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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 91 - No. 100 (19. April - 29. April)
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Dl« ,^vürg«rzeit«ng"
erscheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummer liegt ein Untcr-
haltungsblatt, „D«r Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentantm „Der deutsche
Michel" bei.

Verkündigungsblatt und Anzeiger
für Stcröt unö Lcrnö.

Abonnementspreis
für Heidelberg: mouatl- 40 Pfg. mit
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Vierteljahrs. Mk. 1. ohne Zustellgeb.
Insertionsprcis: 10 Pf. sür die 1-spalt.
Pctitzeile od. deren Raun:. Für locale
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S7. «.LÄL-W Heidelberg, Mittwoch, 26. April

Expedition:
HanptstraßeSS.

1«S3.

Westellungen
ans die „Bürger-Zeitung" für'die Monate
Mai «nd Jnni
werden fortwährend von sämmtlichen Postanstalten, Brief-
trägern und unfern Agenturen zum Preise von
Mss- 97 Pfennig -WU
frei in s Hans, sowie von unfern Trägern und
Trägerinnen hier und der nächsten Umgebung zum
Preise von
nur 40 Pfg. monatlich
entgegengenommen.
Verlag der „Bürger-Zeitung".
Freisinnige Volksversnmmiunn in
Neckargemünd.
„Das Kampfspiel zu erwarten," wie es beim Dichter
heißt, nur mit dem Unterschied, daß nicht grimmige Leuen,
sondern der Deutsch-Freisinn und ein Kind conservativen
Geistes ihre Kräfte messen sollten, fand sich am Sonntag
Nachmittag in dem freundlichen Neckar-EIsenzstädtchen ein
zahlreiches Publikum im „Prinz Carl" zusammen. Es
galt zunächst, den rühmlichst bewährten Redner Herrn
Anwalt Muser aus Offenburg, sodann als Gegner in-
mitten seiner conservativ-antisemitisch-agrarischen Domäne
Herrn Consul Menzer zu hören. Mit einem wohl-
instruirten kleinen Gefolge, notabene ungeladen, nicht
eingeladen, wie ein Telegramm irrig mittheilte, erschien
Letzterer denn auch, doch wer da erwartete, einen parla-
mentarisch fähigen mit Gründen und Gegengründen aus-
gerüsteten Mann hören zu können, hatte sich gründlich
getäuscht. Mit dem „Kampfspiel" war es nichts,
Herr Menzer kam nur, um einmal einen eclatanten
Beweis zu geben, wie man als Reichstagsabge-
vrdneter die jämmerlichste Rolle spielt, die ein solcher
überhaupt spielen kann, er wollte erhaben-ironisch erscheinen
Und belud sich wieder wie am zweiten Ostertag im Kreise
Pfälzer Tabakbauern mit dem Fluch der Lä ch erli chkei t.
Nun, der conservative Herr Menzer wußte wohl, daß ein
Nkuscr vor ihm stand. Da war es allerdings klüger,
!ein Schwert in der Scheide zu lassen und nach einer
lächerlichen Erklärung zum allgemeinen Ergötzen — wieder
^eimzuwandern mit seinem kleinen Domänengefolgc.
Immerhin ist sein Erscheinen von Werth gewesen,
^nn mit seinem directen Kläglichkeitserweis, den ihm
selbst seine Parteiorgane vollgewichtigst zugestehen, hat er

