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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 141 - No. 150 (17. Juni - 28. Juni)
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Di« „Vürgerzeitung"
erscheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummer liegt ein Unter-
haltungsblatt, „Der Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei.


Verkimdigungsblatt und Anzeiger
für Stcröt und Lund.

Abonnemerrtspreis
sür Heidelberg: monatl- -10 Pfg. mit
Trägerlohn, durch die Post bezogen
vierteljährl. Mk. 1.— ohne Zustcllgeb.
Znsertionspreis: 10 Pf. für die 1-spalt.
Petitzeile vd. deren Raum. Für locale
Geschäfts- u. Privatanzeiqen 3 Pf.

Heidelberg, Sonntag, 25. Juni

U 14«.

Expedition:
Hauptstraße 28.

Expedition:
Hauptstraß«25.

1893.

Der 2lbonnementspreis
für die
„Würger - Zeitung"
beträgt für Heidelberg und nächste Umgebung
monatlich nur 40 Pfg.
mit Urägerlohrr.
Für auswärts vierteljährlich am Postschalter
abgeholt: l Mark, durch den Briefträger frei in's
Haus gebracht: 1 Mk. 40 Pfg.
Bestellungen der „Bürger-Zeitung" werden für
auswärts durch die Poft, innerhalb der Stadt und nächster
Umgebung durch unsere Träger entgegengenommen.
Neu hinzutretende Abonnenten erkalten die „Bürger-
Zeitung" bis Ende des Monats unentgeltlich).
Verlag der „Bürger-Zeitung".
SMeutschlltttd und Mich. MiliLiirchW.
Wie aus den gestern angegebenen Zahlen ersichtlich,
hat das Großhcrzogthum Baden mit einem namhaften
Üebcrgewicht oppositionell, oder was diesmal dasselbe sagt,
gegen das preußischcMilitärproject gewählt.
Dieser Art war überhaupt die Wahl im Allgemeinen in
ganz Süddeutschland. Das hat seine Ursache keineswegs
in dem „süddeutschen Partikularismus", mit dem wasch-
echte preuß. Patrioten gleich bei der Hand sind, oder in einer
Anwandlung von Reichsfeindschaft, sondern in einem ent-
schiedenen Proteste gegen den militärischen
Geist, an dem Preußen schon seit Jahrhunderten krankt.
Der Süddeutsche ist noch nicht so abgebrüht, daß er im
Militarismus eine gottgewollte Einrichtung und im Officier
einen Halbgott sieht; er hat noch ein gut Stück mehr
bürg crl i chcs S el b st b ew ußtsei n als der Preuße.
Die überwiegende Mehrheit Süddeutschlands hat sich gegen
die Heervorlage erklärt, weil sie in derselben nur die
Eulisse sah sür die eigentliche Streitfrage, ob von nun
an der Militarismus oder das Bürgert hum in
Alldeutschlaud allein bestimmend sein sollte. Die Wahl-
bewegung hat ferner gezeigt, daß in Süddeutschland die
Heervorlage zurücktrat hinter den Kampf gegen den Ab-
solutismus. Dieser Kamps war nicht in das Volk hin-
eingetragen worden, sondern aus dem Volke heraus kam
die Bewegung gegen das allzu viele Hervortreten des Per-
sönlichen im neuen Kurs. Besonders in Bayern u. Würt-
temberg machte sich ein entschiedener Widerspruch geltend
gegen das allzu häufige Betonen deS eigenen Willens der
obersten Spitzen der Reichsregierung, und gewisse Reden,

