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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 71 - No. 80 (24. März - 6. April)
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Verkündigmrgsblatt und Anzeiger

Die,^Bürgerzeitung"
erscheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummer liegt ein Unter-
haltungsblatt, „Ter Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei.

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71.

Expedition:
Hauptstraße 2».

Heidelberg, Freitag, 24. März

Expedition:
Hauptstraße 25.

1893.

Zum Ausgang des Panama-Prozesses.
Sv ist denn nunmehr der berühmte Panama-Prozeß
zu Ende gegangen nach einer Dauer von 13^ Tagen.
Er wurde begonnen am Mittwoch den 8. März, mittags
12 Uhr. Der Ausgang hat, trotzdem man die Urtheils-
weise der Pariser Schwurgerichte kennt, dennoch überrascht.
Pariser Geschworene sprechen bekanntlich Mörder und
Todtschläger frei, wenn die Gründe gegen den Angeklagten
auch noch so triftig, das Vitriol oder Schießpulver auch
noch so echt gewesen sind. Auch in dem Panamaprozeß
waren recht gute Gründe vorhanden, welche mildernde
Umstände — nämlich die, daß die Angeklagten nur gethan
haben, was viele andere Nichtangeklagte auch thaten —
vielleicht zuließen, aber ein „Schuldig" mindestens forderten.
Man könnte fast Zuneigung zu dem ehemaligen Minister
Balb aut gewinnen, welcher frank und frei heraussagte:
„Jawohl, meine Herren, ich bin schuldig; ich bitte, mich
zu vcrurtheilen." Man bat das Rohe dieses Einge-
geständnisses gerügt. Ja, aber der Mann hat doch
wenigstens eingestanden, und diese „Roheit" hat einem
ordentlich wohlgethan, während man bei den klebrigen
eher an einen Circus voll Schlangenmenschen glauben
mußte: ein endloses Drehen und Winden der schillernden
Leiber, die zu packen gewiß große Schwierigkeiten bereitet
haben muß. Der geständige Minister a. D. Balhaut
ist der einzige verurtheilte Parlamentarier; Charles
de Lesseps und der Bureauchef Blondin kommen bei der
Beurtheilung der sFrage in dieser Richtung kaum in
Betracht. Außer Balbaut sind alle angeklagtcn Parla-
mentarier sreigesprochen. In dieser Thatsache ruht der
Kern der Bedeutung des vorgestrigen Tages, welche vielleicht
der ganzen weiteren Entwicklung der Panama-Angelegenheit
ihren Stempel aufdrücken wird. Charles de Lesseps ver-
dient sicher sein Urtheil, aber das, was er an Anschul-
digungen gegen die einstigen Machthaber in der Republik
vorgebracht bat, ist im großen und ganzen nicht widerlegt.
Er hat es gestern noch einmal nach Schluß der Ver-
teidigungsreden in wenige Worte zusammengefaßt, in-
dem er sagte: was er gethan, habe er nur unter dem
Eindrücke mächtiger Einflüsse zunutzen seiner Geschäfts-
wirglieder gethan. Dieser gehcimnißvolle „Druck" ist bei
den Verhandlungen immer wieder erkannt worden, aber
Nur um gleich darauf wieder in nebelhaftes Dunkel zu
derschwinden. Das Dunkel ist durch den jetzt abgeschlossenen
^chwurgerichtsprozeß nicht erhellt worden. Der von Re-
sterung, Volksvertretung und Volk gleichmäßig erhobene
>ituf nach „vollem Lichte, voller Gerechtigkeit" bleibt be-

Schickscrl'swege.
1Z) Novelle von C. Fontane.
(Fortsetzung.)
Frida von Brandau empfand in der Tbat eine leb-
hafte Zuneigung zu Hedwig und war daher freudig über-
rascht,"als ihr Vater ihr mittheilte, daß er Herrn Hagen-
dorf in der nächsten Zeit einen Besuch in Repin ver-
brochen habe.
„Ich hoste, gnädiges Fräulein," sagte der alte Herr,
»daß Sic sich der Zusage Ihres Herrn Vaters gerne
^schließen."
„Von Herzen gern," entgegnete das junge Mädchen,
Adem sie Hedwig die Hand reichte. „Ich freue mich
letzt schon darauf, und werde ganz gewiß den Papa an
lein gegebenes Versprechen erinnern, im Falle er es etwa
Hessen sollte."
Ida kam jetzt auch an den Tisch.
„Fritz, was machst Du heut für ein mürrisches Gesicht?"
l^gte sie zu dem Bruder.
„Es ist nur der Ausdruck meiner Betrübniß darüber,
snß ich nicht tanzen kann," antwortete er mit einem
^ersuch, zu scherzen.
„Nun gut, ich will Dir glauben, aber wenn Du
!^wder nach Waldau kommst, werden wir Dich in die
^re nehmen. Ein Mediziner muß Alles können."
Alle lachten.
. Gleich darauf erhielt Herr Hagendorf die Meldung,
°§ß sein Wagen angekommen sei.

