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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
No. 131 - No. 140 (6. Juni - 16. Juni)
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Berkündigimgsblatt und Anzeiger

Die,^ȟrgerzeituna"
erscheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummer liegt ein Unter-
haltungsblatt, „Der Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei

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Heidelberg, Donnerstag, 15. Juni

1«S3.

Expedition:
Hauptstraße 25.

Expedition:
HauptstratzeW.

Fürst Bismarck — WM dir Militär-
Vorlage.
Ein gewichtiges Wort in letzter Stunde.
Gegen die Militärvorlage plaidirt in letzter
Stunde Fürst Bismarck in den „Hamb. Nachrichten."
Wir lesen da:
„Die „Nordd. Allg. Ztg." erwidert auf unseren neu-
lichen Artikel über die Gefahren, die mit einer wieder-
holten Auflösung des Reichstages verknüpft seien: diese
politischen Nachtheile und Gefahren würden nicht erst
eintretcn, wenn die Regierung zu einer zweiten Auflösung
schreite, sondern schon von dem Augenblicke an zur vollen
Geltung gelangen, in welchem der neue Reichstag die
Militärvorlagc verwerfe. Die „Nordd. Allg. Ztg." stellt
damit eine xetitio prinoipii auf eine Verdunkelung der
Situation. Nicht die Ablehnung der Militärvorlagc
würde die von uns geschilderte Wirkung auf die Börse
und die deutschen Werthpapiere ausüben, sondern die
Wiederholung der Auflösung in Falle der Ablehnung
der Militärvorlage würde diesen Effect haben, vielleicht
auch die Annahme der Militärvorlage in ihrer jetzigen
Gestalt, wenn auch nicht eben so schnell. Wir können
das ja in Ruhe abwarten; aber wir glauben, daß die
deutschen Werthe an der Börse steigen würden, wenn
nicht allein schon durch die Ablehnung der Vorlage, so
doch jedenfalls durch die Politik der Regierung, falls
diese sich der zweiten Auflösung enthielte und sich zur
Aufgabe stellte, anderweite für den Reichstag annehmbare
Vorlagen einzubringen. Wir wollen beide Wege nicht
wiederholt auf ihre verfassungsmäßige Bedeutung und die
Beruhigung, die der eine von ihnen nach dieser Richtung
üben würde, nochmals prüfen, sondern nur unsere Ueber-
zeugung wiederholt auSsprcchen, daß eine neue Auflösung
beunruhigen, ein Zurückziehcn der Vorlage nach wieder-
holter Ablehnung unter Einbringung einer neuen und
leichter annehmbaren nicht nur den financiellen, sondern
auch den politischen Kredit des Deutschen Reiches
und seiner Einrichtungen wesentlich stärken würde. Die
Zurückziehung der alten Vorlage nach einer neuen Ab-
lehnung würde im Jnlande wie im AuSlande den Ein-
druck machen, daß die Regierungspolitik die staats-
männische Ruhe wieder erlangt hat, welche ihr in
der Agitation für die Annahme der jetzigen Vorlage
einigermaßen verloren gegangen ist. Die Welt würde
sich eben überzeugen, daß die deutsche Rcgicrungspolitik
fern davon ist, einem rechthaberischen Festhalten
an dem einmal Ausgesprochenen und Vorgelegten den
inneren Frieden des Landes zu opfern.
Es gibt in jedem Lande Staatsmänner, welche nicht
blos gläubige Zeitungsleser, sondern sich an ihren eigenen
Preßclaboratcn aufrcgen, und das Verhalten unserer
officiöscn Presse beweist, daß es auch bei uns nicht daran
fehlt. Der ganze Artikel der „Nordd. Allg. Ztg." be-
ruht auf der Voraussetzung, die wir nicht theilen, daß für
die „Erhaltung der Sicherheit Deutschlands" gerade diese
Caprivische oder Huenesche Vorlage unentbehrlich sei.
Wir glauben im Gegentheil, daß durch die Annahme
dieser Vorlage einstweilen die „Sicherheit Deutschlands"
vermindert werden würde, namentlich so lange nicht die
notwendige Vervollständigung an Lehrpersonal des Heeres
und an bespannter Artillerie nachgeholt sein wird. Wenn
wir mit der Deckung unserer Lücken in dieser Beziehung
begonnen hätten, so würden wir in der That militärisch
stärker sein und zwar sofort in Jahr und Tag. Daß
die Regierungsvorlage vor der Hand eine
militärische Schwächung in Aussicht stellt,
bestreiten, selbstdercn amtliche Bert r eter nicht
u. die Wahrnehmung, daß die Regierungspolitik auf diesem
irrthümlichen Wege bis zu einer zweiten Auflösung be-
harre, würde eben die Autorität des Reiches und
den Glauben an die Festigkeit unserer
Reichsinstitutionen in stärkerem Maaße
erschüttern als die erneute Ablehnung der
Vorlage und die verfassungstreue Bereitwilligkeit der
Regierung zur Umarbeitung derselben behufs Herbeiführung
eines Kompromisses.
Die deutsche wie die preußische Verfassung beruhen
auf dem Grundsätze, daß der bestehende Rechtszustand
im Wege der Gesetzgebung nicht geändert werden kann
»hne Zustimmung des Monarchen resp. der verbündeten
Regierungen einerseits und des Reichstags resp. des preuß.
Landtages andererseits. Jede dieser Potenzen besitzt ein

