Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
No. 131 - No. 140 (6. Juni - 16. Juni)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43990#0555

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Di« »^Sürgerzeituttg"
erscheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummer liegt ein Unter-
haltungsblatt, „Der Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei.

Verkimdigungsblatt rmd Anzeiger
für Stadt und Land.

Abonnementspreis
iür Heidelberg: monatl- 40 Pfg. mit
Trägerlohn, durch die Post bezogen
Vierteljahr!. Mk. 1.— ohne Zustellgeb.
Zniertionsprcis: 10 Pf. für die 1-spalt.
Petitzeile od. deren Raum. Für locale
Geschäfts- u. Privatanzcigen 5 Pf.

133. »SS-». Heidelberg, Donnerstag, «. Jnni UiN3.

WesteLungen
auf die „Särger-Zeituirg" für den Monat
AE" Jnni
werden fortwährend von sämmtlichen Postanstalten, Brief-
trägern und unfern Agenturen zum Preise von 49 Pfg.
frei in s Hans, sowie von unfern Trägern u. Trägerinnen
hier und der nächsten Umgebung zum Preise von
nur 40 Pfg. monatlich
entgcgengcnommen.
_Verlag der „Bürger-Zeitung".
Wiederholung der Reichstagsauflösung.
Die herrschende Fluth der Wahlbewcgung spült dann
und wann auch die Frage an die Oberfläche: Wird,
wenn der nächste Reichstag ebenfalls aufgelöst würde,
ein abermaliger neuer Reichstag, bezw. eine fernere Auf-
lösung folgen? Eine Antwort, die darauf zu geben
>wäre und die nur als treffende zu bezeichnen ist, bringen
'soeben die „Hamb. Nachr." In diesen: Blatt wird von
zweifellos sachverständiger Seite die Frage erörtert,
ob die Reichsregierung den Appell an die Wähler
wiederholen würde, wenn das Votum am 15. Juni
gegen die Militärvorlage ausfällt. Der Inspirator des
Hamburger Blattes glaubt diese Frage verneinen zu
sollen und begründet seine Anschauung durch schwer-
wiegende Argumente. Allerdings, sagt er, eristire in der
Verfassung keine Vorschrift, welche es verböte, wegen
einer und derselben Sache zweimal oder öfter hinterein-
ander den Reichstag aufzulösen; aber dies würde gegen
den Geist der Verfassung verstoßen. Die
Auflösung habe den Charakter einer Berufung von dem
Reichstage an die Wähler; ihr Zweck bestehe darin, fest-
zustellen, ob die Abgeordneten in ihrer Abstimmung gegen
die Auffassungen der Wähler gehandelt hätten. Fielen
nach einer Auflösung die Neuwahlen im Sinn der Mehr-
heit der Volksvertretung aus, so sei damit der Rekurs
der Regierung an die Wähler verworfen. Eine nochmalige
Auflösung wegen derselben Sache wäre unter diesen Um-
ständen ein Verstoß gegen das ne dis in iäsm und
gegen die Würde sowohl der verbündeten Regierungen
wie des deutschen Volkes. Man müsse annehmen, daß,
wenn die Wähler auf ausdrückliche Befragung durch eine
Neuwahl ihr Votum über eine bestimmte Frage abgegeben
hätten, sie dies im Bewußtsein ihrer Verantwortlichkeit
und mit ruhiger Ueberlegung gethan hätten; eine wieder-
holte Auflösung enthielte daher die Zumuthung an sie,
ihr wohlerwogenes Votum zu annulliren und gegen die
eigene Neberzeugung zu stimmen.

