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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 101 - No. 110 (30. April - 11. Mai)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43990#0423

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Die,^vürgerz«itirng"
erscheint täglich mit Ausnahme von
- Sonn- und Feiertagen.
jOrr Sonntagsnummer liegt ein Untcr-
^»ltungsblatt, „Der Erzähle^', mit dem
yuinor. Repräsentanten „Der deutsche

Michel" bei.

Verkündigungsblatt und Anzeiger
für Stadt und Land.

Abonnementöpreis
für Heidelberg: monatl. 4V Pfg. mit
Trägerlohn, durch die Post bezogen
Vierteljahr!. Mk. 1.— obne Zustcllgeb.
Znsertionspreik: lO Pf. für die 1-spalt-
Petitzcile od. deren Raum. Für locale
Geschäfts- u- Privatanzeigen 5 Pf.

102. ».LL-s. Heidelberg, Dienstag, 2. Mai

WesteLungen
"us die „Bürger-Zeitung" für die Monate
Mai und Juni
Werden fortwährend von sämmtlichen Postanstalten, Brief-
wägern und unfern Agenturen zum Preise von
UW" 97 Pfennig "ME
Ekei in s Haus, sowie von unfern Trägern und
Jägerinnen hier und der nächsten Umgebung zum
Preise von
nnr 49 Pfg. monatlich
^tgegengenommen.
Verlag der „Bürger-Zeitung".
Kaiser Wilhelm II. und Papst Le» XIII.

In dem Trinkspruche, den Kaiser Wilhelm bei dem
Aladiner im Ouirinal zu Rom auf das italienische
^önjgspaar ausbrachtc, fehlt Eines: der Hinweis auf
Errungenschaft deS jungen italienischen KönigSreiches,
von den Anhängern des italienischen KönigSreiches
Meisten gepriesen wird: auf die Erlangung Roms
A Hauptstadt. Und dieses Schweigen erklärt sich leicht.
Kaiser Wilhelm II. ist zwar in erster Linie anläßlich der
fernen Hochzeit des italienischen Königspaares nach
^oni gekommen, aber die Gelegenheit, mit dem Papste
5^e Unterredung zu haben, welche möglicherweise politische
?ideutung erlangen könnte, war zu verlockend, als daß
"E hätte verabsäumt werden dürfen.
. In Deutschland steht die wichtige Militärvvrlage auf
Tagesordnung des Reichstages und eine Majorität
dieselbe ist anscheinend nur mit Hülfe deS kathol.
ftsntrums zu erlangen, das sich derselbe wenig geneigt
^>gt. Schon einmal hat Fürst Bismarck mit Hilfe des
Ödstes das deutsche Centrum zur Heeresfolge gebracht;
lag nahe, diesen Versuch noch einmal zu machen.
Diesmal war eS der Kaiser persönlich, der ihn unternahm.
Jftt welchem Erfolge? Es scheint, mit keinem un-
^Nstjgen. Der Widersacher Deutschlands, Cardinal Ram-
^a, hielt sich ferne und die Cardinäle Mocenni und
^dochowski, der Erstere ein Parteigänger Deutschlands,
Letztere zum Mindesten doch preußischer Unterthan,
^eni ein Pole mit antirussischen Jnstincten, dem eine
iärkung der deutschen Wehrmacht nicht unsympatisch sein
>^n, traten in den Vordergrund. Wenn man aus
vieren Anzeichen auf innere Vorgänge schließen darf,

