkt. Wenn der „Reichsanzeiger" da noch
davon sprechen kann, daß die Gerüchte über Monopol-
absichten oder über eine neuere Heranziehung des Tabaks
„lediglich der Beunruhigung wegen erfunden sind", so be-
weist das einen mehr als gewöhnlichen Grad von Ver-

trauen zur Geduld der Staatsbürger. Das Reichsschatz-
amt hätte nach der Beurtheilung, die seine Vorschläge
bisher gefunden haben, denn doch alle Ursache, nicht
noch zu erwarten, daß die Erwerbskreise den Gefahren
der Situation gegenüber blind bleiben bis zu dem Mo-
ment, in dem ein Widerstand gegen verderbliche Pläne
überhaupt zu spät käme.
Daneben hat die Erklärung freilich noch einen anderen
positiven Kern, indem sie eine Vorlage ankündigt, die auf
eine wirksamere Besteuerung des Lurus abzielt. In
welcher Weise das geschehen soll, wird freilich vorerst noch
im Dunkeln gelassen, wie auch unklar ist, was mit der
„wirksameren" Besteuerung gemeint ist. Denn bisher
haben wir in Deutschland allgemeine Lurussteuern überhaupt
nicht, also auch keine unwirksamen, die durch wirksamere ersetzt
werden könnten. Lurussteuern bestanden früher in Preußen,
sie wurden jedoch während der Freiheitskriege beseitigt. Die
Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck kennen aller-
dings noch Lurussteuern, auch Württemberg hat eine Ab-
gabe von Schaustellungen, Sachsen und Hessen erheben
eine Nachtigallensteuer, es ist aber kaum anzunehmen,
daß die „wirksamere Besteuerung", von welcher der
„Reichsanzeiger" spricht, sich hierauf bezieht. Auch über
die Gegenstände des Lurus, welche zur Deckung der ver-
mehrten Reichsausgaben herangezogen werden sollen,
schweigt sich die Erklärung noch aus, weßhalb man auf
Vermuthungen angewiesen ist. Früher wurde bekanntlich
von einer Besteuerung der deutschen Schaumweine ge-
sprochen, doch soll dieser Plan wieder fallen gelassen sein,
weil die muthmaßlichen Einnahmen daraus in keinem
Verhältniß zur erforderlichen Controlle ständen. Man
wäre also auf das Beispiel in anderen Ländern ange-
wiesen, in denen die Lurussteuern zur Ausbildung ge-
langt sind, wie in Frankreich, England, Schweiz und in
Holland. Dort erhebt man Abgaben von dem Besitz
von Wagen, Pferden, Dienstboten, Billards, Gold- und
Silbergeschirr, ferner Abgaben von geselligen Vereinen.
Ein Blick auf die Erträgnisse dieser Steuern zeigt sofort,
daß sie an sich zur Deckung des Mehrbedarfs, der im
Reiche ja auch noch neben der Militärvorlage erwachsen
wird, ungeeignet sind, daß sie also günstigen Falles über
die Bedeutung einer stilvollen Verzierung unseres Steuer-
palastes kaum hinausragen.
England und Frankreich dürfen ohne Weiteres als
reichere Länder gelten, in denen deßhalb auch mehr
Lurus vorhanden ist, als in dem vekhältnißmäßig ärmeren
Deutschland. England hatte bis zum 1874 eine Pferde-
steuer, die im letzten Jahre 480 000 Lst. einbrachte.
Die Wagensteuer ergibt etwa große Beträge (1881/92
474 383 Lst.). In Frankreich ist die Steuer auf Wagen,
Pferde und Maulthiere auf (1892) 11 628 100 Frs.

