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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 61 - No. 70 (12. März - 23. März)
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Verkündigungsblatt und Anzeiger

Abonnementspreis
für Heidelberg: monatl. 40 Pfg. mit
Trägcrlohn, durch die Post bezogen
Vierteljahrs Mk. 1.— ohne Zustellgeb.
Znserttonspreis: 10 Pf. für die 1-spalt-
Petttzeile od. deren Raum. Für locale
Geschäfts- u. Privcttanzeigen 5 Pf.

Die,<Bürgerzeitnng"
scheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummer liegt ein Untcr-
haltungsblatt, „Der Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei.

67. Heidelberg, Sonntag, IS. März -.AS-. IllSll.

jM- Erstes Blatt. "WH
Der Abonnementspreis
für die
„Würger - Zeitung"
beträgt für Heidelberg und nächste Umgebung
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am Postschalter abgeholt:
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durch den Briefträger frei in's Saus gebracht:
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Bestellungen der „Bürger-Zeitung" werden für
Auswärts durch die Post, innerhalb der Stadt und nächster
Eingebung durch unsere Träger entgegengenommen.
_Verlag der „Bürger-Zeitung".
Die Lehren der LomurOltistik.
Die Ziffern oer Concursstatistik sind in den letzten
Mren stark angeschwollen. Nach einer kürzlich im „Reichs-
siuzeiger" veröffentlichten Zusammenstellung steigerten sich
b'e Concurseröffnungen vom Jahre 1890 bis 1891 von
^08 auf 7234, im Jahre 1892 waren dieselben sogar
auf 7358 angewachsen. Die letzten zwei Jahre haben
aste auf dem Schlachtfelde unseres Wirthschaftsleben be-
!°nders schwere Verlustziffern gebracht. „Das macht die
Mechte Zeit", sagt der Geschäftsmann, „das ist der Ein-
guß der gedrückten Conjunctur des Weltmarktes", es sind
mißlichen Tarifverhältnisse, die schlechten Ernten, die
bianlose Production", erklärt der Gelehrte, „es ist die
^Ose," lautet das allgemeine Urtheil.
Gewiß, es ist die Krise. Aber wie der Sturm im
^aldc die morschen Stämme, so wirft auch die Krise
Mistens nur schwächliche und zerrüttete wirtbschaftliche
-Ostenzen cur Erde. Der Naturfreund untersucht den
^fällten Stamm nach der Ursache seiner Fäulniß, ebenso
der Beobachter unserer wirthschaftlichen Vorgänge die
^Pfer der Krise nicht zählen, sondern erforschen, warum
gerade sie zusammenbrechen mußten. Dabei gelangt man
iu Erkenntniß, daß die Concursstatistik auch zum

Schickscrt'swege.
Novelle von C. Fontane.

(Fortsetzung.)
„Siehst Du, lieber Junge," fuhr der Onkel fort,
"bas macht sich leicht, und ich habe meine Herzensfreude
^ftn. Wenn ich Dich erst sicher versorgt weiß, dann
^ibt mir nur noch eine Sorge — die Zukunft meiner
Mwig, wenn ich früher oder später einmal die Augen
immer schließen sollte. Es würde mir schmerzlich
sie allein, ohne feste Stütze zurücklassen zu müssen.
Materiell ist sie ja vor jeder Sorge geschützt, sie wird
si" und das mag auch Dir zur Beruhigung dienen —
der Kleinigkeit, die ich für Deine Etablirung be-
^'Amt habe, immer noch mehr zur Verfügung behalten,
sie vernünftiger Weise verbrauchen kann. Aber auch
ein vermögendes Mädchen ist es traurig, allein zu
^'ben. — Du willst sagen, daß sie ja nahe Verwandte
die sie lieb haben, und ihr mit Rath und That
Stehen werden, ja, ja, das ist recht schön, aber — es
o^ügt mir nicht. Ich hätte sie gern noch zu meinen
z bzeiten mit einem wackeren, rechtschaffenen Manne ver-
?^den gesehen, der ihrer Bildungssphärc entspricht, Kopf
Hex', auf dem rechten Flecke bat, einem Manne, der
lieb hat und werth hält, wie sie es verdient, dem
A vertrauen könnte, so — wie ich Dir vertraue. Sie
xj Nun vierundzwanzig Jabre alt, ein Alter, in dem
gebildetes, wohlgestaltetes und vermögendes Mädchen
ihr wohl schon verhcirathet sein könnte, es haben
auch Freier gefunden, aber sie hat bisher alle An-