so geben der beispiellos auszeichncnde Empfang des
deutschen Kaiserpaarcs durch den hl. Vater, die nachträg-
lichen Auszeichnungen der Cardinäle Mocenni und Ledo-
chvwski, des Gesandten beim Vatikan Herrn v. Bülow
und des Personals der Legation Anhaltspunkte für die
Annahme, daß der Kaiserbcsuch im Vatikan nicht ohne
Resultat im Sinne der Tendenz geblieben ist, in der er
gemacht wurde.
Geradezu Aufsehen erregt hat die neuerdings ge-
meldete Verleihung des Schwarzen Adlerordens an den
Cardinalstaatssecretär Rampolla, eine Auszeichnung, die
der Kaiser nur in den seltensten Fällen verleiht. Gerade
Cardinal Rampolla ist, wie bereits erwähnt, derjenige, der
bisher die franzosenfreundliche Politik im Vatikan auf'S
Eifrigste vertrat.
Zum Cardinal Ledochowski, welcher bekanntlich während
des Kulturkampfes zwei Jahre im Gefängnisse saß, soll
der Kaiser wörtlich gesagt haben: „Eminenz werden ge-
beten, die Vergangenheit zu vergessen; als die traurigen
Ereignisse verkamen, wußte ich nichts davon!"
Ein vatikanisches Blatt, die „Voce della Verita,"
schreibt, das deutsche Centrum müsse in dem Besuche des
Kaisers im Vatikan ein Triumph seiner Sache erblicken.
Als die Galakutsche Kaiser Wilhelms über den Peters-
Platz fuhr, da sandten alle Katholiken Roms im Geiste
den Katholiken Deutschlands ihren Gruß. Die Energie,
der Muth und der cremplarische Gehorsam der deutschen
Katholiken gegenüber dem Papste verdienten wahrscheinlich
eine öffentliche Anerkennung, wie sie der Besuch des
Kaisers beim Papste war.
Nach alledem darf man wohl annehmen, daß zwischen
dem deutschen Kaiser und dem hl. Bater Unterhandlungen ge-
pflogen wurden, die auf die Zukunft der Dinge in
Deutschland immerhin eigenen Einfluß haben werden,
wenn sonst auch noch so beharrlich betheucrt wird, der
Besuch im Vatikan habe mit den deutschen Dingen der
Gegenwart nichts zu schaffen.
Dresden, 29. April. Das amtliche „Dresdener
Journal" erklärt die Nachricht, daß die sächsische Regierung
sich gegen eine eventuelle Auflösung des Reichstags im
Falle der Ablehnung der Militärvorlage aus-
gesprochen habe, für völlig grundlos, da zur Zeit über-
haupt noch kein Anlaß Vorgelegen habe, zu einer solchen
Frage Stellung zu nehmen.
Berlin, 29. April. Vor der Auflösung des Reichs-
tags wünscht die Regierung der „Freis. Ztg." zufolge in
jedem Falle noch folgende Gesetzentwürfe erledigt
zu sehen: Die Nachtragsetats, den Vertrag mit Ko-

Expedition:
Hauptstraße 25.

18S3.

lumbia, die Novelle zum Gesetz über den Unterstützungs-
wohnsitz, das Gesetz über die Abzahlungsgeschäfte, die
Novelle zum Wuchergesetz, die Novelle zum Militärpensions-
gesetz, das Gesetz über die Ersatzvertheilung. Alle diese
Gesetzentwürfe sind so weit vorgeschritten in der Berathung,
daß bis Ende in der nächsten Woche ihre Erledigung
erfolgen könnte. Verzichten würde die Regierung bei der
Auflösung auf die lex Heinze, das Auswandcrungsgesetz,
das Seuchengesetz, die Novelle zum Jnvalidenfondsgcsctz
Verstärkung der Betriebsfonds u. A.
Neapel, 29. Aprit. Das Kaiserpaar und das
Königspaar besuchten heute gegen 10 Uhr Pompeji,
wo sie die Hauptstraßen und die Bauwerke besichtigen
und an der Strada die Nola einer Ausgrabung dreier
Zimmer der Casa delle Grande Colonnc beiwohnten.
Hierbei wurde zahlreiches Hausgeräth aus Bronze, Eisen
und Thon zutage gefördert. Nach dem Frühstück in den
Stabiner Thermen kehrten sie um halb 3 Uhr nach
Neapel zurück.