die vor den preußischen Gardetruppen gehalten worden
waren, hatten in Süddcutschland in der Fassung, wie
sie dort bekannt geworden, Verstimmung erregt. Hand
in Hand mit dieser Gegenströmung ging das überall be-
obachtete Verlangen, daß des Volkes Wille oben mehr
beachtet werden müßte, und gleichzeitig konnte man be-
merken, daß das Volk großen Unmuth hegte gegen die
Hochadligen und andere bevorrechtete Leute. Alle diese
Aeußcrungen der Volksstimmung kann man aber, wenn
man gerecht bleiben will, nicht mit dem Vorwurf der
Reichsfeindschaft belasten. Von Reichsfeindschaft und
von Partikularismus zeigte die süddeutsche Wahlbewegung
keine Spur. Im Gegentheil stimmen alle auf eigenen
Beobachtungen beruhenden Berichte darin überein, daß
durchweg im Süden diesmal mehr denn je die freisinnigen
Redner betonten, daß ihre Partei aus nationalem
Boden stehe. Man kann denen, die Süddcutschland
immer noch durch die preußische Brille betrachten, nur
rathen, den Ladenhüter „Partikularismus" in die literarische
Rumpelkammer zu werfen — er zieht eben nicht mehr.
Orthodoxer Wucher in Rußland.
O Den Kennern der Geschichte und allen vorurtheils-
loscn Beobachtern der Gegenwart ist es wohl bekannt,
daß überall, wo üble ländliche Verhältnisse herrschen, auch
der Wucher sein Spiel treibt, gleichviel ob Juden in den
betreffenden Gegenden ansässig sind oder nicht. Den
Haß der leidenden Landwirthe auf die Juden zu lenken,
heißt sonach ihnen den schlechtesten Dienst erweisen, denn
cs muß ihre Aufmerksamkeit von den Wurzeln der
Nebclstände ableiten und sic verführen, ihre Freunde da
zu suchen, wo sie im Grunde nicht zu finden sind.
Höchst interessante Nachrichten über den von nicht-
jüdischer, sondern orthodor-christlicher Seite gegen
die arme russische Landbevölkerung geübten Wucher, ver-
öffentlicht soeben der „Rußkaia Schi zu" (Nr. 24).
Es heißt daselbst:
„Wie uns von absolut zuverlässiger Seite
mitgelbeilt wird, sind im Ministerium des Innern zahl-
reiche Klagen über den wahrhaft unerhörten und
schamlosen Masscnwucher eingelaufen, welchen die
einheimischen Kulaki im Gouvernement Samara
mit der Nothlage der Landbevölkerung betreiben. Nicht
weniger als 200 verarmte Bauernwirthe des Amtsbezirks
Saita im Kreis Nowousseysk haben ihre Parcellcn für
'/2 Pud Roggenmehl pro Dessätinc (2400 Quadratfaden)
den bchendigen Herrn Kulaki in Pacht übergeben, während
andere 2000 Dessätinen des besten AckerS in den ver-
schiedenen Amtsbezirken des Kreises Nikolajew für je ein
Pud Mehl pro Dessätine den hungernden Bauern abge-

schwindelt worden. Nachdem das Ministerium sich ge-
nügend überzeugt hat, daß an der berichteten, schier un-
glaublichen Thatsche leider! nicht mehr gezweifelt werden
kann, hat es nunmehr beschlossen, Specialbeamte in die
betreffenden Ortschaften zu commandiren, um die Schänd-
lichkeit in allen ihren Einzelheiten genau zu untersuchen."
Ueberhaupt mehren sich in letzter Zeit die Klagen
über den außerordentlich großen Schaden, welcher der
russischen Landbevölkerung gerade durch Austreibung von
Juden in einzelnen Distrikten zugefügt worden ist.

