Verkündigungsblatt und Anzeiger
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Vom Rücktritt Lllprim's.
Der letzten Sitzung des preußischen Staatsministeriums,
trotzdem derselben Graf Caprivi nicht beigewohnt hat,
wird eine sehr große Bedeutung beigemessen. Irgend
etwas Näheres über diese Bcrathungen ist indessen nicht
in Erfahrung zu bringen. Man ist da lediglich aus
Vcrmutbungen angewiesen. Entschieden in Abrede ge-
stellt wird nur, daß neuerdings hinsichtlich der deutsch-
russischen Handelsvertragsverhandlungen eine Wendung
Eingetreten sei. Diese Meldung hatte auch von vornherein
bie Wahrscheinlichkeit gegen sich. Die deutschen Vor-
schläge sind vor beinahe 14 Tagen formulirt und vor
l0 Tagen nach St. Petersburg übermittelt worden. Nun
hat zunächst das Wort die russische Regierung, deren
Meinung keinesfalls vor der Rückkehr des Grafen Schu-
walow hierher berichtet werden wird. Ueber den Zeit-
punkt dieser Rückkehr steht noch nichts fest. Bis dabin
wird und muß sich selbstverständlich die diesseitige Re-
gierung an ihre Vorschläge gebunden betrachten- Was
Nun die preußische Ministerberathung anlangt, so wird
unter sorsältiger Vermeidung jeder näheren Angaben deren
Ernste Tragweite so geflissentlich betont, daß man fast
fMnehmen möchte, es hierbei lediglich mit einem Gliede
in der Kette der neuerdings zahlreich verbreiteten dunklen
S ctz i ck scr l's w e g e.
ü) Novelle von C. Fontane.
(Fortsetzung.)
Und nun Du, mein Junge — nein, Du sollst mich
*Ncht mit Redensarten von Dankbarkeit und dergleichen
Unterbrechen — sieb, ich habe immer gewünscht, einen
^vhn zu haben und als Dein wackerer Vater starb, da
gelobte ich mir, dem Sohne meiner Schwester ein Vater
öu sein und ihm nach Kräften seinen Lebensweg zu
Ebnen. Ich konnte es mit frohem Herzen thun, denn
'ch kannte Deine Charakterfestigkeit und Dein ernstes
Greben. Daß ich mein Wort gehalten und Dir aus
seinem Ueberfluß die geringen Mittel zur Vollendung
seiner Studien gegeben, das ist ja nicht der Rede werth,
iwfür sollst Du mir nicht viel danken. Du stehst mir
jwb, als der Sohn meiner Schwester, ja ich habe Dich
wb, wie meinen leiblichen Sohn, und so freue ich mich
^it Dir, daß Du nun das vorgesteckte Ziel erreicht hast,
"ud als tüchtiger Arzt der Menschheit nützen kannst nach
lEn Kräften, die Gott Dir verliehen. — Laß uns an-
'wsten auf Deine Zukunft."
- „Ja, Onkel," sagte Friedrich tief gerührt, „was ich
siflr sagen wollte, das hast Du selbst ausgesprochen. Es
u kein Geringes, wenn man sich plötzlich aus der Bahn
^rissen sicht, die man freudig und hoffnungsvoll bc-
iwten, wenn man dem Berufe entsagen soll, dem man
mit ernstem Streben zugewandt. Davor hast Du
wich bewahrt, und — wenn Du meinen Dank auch nicht
Andeutungen und Drohungen zu thun zu haben.
Dazu gehört auch das neuerdings auftauchende und auf
ganz bestimmte Kreise berechtigte Gerücht von dem an-
geblich bevorstehenden Rücktritt des Reichskanzlers.
