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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 71 - No. 80 (24. März - 6. April)
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Die,^8ürgerzeitung"
«rscheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummer liegt ein Unter-
yaltungsblatt, „Der Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei.

Verkündigungsblatt imd Anzeiger
für Stabt und Land.

Abonnementspreis
für Heidelberg: monatl. 4V Pfg. mit
Trägerlohn, durch die Post bezogen
vierteljährl. Mt. 1. ohne Zustellgeb.
Znsertionspreis: 10 Pf. für die l-spalt.
Petitzeile od. deren Raum. Für locale
Geschäfts- u. Privalanzeigen 5 Pf.

M 75.

Expedition:
Hauptstraße 25.

Heidelberg, Mittwoch, 2S. März

Expedition:
Hauptstraße 25.

1893.

Der Abonnementspreis
für die
„Würger - Zeitung"
beträgt für Heidelberg und nächste Umgebung
monatlich nur 49 Pfg.
mit Trägerlohn.
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am Postschalter abgeholt:
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Neu hinzutrctende Abonnenten erhalten die „Bürger-
Zeitung" bis Ende des Monats unentgeltlich.
Verlag der „Bürger-Zeitung".
Das Agrarierthum in Dodrskampf.
In einem Berichte Dr. Webers über die Verhältnisse
ber Landarbeiter in Deutschland heißt es u. A. über die
schlesischen Gutsherren, daß ihnen, namentlich dem mittel-
ichlesischen Adel, „bei vielfach üppiger Lebensweise jegliches
persönliche Interesse an einer nienschenwürdigen Existenz
°sr Arbeiter fehle." Und über den Arbeiter heißt es in
kwem Berichte aus Ostpreußen, er sei „an sich tüchtig,
^ber durch jahrhundertelange schlechte und falsche Be-
sudlung verwahrlost." „Im Gefühl, meistens nur als
Maschine betrachtet zu werden, welche die Arbeitgeber
durch die Löhnung mit Heizstoff versorgen, damit sie sich
den Arbeitern zum Vortheil der Herren in Körper-
wärme und Kraft umsetze, und in der Erfahrung, wie
wenig sich die Herrschaften ini Allgemeinen um ibr son-
Usges Wohl und Webe bekümmern, hat sich eine Bitter-
bit auf dem Grunde der Seele abgelagert, die von vorn-
pkrein jede edlere Herzcnsregung vergällt." Wie unter
Elchen Verhältnissen die Kindererziehung, die Sittlichkeit
'W Ostdeutschland aussieht, mag man sich selbst aus-
aalen.
. Zu der Unigestaltung der materiellen Lebensbcdingungen
wäimt noch eine kleine Wandlung der geistigen Be-

Sctzrcksa 4 swege.
Novelle von C. Fontane.

(Fortsetzung.)
„Nur ein vorübergehender nervöser Kopfschmerz, ein
Leiden," entgegnete Frida. „Ich glaubte, daß Ihre
^Uberufungs-Ordre Ihnen gestatten würde, Ihre Abreise
Morgen zu verschieben. Da ich aber hörte, daß die-
^e scheu auf beute Abend festgesetzt ist, wollte ich Ihnen
gern noch Lebewohl sagen."
Sie sagte das, indem sic vor seinem beredten Blick
'Hl erröthend die Augen abwandte und ging dann,
k^hdem stx auch die klebrigen begrüßt hatte, rasch zu
?^wig hinüber, die sie neben sich auf einen Stuhl z.g
den Arm zärtlich um sie legte.
.„Sie hatten beute Vormittag einen Brief unter den
^fachen, liebe Frida," wandte sich Herr Hagendorfs zu
jungen Mädchen. „Die Adresse schien mir von der
u^d Ihres Vaters geschrieben. Haben Sic gute Näch-
sten ?"
f. »Ich habe den Brief mitgebracht," antwortete sie,
wpig aufblickend. „Sie sollen ibn lesen."
t.. Sch reichte dem alten Herrn den Brief, der denselben
entfaltete.
»Lesen Sie immerhin laut," setzte sic hinzu. „Er
j»,Mt kein Gebeimniß und wird Sie hoffentlich Alle
^essirm."
iso »Ich habe mich am zwanzigsten gleich nach meiner
tollst hei dem General-Commauoo gemeldet," schrieb
Major, „und bin dem '"len Regiment zugetbeilt

