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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 141 - No. 150 (17. Juni - 28. Juni)
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Arger- K Zeitung

Verkündigungsblatt und Anzeiger

Di« ,^8ürgerzettung"
erscheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummer liegt ein Unter-
haltungsblatt, „Der Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei

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für Heidelberg: monatl- 4V Pfg. mit
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vierteljährl. Mk. 1.— ohne Zustellgeb.
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Geschäfts-mPrivatanzeigen 5 Pf.

145.

Expeditton:
Hauptstraße 28.

Heidelberg. Donnerstag, 22. Juni

Expedition:
Hauptstraße 28.

1893.

Die internationale Schiedogerichtsidee.
Die von manchem Vernunftlosen unserer Zeit, wie
sie mit einem unglaublichen Spießbürgergeist in das
Reich der Träume verwiesen wird, diese Idee taucht
lichter und lichter aus dem Sumpfe der Ignoranz
herauf und wird — allen den jämmerlichen Zaun-
patrioten und Götzendienern eines widerwärtigen cultur-
zertretenden Militarismus zum Trotz — dereinst
das Recht auf Erden finden, das ihm eine — deutsch
herausgesagt — dumme und verdummte Menschheit
heute noch verweigert. Ja, Soldat spielen, Menschen dres-
siren und commandiren, Paradcnabnehmen und Kasernen
alarmiren, die Nachbarnationen im Harnisch halten und
auf Kosten des traurigsten inneren Ruins nur vor allen
Dingen nach außen glänzen — ja da fragt man: Wie
bringen wir das alles an, besten fertig, da ruft man:
Auf, „Patrioten", zahlt, zahlt, bis ihr nicht mehr könnt,
eS gilt Eure Eristenz, es gilt Euer „Vaterland", da
citirt man „patriotische" Worte seiner „Nationaldichter",
die man in ihrem Leben am Hungertuche nagen ließ, da
wirft man der dummen Menge, die man sonst vor Hoch-
muth nicht kennt, gezuckerte Schmeicheleien und Lock-
speisen zu, um sie zu „fangen" — aber einmal an den
urnatürlichen Gedanken heranzutreten: Wie fangen wir
es an, mit unseren benachbarten Culturvölkern endlich,
endlich einmal den wahren Friedensweg menschlichen
Nebeneinanderlcbens und Verkehrs anzubahnen, wie fangen
wir es an, dem alles verrohenden, ein freies Bürgerthum
zertretenden und alle tieferen Culturpflichten hemmenden
Militärgötzen aus dem Schooße einer gesitteten und zu
fortschreitender Gesittung berufenen Menschheit allmählig
zu verscheuchen? Ja, diese Frage macht dem Gehirn der
Hurrahpatrioten keine Schmerzen, diese Frage wirft von
ihnen Keiner auf und — weiß auch recht gut, warum.
Doch wie leider alldem ist: die Natur wird sich einst ihr
Recht von dxm man heute geflissentlich nichts wissen will,
erzwingen und dann wird auch natürlich erscheinen was
heute für vernunftlose Menschen ein Gegenstand der
Lächerlichkeit ist. Wo kein Wille, da ist auch kein W e g.
Zu den vereinzelten schwachen Anfängen einer ver-
nünftigeren Weltauffassung, die hie und da reger und
reger 'auftauchen, müssen wir einen Vorgang in der
Freitagssitzung des englischen Unterhauses zählen. In
dieser Sitzung kam die Frage der internationalen
Schiedsgerichte und der wachsende Militaris-
mus zur Sprache. Der Abg. Cremer stellte nämlich den
Antrag, in welchem die Hoffnung ausgesprochen war, daß
die Regierung bei der ersten sich darbietenden Gelegenheit
mit der Regierung der Vereinigten Staaten in Verhand-