stehen. Nur scheint es, daß das Volk die letzte ent-
scheidende Stimme zu sprechen haben würde. Und das
wäre bei den bevorstehenden allgemeinen Wahlen zur
Deputirtenkammer. Von der Majestät des „allgemeinen
Stimmrechts" erwartet man in Frankreich die volle
Gerechtigkeit.
Die Leichenfeier ZnleS Ferry'S.
Paris, 22. März.
Bei prächtigem Frühlingswetter fand gestern die
Leichenfeier für Ferry statt. Die Feier konnte
wegen der ungeheuren Menschenmenge, die das Palais
Lurembourg belagerte, nicht pünktlich beginnen. Von 11
Uhr ab waren alle Zugänge zum Senatsgebäude dicht
mit Menschen besetzt. Fast ununterbrochen folgten einander
die unzähligen Abordnungen aller möglichen Körperschaften,
die Kränze und Blumengewinde brachten, auch sämmtliche
elsässisch-lothringischen Vereine von Paris waren vertreten.
Im Hofe war eine Compagnie Pariser Garde und In-
fanterie aufgestellt. Die Stirnseite des Palais Luxem-
bourg war in ihrer ganzen Höhe mit schwarzen Tüchern
behangen, auf denen verzierte Schilder mit dem Namens-
zug des verstorbenen ck' bk angebracht waren. Vor dem
Palais hielt der mit 6 Pferden bespannte Leichenwagen,
derselbe, der auch ThierS' Sarg getragen Kat. Im großen
Hofe, dem Eingänge zürn Senat gegenüber ist ein Kata-
falk errichtet, auf dem der Sarg seit gestern Abend steht.
Auf den Tribünen rechts und links nehmen kurz nach
1^/2 Ubr die Vorstände der Kammern, der Minister-
präsident, die übrigen Staatswürdenträger und deren
Vertreter in der vorgeschriebenen Ordnung Platz. Der
Präsident der Republick war durch General Bonus und
zwei andere Adjutanten vertreten. Nachdem ein Trauer-
marsch der republikanischen Garde die Feier eingeleitet,
begannen um IT/4 Ahr die Reden in folgender Reihen-
folge: Vicepräsidcnt Bardour im Namen des Senats;
Casimir Peri er für die Deputirtenkammer;
Ministerpräsident Ri bot im Auftrage der Regierung;
Unterrichtsminister Duruy als Vertreter der Universität;
der Deputirte Mclini als Vorsitzender des Generalraths
der Vogesen. Ministerpräsident Ri bot hob in seiner
Rede die großen Eigenschaften Fcrrps hervor, durch die
er zum Regieren berufen gewesen. Ferry habe 25 Jabre
lang auf der Bresche gestanden und dürfe man sich nicht
wundern, daß cs der Ungerechtigkeit des Tagesstreites ge-
lungen sei, das schönste seiner Werke zu verdunkeln.
Aber die Stunde der Gerechtigkeit für den großen Tobten
sei gekommen und schon könne man deutlich erkennen,

Der Major erklärte unter Zustimmung seiner Tochter,
daß sie ebenfalls aufbrechen würden und nahm das An-
erbieten, Herrn Hagendorffs Wagen bis zu seinem Hause
mitzubenutzen, mit Dank an.
Nachdem die Pelze und Mäntel angelegt wären, ver-
abschiedeten sie sich von der zurückbleibenden Familie
Kranz, der Major bot Hedwig galant den Arm, um sie
zum Wagen zu fübren. Frida hing sich ohne Besinnen
an Herrn Hagendorfss Arm.
Friedrich folgte ihnen, um sich im Vorzimmer zu
verabschieden. Er hatte dem Onkel bereits am Nach-
mittag mitgetheilt, daß er in den nächsten Tagen ab-
rcisen würde.
Das Herz war ihm -schwer, als er zunächst von seinen
Verwandten und dann von dem Major und seiner
Tochter für längere Zeit Abschied nahni. Erst jetzt fühlte
er es mit aller Deutlichkeit, wie theuer ihm Frida bereits
war, wie schwer ihm die Entsagung wurde. Frida
wandte sich rasch ab, als sic ihm die Hand gereicht batte.
Auch sie war sehr bewegt.
Noch lange stand er in Sinnen verloren allein, dann
wandte er sich rasch und kehrte zu seiner Mutter in den
Saal zurück.
V.
Der Winter war vergangen. Es war Juni geworden,
der denkwürdige Juni des Jahres 1866. Preußen hatte
seinen Austritt aus dem deutschen Bunde erklärt und
begann die Eventualität eines nahen Krieges gegen
Oesterreich ins Auge zu fassen. Mit Energie und Um-
sicht wurden die Vorbereitungen für die Mobilisirung der