strebungen der Arbeiterschaft, eine Wandlung zum Bessern,
die aber eben deßwegen ihrerseits die Auflösung der
schlechten alten Verhältnisse wesentlich fördert. Wenn
auch der Arbeiter unter dem patriarchalischen System genug
zu essen batte, so war er doch kein freier Mann. Und
beute will er frei, unabhängig, selbstständig, seines Glückes
eigener Schmied sein. In diesem Punkte stimmen alle
Beobachter überein. Mit dieser Entwickelung der Köpfe
wäre das alte partriarische System des ostelbischen Groß-
grundbesitzes unrettbar verloren, selbst wenn der Lauf der
materiellen Welt, der es vernichtet, sich noch zurück-
sckwauben ließe.
Der ostdeutsche Laudarbeiter hält es in der Heiniath
nicht mehr aus. Gerade die Tüchtigsten ergreifen die
Flucht. Das kolossale Anwachsen der Auswanderung von
ostdeutschen Arbeitern nach anderen Districten Deutsch-
lands und nach Amerika, sind der beste Beweis von der
tiefen, unheilbaren Unzufriedenheit, welche diese Be-
völkerung bis zur Verzweiflung treibt. Nicht nur die
materiellen, objectiven, auch die psychischen, subjectwen
Zustände, die Stimmung ist in der ostdeutschen Land-
arbeiterschaft noch ärger, als in der westdeutschen Industrie-
arbeiterschaft. Die Landarbeiterschaft ist nur freilich zu
ungebildet, zu arni, zu zerstreut, um vorerst politisch
wirken zu können. Trotzdem ist schon heute die politische
Stellung der kleinbesitzenden und der besitzlosen agrarischen
Taglöhner in den kapitalistisch vorgeschritteneren Gegen-
den der ostelbischen Landwirthschaft gründlich verändert.
Immer mehr wird die Voraussetzung eine Unwahrheit,
daß, wer sich auf den Großbesitz stützen könne, das platte
Land hinter sich habe.
Mit dem Ruin des östlichen Großgrundbesitzes ist die
einstige Stütze der preußischen Monarchie nicht nur wirth-
schaftlich, sondern auch politisch ins Herz getroffen. Und
dafür gewährt auch die Cultur des Reserveoffiziers-Dünkels im
Privatleben und des Eorpsburschcnthums in der Bureau-
kratie keinen Ersatz. Nein, das Spiel ist aus. Die
eigenartige Culturblütbe des ostprcußischen Großgrund-
besitzes, der das heutige Preußen und die Dynastie jo
Manches zu verdanken haben, ist verdorrt, verwelkt. Ihre
Zeit ist vorüber!
Deutsches Reich.
Karlsruhe, 27. März. Die Königin von
Sachsen hat heute Mittag Baden-Baden nach 12tägigem
Aufenthalte wieder verlassen, um sich zunächu nach
Stuttgart zu begeben. Dieselbe traf in eigenem Salon-
wagen mit dem Gotthardzuge um halb 2 Uhr auf dem

worden, welches sich bereits auf dem Marsche nach der
böhmischen Grenze befindet. Gestern habe ich das
Commando des dritten Bataillons übernommen. Ich kann
Dir schwer beschreiben, mit welchen Gefühlen ich in meine
so jäh unterbrochene Laufbahn wieder eingetreten bin.
Vorherrschend vor allen anderen ist das Gefühl der Dank-
barkeit, daß mein König meine Dienste angenommen,
mir Gelegenheit gegeben hat, an diesem Kampfe für des
Vaterlandes Ehre theilzunehmen. Alle Zweitel, alle
düsteren Sorgen und Kümmernisse sind von mir gewichen,
wie Nebel vor den Strahlen der ausgehenden Sonne.
Ich will wieder Soldat und nur Soldat sein. Sobald
wir unser Standquartier erreicht haben, schreibe ich Dir
ausführlicher. Für heute uur die Mittheilung, daß ich
gesund und voll froher Hoffnung bin. Sorge Dich also
nicht um mich, mein tbeures Kind, zeige, daß Du eine
mutbize Soldatentochter bist. Ich weiß, ich fühle es,
daß ich aus diesem Kampfe zurückkehren, daß wir uns
wiedersehen werden. Ich hoffe, daß aus der blutigen
Saat nicht nur reicher Segen für das geliebte Vater-
land, sondern, so Gott will, auch ein neues Lebensglück
für uns erwachsen wird." —
Der Brief schloß mit herzlichen Grüßen au die lieben
Freunde in Rerin.
„So ist cs recht," sagte der alle Herr, den Brief
zusammcnlegcnd.
„Kopf in die Höh' und mutbig auf die Zukunft ver-
traut. Die Mahnung gilt auch uns. — Und nun
Kinder, ich. höre den Wagen vorfabren, es muß geschieden
sein." Alle drängten sich um Friedrich, um Abschied zu
nebmen, nur Frida blieb zögernd abseits stehen. Die