indirect wenigstens doch der deutsch - freisinnigen Partei den
dortigen Boden bereitet.
Doch nun zur Versammlung selbst. Dieselbe wurde
um halb 4 Uhr von Hrn. Prof. Ostboff aus Heidelberg
mit einigen einleitenden Bemerkungen eröffnet.
Alsdann nahm das Wort Herr Landtagsabg. Oskar
Muser zu einem mehr als 1 ^stündigen Vortrag über
„die nächsten politischen Aufgaben der Freisinnigen."
Zunächst spricht der Redner den Wunsch aus, daß der
Versammlung bei aller Schärfe der politischen Dis-
cusston ein fachlicher Charakter bewahrt bleibe: Er sei
der Meinung, daß die politische Durchbildung des deutschen
Volkes endlich so weit gekommen sein müsse, daß es
möglich sei, daß politische Gegner ihre abweichenden An-
sichten mit Ruhe und Sachlichkeit erörtern, wie sie unter
politischen Männern überhaupt am Platze ist. Er zweifle
daher nicht daran, daß auch die heutige Versammlung
einen ruhigen Verlauf nehmen werde. Er (Redner) habe
vor etwa 4 Wochen in Engen einen Vortrag gehalten,
bezüglich deren eine gewisse Presse an Unwahrheiten 'und
Entstellungen das menschenmögliche geleistet habe. Herr
v. Hornstein habe sich nicht gescheut, ihm dort entgegen-
zuhalten, die Gründe, die wir Freisinnigen für unsere
Ansichten ins Feld führen, wären nicht die eigentlichen
Gründe, es liege uns nichts an dem deutschen Reich —
das hat er direct gesagt. In diesem Ausfall offenbart
sich sehr wenig Aristokratie des Geistes. Ich war außer-
ordentlich überrascht und enttäuscht — ich mache kein
Hehl daraus, — daß an Stelle einer sachlichen Pole-
mik in dieser Weise ein Angriff gegen eine Partei ge-
richtet wurde, der Hunderttausende von Bürger angehcren.
Ich erwarte nicht, daß wir heute hier in Neckargemünd
in ähnlicher Weise eine Discussion zu führen haben
werden. Ich freue mich, wenn Gegner das Wort er-
greifen, um ihre Ansichten zu vertreten. Scharf liebe ich
zu polemisiren, aber streng sachlich und ohne den poli-
tischen Gegner persönlich anzugreifen und zu kränken.
Alsdann geht der Redner auf das Thema seines Vor-
trages ein und begründet zunächst die Forderung auf Ge-
währung von Diäten an die Neichstagsabgeordneten,
damit auch Vertreter namentlich des Mittelstandes in den
Reichstags gewählt werden können. Jetzt sei es nur dem
Wohlhabenden möglich, sich in den Reichstag wählen zu
lassen, weil der Aufenthalt in Berlin während einer fünf-
jährigen Legislaturperiode einen bedeutenden Aufwand er-
fordere. Bei der Gründung des Reiches habe man ge-
sagt: Zuerst die Einheit auf solider Grundlage und
dann den freiheitlichen Ausbau. Wir sind der Meinung,