Zrrr Mmgverließ.
Erzählung von Wilhelm Appelt.
2,3 I8ci (Schluß.)
Ergriffen sprach Tarloni, indem er die Ratte zärtlich
an die Wange preßte:
„Dn liebes Thier, Dir danke ich das Glück der Freiheit!
Du sollst es gut haben dafür, denn ich will trachten, es Dir
reich zu vergelten!" —
Dann ging es auf ungebahnten Wegen rasch dahin, bis
sie in einen dichten Wald gelangten. Doch auch hier gab es
nur eine kurze Rast, um etwas zu verschnaufen; gleich darauf
wanderten sie über Berge und Felsgestein wieder weiter.
Als sie sich gerade auf einer kahlen Anhöhe befanden, von
wo es eine freie Ausschau gab, da stieg sie herauf, die Sonne,
leuchtend und in strahlendem Purpurglanz. Zum ersten
Male nach so langer Zeit sahen sie dieselbe wieder scheinen.
Da sanken sie ergriffen auf die Knie und inmitten der morgen-
stillen Lenzcsprachl dankten sie Gott für die Erlösung aus
qualvollem Kerkerelend.
Plötzlich drang gedämpft der Schall einiger Kanonen-
schüsse an ihr Ohr, welcher ihnen Kunde davon brachte, daß
man auf dem Spielberge soeben ihre Flucht entdeckt.
Als nach Monaten an einem ruhigen Abende das bleiche
Cilberlicht des Mondes sich in den Fluthen des Sees wieder-
spiegelte, dessen Wellen sich leise plätschernd an dem Fuße
eines marmorschimmcrnden Palastes brachen, da ruhte der
junge Graf Tarloni an dem Herzen seiner guten Mutter,
die ihn schluchzend umfangen hielt.
Noch durfte er jedoch nicht in seiner schönen Heiinath
bleiben, da es niit dem Freihcitstraume eines einigen Italiens
für lange Zeit vorüber war. Während sein Genosse, versehen
mit einer großen Summe Geldes, sich nach Amerika wenden
Wollte, hatte Tarloni beschlossen, nach London zu gehen, um

lung treten werde, um einen Vertrag zwischen den beiden
Nationen zu schließen, welcher sie in den Stand setzt, alle
Differenzen zwischen ihnen, die durch die Diplomatie nicht
gelöst werden können, einem Schiedsgerichte zu
unterwerfen. Gladstone, welcher sich in einer langen
Rede darüber verbreitete, schlug statt des Amendements
eine Resolution vor, die auch angenommen wurde. Diese
Resolution fordert das Haus auf, seine Befriedigung dar-
über auszusprechen, daß der Kongreß der Vereinigten
Staaten den Präsidenten beauftragt habe, zu Gunsten
eines Schiedsgerichts zu verhandeln. Im Laufe
seiner Rede äußerte sich der Premier auch über den
Militarismus. In den letzten Generationen und den
Kriegen, führte er aus, seien neue Mittel und neue Me-
thoden gefunden worden, der Menschheit viele und große
Leiden aufzuerlegen und unter dem Namen und dem
System des Militarismus haben die Völker auch in
Friedenszeiten viel zu dulden. Mag es auch beabsichtigt
sein, den Frieden dadurch zu fördern, so könne es doch
nicht geleugnet werden, daß der Militarismus ein schreck-
licher Fluch und eine abscheuliche Plage für die Civilisation
sei. Die große Frage, ob derselbe dazu geeignet sei, den
Krieg abzuwenden oder zu provociren, sei bis jetzt noch
ein ungelöstes Problem.
Die Engländer die auf ihrer Insel geschützt wie in
einer Festung sitzen, haben allerdings bis jetzt noch keine
besondere Veranlassung gehabt, solche Mittel zu studiren,
und vor dem Kriege selbst haben sie sogar unter Glad-
stone nicht immer den rechten Abscheu gezeigt. Desto
erfreulicher ist es, wenn sie sich jetzt anschicken, der Schieds-
gerichtsidee einen neuen Aufschwung zu geben. Ein
Staatsoertrag zwischen Großbrittannien und den Ver-
einigten Staaten mit dem oben angedeuteten Inhalt wäre
ein gewaltiger Fortschritt, ein h o ch b ed eu ts a m eS
internationales Ereigniß.

