Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
No. 71 - No. 80 (24. März - 6. April)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43990#0307

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext



ntim

Die ,^Bürgerzettung"
erscheint täglich mit Ausnahme von
sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummcr liegt ein Unter-
haltungsblatt, „Ter Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei.

Abonttemenlspreis
sür Heidelberg: monatl- -tv Pfg, mit
Trägerlohn, durch die Post bezogen
vierteljährl. Mk. 1.— ohne Zustellgeb.
Znsertionspreis: 10 Pf. für die 1-spalt.
Pctitzcile od. deren Raum. Für locale
Geschäfts- u. Privatanzcigen 8 Pf.

Arger
Verkündigungsblatt und Anzeiger

M 73.

Erpedition:
Hauptstraße 28.

Heidelberg, Sonntag, 26. März

Expedition:
Hauptstraße25.

1893.

Der Abonnementspreis
für die
„Mürger - Zeitung"
beträgt für Heidelberg und nächste Umgebung
monatlich nur 40 Pfg.
mit Trägerlohn.
Für auswärts vom 1. April ab vierteljährlich
am Postschatter abgeholt:
NS- 1 Mart -WL
durch den Briefträger frei in's^aus gebracht:
1 Mk. 40 Pfg.
Bestellungen der „Bürger-Zeitung" werden für
auswärts durch die Poft, innerhalb der Stadt und nächster
Umgebung durch unsere Träger entgegengenommen.
Neu hinzutretende Abonnenten erhalten die „Bürger-
Zeitung" bis Ende des Monats unentgeltlich.
Verlag der „Bürger-Zeitung".

Frankreich und Deutschland.
Ein offener Brief.
Die in Breslau erscheinende „Deutsche Revue"
veröffentlicht folgenden beachtenswerthen Brief von Baron
A. de bource l, dem früheren französischen Botschafter in
Berlin. Wir glauben, das dieser Brief der die Stimmung lei-
tendenpolitischenKreiseinFrankreich im allgemeinen zum Aus-
druck bringt, und müssen anerkennen, daß eine friedlichere
und versöhnlichere Richtung Deutschland gegenüber bei
den französischen Staatsmännern sich mehr und mehr
Bahn bricht. Die Veröffentlichung des obigen Schreibens
wird deßhalb als französisches Stimmungsbild von In-
teresse sein.
Der Botschaft schreibt u. A.: Frankreich und Deutsch-
land sind, weil sie beide die Gemeinsamkeit ihrer ältesten
Geschichte und vieles andere, was sie einander nähern
sollte, vergessen haben, heutzutage zu einer tiefgehenden
Meinungsverschiedenheit in ihren gegenseitigen Urtheilen
über einander und über die meisten Fragen gelangt, die
sie beiderseitig interessieren. Das ist der Erfolg einer
Planmäßigen Arbeit, durch die man sie seit hundertund-
sünfzig Jahren mit Gewalt einander entfremdet hat.

Lchickscrl'swege.
2l) Novelle von C. Fontane.
(Fortsetzung.)
„Der Abschied von dem Vater, den sie so sehr liebt,
'st dem jungen Mädchen gewiß sehr schwer geworden,"
^merkte Friedrich.
„Onkel Hermann erzählte inir nachher, daß sie sich
iapfer bezwungen habe, um dem Vater das Herz nicht
schwer zu machen. Erst als er aus ihren Augen ent-
schwunden war, soll sie Hedwig halb ohnmächtig in die
^rme gesunken sein."
„Armes Mädchen!" sagte Friedrich tief bewegt. „Sie
weder Mutter noch Geschwister, der Vater ist ihr
Mes. Hoffen wir, daß er wohlbehalten aus dem Kriege
^rückkehrt."
Der Rest des Tages verging unter mancherlei Ver-
breitungen und Verabredungen ziemlich rasch. Es war
schon ziemlich spät.
„Bleibe noch ein Viertelstündchen hier, mein Sohn,"
^iste sie, als dieser ibr Gute Nacht wünschen wollte. „Ist
Zöchte noch etwas mit Dir besprechen."
Sie zog ihn neben sich am das Sopha und begann
*wch einem Moment des Nachdenkens:
„Ich möchte zunächst eine Frage an Dich richten,
'stbcr Fritz, um deren aufrichtige Beantwortung ich Dich
^'tten möchte. — Hat Dir mein Bruder, als Du in
"rin warst, vielleicht Andeutungen in Bezug auf Dich
Hedwig gemacht?"