Jis Irrfahrt des Keöens.
Roman von C. Wild.
3,13 18ci (Fortsetzung.)
„Ah, wie verstehst Du das?" fragte Molitor Tifson.
„Mein Gott, das ist doch sehr einfach! Jetzt würdest Du
mit mir thcilen, dann theile ich nut Dir — oder solltest Du
wirklich in Alma von Minden verliebt sein? Das ändert
dann freilich die Sache."
„Elender Bube, spotte noch," ries Molitor außer sich, ihn
derb bei den Schultern packend und schüttelnd, „wie kannst
Du Dich unterfangen, eine solche Sprache gegen mich zu
führen?"
„Mit dem gleichen Rechte, wie Dn cs thust," schrie Tisson,
nun seinerseits erregt, „keine Brutalität, Norbert Hellmuth,
ich kann Dich vernichten, zu Grunde richten!"
Das wirkte; wie von einem Strahl eiskalten Wassers
übergossen, schüttelte sich Molitor, zu gleicher Zeit Tifson
loslasscnd.
Dieser warf seine erloschene Cigarre fort und sagte, sich
mit verschränkten Annen vor Molitor stellend: „Durch rohe
Gewalt richtest Du nichts bei niir ans, obwohl Du der
Stärkere bist. Ich kenne alle Deine Geheimnisse, ein Wort
von mir und Du bist hier unmöglich geworden. Aber Dein
Sturz ist auch der meinige, das weiß ich wohl, d'rum laß
uns Frieden schließen. Wenn Alma mich Dir vvrzieht —"
„Halt, nicht weiter, kein Wort mehr," sprach Molitor,
„ich lasse mir Alina nicht algagen — ich — will mit Dir
thcilen, aber die Brant gehört mir."
Tisson lachte spöttisch auf.
„Wenn sie Dich nur noch wollen wird," höhnte er, „die
Wage neigt aber zu sehr nach meiner Seite. Armer Nor-
bert. niit mir konntest Du bei den Frauen nie rivalisiren!"
Er konnte nicht mehr weiter spreche!:, dein: sinnlos vor
Wmh hatte ihn Molitor beim Halse gepackt. Ein gurgelnder

Wenn die Regierung mit dem Lande im offenen
Conflict liegt und die Verfassung überhaupt nicht aufrecht
zu erhalten sei, könnten wiederholte Auflösungen als
Kampfmittel zur Herbeiführung der Entscheidung An-
wendung finden; für gewöhnliche Zeiten sei die Regierung
auf den Weg dem Kompromisses angewiesen, wenn sie
mit ihrem Appell an die Wähler den gewünschten Erfolg
nicht habe. Hieran könnte nur etwas geändert werden,
wenn nach den Neuwahlen Ereignisse einträten, die einen
Wandel des Votums der Wähler nothwendig und wahr-
scheinlich machten; die bloße Vorbringung neuer
Gründe und Gesichtspunkte ist zur Recht-
fertigung einer Auflösung nicht ausreichend.
Es sei von einer Regierung zu verlangen, daß sie Alles,
was sie zu Gunsten ihrer Vorlagen geltend zu machen
hat, gleich bei der ersten Wahlagitation ausreichend ver-
treten lasse und nicht das Land nur dcßhalb den Auf-
regungen einer wiederholten Auflösung preisgebe, weil sie
bei der ersten Agitation etwas versäumt zu haben glaube.
Wenn trotz dieser Sachlage eine nochmalige Auflösung
wegen der Militärvorlage erfolgte, so würde der Anschein
erweckt werden, als wolle man durch verschärfte Anwen-
dung der Druckmittel, die der Regierung zu Gebote
stehen, ein anderes Wahlergebniß erpressen, oder die
Wähler durch die fortgesetzten Auflösungen und Neuwahlen
zur Nachgiebigkeit zwingen. Beides würde gegen die
Verfassung verstoßen und eine Beugung des Votums der
Wähler bedeuten. Es begänne damit ein Sch eine on-
stitutionalismus, welcher unter den Formen der
Verfassung das absolutistische Regiment der Re-
gierung einführte.
Auch in rein politischer Beziehung stelle sich die wieder-
holte Auflösung des Reichstages wegen ein und derselben
Sache als widerräthlich dar und zwar deßhalb, weil sie,
anstatt die Wähler mürbe zu machen, zu einer ver-
schärften Opposition derselben führe. Es müsse
aufreizend auf die Wähler wirken, wenn die Regierung
erst gegen den Reichstag an sie appellire, ihre Entscheidung
aber dann als Null und Nichtig behandle, wenn sie ihr
nicht gefalle.