Deutsches Reich.
Berlin, 29. Juni. Die Einberufung des Reichs-
tags wird zwischen dem 4. und 11. Juli erfolgen. —
Ahlwardt hat das Mandat von Arnswalde-Friedeberg ab-
gelehnt, weil er sicher glaubt, in der Stichwahl in Neu-
stettin gewählt zu werden. In Arnswalde soll an seiner
Stelle Hertwig aufgestellt werden.
Berlin, 19. Juni. Zu dem Verhalten der Konser-
vativen bei Stichwahlen bemerkt die „Kreuzzeitung": „Ob
die Opposition in der Hauptsache aus Anhängern Richters
oder Bebels besteht, darauf kommt zunächst nicht viel an.
Der Unterschied liegt nur darin, daß die Sozialdemokratie,
wie schon bemerkt, an sich widerstandsfähiger erscheint;
deshalb ist sie im Zweifelsfalle als der Hauptgegner an-

daselbst der Wittwe und Tochter des unglücklichen Grafen
Bela Ugron das Abschiedsschreiben desselben zu übergeben
und damit eine Schuld der Dankbarkeit abzutragen, hatten
sie doch nur seiner Hinterlassenschaft im Kerker ihre Freiheit
zu verdanken.
Als Tarloni in London die Wohnung der Gräfin Ugron
betrat, fand er in derselben die vornehme Ungarin wieder,
die vor seiner Verhaftung in der Villa in der Nähe seines
Schlosses gewohnt hatte, und in ihrer Tochter seine qe-
Rebte Ilka.
Erschütternd war dieses Wiedersehen nnd sie vermochten
das Wunderbare kaum zu fassen. Am tiefsten ergriffen war
Ilka, hatte ihr guter, unglücklicher Vater doch durch seine
Hinterlassenschaft ihrem Geliebten Rettung und ihr dadurch
das höchste Glück des Lebens gebracht.-
Im Jahre 1859, als der Traum von einem einigen
Italien theilweise zur Wahrheit geworden, hielt Tarloni
mit Frau und Kindern wieder Einkehr im Palaste seiner
Mutter, fortan ein glückumstrahltes Leben führend. Mit-
unter kam ein Brief von Riedmüller aus Amerika, der als
Besitzer einer großen Farm durch rastlose Thätigkeit, Wohl-
thun und ehrenhaften Wandel sich die Achtung und Werth-
schätzung seiner Mitbewohner erworben. Dachte er zurück
an seinen langen Aufenthalt in der Kerkerzelle auf dem Spiel-
berge, so kam es ihm vor, als habe er damals nur einen
wirren Traum geträumt.
Inmitten des Parkes, der sich an der rückwärtigen Seite
von Tarlonis Palaste hinzieht, ruht unter einem kostbaren
Marmorstcine, welcher in Goldschrift die Worte trägt: „Dem
Andenken der geliebten, treuen Retterin," die Ratte, die sich
noch viele Jahre ihres Lebens gefreut hatte, gehegt und ge-
Pflcg'l und hoch in Ehren gehalten von Jung und Alt.
Oft weilte Tarloni sinnend davor und dachte mit Weh-
mutt, seines einstigen kleinen Lieblings in öder Kerkerzelle
und zugleich auch daran, wie mitunter die Liebe und Anhäng-