verfassungsmäßiges Veto gegen Aendcrungcn der Gesetz-
gebung und wenn dieses Veto von einer dieser Potenzen
ausgeübt, von der anderen aber nicht beachtet, sondern
darüber zur Tagesordnung übergegangcn wird, so leidet
das V er fassun gsrecht Noth und seine Halt-
barkeit wird auf die Probe gestellt. So kann
auch unsere Militärgesetzgebung nicht ohne Zustimmung
des Reichstages geändert werden und will man diese
Zustimmung durch Drohungen und Auflösung erzwingen,
so räumt man dadurch den damit in ihrer Mitwirkung
verkürzten Factoren der Gesetzgebung einen gewissen An-
spruch ein, auch ihrerseits in der Verfassung nach Mitteln
zu suchen, durch welche sie einen Zwang zur Durch-
setzung eigener Wünsche auf die zur Mitwirkung berech-
tigten Factoren der Gesetzgebung ausüben können, ein
Zwang, bei dem nicht mehr die Interessen des Landes,
sondern die Machtbedürfnisse der einzelnen Factoren der
Gesetzgebung die leitende Rolle übernehmen. Jede directe
oder indirecte Vergewaltigung beider berechtigten Organe
wirkt auf das Vcrfassungsleben lockernd und störend, sie
fordert eine Reaction heraus, die ebenso gut von unten
wie von oben versucht werden kann. Ihr vorzubeugen
ist die Aufgabe parlamentarischer Kompromisse und selbst
berechtigte Wünsche einer Regierung sollen
inVerfassungsstaaten lieber in der Aus-
führung vertagt werden, als daß man ihre
Durchsetzung zu erzwingen sucht.