Man hat sie als Erbfeinde dargestellt und man hat die
Bezeichnung, die zwischen den christlichen Nationen gottlos
ist, die bis dahin nur auf die Türken Anwendung gefunden
hatte, zu einem geläufigen Sprachgebrauche gemacht.
(Vor hundertundfünfzig Jahren stand König Friedrich II.
im Bündnisse mit Frankreich. Zu derjenigen Stimmung,
die uns Deutsche veranlassen konnte, unsere Erfeinde in
den Franzosen zu sehen, hat aber Ludwig XIV. vor
zweihundert Jahren, hat Napoleon vor achtzig Jahren
recht kräftigen Anlaß gegeben. Auf der anderen Seite
verdanken wir jedoch zweifellos den Franzosen auch vieles
Gute. D. Red.)
Um die materiellen Wunden zu heilen, welche die
beiden Völker einander geschlagen haben, müßte man
zuerst die moralischen Schäden heilen, die sie ein-
ander zugefügt haben und täglich aufs neue einander zu-
fügen. Dazu muß man aber einer gewissen Weise die
Wissenschaft zu lehren, entgegentreten, einer Weise, die
allzuoft von einem Patriotismus schlechtester Art eingegeben
und nur zu begierig von der Einbildungskraft der Masse
ausgenommen ist — dazu muß man die seltsamen Schlüsse,
die man aus der Philologie und der Ethnographie ge-
zogen hat, widerlegen — dazu muß man vor allem den
Geschichtsunterricht, so wie er in verhängnißvollem Wett-
eifer zu beiden Seiten des Rheins gegeben wird, um-
wandeln. Denn aus der Geschichte fließt fast immer die
Strömung der Politik.
Ohne von der neuen Zeit zu sprechen, in der man
weit eifriger das, was uns trennt, als das, was uns
so oft gemeinsam ist, hervorsucht, muß ich sagen:
viel würde an dem Tage ansgerichtet sein, an dem man
in Deutschland begreifen würde, daß Roland für Frank-
reich ein volksthümlicher Held wie Bayard und Duguesclin
ist, — daß der Name Zülpich in unserem Herzen ebenso
wiedertönt, wie der Name Rocrop oder Marengo und daß
an diese Erinnerung „Zülpich" sich die ersten Anrechte
an den Besitz des Elsasses knüpfen.
Das, fürchte ich, ist sehr schwer. Es widerspricht der
gesammten Denkweise, die gegenwärtig hüben wie drüben
herrscht. Dennoch glauben aufmerksame Beobachter in
unseren beiden Ländern die Vorzeichen einer allerdings
noch fernen Zeit zu bemerken, in der die wirtbschaftlichen
und sozialen Fragen dringlicher auftreten werden als die
politischen, und in der die Notbwendigkeit, diesen Auf-
gaben zu genügen, mehr Gewalt haben wird, als die
internationalen Vorurtheile. Wenn diese Vorhersagung
eintrifft, wenn die Zeit des Hasses, in der wir leben, in
ihrem Schooße ein Geschlecht wachsen läßt, das viele heute

„Ich will Dir diese Frage gern beantworten, Mama,
um so lieber, als Du mir vielleicht nähere Aufklärung
darüber geben kannst. Allerdings hat Onkel Hermann
Aeußerungen gethan, aus denen ich wohl den Schluß
ziehen konnte, daß er eine Verbindung zwischen Hedwig
und mir wünsche. Bei reiflichem Nachdenken bin ich
aber doch zweifelhaft geworden, ob ich seinen in erregter
Stimmung gesprochenen Worten nicht zu viel Gewicht
beigelegt habe."
„Und wenn nun seine Worte das Resultat reiflicher
Erwägung gewesen wären?"
„Soll ich aus Deiner Frage schließen, liebe Mutter,
daß Du mit den desfalsigen Wünschen des Onkels ver-
traut bist?"
Sie nickte, indem sie ihm lächelnd das Haar aus der
Stirne strich.
„Deine Annahme ist vollkommen richtig. Ich weiß,
daß es schon längst meines Bruders dringender Wunsch
gewesen ist, eine Verbindung zwischen Hedwig und Dir
herbeizuführen."
Friedrich war aufgestanden nnd ging sehr erregt auf
und ab.
„Du hast das Recht, liebe Mutter, eine offene Er-
klärung von mir zu verlangen, sagte er, indem er vor
ihr stehen blieb.
„Die Sachlage ist ja allerdings jetzt für mich eine
wesentlich veränderte. Ich stehe auf eigenen Füßen und
kann eine Frau ernähren, aber ich habe während meines
näheren Verkehrs mit Hedwig nicht das Geringste be-
merkt, was mich zu der Annahme berechtigen könnte, jdaß
ihre Zuneigung für mich das Maß einer rein derwandt-