veranschlagt, in Bremen brachte die Wagen- und Pferde-
steuer 18898/91 ca. 58 000 Mk., im Kanton Genf
1886 ca. 31000 Frs., im Kanton Waadt ca. 36 000
Frs., in Italien, wo die Steuer den Communen ge-
hört, brachte sie auf öffentliche Wagen 388 744 Lire,
auf Privatwagen 1 379 499 Lire. Zu einiger Be-
deutung hat es also die hauptsächlichsteLurusstcuer nur in
England gebracht, wo sie aber zum Theil 1874 doch be-
seitigt wurde. Frankreich hatte sie 1807 als lästig und
wenig ergiebig aufgehoben, die Wiedereinführung geschah
bezeichnender Weise 1871, als cs galt, Geld um jeden
Preis herbeizuschaffen. Daß sie auch in Frank-
reich nur wenig befriedigte, geht schon daraus hervor,
daß sie seitdem nicht weniger als siebenmal geändert
wurde. Die Dienstbotensteuer bringt in England
143 000 Lst. ein, Holland 850 000 fl.; die Gesellig-
keitssteuer in Frankreich 1 310 000 Frs., in Bremen ca.
6200 Mk.; die Billardsteuer in Frankreich 1 170 000 Frs.,
im Kanton Genf ca. 16 000 im Kanton Waadt etwa
14 000 Frs.
Ueber die practische Bedeutung von Luxussteuern ist
hiernach kaum viel mehr zu sagen. Sie sind nicht im Stande,
große Ergebnisse zu erzielen, auch wird ein nicht unbe-
trächtlicher Theil ihres Ertrages für die complicirte Er-
hebung und Ueberwachung aufzuwenden sein. Nach alle-
dem wird man Lurussteuern als ungeeignet bezeichnen
müssen, den in Rede stehenden Mehrbedarf zu decken.
Nun ließe sich freilich darauf verweisen, daß es sich nicht
allein um große Einkünfte handle, daß vielmehr Lurus-
steuern social beruhigend wirken und ihre Einführung
einem Gefühl der Gerechtigkeit entspräche, nachdem der
Verbrauch der minder begüterten Classen bei uns außer-
ordentlich stark belastet ist. Eine Verwerthung ihrer An-
kündigung in diesem Sinne wird auch nicht ausbleiben,
indessen dürfte es doch bedenklich stimmen, wenn man
jene Politiker ins Auge faßt, die genwärtig am Lautesten
für die Belastung des Lurus eintreten; man wird alsdann
finden, daß sie größtentheils einer Richtung angehören,
die allen Maßregeln, welche dem socialen Ausgleich ener-
gisch dienen solle, zähe widerstrebt. Man wird auch
unschwer finden, daß Lurussteuern nicht das treffen, wo-
rauf es bei einer gerechten Lastenvertheilung ankommt.
Denn Pferd und Wagen, Dienerschaft, Gold- oder Silber-
geschirr sind allerdings Dinge, die sich nur Wohlsituirte
leisten können, umgekehrt aber gibt es sehr viele reiche
Leute, die sich ohne diesen Lurus zu helfen wissen, die
also von einer solchen Steuer ganz unberührt bleiben.
Es haftet demnach der Lurussteuer ein rein zufälliger
Charakter an, der das entschiedenste Hinderniß für ge-
rechte Vertheilung bildet. Für den socialen Ausgleich und
die gerechtere Vertheilung der Steuerlast ließe sich ein

Die ArrfaHrt des «Levens.
Roman von C. Wild.
3,4 I8ci (Fortsetzung.)
Melitta stieß einen Angstschrei aus. „Mein Gott, mein
Gott," rief sie entsetzt.
Walter richtete sich hoch empor. „Herr von Molitor, ich
wag gefehlt haben, als ich Ihre Tochter beredete, mir heim-
lich zu folgen," sagte er mit vor Aufregung bebender Stimme,
„aber der Drang der Verhältnisse ließ mir keine andere
Wahl — ich meinte es ehrlich mit Melitta, dulden Sie es
nicht, daß man Ihr Kind verunglimpft, Melitta ist mein
rechtliches Weib und wird es bleiben — keine Macht der
Erde soll uns von einander trennen."
Herr von Molitor hatte bisher geschwiegen, jetzt trat er
näher, ein sarkastisches Lächeln um den bärtigen Mund.
„Junger Mann," sagte er gelassen, „berufen Sie sich nicht
auf mich — das Recht, auf welches Sie pochen, ist nicht
so groß, und ich bin nicht so weichherzig, um mich durch
einige schöne Phrasen fangen zu lassen. Ich bin ganz einfach
gekommen, um mir meine Tochter zurück zu holen, danken
Sie Gott, daß ich die Sache nicht an die Oeffentlichkeit zerre
— ich glaube, nach den Landesgesetzen wird Entführung
durch die Gerichte bestraft."
„Vater," schrie Melitta auf, „ich bin Walter freiwillig
gefolgt, dann müßte ich mit bestraft werden!"
„Das wirst Du auch," versetzte Molitor kalt, „nur bin
ich in diesem Falle gesonnen, die Strafe selbst zu übernehmen.
Keine Klagen, keine Thronen, Melitta," fügte er drohend
hinzu, „Du kennst mich, ich fordere unbedingte Ergebung in
Meinen Willen."
Die junge Frau schauderte; sie kannte die grausame Härte
ihres Vaters zu gut, um nicht zu wissen, daß seine Worte
keine leere Drohung waren.
„Aber Niemand kann uns trennen," rief Walter ver-