Deutsches Reich.
Heidelberg, 11. Juni. Schon Mancher wird
sich angesichts der morgigen Wahl gefragt haben, wer
wird dabei gewinnen? die oder jene Partei, die Militär-
vorlage oder ihre Gegner? Nur ein wenig Geduld, das
wird sich ja bald zeigen, ohne daß man sich den Kopf
zerbricht. Eines aber läßt sich heute schon mit Sicherheit
sagen: den größten Gewinn werden dabei vor allen Anderen
die Pa picrfabri kanten und die Druckereien
haben. Denn geradezu beispiellos ist die Fluth von be-
drucktem Papier, die sich in den letzten Tagen über
Deutschland ergießt und es wäre interessant, einmal im
Stile der militärfreudigen Parteien zu berechnen, wie
viel Meter solchen Druckpapiers auf den Kopf
der deutschen Bevölkerung kommen. Aus
Berlin, namentlich aus der Hof buch Handlung von
Mittler u. Söhne ergießt sich eine wahre Sintfluth
von Flugblättern über das wehrlose Volk. 200 000 Flug-
blätter dieser Sorte wurden, wie berichtet wird, allein am
vergangenen Samstag Abend in Karlsruhe durch die Haupt-
post befördert. Die genannte Hofbuchhandlung ist be-
kanntlich bevorzugter militärischer Verlag und daraus läßt
sich wohl allerdings schließen über den Ursprung jener
Quelle, welche von Berlin aus die deutschen Lande über-
fluthet. Und was für erschreckliche Dinge werden in diesen
Flugblättern nicht alle mitgetheilt; Dinge, die zu wider-
legen schon so oft unternommen wurde, die man aber
nach dem Grundsatz, nur immer wiederholen und recht
laut schreien, emsig von Neuem vorbringt. Wenn dabei
etwas beruhigen kann, so ist es das, daß den deutschen
Wählern doch endlich Zeit und Geduld ausgehen, um
all' diese Blättchen zu lesen und sich dadurch etwa be-
irren zu lassen. Die deutschen Wähler haben Zeit genug
gehabt, sich ein Urtheil über die Militärvorlage zu bilden
und sich auf den 15. Juni vorzubereiten. Sie werden
sich durch diesen Ansturm nicht aus dem Concept bringen
lassen. Sie wissen, wo die wahren Freunde des Volks
und seiner Rechte zu finden sind; sie haben dies schon bei
der Reichstagswahl von 1890 richtig herausgefunden.
Jetzt, wo sie das alte Kartell in neuer Fa?on wieder
aufleben sehen — d. h. in der denkbarst vollendeten
Gestalt, indem die sogen. Nativnalliberalen ganz einfach
und schlicht zu wirklichen, unverfälschten Konservativen
und Agrariern geworden sind, — jetzt werden sie erst
recht wissen, wo die wirklichen Freunde des Volks zu
finden sind. Auf diejenigen sich zu verlassen, die es
soweit gebracht haben, ihrem alten Heiligen von Friedrichs-
ruh, dem Fürsten Bi sm arck, den Rücken zu kehren und
den ehemals verhaßten Caparivi als wahre Autorität
zu verehren, das wäre eine so erstaunliche Thvrheit, wie
sie das deutsche Volk nicht zu Stande bringen wird.
X Heidelberg, 14. Juni. Worauf es beim
Militärstreit ankommt. Hierüber schreibt eine
Korrespondenz für Centriimsblättcr: „Der Grundgedanke