Deutsches Reich.
Berlin, 23. Juni. Bei dem diesjährigen Heeres-
ergänzungsgeschäft sind, wie die „Post" zu berichten weiß,
21074 völlig brauchbare Leute zurückgestellt worden, weil
sie über den schon nach Maßgabe der neuen MUitävorlagc
erhöhten Rekrutenbedarf überschießend waren. — Dem-
nach haben wir also nach den Grundsätzen der neuen
Militärvorlage zu erwarten, daß nach Annahme dieser
Vorlage noch eine weitere Heeresverstärkung um circa
50 000 Mann verlangt wird, um auch diese 21074
Mann, welche nach den neuen Rekrutirungsbestimmungcn
„völlig brauchbar" sind, in der zweijährigen Dienstzeit
ausbilden zu können.
Gotha, 23. Juni. Der Herzog von Sachsen-Koburg-
Gotha hat den berühmten Schriftsteller Geb. Ratk Dr.
Gustav Freytag zum Wirkt. Geh. Ratk mit dem
Prädicat Ercellenz ernannt.
(srnnkreich.
Paris, 23. Juni. Norton, welcher die Mi Ne-
ll oyeS Acten bildenden Dokumente aus der englischen
Botschaft entwendete, wird sich heute zur Haft stellen;
übrigens ist bereits der Haftbefehl geg n ibn erlassen.
Die Blätter tadeln ohne Unterschied die Leichtfertigkeit,
womit so schwere Anklagen öffentlich gegen die Politiker
Frankreichs erhoben worden sind.
Paris, 23. Juni. Nach langem Verhör erklärte der
Untersuchungsrichter Norton für verhaftet und telephonirte
an den Chef der Kriminalpolizei die Ordre, auch D u cr et
zu verhaften. Ducret wurde Abends au- dem Schlafe
geweckt und in das Untersuchungsgcfängniß abgeführt. Es
lief auch das Gerücht von der Verhaftung Mil > evoyes
um, hat sich aber bisher nicht bestätigt.
Paris, 23. Juni. Marquis Mores veröffent-
licht im „Figaro" sämmtliche angeblich der englischen Bot-
schaft entwendeten Aktenstücke. In einem Begleitschreiben
sagt Mords, er wäre noch immer von der Echtheit der
Aktenstücke überzeugt. Der Fälscher Norton soll von
Millevoye und Genossen für die Papiere 35 000 Franken
erhalten haben.

Meber's Meer.
Erzählung von Kuno von Wildenfels.
5,2 18 (Fortsetzung.)
Ter Schreiber sah Auguste fragend an.
„Meine Eltern sind frei von Vorurtheilen und werden
wich niemals zu einer Verbindung zwingen", lautete die Ant-
wort des jungen Mädchens.
„Und wenn sie cs dennoch thätcn, liebe Auguste?"
„Dann würde sich ihnen nun zum ersten Mat in meinem
Leben ungehorsam werden. Dir, nur Dir gehört mein Herz!"
„Schwörst Du es mir?"
„Heilig und theucr!"
Ein inniger Kuß besiegelte diesen Schwur. Einige Au-
genblicke später traten sie aus verschiedenen Wegen den Rück-
weg zum Amthause an.
Des Doktors Besuche im Amthanse wiederholten sich un-
geachtet des vortrefflichen Gesundheitszustandes der Familie
des Jnsiizamtmanns so häufig, daß der Letztere, welcher täg-
lich sehr müssige Stunden hatte, sich an diesen Umgang ge-
wöhnte. Aus dem HauSarzte wurde allmählich ein Haus-
freund.
Das Urtheil der Kleinstädter, die gctvöhnlich ebenso lang-
ohrig als scharfsichtig sind, und die sich längst in die Ohren
raunten, daß desDoktors Besuche mehr der Tochter des Amts-
müuus, als diesem selbst gälte», erfuhr er nicht; und wenn
«r es erfahren hätte, so wäre es ihm völlig gleichgültig ge-
wesen, zumal er gegen eine Verbindung seines Töchterchens
mit seinem jungen Freunde, dem geschickten und allgemein
beliebten Arzte, nichts einzuwenden gehabt haben würde Eben-
so wenig würde derselben auch seine Gemahlin einen Wider-
stand entgegen gesetzt haben, da sie gewohnt war, sich dem
Willen und den Wünschen ihres Gemahls unbedingt zu unter-
werfen