guten Theil eine zahlenmäßige Feststellung der wirthschaft-
lichen Unerfahrenheit und selbst des geschäftlichen Leicht-
sinns ist.
Schon im Jahre 1890 faßte die Chemnitzer Handels-
kammer ihre Erfahrungen in dieser Richtung der Beur-
theilung eines großen deutschen Erwerbszweiges in folgende
Worte zusammen: „Ein großer Theil der Schuld betr.
der fortdauernd schlechte Lage des Geschäfts liegt an den
Kaufleuten und Fabrikanten selbst, die sich durch gegen-
seitiges Unterbieten der Preise die Aufträge der
Käufer zu sichern suchen, wodurch sie auf eine schiefe
Ebene gerathen sind. Es ist ein trauriges Beispiel, die
Lieferanten eines Weltconsumartikels sich derartig im Wett-
bewerb bekämpfen zu sehen, daß sie sich nicht nur gegen-
seitig auf das Empfindlichste schädigen, sondern auch eine
vordem mächtige, blühende und technisch hochausgebildete
Jndustie ruinieren. Die Concurrenz soweit zu treiben,
ist nicht nur unverständig, sondern es grenzt an systema-
tischen Selbstmord, wie die verschiedenen Zahlungsein-
stellungen beweisen."
Die Jagd nach Aufträgen, um großen Umsatz zu
machen, die Großmannssucht, welche nach reichem Gewinn
haftet und doch schließlich zum Verkaufen der Maaren
für jeden gebotenen Preis genöthigt ist, führt in der in-
dustriellen Welt vielfach geradewegs zum Concurs. In
rein kaufmännischen Kreisen liegen der hohen Concurs-
ziffer andere, aber nicht viel bessere Verhältnisse zu Grunde.
Im letzten Jahresbericht der Dresdener Handelskammer
wird in dieser Beziehung darüber geklagt, daß der Wett-
beireib unter den kaufmännischen Dttailgeschätten in er-
schreckender Zunahme begriffen sei, veranlaßt durch zahl-
reiche Neugründungen von Geschäften, mit häufig ganz
ungenügendem Kapital und unzureichenden Erfahrungen
der Unternehmer. Diese Neugründungen seien einzig
und allein hervorgerufen durch den Drang nach ver-
frühter Selbständigkeit. Vielfach sei dann der
geschäftliche Zusammenbruch nach kurzer Dauer unver-
meidlich. Dadurch werde aber einerseits das kaufmännische
Proletariart vermehrt und anderseits auch auf den Groß-
handel eine ungünstige Wirkung ausgeübt. Aus diesem
letzteren kennen wir gleichfalls einen für viele Concurse im
Großhandel fast typischen Fall. Jüngst brach ein weit bekanntes
Exporthandelshaus zusammen, nachdem es in England
Verluste erlitten hatte. „Das ist die Krise", bieß es
wieder allgemein, aber die Krise und die englischen Ver-
luste würden das alte Handelshaus nicht erschüttert haben,
wenn es nicht schon vorher durch unglückliche Börsen-
geschäfte seinen Boden untergraben hätte. Da fuhr

träge abgelehnt. — Natürlich habe ich ihr in dieser Be-
ziehung vollständig Freiheit gelassen. Ich würde nie daran
denken, auf einen so folgenschweren Entschluß meines
Kindes einzuwirken, aber ich gestehe es offen, ich würde
von einer recht großen Sorge befreit sein, wenn sich in
dieser Beziehung meine Wünsche bald erfüllen würden.
--Und nun, trinke Dein Glas aus, mein lieber
Sohn, und dann wollen wir uns zur Ruhe begeben,
denn es ist genug, daß ein jeder Tag seine eigene Plage
babe."
Friedrich war von der vorangegangenen Unterredung
noch zu sehr erregt, um jetzt schon die erwünschte Ruhe
finden zu können. Er trat an das Fenster unv blickte
hinaus in die vom Mond hell beleuchtete schneeglänzende
Landschaft.
Die Andeutungen, welche ihm der Onkel gemacht,
waren kaum mißzuverstehen. Jetzt fiel ihm auch wieder
ein, was er Anfangs nicht besonders beachtet hatte, daß
seine Mutter heut früh bei seiner Abreise in besonders
weicher Stimmung gewesen war und in den letzten Tagen
so viel von Hedwig sprach.
Onkel Hermann wünschte also, die Zukunft seiner
Tochter durch ihre Verbindung mit dem Sohne seiner'
Schwester gesichert zu sehen. Der alte Mann hatte ihn
lieb und glaubte in dieser Weise für Beide am besten
zu sorgen. Und war es nicht der größte Beweis von
Vertrauen, wenn er ihm sein höchstes Gut, seine Tochter
zu eigen gab, sie, um deren Besitz ihn gewiß Viele be-
neiden würden?
Er vergegenwärtigte sich ihr Bild, wie sie ihm am
Tische gegenüber gesessen hatte, die klare Stirn über ihre