Deutsches Reich.
Aus dem Amt Heidelberg, 29. April. Die
„HeidelbergerZeitung" möchte wetten, daß ihr Correspondent
aus dem Amt Heidelberg, der den Bund der Landwirthe
und die Amtsverkündiger, die ihn fördern, richtig ge-
zeichnet hat, an der Staatskrippe stünde. Wetten Sie
mit ihr, aber hoch, da Sie des Gewinnes ja sicher sind!
Sie irren, verehrte Nedal.:ou oer „Hdtbg. Ztg.", der
Schreiber dieser Zeilen hat vom Staat noch nie etwas
empfangen, sondern an denselben nur bezahlt, was die
Gesetze verschreiben und zwar ganz unverdrossen. Wenn
Sie aber meinen, der Correspondent sei ein Staatsdiener
und vergleichen ihn deshalb mit denjenigen, welche durch
Zölle, Liebesgaben und Zuckerprämien unterstützt werden
und doch noch nicht zufrieden sind, dann thut mir ihre
Begriffsverwirrung herzlich leid. Ein Staatsdiener be-
kommt vom Staat in der Regel nur seine Arbeit bezahlt
und es giebt solche Staatsarbeiter, die sie sogar schlecht
und schlechter als Privatarbeiter bezahlt bekommen, d. h.
Beamte mit unzureichendem Gehalt. Die Landwirthe
mit den Staatsbeamten zu vergleichen liegt gar kein
Grund vor, aber die Amtsverkündigcr, die von den Zu-
wendungen des Staates leben, die hatte ich mit den
Großgrundbesitzern verglichen, die anstatt sich durch eigenes
Nachdenken, Arbeit und Sparsamkeit zu helfen an den
Staatssäckel oder an die Gesetzgebung wenden. Nun,
aber erfreulich war es mir zu lesen, daß im Heidelberger
Bezirk unter den Matadoren der Freisinnigen nicht

An einem Kncrr-.
Criminalgcschichte von Jenny Hirsch.
(Fortsetzung.)
Endlich ward es lebendig im Gange, Schritte näherten
ihrem Gefängnisse, der Schlüssel drehte sich im
Glosse, sie stand auf und hielt sich bereit, den sie ab-
.senden Gerichtsdienern zu folgen, aber nicht diese traten
sondern ihr Vertheidiger, begleitet von einem der
^he des Schwurgerichtshofes.
, „Fräulein Bertelsmannn,„ redete sie der Letztere an,
Urtheil gegen Sie kann heute nicht gefällt werden,
gestrige Verbiet der Geschworenen ist nichtig; es sind
Gerichtshof inzwischen Beweise zugcgangen, die eine
'Herausnahme der Verhandlung nothwendig machen."
»Neue Beweise für meine Schuld?" stammelte sie
weit aufgerissenen Augen.
„Nein, für Ihn Unschuld!" fiel der Vertheidiger
kn« »Fassen Sie sich, Johanna, der wahre Mörder ist
keckt, er selbst hat sein Verbrechen bekannt."
-v Mit einem lauten, markerschütternden Schrei brach
z^'anna zusammen und wäre zu Boden gestürzt, wenn
Vertbeidiger sie nicht in seinen Armen aufgefangen
d« auf einen Stuhl gelegt hätte. Einige Minuten hielt
e Nacht einer tiefen Ohnmacht ihre Sinne umfangen,
rj kündigte sich das wicderkehrendc Bewußtsein durch
s» ästiges, krampfhaftes Weinen an; was alle Be-
h^ftigungen und Kränkungen nicht vermocht hatten, das
^'tkt'e urplötzliche Umschwung der Sachlage; die
^"«türliche Rübe und Gleichgültigkeit, mit welcher sie
Umpanzert hatte, schwand, und das empfindende, bis