Deutsches Reich.
Berlin, 6. Juni. Als verloren erklärt die „Kreuz-
zeitung" schon jetzt die Wahlschlacht der Negierung. Das
konservative Blatt schreibt am Montag Abend in einem
Leitartikel: „Die Regierung wird am 15. Juni die
Schlacht verlieren, denn wenn auch etwa Ist/z Dutzend
freisinnige Sezessionisten gewählt werden, und die Konser-
vativen der Richterschen Volkspartei verschiedene Mandate
abnehmen, so erscheint das Centrum viel oppositioneller

auf dem Plan und die Socialdemokraten nehmen zu."
Die „Kreuzztg." hält es „für viel viel wichtiger, darüber
Klarheit zu gewinnen und sich rückhaltslos auszusprechen,
als die Parteigenossen in trügerische Hoffnungen einzu-
lullen, und uns nachher von der Oppositionspresse wegen
unserer Illusionen verspotten zu lassen." Die „Kreuzztg."
setzt ihre Hoffnung für die Zukunft darauf, daß bei hin-
länglicher Ausdauer sich doch Erfolge würden erzielen
lassen, wenn es gelänge, späterhin das neue Centrum der
Freiherren v. Schorlemer-Alst und von Huene zu organi-
siren. Bei diesen Wahlen sei allerdings nichts mehr zu
erhoffen. Ohne jede Organisation, ohne ein einziges
Preßorgan kann der rechte Centrumsflügel jetzt noch nichts
erreichen. Man muß darauf gefaßt sein, daß er nicht
ein einziges Mandat erobert. Was die oben angedeutete
Aussicht auf Eroberung freisinniger Mandate durch die
Konservativen anbetrifft, so sind wir der Meinung, daß
wenn wirklich die Konservativen einzelne solcher Mandate
erobern, die Aussichten der freisinnigen Polkspartei,
konservative Mandate zu erobern, ebenso groß sind,
chui vivru, vsrru!
Verkitt, 6. Juni. Nach Genehmigung des Abschieds-
gesuchs des Generals der Kavallerie v. Albedyll ist
der Kommandeur der 21. Division, Generallieutenant v.
Goetze, zum commandirenden General des ^11. Armee-
corps ernannt worden.
München, 6. Juni. Die „Allg. Ztg." meldet, der
Prinzregent habe in einem hckldvollen Schreiben das
Entlasfungsgesuch des Kriegsministers v. Saffer-
ling angenommen und den bisherigen Kommandeur der
zweiten Division, Generallieutenant Frhrn. v. Asch zum
Kriegsminister ernannt.
Schweiz.
Bern, 6. Juni. Der ausscheidende Präsident des
Ständeraths, Schaller-Freiburg, gedachte in der
Eröffnungsrede der Begrüßung des deutschen Kaisers
in Luzern, erklärend, sie habe den Behörden Veranlassung
gegeben, getreue Dolmetscher des Volkes zu sein. Dem
Herrscher des Nachbarstaates sei die schuldige Ehrfurcht
mit republikanischer Einfachheit erwiesen worden. Einen
politischen Charakter habe die Begegnung nicht gehabt,
aber sie beweise, daß das Schweizervolk auf Erhaltung
guter Beziehungen zu den Nachbarstaaten großen Werth lege.
Oesterreich-Ungarn.
Wie», 6. Juni. Die „Wiener Zeitung" veröffent-
licht eine Ministeralverordnung über die Aufhebung der
Ein- und Durchfuhrverbote für bestimmte Maaren aus
Deutschland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und
Rumänien, sowie über die Beschränkung dieser Verbote
gegenüber Rußland.