zweiflungsvoll, „wir sind doch Mann und Frau — der
Priester hat unfern Bund gesegnet, wir gehören nun einmal
zu einander" — und gleichsam um seinen Worten mehr
Nachdruck zu geben, legte er seinen Arm um Melitta's zarte,
bebende Gestalt.
Herr von Molitor warf ihm einen finsteren Blick zu.
„Junger Alami," sagte er kalt, ich fühle mich nicht verpflichtet,
Ihnen über gewisse Gesetze eine nähere Aufklärung zu geben
— „es genüge Ihnen zu wissen, daß ich mich der Rechte an
meine Tochter nicht begebe. Melitta gehört zu mir und muß
mir folgen; für Sie ist es jedenfalls das Beste, Sie schließen
sich Ihrer Mutter an, damit hat der ganze Roman ein Ende."
Aber Walter hatte, nachdem der erste Schreck vorüber,
Muth gewonnen; er ließ sich nicht so leicht einschüchtern und
setzte alles daran, sich Melitta zu erhalten.
„Gut, Herr von Molitor," sagte er, tief aufathmend,
„nehmen Sie die Gerichte in Anspruch, wenn Sie in Ihre!»
Rechte sind. Ich will geduldig alles tragen, wie es auch
kommen mag — aber feige und kampflos gebe ich mein Glück
nicht auf."
Melitta's Vater furchte die Stirn. Die Rücksicht für
Walter hatte ihn wahrlich nicht bewogen, schon jetzt die Hilfe
der Gerichte in Anspruch zu nehmen — er hatte andere
Gründe dafür, daß diese Sache im Stillen abgemacht wurde.
Unwillkürlich schweifte Molitor's Blick zu Georgine hin-
über; diese stand schweigend da, heftig an der Unterlippe
nagend — ein Zeichen, daß sie sehr erregt war.
Jetzt trat sie auf Walter zu ; ihn beim Arme packend, ver-
suchte sie es, ihn von Melitta fortzuziehen. „Du kommst mit,"
sprach sie herrisch, „keinen Widerstand mehr, ich will es!"
Diesmal hatte sich die stolze Frau verrechnet; ihr strenges
Wort genügte nicht mehr, den Sohn cinzuschüchtern und ihrem
Willen gefügig zu machen.
Mit einer energischen Bewegung riß sich Walter von
ihrem festen Griffe los. „Nie, niemals," ries er mit einer

Entschiedenheit, die selbst Georgine erschreckte; „ich bin kein
Kind mehr — das Du nach Belieben ani Gängelbande führen
kannst. Melitta gehört zu mir und ich werde sie nie ver-
lassen."
Das weiße Gesicht der schönen Frau war dunkelroth ge-
worden ; auf der Stirn schwollen die kleinen, blauen Aeder-
chen mächtig an, die kleinen spitzen Zähne knirschten hörbar
— es arbeitete mächtig in dem Innern dieser Frau und den-
noch kam kein Wort über ihre Lippen. Wie ein Marmor-
bild stand Georgine da, die großen, schönen Augen starr in's
Weite gerichtet. DaS hatte sie nicht erwartet! Dieser Knabe
wagte es also, ihr offen Trotz zu bieten, er war zu allem
fähig — Ueberredungen, Drohungen fruchteten hier nichts,
es blieb ihr also nur ein Mittel übrig.
Frau von Dahle» athmete tief auf; dieses Mittel war
entsetzlich -— eS gab sie in die Hand ihres Sohnes — es gab
ihr Geheimniß Preis, aber es mußte sein, es mußte!
Georgine sah zu Molitor hinüber. Er stand da mit ver-
schränkten Armen und wartete ruhig den Verlauf der Dinge
ab. So war er immer gewesen, gelassen Mvartend, niemals
vorgreifend, bis die Reihe an ihn kam. Er hatte oft viel
durch diese Gelassenheit erzielt, mehr als vielleicht durch
rasches Handeln, und auch heut« würde er nur das ernten,
was sie ihni erkämpfen mußte, erkämpfen mit eigener Gefahr.
Frau von Dahlen hatte ihren Entschluß gefaßt; sie neigte
sich zu ihrem Sohne und rannte ihm zu: „Walter, Du zwingst
mich zum Aeußersten, so höre mich denn an, das was ich Dir
zu sagen habe, dürfen nur Deine Ohren hören."
Ein Etwas lag in ihren Blicken, in ihren Worten, das
ihn bestimmte, ihr Glauben zu schenken.
Der junge Mann ließ Melitta los and folgte seiner
Mutter in eine Ecke des Zimmers.
Dort zog Georgine ihren Sohn dicht an sich heran und
flüsterte ihm zu: „Melitta ist Deine Schwester, Molitor
war mein Gatte. Begreifst Du nun, was Euch trennt."
 
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