unseres Rcgierungsplancs ist nicht die Deckung des Notb-
wendigcn, sondern die Erzielung eines großen Neberge-
wichtes, das angeblich von dem Concurrenten nicht wett
gemacht werden kann. Es sind die Verdy'schen Pläne
in verbesserter Auflage." Es heißt jetzt: „Weg mit dem
civilistischen Standpunkte, daß das Heer nur so groß
sein soll, als cs muß! Es soll so groß werden, als es
kann! Das ist der kritische Punkt,' über den jetzt die
Wähler zu entscheiden haben." Die Regierung kann eine
bedeutende Verstärkung der Kriegsarmee haben, wenn sie
die zweijährige Dienstzeit mit erträglichen Kompensationen
annimmt. Damit ist für das Notwendige, für die
Sicherheit Deutschlands, wirklich gut gesorgt. Wenn sie
aber eine Riesenarmee mit Ausbildung aller Fähigen an
strebt, die alle Konkurrenz weitaus übertrumpft, so ist
das eine Lurus-Forderung, die mit Recht als Militarismus
bezeichnet wird. „Hier schieden und hier scheiden sich die
Wege." Das kentrum beharrt bei der Resolution Windt-
hvrst und vertheidigt den bisherigen „Zustand" : schritt-
weise das Nothwendige für die Wehrkraft zu leisten."
Die „Germania" bemerkt: „Windthorst wollte ein Halt
gebieten gegenüber uferlosen Plänen, Caprivi-Huene ver-
wirklichen dieselben in einem ersten, schon übermäßig
großen Schritt. Und der erste Schritt ist bekanntlich der
schwerste, die weiteren Schritte vollziehen sich nach dem
Gesetze der schiefen Ebene immer leichter!"
Hamburg, 13. Juni. Die Anhänger und Verehrer
des Fürsten Bismarck erhalten für die Wahl abermals
durch die „Hamb. Nachr." ein Vademecum, das wie
folgt lautet: „Zur Zeit dreht sich Alles um die Mili-
tärvorlage. Dieselbe wird in Folge des Lärms, den die
offiziöse Presse macht, in der That überschätzt, nament-
lich in ihrer Bedeutung für die bevorstehenden Wahlen.
Weder die Annahme noch die Ablehnung der Vorlage
wird einstweilen eine erhebliche Aenderung unserer Si-
tuation herbeiführen, die Annahme höchstens eine mili-
tärische Schwächung, die wir demnächst durch
Vervollständigung derjetzigenForderungen
und der Deckung ihrer Lücken werden aus-
gleichen müssen. Die Vorlage wird, nachdem sie
ausreichend bei den Wahlen erörtert ist, schwerlich lange
Zeit den Reichstag in Anspruch nehmen; sie kann in
wenig Tagen, jedenfalls in wenig Wochen positiv oder
negativ erledigt sein; dann aber haben die jetzt zu
wählenden Rcichstagsabgeordneten ihre Mandate bis zum
Jahre 1898 im Besitz und die Hauptfrage für den
Wähler bleibt doch immer die, was er in diesem
Rest von 5 Jahren von ihnen zu erwarten
hat."
Posen, 13. Juni. Der Kaiser traf heute früh
6 Uhr hier ein und ließ sofort die Garnison alarmiren.
Er begab sich an der Spitze der Fabnenkompagnic nach
dem Ererzierplatz bei Glowno, wo eine Uebung stattfand.
Posen, 13. Juni. Der Kaiser kehrte um 12^
Uhr an der Spitze der Fahnenkompagnie zurück. Auf
dem ganzen stundenweiten Wege vom Exerzierplatz bis
zur Stadt bildete eine zahlreiche Menschenmenge Spalier
und begrüßte den Kaiser enthusiastisch. Der Kaiser dankte
sichtlich erfreut. Die Stadt ist reich geflaggt.
München, 13. Juni. Die Leiche des Herzogs
Mar Emanuel wird morgen im Schlosse Bieder-
stein aufgebahrt und Donnerstag in der Familiengruft
zu Tegernsee beigesetzt werden.
Luxemburg.
Luxemburg, 13. Juni. Das Gesammtergebniß der
Kammerwahl ist eine Niederlage der liberalen
Partei. Von 20 Abgeordneten wurden gewählt 14
Klerikale und Agrarier, 2 Liberale. 2 Stichwahlen sind
nöthig, die in acht Tagen stattfinden.
Frankreich.
Paris, 13. Juni. Gestern Abend war großer Em-
pfang der deutschen Botschaft, deren AeußereS
glänzend beleuchtet war. Fast alle Minister und Würden-
träger, viele Generäle, die vornehme Pariser Gesellschaft,
die Diplomatie mit dem Nuntius an der Spitze, ver-
schiedene berühmte Persönlichkeiten, die deutsche Kolonie
und Mitglieder mehrerer Fremdencolonieen wohnten dem
Feste bei. Graf Münster und Gräfin Marie erwiesen,
unterstützt von den Botschaftsmitgliedern, die Ebren des
Festes, bei dem den ganzen Abend Zigeuncrmustk spielte.
Der russische Botschafter war am Erscheinen verhindert
durch eine Verletzung, die er sich am Sonntag bei dem
 
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