daß nur der Fortschritt ein gesunder sein kann, welcher
ein maßvoller ist; aber es ist ein großer Unterschied
zwischen einem maßvollen Fortschritt in der That und
einem solchen lediglich in Phrase. Redner erinnert an die
vor den Wahlen 1887 gemachten Versprechungen. Nach-
dem die Wahl in der bekannten Weise vor sich gegangen,
genirte man sich alsbald nicht, die Verfassung in reac-
tionärem Sinne umzuändern, indem man die Legislatur
Periode von 3 auf 5 Jahre verlängerte und damit da«
Volk in seinen Rechten schmälerte. Wir verlangen auch
eine Ermäßigung der Proceßkosten — Gerichts- sowohl
wie Anwaltskosten — damit Jedermann auf eine billige
Weife zu seinem Rechte gelangen kann. Durch die Er-
höhung der Gerichtskosten haben die Rechtsstreitigkeiten
nicht abgenommen, sondern die Möglichkeit eines gericht-
lichen Austrags ist geringer geworden. Und das ist ein
gefährlicher Zustand und führt zur Erbitterung und Ver-
bitterung, zur Unterhöhlung der solidesten Grundlage des
Staates. Der Staat ruht auf dem Vertrauen seiner
Bürger zu dem Recht sicherer als auf hunderttausend Ba-
jonnetten. Im Anschluß daran berührt Redner kurz die
Frage der indirekten Steuern. Die indirecte Steuer ist
nicht eine Steuer nach Maßgabe des Vermögens, sondern
nach Maßgabe des Verbrauchs. Infolge dieser indirekten
Steuern ist der Minderbemittelte genöthigt, seinen Ver-
brauch einzuschränken und diese Einschränkung des Ver-
brauches ist ein Grund mit für schlechte Lage von Hand
werk, Industrie und Gewerbe. Des weiteren kommt Herr
Muser auf die Militärvorlage zu sprechen und weist
daraufhin, daß die Regierung durch Zubilligung der
zweijährigen Dienstzeit die alte freisinnige Forderung als
berechtigt zuerkannt habe. Wie die Freisinnigen in der
Frage der zweijährigen Dienstzeit Recht behalten baden,
so hat sich auch ihr Standpunkt gegenüber dem Socialisten-
gesetz und dem Kulturkampf als das richtige erwiesen.
Wir sind alle darüber einig, daß Deutschland, so wie
die Verhältnisse nun einmal liegen, ein starkes Heer
braucht. Wenn heute wieder der Augenblick eintreten
sollte, wo das deutsche Volk unter Waffen gerufen wird,
so wird ein jeder, ob er rechts oder links steht, seine
Pflicht thun und seine ganze Kraft in den Dienst des
Vaterlandes stellen. Redner erörtert nun kurz die Stel-
lung der verschiedenen Parteien gegenüber der Vorlage
und beleuchtet die Wandlungen, welche die National-
liberalen in dieser Frage durchgemacht haben. Ende No-
vember fand in Karlsruhe eine natl. Parteiversammlung
statt, in welcher nach der „Bad. Ldsztg." Herr Böck er-
klärte, die Regierungsvorlage sei unannehmbar und Herr

An einem Knnr.
Criminalgeschichtc von Jenny Hirsch.
(Forschung.)
Da war nichts von Haß, nichts von Rache gegen die
Kusine, ein unsägliches Mitleid mit der unglücklichen,
so verstockten Verbrecherin erfüllte ihre Brust; sie sah
als ein furchtbares Verhängniß an, daß ihr die Auf-
übe geworden, die Sünderin dem Gerichte zu überliefern,
sie erfüllte diese Pflicht voll Abscheu gegen das Ver-
zechen, aber voll bimmlischcn Erbarmens mit der Ver-
"hcherin.
Bei allen Verhören, die mit Johanna angestellt
^kden, hüllte sich diese in ein frostiges Schweigen, ließ
N jede Antwort abdringen und gab sie in der einsilbigsten
^ejse. Ihr trotziges, unliebenswürdiges Wesen nahm
Richter gegen sie ein, und während sic bei der Be-
hexung ihrer Unschuld blieb und bei jedem Verhör
j^ärtc, man möge sie nicht weiter Plagen, sie vermöge
hn einmal gemachten Aussagen kein Wort hinzuzufügcn,
hften sich die Beweise ihrer Schuld. Was von dem
dhge des Prozesses in's Publikum drang, war geeignet,
gegen sie erhobenen Beschuldigung, die zuerst dem
gemeinen Zweifel begegnet war, mehr und mehr Glaubens-
yhigkeit zu verleihen, und lange ehe der Nichterspruch
h sie gefällt werden konnte, hatte die öffentliche Mei-
^g das Schuldig über sie ausgesprochen.
h Die gerichtliche Obduction des Barons hatte den
kNpruch der Aerzte, daß sein Tod durch gewaltsames
Dicken herbeigeführt worden sei, unwiderleglich bestätigt.
E" sorgfältigsten Nachforschungen war es nicht gelungen,