hiesigen Hauptbahnhose ein, woselbst der Großherzog
und die Großherzogin zur Begrüßung erschienen waren.
Beide begaben sich in oen Wagen der Königin und
unterhielten sich mit ihr bis zur Weiterreise, welche mit
dem Kurszuge über Mühlacker erfolgte.
Berlin, 27. März. Die Konferenz der Vertreter der
Landcsversicherungsämter und derJnvaliditäts- und Alters-
versicherungsanstalten wurde heute unter dem Vorsitz des
Präsidenten Bödiker eröffnet. 60 Theilnehmer waren
erschienen. Die Tagesordnung umfaßt elf Gegenstände,
darunter die Beschaffung ärztlicher Atteste, die Anrechnung
des Wochenbettels als Krankheitszeit, die Uebernahme des
Heilverfahrens, die Entwerthung der mit Marken ver-
sehenen Ouittungskarten, den Bau von Arbeiterwobnungen
aus Mitteln der Anstalten und das Beitragseinziehungs-
verfabrcn.
Schweiz.
Vern, 27. März. Das Telegrapchn-Büreau „Herald"
meldete unterm 23. März aus Bern, ein gegen den
deutschen Kaiser und die Kaiserin anläßlich ihrer
Rom-Reise geplantes Anarchiste n-C omplott sei ent-
deckt worden. — Zufolge einer Erklärung des Bundes
anwaltes, dem die Ueberwachung der politischen Polizei
obliegt, sei diese Nachricht vollständig erfunden.
Frankreich.
Paris, 27. März. Gestern gab der General-
gouverneur vonAlgierden Officieren des russischen
Geschwaders, das jetzt dort ankert, ein Essen. Er brachte
das Hoch auf den Zaren aus. Admiral Kaznakow
trank auf das französische Volk und den Präsidenten der
Republik. Die Musik spielre die ruffische Hvmne und
die Marseillaise.
Italien.
Rom, 27. März. Eine zweite ärztliche Untersuchung
ergab, daß der Mann, welcher deu Wagen des Königs
beworfen, Berardi, an Verfolgungswahn leidet.
Der Kranke verweigert jede Nahrungsaufnahme.
Rom, 27. März. Die böswilligen Gerüchte über
den Tod des päpstlichen Leibarztes Dr. Eeeca-
relli veranlaßten die Staatsanwaltschaft die Autopie des
Leichenamts anzuordnen, welche ergab, daß der Arzt des
Papstes einem schweren Magenleiden erlegen ist. Nichts-
destoweniger cireulirt immer noch das thörichte Gerücht,
Ceccarelli habe den Auftrag der Freimaurer, den Papst
zu vergiften nicht ausgeführt und sei deßhalb selbst ver-
giftet worden.

tapfer zurückgehaltenen Thränen flössen nun doch bei der
Mutter und Schwester des Scheidenden unaufhaltsam.
Auch der alte Herr wischte sich gerührt die Augen.
Jetzt trat der junge Manu zu Frida. Sie schlug die
Augen in unsäglich traurigem Blick zu ihm auf und
reichte ihm die Hand, die er in überwallendem Gefühl
an seine Lippen zog.
„Werden auch Sie meiner gedenken, Fräulein Frida ?"
fragte er, sein Auge tief in das ihrige senkend.
„Ich werde Ihrer gedenken," erwiderte sie einfach,
„und Gott bitten, daß er auch Sie gesund zurückführe."
Nochmals preßte er die Lippen auf ihre Hand, ein
letzter Blick, dann riß er sich rasch los und folgte den
Scinigen, welche bereits binauSgegangeu waren, um bei
seiner Abfahrt zugegen zu sein. Nur Hedwig war Zeugin
dieser Abschiedsszene gewesen, nur sie sab es auch, wie
cs jetzt mir Frida's gewaltsam behaupteter Fassung zu
Ende war, Ivie sie in den Stuhl zurücksank, von weichem
sie sich erhoben hatte und aufschluchzend das Gesicht in
den Händen barg.
Erst als Hedwig leise hinausgeganaeu war, stand sie
auf und trat an das Fenster. Erst jetzt wußte sic ganz,
was ihr der Scheidende war.
Eben schloß Herr Hagendorfs den Schlag und trat
zurück. Einen letzten Grug winkte Friedrich den Seinen
zu, dann flog sein Auge suchend nach den Fenstern der
unteren Etage zurück. Grüßend lüftete er den Hut, ein
weißes Tuch webte aus dem rasch geöffneten Fenster.
Dann bogen die Pferde rasch durch das Hofthor auf die
Landsttaße ein, und der Wagen entschwand den Augen
der Nachblickenden in einer Staubwolke.
 
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