Die,^8ürgerzeitirng"
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Heidelberg. Samstag, 13. Mai
Expedition:
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1893.
Zur Ansprache des Kaisers.
In seiner am Mittwoch an die Stabsofficiere auf dem
Tempelhofer Feld gerichtete Ansprache spricht der Kaiser
auch von „Minorität der patriotisch gesinnten Männer",
die gegen „die Majorität nichts zu erreichen vermochte".
Wir überlassen es Anderen, aus diesen Worten heraus-
zulesen, daß damit der Patriotismus der ablehnenden
Majorität nicht in Zweifel gezogen werden solle. Es
wird an solchen Interpreten nicht fehlen. Aber man wird
uns zugeben müssen, daß die Auffassung, als ob der
Kaiser die „patriotische" Minorität einer nicht patriotischen
Majorität habe gegenüberstellen wollen, mindestens sehr
nahe liegt, jedenfalls werden die Worte des Kaisers in
dem bevorstehenden Wahlkampf in diesem Sinne gegen
die Oppositionspartei ausgebeutet werden. Und darum
bedauern wir diese Worte des Kaisers, weil sie, wie wir
annehmen, gegen den Willen ihres Urhebers, dazu bei-
tragen werden, in den Wahlkampf, der aus mancherlei
Gründen ohnekin schon ein höchst erbitterter werden wird,
ein weiteres Moment der Verbitterung hineinzutragen.
Und einzig und allein aus diesem Grunde des öffent-
lichen Interesses bedauern wir diese Aeußerung des Kaisers,
denn für ihre Person werden die Männer, die ihrem
Gewissen und ihrer Ueberzeugung folgend, gegen die Vor-
lage gestimmt haben, den Vorwurf des Mangels an Pa-
triotismus mit Gleichmuth der Seele zu tragen wissen,
von welcher Seite her er auch immer erhoben werden
wöge.
Leidenschaftliche Worte seien gefallen, sagte der Kaiser
weiter, welche unter gebildeten Männern ungern gehört
werden. Wir wissen nicht, worauf der Kaiser hiermit
anspiclt; wohl find, soweit es sich um die Militärvorlage
handelte, die Wogen des Kampfes manchmal hoch-
gegangen, speciell zwischen dem Herrn Reichskanzler und
Herrn v. Bennigsen ist es einmal zu einer erregten
Scene gekommen, und die militärischen Vertreter der Re-
gierung haben allerdings hier und da einen höchst be-
fremdlichen Ton den Volksvertretern gegenüber ange-
schlagen; hiervon abgesehen aber baben sich unseres Er-
innerns die Debatten 'in dem Rahmen einer Sachlichkeit
und Urbanität gehalten, die man bei den publizistischen
Anwälten der Regierung nur allzu oft vermissen mußte.
Die officiösen Organe haben sich in der That gegenüber
iwn Gegnern der Vorlage vicfach einer Tonart befleißigt,
die man unter gebildeten Männern nur ungern hört.
Die Angegriffenen haben das allerdings leicht ertragen,
v>eil es ihnen mit Recht fern liegt, an die officiösen
Soldschrciber die Anforderungen zu stellen, die man an
gebildete Männer zu stellen berechtigt und verpflichtet ist.
Vor Allem bei den Wahlen muß gefordert werden,
daß nichts geschehe, was die Willenserklärung
des Volkes irgendwie in unberechtigter
Weise zu beeinflussen geeignet wäre; amt-
liche Wah lb eci n sl u ssun g en, wie wir sie unter
einem früheren Regime erlebt, müssen strengstens
fern gehalten werden. Nur der rein und unverfälscht
und unbeeinflußt zum Ausdruck gekommene Wille dcS
Volkes kann Achtung und Unterwerfung auch von den
Andersdenkenden heischen. Der Kaiser läßt freilich keinen
Zweifel darüber übrig, daß er sich, wenn die Entscheidung
des Volks bei der nächsten Neuwahl gegen ihn ausfallen
und der neue Reichstag die Militärvorlage bezw. den
Huene'schen Antrag abermals ablehnen sollte, damit nicht
zufrieden geben, sondern Alles, was er vermag, an die
Erreichung seines Zieles setzen werde- Verfassungsmäßig
bleibt dem Kaiser in diesem Falle kein weiteres Recht
übrig, als den Reichstag abermals aufzulösen und wir
halten cs trotz aller Andeutungen, die seit Wochen in
gewissen Blättern über Konflikt und Staatsstreich gemacht
worden sind, für selbstverständlich, daß der Kaiser nur an
gesetzmäßige Mittel und Wege denkt, da ja auch er keinen
Augenblick im Zweifel darüber sein kann, daß kein
äußerer Feind den Bestand des jungen deutschen Reiches
auch nur annährend so schwer gefährden könnte, als dies
ein auch noch so geringes Abweichen vom verfassungs-
mäßigen Wege im Innern thun würde, thun müßte.