die leiseste Spur zu entdecken, daß ein Fremder, sei es
durch List oder durch Gewalt, Eingang in das Haus ge-
funden habe.
Die Dienstboten waren beinahe gleichzeitig auf das
Lärmen und Hillferufen im oberen Stockwerke aus ihren
Zimmern hervorgestürzt und hätten einer für den Andern
als Entlastungszeugen dienen können, wenn man über-
haupt darauf gekommen wäre, sie zu verdächtigen. Während
Lina, die Thür an Thür mit dem Baron schlief, sobald
sie das Gepolter in seinem Schlafzimmer gehört, aus
dem Bette gesprungen und unangekleidet, wie die Diener-
innen bezeugten, dahingeeilt war, wollte Johanna Zeit ge-
funden haben, sich anzukleiden, die Treppe hinunter,
den Korridor entlang zu gehen und doch noch mehrere
Minuten bei dem Tobten zu weilen, ehe Lina dazu kam.
Dieser Widerspruch lag sehr auf der Hand und verstärkte
Linas Aussage, sie habe Johanna in dem Augenblick be-
troffen, als diese, nachdem sie den Tisch umgeworfen und
somit selbst zur Verätherin ihrer That gewesen sei,
fliehen gewollt.
Wenn aber Jobanna selbst den Tisch umgeworsen
hatte, brauchte sie deßhalb die Mörderin zu sein? Konnte
sie nicht durch irgend ein Geräusch erweckt, von Be-
sorgniß für den Onkel erfüllt, in dessen unverschlossenes
Zimmer geeilt und vor Schreck und Entsetzen über den
sich ihr darbietenden Anblick den Tisch umgestoßen haben.?
Dieser Annahme, welche der Justizrath Birkner auf-
zustellen sich bemühte, widersprachen eine Reihe von
Thatsachen. Zuerst Johanna's eigene Aussage, welche
dabei blieb, sie sei durch Poltern und Klirren aufgestört
worden und habe bei ihrem Eintritt in das Schlaf-

zimmer die grausige Zerstörung gefunden, und dann
Linas Behauptung, daß sie die Cousine auf der Flncht
ergriffen habe. Von einer besonders zärtlichen Besorgniß
Johannas für den Onkel konnte nicht die Rede sein.
So große Mühe sich Fräulein Lina von Mörner augen-
scheinlich gab, nichts gegen ihre Cousine auszusagen, was
sich nur irgend verschweigen ließ, konnte sie doch nicht
umhin, zugestehcn, daß Johanna wenig Liebe, wenig
Aufmerksamkeit für den Onkel gehabt habe, und daß es
zwischen beiden öfter zu recht peinlichen Auftritten ge-
kommen sei.
Das Gleiche bezeugten die Dienstboten und einige
der nächsten Bekannten des Hauses, vor allen der Assessor
von Werdenfeld, welcher der Wahrheit gemäß bekennen
mußte, daß an dem Abend vor der Ermordung des Ba-
rons ein starker Wortwechsel zwischen ihm und Fräulein
Bertelsmann stattgefunden, daß der Baron gedroht habe:
„So lange ich lebe, gestatte ich nicht, daß Du ein vaga-
bondirendes Gouvernantenleben führst, ich werde aber
morgen mein Testament machen und Du sollst dieser
Stunde gedenken," worauf Johanna geantwortet hatte:
„Ich werde ihrer nicht vergessen, sie soll mir ein Sporn
sein, mich frei zu machen um jeden Preis."
Obgleich der Assessor das Zeugniß widerwillig ablegte
und daran die Versicherung knüpfte, er sei von Fräulein
Bertelsmanns Unschuld überzeugt und lege jenen Aeußer-
ungen keinerlei Bedeutung bei, fielen sie doch schwer gegen
Johanna in's Gewicht, um so mehr, als sich zwei stumme
und doch sehr beredte Zeugen dazu gesellten: das unvoll-
zogene Testament, weiches Johanna's Erbtheil auf ein
sehr bescheidenes Maaß herabsetzte und das zwischen dem
 
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