in sein tiefstes Innere erschütterte Weib kam zum Vor-
schein.
Was war aber geschehen, um den Richtern heute den
Glauben an die Schuldlosigkeit der bereits durch den
Spruch der Geschworenen Verurtheilten beizubringen,
während gestern Gerichtshof, Geschworene und Publikum
von ihrer Schuld überzeugt gewesen waren?
Der Präsident des Gerichtshofes war im Begriffe ge-
wesen, sich aus seiner Wohnung nach dem Gerichtsge-
bäude zu begeben, als ihm eine Depesche überbracht
ward. Sie kam aus New-Jork, war unterzeichnet von
dem deutschen Consul und enthielt die wenigen, aber
inhaltsschweren Worte: „Hans von Mörner hat einge-
standen, den Mord an dem Baron von Böhlendorf be-
gangen zu haben; Johanna Bertelsmann ist unschuldig;
eine beglaubigte Abschrift des abgelegten Bekenntnisses
geht mit dem nächsten Schiffe ab."
Die nächste Folge dieser erschütternden Nachricht war,
daß das Verfahren gegen Johanna Bertelsmann bis zum
Eintreffen genauerer Einzelheiten eingestellt ward. Die
wiederum zahlreich versammelten Neugierigen mußten nach
Hause gehen, ohne den erwarteten Schluß des Trauer-
spiels, die Verkündigung des Urtheils, mit angesehen
und angekört zu haben, aber sie brachten dafür eine
sensationelle Neuigkeit mit. Wie ein Lauffeuer verbreitete
sich das Gerücht durch die Stadt, Johanna Bertelsmann
sei doch unschuldig, in elfter Stunde sei der wahre Mörder
entdeckt worden, wer der aber sei und wie die Wahrheit an's
Tageslicht,gekommendarüberwußteNiemandetwasBestimmtes
anzugeben, und eben deßhalb entstanden die fabelhaftesten
und ungeheuerlichsten Gerüchte. Man ging sogar so weit,

Lina von Mörner, die man noch gestern als den Inbe-
griff aller weiblichen Tugenden gepriesen, als die Mörderin
zu bezeichnen und sich zu erzählen, sie habe sich der wider
sie angeordneten Verhaftung durch die Flucht entzogen.
Wie die meisten derartigen Stadtgespräche, so enthielt
auch dieses ein Körnchen von Wahrheit; Lina v. Mörner
war in der That plötzlich abgereist.
Auf Anordnung des Präsidenten begab sich derjenige
Beamte, welcher die Voruntersuchung gegen Johanna
geführt, nach der Villa Böhlendorf, um Lina in aller
Stille von dem eingelaufenen Telegramm in Kenntniß
zu setzen und sie darüber zu vernehmen, ob sie davon
gewußt habe, daß ihr Bruder sich zur Zeit des Mordes
in der Stadt aufgehalten, wie auch verschiedene von ihr
gemachte Angaben zu erörtern, welche gegenwärtig ein
ganz anderes Ansehen bekommen hatten. Fräulein von
Mörners Handlungsweise erschien jetzt doch in einem
sehr zweifelhaften Lichte.
Der Beämtc fand die Dienerschaft des Hauses in
großer Aufregung und erfuhr auf seine Frage nach dem
gnädigen Fräulein, dasselbe sei ganz plötzlich abgereist.
Auf weitere Erkundigungen theilte man ihm mit, sie
wäre am frühen Morgen durch einen Boten des Tele-
graphenamtes, der ihr eine Depesche überbracht, geweckt
worden, habe darauf schnell gepackt und sei abgereist,
wohin, wisse man nicht, denn sie hätte nicht erlaubt,
daß der Diener zum Bahnhofe gefahren sei, ja sie habe
nicht einmal in Gegenwart der Dienstboten dem Droschken-
kutscher die Weisung gegeben, nach welchem Bahnhofe
er fahren solle.
 
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