Ob das- Ansehen der Krone durch ein abermaliges An-
rufen der Volksmeinung gewinnen würde, darüber brauchen
nicht wir uns Sorge zu machen.
Der Kaiser erwähnt schließlich, daß man von der Auf-
regung der Massen gesprochen habe, er gaube nicht, daß sich
das deutsche Volk von „Unberufenen" erregen lassen
werde, er wisse sich eins in dieser Militärvorlage mit den
Bundesfürsten, dem Volke und der Armee. Wir ver-
mögen nicht zu erkennen, nach welcher Richtung diese
Aeußerung zielt. Daß eine Vorlage von so ungeheurer
Tragweite, wie die Militärvorlage, eine gewisse Aufregung
hervorruft, ist nicht mehr als natürlich, aber dieselbe trägt
bisher durchaus den Charakter einer tiefernsten, leiden-
schaftslosen Bewegung, die in ruhiger Entschlossenheit den
kommenden Dingen entgegensiebt. Einen bedenklichen
Charakter könnte diese Erregung nur dadurch er-
halten, daß sich wieder, wie im Februar 1887 berüchtigten
Angedenkens, „unberufene" Elemente fänden, die durch
trügerische Vorspiegelungen angeblicher Gefahren und durch I
gewissenlose Aufreizung der Leidenschaften die Gemüther
verwirrten und dadurch den inneren Frieden in die
schwerste Gefahr brächten, oder auch dadurch, daß man
dem Volke Grund zu der Befürchtung gäbe, daß Güter,
die cs als seine heiligsten betrachtet, wie etwa das all-
gemeine Stimmrecht, in Gefahr schwebten. In der Hand
der Regierung liegt es, dergleichen Anlässen zu außer-
gewöhnlicher Aufregung der Massen vorzubeugen, alle
dahin gehenden Versuche von vornherein aussichtslos zu
machen. Hoffentlich unterläßt sie es nicht, in dieser
Richtung das ihr Mögliche zu thun.
Die Ansprache des Kaisers wird der Deutungen viele
erfahren. Sicher ist, daß sie den Ernst der Situation
in besonders nachdrücklicher Weise zum Ausdruck bringt.
Deutsches Reich.
Berlin, 10. Mai. Der „Reichsanzeiger" meldet:
Der Director im Ministerium des königlichen Hauses,
Bötticher, ist heute Morgen in Wiesbaden in Folge
eines Nierenleidens verstorben.
Berlin, 10. Mai. Die Einberufung des
Reichstags soll bereits für den 26. Juni in Aussicht
genommen sein, also noch vor Beendigung aller Stich-
wahlen.
Berlin, 10. Mai. Der Han delsvertrg g. mir
Serbien soll dem nächsten Reichstage, wie die Blätter
melden, zugehen. Zunächst aber geht dem Reichstage
sofort die Militärvorlage zu mit dem Wunsche
möglichster Beschleunigung der EntscheidnW. Von dieser
soll es dann abhängen, ob dem Reichstage überhaupt
noch etwas zugeht. Die gestrige Ansprache des
Kaisers an die Generäle wird nur von einigen Blättern
und auch von diesen nur mit Zurückhaltung besprochen. Die
„Vossische Zeitung" erblickt darin einen persönlichen Ein-
griff des Kaisers in den Wahlkampf. Eine Antwort auf
die Rede lasse sich heute nicht geben. Das deutsche Volk
werde sie am 15. Juni geben.
Darmstadt, 10. Mai. Landtagsschluß Die
Thronrede des Großherzogs beklagt auf das tiefste den
jüngsten verhängnisvollen Beschluß des Reichstags und
spricht die Hoffnung aus, das hessische Volk werde dazu
beitragen, daß für die hervorgerufenen Wirren die richtige
Lösung gefunden werde.
Oesterreich-Ungarn.
Wien, 10. Mai. Nach Meldungen aus Lemberg hat
das österreichisch-ungarische Ministerium des Aeußern in
Petersburg Vorstellungen wegen ddr Ausweisung des Ab-
5)
Gin Wieder sei) en.
Novelle von E Lucas.
(Fortsetzung.)
Diese Augen trafen auch mich und sofort war ich
^ic von einem elektrischen Zaubzxschlag berührt, denn es
^aren die Augen meines verschollenen Freundes Reinhold
Hofmann.
Dinen Augenblick war ich wie staar vor freudigem
schreck, dann erhob ich meine Hände und wollte laut
Namen meines Freundes rufen, aber die Equipage war
Kreits rasch davon und ich überzeugte mich, daß bei dem
s^rm auf der Brücke der Davoneilende mich nicht ver-
'">nden haben würde.