der Sturm der schlechten Conjunctur gegen den geschwächten
Bau und er stürzte zusammen.
Sv wird man bei einer aufmerksamen Prüfung der
Concurse zu der Erkenntniß kommen, daß die weit über-
wiegende Mehrzahl mehr oder minder aus eigenes Ver-
schulden der betroffenen Geschäftsleute zurückzusühren ist.
Unerfahrenheit und Leichtsinn, Großmanns-
dünkel und leider auffallend häufig eine oft geradezu
empörende Genußsucht findet der Beobachter, wenn
er nicht an der Oberfläche bleibt, sondern den Dingen
auf den Grund blickt, als eigentliche Ursache der meisten
Concurse. Sehr schlimmen Einfluß äußert auch auf diesem
Gebiet die schrankenlose Genußsucht. Wer hat in seinem Kreise
oder in seiner Nachbarschaft nicht einen Geschäftsmann kennen
gelernt, auf den das folgende Bild paßt; der Mann hat ein
gutgehendes Geschäft, er verdient viel und hält sich bald zu
vornehm, die Kunden selbst zu bedienen oder länger am
Schreibtische zu stehen als nöthig ist, die wichtigsten
Unterschriften zu geben. Dazu hält der Geschäftsherr
seine Leute. Er selbst ist leidenschaftlicher Sportliebhaber
geworden; dort ist er Autorität und Meister, dort und
im Spiel und Trunk aller Art ist er unermüdlich. Die
Gattin ist ihrem Eheherrn ähnlich. Sie ist nicht in
Küche und Keller die „züchtig waltende Hausfrau," die
„sorgende Mutter," sie ist eine vornehme Dame, die ver-
ächtlich von einer Geschäftshantirung denkt, der sie doch
ihr aufgedonnertes, modisches Kleid, ihre Badereisen,
leckeren Gerichte und hundert andere Dinge verdankt,
von denen ihr Wohlbefinden hauptsächlich abhängig ist.
Der Mann hat seine Leute, sie hat ihre Leute. Das
Geschäft wirft viel ab, aber ebensoviel und fast noch mobr
kostet der Haushalt. Da kommt Concurrenz und der
Gewinn geht zurück; die Krise kommt, aber Einschränkung,
vernünftige Lebensführung kennt matt nicht. Man will
auch in den mageren Jahren in Freuden und Nichtsthun
leben wie in den fetten; Verluste kommen hinzu und
eines Tages muß der Mann statt zu Sport und Spiel,
zum Concursgericht gehen. Auch dieses Bild ist wahrheits-
getreu dem Leben entnommen.
Morsche Stämme werden vom Sturm geknickt,
morsche wirthschaftliche Existenzen zerschlägt in Zeiten
wirthschaftlichen Stillstandes die eigne Last, oft die
eigne Schuld. Die Zeiten der Krise sind auch Zeiten
der wirthschaftlichen Sühne. In ihr rächen sich be-
gangene Fehier meistens schnell und hart. Wer in dieser
Zeit gänzlich schuldlos zu Fall kommt, der hat vor allem
Anspruch auf unser Mitleid, auf unsere Hilfe. Bescheiden-ere
Lebensführung und größere Tüchtigkeit, mehr kaufmänni che

Arbeit geneigt, das reiche Haar schlicht von den Schläfen
nach rückwärts gestrichen und in schweren Flechten am
Hinterkopfe aufgesteckt, für den die Last saft zu schwer
erschien, wie sie das große Auge zuweilen voll zu ihm
aufschlug, um eine Frage zu beantworten, oder irgend
eine Bemerkung zu machen, einfach und in schlichten
Worten, aber stets verständig und treffend.
Er hatte ihr stilles, verständiges Walten im Hause,
ihre liebevolle Fürsorge für den Vater beobachtet und
mußte sich sagen, daß ein solches Mädchen wohl Vielen
begehrenswert!) erscheinen müsse,,daß sie im Stande sei,
den Mann reich zu beglücken, dem sie sich zu eigen gab.
Er fragte sich zweifelnd, ob er ihr die volle und unge-
theilte Liebe bieten könne, die sie mit Recht beanspruchen
müsse, und wenn er es überhaupt könnte, würde sie die-
selbe erwidern?!
Und dann tauchte wieder und wieder ein anderes
Bild vor seinem inneren Auge auf, ein Bild, welches ihn
im Wachen wie in, Träumen begleitet hatte. Doch das
waren Träume, an deren Verwirklichung er nicht denken
konnte. Nicht durch das leiseste Zeichen batte Frida von
Brandau ihn erkennen lassen, daß er ihr mehr sei, als
irgend eine andere Person, welche durch Zufall ihren
Weg kreuzte.
Nein, der alte Mann mit dem edlen, liebevollen
Herzen, sein zweiter Vater, sollte sich in seinen Hoffnungen
nicht täuschen. Wenn Hedwig sich entschließen könnte,
die Seine zu werden, dann wollte er sein ganzes Streben
darauf richten, sie glücklich zu machen, so glücklich, wie
sic es verdiente.
Mit diesem Entschluß beruhigte er sich.
 
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