noch bochgehaltene Dinge stürzen oder bedrohen wird,
wenn die unteren Elasten über die Grenzen hinüber sich
die Hände reichen, auch die Regierungen, gleichviel
welchen Ursprungs und welcher Form sie sein mögen, in
den Schwierigkeiten ihrer gemeinsamen Aufgabe gebieterische
Beweggründe finden, sich einander zu nähern.
Die Militär last, die so schwer auf die Nationen
Europas drückt, wird vielleicht einer der mächtigsten
Faktoren sein, jene Umgestaltung zu bewirken;
denn indem sie einerseits alle Volksklasscn gleichmäßig
unter dasselbe gleiche eiserne Gesetz zwingt und anderseits
aus dem Budget jedes Staates ein unersättliches Un-
gethüm macht, das unaufhörlich jedes Privatvermögen in
dem Maße, in welchem dies sich bilden möchte, verzehrt,
das also die Spannkraft jeder persönlichen Existenz lähmt,
jede Unabhängigkeit freiwilliger Verbände, jeden dauer-
haften Bestand der Familien vernichtet, so fördert
diese Militärlast mehr als irgend welche
Lehre und Predigt es vermag den Herrschafts-
antritt des Sozialismus. (Sehr richtig d- R.)
Andererseits muß man anerkennen, daß der allgemeine
Militärdienst als eine Ergänzung des öffentlichen Unter-
richts (??) den Nutzen bietet, in der Bevölkerung, die ihm
unterworfen ist, eine Gewöhnung an Manneszucht und
Gehorsam, einer Fähigkeit für die Hingebung an höhere
Ziele zu schaffen, welche jeder gesellschaftlichen Ordnung
zu statten kommen, wider welche aber die steigende Fluth
der materialistischen und revolutionären Demokratie wüthend
anstürmt. So trägt der moderne Kriegsdienst, nachdem
er in den Gewohnheiten und Sitten aller Völker
des Kontinents seinen Platz gesunden, in sich selber,
wenn auch nicht das Mittel, der Abwehr und Heilung,
doch ein Mittel einigermaßen die radikalen Um-
wälzungen in geordnetem Gange zu halten, die er in der
gesellschaftlichen Verfassung dieser Völker herbeiführen wird.
Welche Stellung haben der so dunkeln, vielleicht so
stürmischen Zukunft gegenüber, die für die Menschheit
anhebt, heutzutage alle Wohlgesinnten einzunehmen?
Der Friede ist ihr Losungswort. Es gilt mit
allen ehrenhaften Mitteln die große Wo hl-
th at des Friedens zu schirmen; hierauf müssen
alle ihre Bemühungen gerichtet sein. Möchte die Diplomatie
die beständige Vermittlerin zwischen den so furchtbar be-
waffneten Nationen, es vermögen, alle Anlässe zum
feindlichen Zusammenstöße aus dem Wege zu räumen
und so die Nation dazu vorzubereiten, ohne Blutver-
gießen das Räthsel des zwanzigsten Jahr-
hunderts zu lösen!

schaftlichen überschreitet, oder daß Hedwigs Wünsche mit
denen ihres Vaters übereinstimmten."
„Kannst Du Dich darüber wundern, lieber Sohn,"
unterbrach ihn die Mutter. „Euer Verkehr hat sich nur
auf wenige Tage beschränkt, und eine weitere Annäherung
würde doch unbedingt von Dir ausgehen müssen. Jeden-
falls hat Hedwig Dich lieb, das hat ste mir mehr als
einmal gesagt."
„Nun wohl denn, aber hast Du, abgesehen von Allem
Anderen, auch wohl bedacht, dah der gegenwärtige Zeit-
punkt wohl ani allerwenigsten zu solchen Erklärungen ge-
eignet ist."
„Ich kann das nicht finden, lieber Sohn. Ich glaube
im Gegentheil, daß es dem Onkel eine große Freude
bereiten würde, wenn Eure Verlobung noch vor Deiner
Abreise stattfände."
Friedrich hatte sich wieder neben seine Mutter gesetzt,
die ihn mit einer gewissen Spannung beobachtete. Er
blickte eine Weile sinnend vor sich nieder, dann begann
er wieder:
„Bist Du denn überzeugt, liebe Mutter, daß Hed-
wigs Herz überhaupt noch frei ist, und glaubst Du denn,
daß Ihr Vater sie vielleicht von seinen Wünschen unter-
richtet hat?"
„Ich weiß darüber nichts Positives, doch möchte ich
beide Fragen bejahen. Du weißt ja, wie eingezogen
Hagendorffs leben- Ich glaube auch, daß Herr von
Brandau der einzige männliche Gast ist, der häufiger in
Renn verkehrt."
Friedrich schwieg. Er mochte dem Gedanken, der sich
ihm gerade in Bezug auf den Major aufdrängen wollte,
 
Annotationen