Aber er war es, er mußte es sein, dies sagte ich mir
innerster Ueberzeugung und nun galt es, den Auf-
^thalt des Freundes in Petersburg zu ermitteln.
Ich fand an diesem Tage und die folgenden kaum
genug, um mich meinen begonnenen Geschäften in
Diersburg gehörig zu widmen, denn immer dachte ich
den verschollenen Freund, den ich nun nach vierzehn
^?hren wiedergesehen zu haben glaubte und trotz mancher
s^weiligen Zweifel mich in dieser Meinung auch nicht
^rren "ließ/
Ich war auch fest entschlossen, den Verschollenen in
russischen Hauptstadt ausfindig zu machen und sollte
ganze Rest meiner Ferien, den ich eigentlich für das
k/Udimn der russischen Ostseeprovinzen verwenden wollte,
Mrhalb verloren geben.
Ich beendigte meine der Hauptstadt Petersburg ge-
knieten Beobachtungen in den nächsten drei Tagen
und fing nun an, meinen Freund zu suchen, wobei mir
allerdings der Umstand sehr lästig war, daß ich von der
russischen Sprache nur einige Alltagsphrasen verstand,
die ich mir vor Antritt meiner Reise angeeignet hatte.
Der beste Weg zu meinem Ziele schien mir derjenige
zu sein, auf den Petersburger Polizeibureaur nach der
Wohnung meines Freundes zu fragen, denn aus einigen
mir vvrgelegten, natürlich in russischer Sprache gedruckten
Adreßbüchern konnte ich nichts finden, was auf meinen
Freund deutete.
Auf den Petersburger Polizeibureaur gab es für mich
nun eine schrecklich langweilige Inquisition durchzumachen
und nach langem Bitten und Warten wurde mir endlich
mitgetheilt, daß sich in Petersburg . . . Straße Nr. 87
ein Pianist Namens Hofmann, der deutscher Abkunft sei,
aufhalte.
Ich war über die Adresse überglücklich, obwohl mir
der sehr schlecht deutsch sprechende Beamte nicht einmal
den Vornamen meines Freundes gesagt hatte. In der
ersten Freude hatte ich dies gar nicht bemerkt und stürmte
in einer Miethkutsche nach dem Hause, wo mein Freunds
wohnen sollte.
Auf dem Wege dahin überdachte ich die Sachlage
wieder ruhiger und fand es allerdings etwas seltsam, daß
ein einfacher Pianist eine eigene, stattliche Equipage be-
sitzen sollte; doch hier in Petersburg konnte ja Alles
anders sein wie in den übrigen Städten oder der Pianist
war vielleicht in der Equipage eines adeligen Herrü zu
irgend einem musikalischen Feste abgeholt MorW,.7iutz,.
über diese Angelegenheit beruhigte ich mied und hoffte
bald meinen Freund in dem Pianisten Hofmann wieder-
zusehen, denn bedeutende musikalische Talente hatte er ja
schon vor vierzehn Jahren offenbart und die Musik-
konnte sein Beruf geworden sein.
Als ich aber endlich in dem gesuchten Hause war
und vor dem Pianisten Hofmann stand, da zerfiel meine
schöne Hoffnuüg, den Freund vor mir zu sehen, gänzlich
denn der Pianist war ein ganz anderer Hofmann und
hatte mit meinem Freunde kein Haar gemeinsam.
Zum Glück war dieser musikalische Künstler aber ein
sehr freundlicher alter Herr und als Deutsche konnten wir
uns über meine Angelegenheiten sehr gut unterhalten.
Der brave Mann ließ mich auch nicht gleich wieder fort,
indem er sagte, er sei schon in so viele feine Petersburger -
Häuser gekommen, habe auch viele Deutsche, die sich in
'der russischen Hauptstadt emporgcarbeitet hätten, kennen
jgekernt und ein Deutscher dieses Namens werde ihm
Mäbrscheinlich; noch beifallen, denn er besitze kein schlag--
fertiges Gedächtniß.
Nachdein - sich' dara Landsmann verschiedene '
Male die StirÜ gerieben und in einigen in der MW
liegenden Notenheften nachdenklich geblättert hatte/ schrie
AlnrttT mAvy nzrÄism 'MM choE
„Ich siabö''ihn, ich habe ihn ! Das wird der Gesuchte-
Schorn uz chE «mrnr nc.chuM mnis
„Nun, wer und wo soll er sein ?'* frug ich begierige-
„Gr-Hk MMßÄe- vornchMer-Hm, ich-entsinne mich-
jetzt ganz deutlich, lieber Freund", rief der Pianist gain
begeistert und führ inUpatbetffcheni Tone fort.
! N^^Rmlrvwas Jlu- H^eusid hier-sßstK
bester Professor ? Er ist der Geheime Skaatsrath Ercellenr-
von Hofmann. Ich wPiß-es- jcht -ganz genarl, habe den