Mit andren Augen aber betrachteten die beiden Lieben-
den diese Besuche. Auguste bemühte sich, die Gegenwart des
täglichen Gastes zu meiden und setzte seiner Freundlichkeit
kalte Förmlichkeit und Gleichgültigkeit entgegen. Ferdinand,
der Schreiber, welcher ihn jeden Tag vor deckFcnstern seiner
Schreibstube vorübergehen sah, wünschte ihn ins Psefferland
und marterte sich selbst nut der Folter dcrEifersucht derArt,
daß sein jugendlicher Frohsinn immer mehr und mehr schwand
und seine Briese an die Geliebte eine immer düsterere Fär-
bung erhielten.
Der Amtmann und seine Frau, welche den Grund der
häufigen Besuche des Arztes längst geahnt hatten, waren end-
lich in einem geheimen Familienrathe, zu welchem auch eine
unverhcirathete Schwester desNmtmanns hiuzugezogenwor-
den war, übereiugckommen, den Absichten desDoktors Krei-
sing Vorschub zu leisten.
Um ihm Gelegenheit zu geben, Auguste genauer kennen
zu lernen, sich mit ihr oster zu unterhalten und ihr seine
Liebe zu erkläre», zog man ihn nun häufiger als früher mit
zur Tasel, machte man Ausflüge mit ihm in's Gebirge und lust-
wandelte bei schönem Wetter im Park.
So unlieb dieser Verkehr mit dem Arzt« dem jnnze» Mäd-
chen auch war, weil sie wußte, daß sie den Geliebten dadurch
kränkte, so uiußte sie doch, um ihre Liebe nicht zu verrathen,
gute Miene zum Spiele machen.
Arglos, wie Auguste war, hätte sie wohl lauge noch nicht
die Absicht des Arztes errathen, wenn Ferdinand sie nicht dar-
auf aufmerksam gemacht hätte. Seit jenem Augenblicke aber
benahm sie sich, obschon rücksichtsvoll und taktvoll, doch aus-
fallend kalt gegen den Gast und würde ihrer Aussage gemäß
seine Gegenwart gänzlich gemieden haben, wenn dies bei sei-
ner sich immer freundschaftlicher gestaltenden Stellung zu ihren
Eltern überhaupt möglich gewesen wäre.
Das Bestreben des Doktor» Kreistag ging zunächst natür-
lich dahin. Auguste für sich zu gewinnen, ehe er bei ihren

Eltern um ihre Hand nahielt. Es wurde ihn« dies aber außer-
ordentlich schwer' gemacht, und die Erfüllung seines Wunsche-
bei des Mädchens fortgesetzter Kälte schien in immer weitere
Ferne gerückt.
Aber trotzdem verzweifelte er an einem günstigen Erfolge
seiner Bemühungen noch nicht, denn er war gewohnt, seine
Ziele thatkräftig und entschieden zu verfolgen, ohne vorSchwie-
rigkeilcn zurückzuschrecken.
Eines TageS, als er kurz vor dem Abendessen, welches
man in einer Laube des Parks einzunehmen im Begriff war,
einige Augenblicke sich mit Auguste allein befand und mit ihr
in einem der Laubgänge ans und nieder ging, wußte er dem
über alltägliche Gegenstände angeknüvften Gespräche plötzlich
eine andere, auf seine Liebe bezügliche Wendung zu geben
und fuhr im Lauf« der Unterhaltung also fort: „Gesegnet
sei dieser schon so lange vergebens herbeigesehnte Zufall, der
es mir vergönnt, einige Minuten unter vier Augen mich mit
Ihnen zu unterhalten. Ich habe Ihnen, mein verehrtes
Fräulein, eine kleine Mittheilung zu machen, und von der
Art und Weise, wie Sie dieselbe aufnehmen werden, hängt
das Glück oder Wehe »reines ganzen Lebens ab. Ich würde
damit bis zu einer noch günstiger» Gelegenheit, die uns mehr
Muße vergönnt, als dieser flüchtige Augenblick, gewartet ha-
ben, wenn mir einestheils bei Ihrem augenscheinlichen Ver-
meiden meiner Person die Aussicht bliebe, öfter mit Ihnen zu
verkehren and wenn anderntheils mein volles Herz mich nicht
zu dieser Mittheilung drängte."
„Kann dieselbe nicht in Gegenwart meiner Eltern ge-
schehen?"
„Nein, mein theures Fräulein, das ist unmöglich; sie soll
Ihren Eltern aber kein Geheimniß bleiben, das verspreche
ich Ihnen."
„Gut denn, so lassen Sie hören."
„Dars ich zuvor eine Frage an Sie richten?* .
„Ja." , -
 
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