Man kann sich eigentlich ohne Weiteres sagen, daß davon
überhaupt keine Rede sein kann, so lange sich die Militär-
vorlage noch in der Schwebe befindet und eine Entscheidung
darüber in keiner Weise gefällt ist. Wie wenig aber auch
für die nächste an maßgebender Stelle an einen Kanzler-
wechsel gedacht wird, beweist hinlänglich die bevorstehende
Romreise des Kaisers. Sie soll in der Zeit erfolgen,
wann voraussichtlich die letzte Entscheidung über die
Militärvorlage im Reichstage fallen wird. Der Kaiser
würde gewiß niemals daran gedacht haben, in dieser Zeit
die Reichshauptstadt zu verlassen und eine längere Aus-
landsreise zu unternehmen, wenn nur entfernt die Mög-
lichkeit vorläge, daß die Ablehnung der Militärvorlage
durch den jetzigen Reichstag eine Kanzlerkrisis im Ge-
folge haben könnte. Zum Ueberfluß sei aber noch her-
vorgehoben, daß Graf Caprivi in der Militärvorlage von
Anfang bis zu seiner letzten Erklärung in der Commission
genau nach den Anweisungen des Kaisers ver-
fahren ist und sich in jeden, bisherigen Stadium vorher
der ausdrücklichen Uebereinstimmung mit dem Kaiser ver-
sichert hat. Es erscheint also ausgeschlossen, daß in dieser
Frage Meinungsverschiedenheiten entstanden sein könnten,
die den Reichskanzler zum Rücktritt veranlassen müßten.
Es ist im klebrigen allen umhcrschwirrenden Gerüchten
gegenüber darum die Mahnung an, Platze, sich ruhiges
Blut zu bewahren und sich nicht durch voreilige Meldungen
beirren zu lassen.
Deutsches Reich.
Berlin, 16. März. Der Gegenantrag des
Centrums zur Militärvorlage setzt die Friedens-
präsenzstärke ab 1. Oktober 1893 bis 30. Septbr. 1898
auf 420031 Mann fest, während die Vorlage die Prä-
senzstärke bis zum 31. März 1899 auf 492 068 Mann
festsetzl. Die Zahl der Fußtruppen gilt als Jahresdurch-
schnittsstärke, die Zahl der Kavallerie und der reitenden
Feldartillerie als Jahreshöchststärke. Die Cavallerie und
die reitende Artillerie oienen dreijährig, die anderen Mann-
schaften zwei Jahre bei der Fahne. Die Cavallerie und
die reitende Artillerie treten zur Landwehr über und
dienen bei der Landwehr ersten Aufgebots nur drei Jahre.
Die zweijährig Gedienten werden zur Reserve entlassen.
Sie können durch kaiserliche Verordnung im activen Dienst
zurückbehalten werden, dürfen im ersten Reservejahre nicht
annebmen willst — ich werde es Dir danken Zeit meines
Lebens."
Herr Hagendorfs rrichte dem Neffen die Hand und
sagte wohlwollend:
„Du bist ein wackerer Junge, das rechte Ebenbild
Deines braven, tüchtigen Vaters. — Nnd nun laß uns
einmal zusammen überlegen, wie cs mit Deiner Nieder-
lassung als Arzt werden soll. Hast Du in dieser Be-
ziehung schon einen Entschluß gefaßt?"
„Nein, lieber Onkel. Wie könnte ich einen so wich-
tigen Entschluß fassen, ohne vorher Deinen Rath gehört
zu haben.",
„Nun, laß sehen. — Du hast jetzt Dein Jahr als
Unterarzt abgedient. Hast Du vielleicht Neigung, Mili-
tärarzt zu werden?"
„Neigung dazu habe ich nicht, obgleich ich nicht ver-
kenne, daß ein wenn auch geringes, so doch sicheres Ein-
kommen seine Vorzüge hat. Wenn es aber irgend an-
geht, würde ich doch lieber unabhängig bleiben. Das
schließt natürlich nicht aus, daß ich im Falle eines
Krieges, der mir, beiläufig bemerkt, in nicht allzuferner
Aussicht zu sein scheint, gern und freudig meine Pflicht
erfüllen und meine Kräfte dem Dienste des Vaterlandes
widmen."
„Brav gesprochen, und ganz meiner Meinung. Ich
hoffe aber, daß Deine Befürchtungen sich nicht verwirk-
lichen und die Differenzen zwischen Preußen und Oester-
reich auf friedlichem Wege zum Austrag gelangen werden.
— Nun also, um das Nächste ins Auge zu fassen, in
Waldau, wie es Mutter und Schwester vielleicht wünschen,
wirst Du Dich wohl keineswegs niederlassen wollen?
auswandern und können im ersten Jahre nach Jnkraft
treten des Gesetzes bis zur beendigten Recrutenausbildung
zurückbehalten oder wiedereinberufen werden.