was die Geschichte an den Thaten Ferrys loben werde.
Redner nennt darunter Ferrys Bemühungen um Er-
richtung der Republik, seine Schulgesetze und die Er-
werbung von Tunis. Wie man auch über die tonkinestsche
Frage denken möge, Niemand werde leugnen, daß Ferry
mit Bewußtsein an die Rolle, die Frankreich im Werke
moderner Civilisation.zukomme, herangetreteu sei. Hier
habe ihn aber sein Glück im Stich gelassen, und die
Ueberraschung, die auch ihn selbst getäuscht, habe die
Herzen aller Patrioten beunruhigt. Ferry sei gefallen,
aber die Achtung selbst seiner Gegner sei ihm ins Privat-
leben gefolgt. Würdig habe er die Beleidigungen, die
sich über ihn ergossen, ertragen, und erst in der Stunde
der größten Gefahr habe er mit seinem kräftigen Mut
wieder in den Kampf eingegriffen und nochmals die Re-
publik gerettet. Ribot spricht dann von Ferrys Wahl
zum Präsidenten des Senats und erwähnt seine Antritts-
rede, worin er allen in nüchterner und zugleich erhabener
Sprache weise Rathschläge ertbeilt habe, die morgen
vielleicht vergessen sein würden. Er führt daraus den
Satz an, wo Ferry betonte, daß die Republick allen, die
den guten Glauben und den guten Willen hätten, offen
stehen müsse. Der Redner erinnert schließlich an den
Tod Gambettas und meint, Gambetta' und Ferry werde
die Nachwelt als zwei Waffenbrüder in ihrer Dankbarkeit
nebeneinander stellen. Er endigt: „Beide sahen die
Stunde kommen, wo Frankreich sich um die Fahne der
Republik schaaren werde. Möge diese Stunde, die auch
wir herbeiwünschen, bald kommen, vorausgesetzt, daß wir
eingedenk sind der Lehren derer, die in den Tagen der
Prüfung unsere Führer waren, im Siege einig bleiben
und für unser Theil das Werk, das uns anvertraut
ist, fördern." Gegen 3 Nhr waren die Reden beendet,
dann ertönte abermals ein Trauermarsch, das große
Thor wurde geöffnet, und der Sarg, von Truppen mit
präsentirtem Gewehr begrüßt, wurde auf den Leichen-
wagen getragen, de Maky, Bardour, Develle, Buisson
und Hauoteaup hielten die Zipfel des Leichentuches. Bald
nach 3 Uhr setzte der Zug sich in Bewegung; vor dem
Wagen schritt die Musik der republikanischen Garde und
und eine Abordnung aus dem Vogesendepartcment, Ferrys
Wahlkreis; hinter dem Wagen als erster Leidtragender
ging Charles Ferry, der Bruder des Verstorbenen, die übrigen
Familienangekörigen, dann GeneralBorius und alle Minister,
die officiellen Vertretungen der beiden Kammern, viele Sena-
toren und Deputirte, Gemeinderäthe, Geueralräthe, Behörden
und Abordnungen. Auf dem ganzen Wege hatte sich eine
große Menschenmenge aufgepflanzt und die Fenster der

gejammten Armee getroffen. In Berlin ging es beson-
ders lebhaft her und Alles deutetcte auf eine baldige Ent-
scheidung hin.
Vor einem Hause in der Behrenstraße hielt in den
Nachmittagsstunden eines dieser Tage eine Droschke. Ein
Herr entstieg derselben und warf einen prüfenden Blick
auf ein Porzellanschild, das neben der Hausthüre an-
gebracht und auf welchem zn lesen war: Dr. Kranz,
praktischer Arzt.
Er bezahlte, entließ den Kutscher und stieg dann,
von dem Portier zurechtgewiesen, die breite Treppe hinauf
in den ersten Stock, wo ihm ein zweites Schild die Woh-
nung bezeichnete. Er zog die Klingel.
Dr. Kranz öffnete und trat auf das Höchste über-
rascht einen Schritt zurück, als er den vor ihm Stehen-
erkannte :
"Ah, Herr Major! Welche Ueberraschung! Bitte,
treten Sie ein."
„Ich bin erst heute früh in Berlin angekommen,"
sagte Herr von Brandau, während Friedrich ihn durch
das Sprechzimmer zu seinem Wohnzimmer führte, „und
habe mich doch der Grüße entledigen wollen, die mir
für Sie aufgetragen sind. Von Ihrer Mama, von
Fräulein Ida, von Ihrem Onkel und Fräulein Hedwig,
und, nicht zu vergessen, von meiner Tochter, Ihrer ersten
Patientin."
Der junge Arzt beeilte sich, seinem Gaste Hut und
Ueberrock abzunehmen, uud bald saßen sie plaudernd auf
dem Sopha.
„Meine Nachmittagssprechstunde ist vorüber," sagte
Friedrich auf- eine Frage des Majors. „Ich bin für
 
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