zusehen uud zu behandeln; aber eben auch nur im Zweifels-
falle, nicht um jeden Preis." An einer andern Stelle
bemerkt die „Kreuzzeitung", man könne es bei „der in
Berlin herrschenden Erbitterung wohl verstehen, wenn dort
die Konservativen im zweiten Wahlkreise beschlossen haben,
durch Stimmenthaltung Dr. Virchow zu Fall zu bringen.
Aber etwas voreilig erscheint uns mit Rücksicht auf die
Gesammtvorlage der Stichwahlen dieser Beschluß doch
zu sein."
Berlin, 19. Juni. Die Gefahr einer neuen Kartell-
mehrheit, so schreibt die „Germania", „kommt wieder in
Sicht, und es wird der äußersten Anstrengungen bei den
Stichwahlen bedürfen, um jene Gefahr zu vermeiden."
Die CentrumSwähler werden in der „Germania" aufge-
fordert, „recht eifrig ihre Macht auch noch bei den Stich-
wahlen zu zeigen, und jetzt umsomehr, da e§ von den
Stichwahlen abhängt, ob die Gefahr einer neuen Kartell-
mehrheit, die nach dem Ausfall der Wahlen leider möglich
ist, sich verwirklicht."
Berlin, 19. Juni. Freiherr v. Huene ist der
be st durchgefallene Mann im Deutschen Reich. Und
doch war auf seinen Namen der Antrag getauft, über den
bei der Auflösung entschieden ist!
Berlin, 20. Juni. In der heutigen Sitzung der
Herrenbauscommission erklärte Finanzminister Dr. Miquel
bei der Erörterung des Ergänzungssteuergesetzes, an die
Einführung einer Reichserbschaftssteuer werde nicht gedacht.
Kiel, 20. Juni. Die Manövcrflotte ging
heute Vormittag um 8 Uhr zu Hebungen in See. Der
Kaiser, der um 9 Uhr in der Salonpinasse „Hohen-
zollern" gefolgt war, begab sich um 10 Uhr an Bord
des Flaggenschiffs „Baden." An der gestrigen Abend-
tafel auf der „Hohenzollern" nahmen außer dem Ge-
folge des Kaisers noch Prinz Heinrich und die Admiräle
theil.
Darmstadt, 20. Juni. Der außerordentliche Land-
tag ist auf den 27. Juni einberufen, um über die
Nothlage der Landwirth schäft zu berathen.
Oesterreich-Ungarn.
Wien, 20. Juni. Zu der morgigen Vermählung
des Erbgroßherzogs von Luxemburg mit der Prinzessin
von Braganza in Schloß Fieschhorn bei Zell am See
sind dort Erzherzog Karl Ludwig mit Gemahlin, die Erz-
herzoginnen Maria Annunziata und Elisabeth, die Prinzen
Robert von Parma und Heinrich von Bourbon, ferner
Don Alfonso und Graf Bardi, beide mit Gemahlin, hier
eingetroffen. — Der „Wiener Zeitung" zufolge soll der
Kaiser den Fürstbischof von Breslau, Cardinal Dr.
Kopp, zum Stellvertreter des Landeshauptmanns im
schlesischen Landtage ernannt haben.

lichkeit eines unbedeutenden, ja selbst verachteten Thieres so
hoch beglücken kann.
* * *
Jetzt wissen wir's. In einem französischen Lesebache,
das für die Kinder bestimmt und von vielen geistlichen Wür-
denträgern als für die Schule geeignet erkannt wurde, steht
folgende Definition des Wortes „Soldat": „Der Soldat ist
kein Mensch mehr, aber er war es. Er bezieht die Wache,
um zu verhindern, daß gestohlen und gemordet wird. Aller-
dings mordet er selber in Kriegszeiten, aber die Menschen,
die er mordet, sind nur Feinde. In den Friedenszeiten je-
doch hilft er den Mädchen bei der Kinderhut, er ist der
Wächter der Kindesmädchen-Unschuld und die letzte Hoff-
nung der überreifen Köchinnen. Man findet ihn nicht allein
in den Kasernen, sondern auch in den Küchenschränken und
in der Nähe der Speisekammern. Der Soldat lebt gesellig
und kommt in Truppen vor; er kostet sehr viel Geld; man
läßt sich aber gern die Auslagen für ihn gefallen, weil er
eben so außerordentliche Dienste leistet."
Ein peinlicherSchulinspektornahm es übel, daß
die Schulkinder das Lied sangen: „Unsre Wiesen grünen
wieder." Besonders anstößig war ihm darin die Stelle:
„Kühner wird jetzt jeder Schäfer, sanfter jede Schäferin."
Er verbot deshalb das Lied. Aber der Lehrer protestirte
dagegen und nach langem Hin und Wieder rettete der Letz-
tere auch wirklich das Lied, inußte sich jedoch die vom Herrn
Schulvorsteher beliebte Aenderung gefallen lassen, der zufolge
die Kinder nun sangen: „Jeder Käfer wird jetzt kühner, sanf-
ter jede Käserin."
DerSchweinhund. Ein Mann hatte eine sehr hoch-
gestellte Person einen „Schweinhund" genannt. Hierüber
wurde Anzeige erstattet und auf hohen Befehl strengte der
Staatsanwalt die Ehrenbeleidigungsklage an, welche vor die
Geschworenen verwiesen wurde. Der Vertheidiger des Be-
klagten bewies nun in langer Rede, daß das Wort „Schwein-
 
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