Laut, ein Aechzen, ein Stöhnen, — ernüchtert gab der
Wüthende Tisson frei, dessen Körper schwer zurückfiel. Der
Kopf des Mannes schlug im Falle an eine Baumwurzel,
Molitor hörte deutlich den dumpfen Laut, dann blieb es still,
unheimlich still.
Eine Minute banger Erwartung, — Molitor beugte sich
zü dem an: Boden Liegenden, er regte sich nicht. Ein Grauen
packte den vorhin noch so Erzürnten. War Tisson todt, hatte
er ihn ermordet? Das Laubwerk war an jener Stelle des
Weges so dicht, daß die Mondesstrahlen nur einen schwachen
Schimmer hereiuseudcten.
Molitor erinnerte sich, daß er Feuerzcng bei sich hatte
und bediente sich rasch desselben. Kein Athemzug hob die
Brust Tisson s, seine bläulichen vczerrten Züge trugen das
Gepräge des Todes. — linier dem dichten schwarzen Kopf-
haar hervor sickerten einige Tropfen Blut, das war von den:
Falle — hatte er ihn erwürgt, oder war das Unglück erst
durch den Fall geschehen? Erwürgt oder erschlagen, er war
sein Mörder — Mörder! Wie häßlich, wie abscheulich der
Ausdruck klaug!
Molitor's Leben war eine lauge Kette verschiedenartiger
Verbrechen, aber einen Mord hatte er doch nicht auf seinen:
Gewissen gehabt. Und jetzt, jetzt war er ein Mörder!
Grauei: und Entsetzen packten ihn. Noch einmal beugte
er sich zu den: regungslosen Körper, er rüttelte ihn wie wahn-
sinnig, er rief seinen Namen, kein Laut, kein Athemzug ant-
wortete — Tifson war also todt, todt!
Molitor richtete sich auf und machte einige Schritte in
den Wald hinein; er taumelte wie ei:: Trunkener. Aus den
dunklen Schatten heraus, die ihn umgaben, grinste ihn:
Tisson's bleiches Gesicht entgegen.
Der von Gewissensbissen gefolterte Mann verdoppelte
seine Schritte, instinktiv richtete er dieselben gegen die Rosen-
villa. Schließlich begann er zu laufen; athemlos, wie ein
gehetztes Wild, kam er au

Vor der Thüre blieb er überlegend stehen. — Er mußte
fort, heute noch fort, denn morgen wußte man schon, daß er
der Mörder Tisson's sei. —Er hatte sich mit ihm za gleicher
Zeit von Schloß Minden entfernt, er war ohne ihn heimge-
kehrt ; weder leugnen noch Ausflüchte konnten hier helfen,
er mußte fliehen, weit, weit weg!
Während alle diese Gedanken ihm im Kopfe herumwir-
belten, pochte er an die Thüre.
Der Diener kam und öffnete. Verschlafen wie er war,
bemerkte er nicht sogleich Tisson's Abwesenheit. Diesen Um-
stand benutzend, trat Molitor rasch ein und ging in sein
Zimmer, das er sorgfältig hinter sich verschloß.
Nm: rasch aus Werk. Der Gesellschaftsanzng wurde ge-
gen ein bequemes Reisekleid vertauscht; alles Geld, welches
Molitor besaß, alle Werthpapiere und Dokumente steckte er
zu sich, dann warf er einen dunkle:: Mantel über und sperrte
vorsichtig die Thüre ans.
Der Diener war nicht mehr z» sehen, er mochte schon
schlafen gegangen sein. Wie ein Dieb schlich sich Molitor aus
der Rosenvilla, dann ging es eilends fort, nur immer weiter;
wenn er Glück hatte, konnte er binnen einer Stunde die Bahn-
station erreicht haben, er wußte, zu welcher Zeit der Zug die-
selbe passirte. Einmal in: Eisenvahnconpee, konnte er er-
leichtert aufathmen, einen Vorsprung gewinnen, hieß alles
gewinnen!"

Frau Georgine war mit Melitta von einem Ausfluge heim-
gekehrt. Sie hatten eine Fahrt auf den: Rhein unternommen
und selbst Melitta fühlte sich erfrischt und erheitert von den
schönen Landschaftsbildern, die sich ihrem Auge geboten hatten.
Sie waren in Gesellschaft gewesen, bei einigen Bekannten in
der Nachbarschaft, denen die stolze, elegante Dame mit den
vornehmen Allüren nicht wenig imponirte.
Frau Georgine begann hier die Tonangeberin zü werden;
sie besaß nun einmal die eigene Gabe, sich alle jene, die in ihre
 
Annotationen