Berlin, 16. März. In der Militärcommission
stellt der Abg. v. Bennigsen den Antrag, die Friedens-
präsenz auf 462 000 statt auf 492 068 Mann festzu-
setzen. Die Fußtruppen sollen zwei Jahre bei der Fahne
bleiben und fünf Jahre der Reserve angehören. Anstatt
471 Escadrons sollen 465, anstatt 37 Bataillone Feld-
artillerie 31, anstatt 24 Bataillone Pioniere 20 einge-
setzt werden. Die unter 711 Bataillonen befindlichen
123 Bataillone Stämme sollen nur so lange formirt
werden, als die zweijährige Dienstzeit der Fußtruppen
festgesetzt bleibt. In der sich anschließenden Debatte er-
klärte Reichskanzler Graf Caprivi, der vom Abg.
Lieber eingebrachte Antrag des Centrum sei unannehm-
bar, der Antrag des Abg. v. Bennigsen enthalte zwar
die Anerkennung des Grundgedankens der Regierung,
genüge aber den militärischen Anforderungen nicht. Be-
züglich der Deckungsfrage würde die Regierung auch andere
Vorschläge annehmen. Richter beantragt, die Friedens-
präfenz vom 1. Oktober 1893 bis 31. März 1895 auf
486 983 Mann festzustellen. Fortsetzung morgen.
Berlin, 16. März. Die „Norddeutsche Allgemeine
Zeitung" theilt mit, der Reichskanzler habe heute
dem Kaufmann Goldberger, welcher eine die Nützlichkeit
die Handelsvertragspolitik, insonderheit nach der
Seite Rußland hervorhebende Eingabe des Vereins der
Berliner Kaufleute und Industrieller überreichte, erklärt,
sämmtlichen wirthschaftlichen Interessen der verschiedenen
deutschen Erwervsränbe hätten stets auf eine gleichmäßige
Förderung seitens der Regierung zu rechnen, deren Auf-
gabe es sei, zwischen den verschiedenen Interessen zu er-
mitteln.
München, 16. März. Der Kaiser von Oester-
reich ist heute früb 6 Uhr 40 Minuten hier einge-
troffen. Er wurde von der Prinzesston Gisela und dem
Prinzen Leopold am Bahnhofe empfangen. Der Kaiser
fuhr nach dem Palais des Prinzen Leopold und setzte
seine Reise nach Wien um 9 Ubr 15 Min. Vorm. fort.
Rußland.
Petersburg, 16. März. Der Finanzminister legt
großen Werth auf den günstigen Ausgang der deutschen
Handel s'vertragsver Handlungen. Obgleich
einige deutsche Vorschläge nicht angenommen werden
dürfen, ist der Finanzminister dennoch zu allen ihm
möglichen Zugeständnissen bereit und will selbst, ohne
Erstens sind da zwei Aerzte. Für das kleine Nest schon
einer zu viel."
„Du sprichst mir aus dem Herzen, lieber Onkel.
Aber wir dürfen doch nicht vergessen, daß für mich der
Broderwerb in erster Linie steht, und meine sonstigen
Wünsche sich dieser ersten Anforderung unterordnen
müßten."
„Du willst möglichst bald auf eigenen Füßen stehen,
und das macht Dir alle Ehre. Aber so ganz abschütteln
läßt sich der alte Onkel denn doch nicht. Also höre ein-
mal meinen Vorschlag: Du etablirst Dich in Berlin.
Ich habe dort Verbindungen, die Dir von Nutzen sein
können. Natürlich mußt Du anständig wohnen; das ist
meine Sache —"
„Aber bester Onkel, wie kann ich denn das an-
nehmen, nachdem ich Deine Güte schon lange auf die
Probe gestellt habe!"
„Still! Du nimmst das von mir an, wie Du es
von Deinem Vater annehmen würdest. Ich habe dabei
auch meine egoistischen Pläne. — Ich bin der Land-
wirthschaft eigentlich überdrüssig und sehne mich nach
Ruhe. Sobald sich also eine passende Gelegenheit bieten
wird, verkaufe ich mein Gut und ziehe mit meiner Hedwig
nach Berlin. — Dann werde ich vorkommenden Falles
auf freie Kur und Pflege rechnen. Das merke Dir
Herr Neffe!"
Der junge Mann war tiefbewegt. Seinen Wohnsitz
in Berlin zu nehmen und so in unmittelbare Berührung
mit den wissenschaftlichen Cclebritäten der Hauptstadt zu
gelangen, die reichen Sammlungen und Kunstschätze zu
seinen weiteren Studien benützen zu können, ja vielleicht