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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 11 - No. 20 (13.Januar - 24. Januar )
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https://doi.org/10.11588/diglit.43990#0059

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Verkim-igungsblatt und Anzeiger

Slbonnementspreis
für Heidelberg: monatl- 4V Pfg. mit
Trägcrlohn, durch die Post bezogen
Vierteljahr!. Mk. 1»— ohne Austellgeb.
Znsertionsprets: 10 Pf. für die 1-spalt-
Petitzeile od. deren Raum- Für locale
Geschäfts- u- Privatanzeigen 5 Pf.

m

Die „Bürgerzeitung"
erscheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummer liegt ein Unter-
haltungsblatt, „Der Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei

M 13.

Heidelberg, Sonntag, 15. Januar

1893.

Zum Abonnement
auf die „Bürger-Zeitung" laden wir crgebenst
ein. Bei
Reichhaltigkeit und Billigkeit
ist dieselbe auch kein Parteiorgan.
Der Preis ist der niedrigste aller Blätter
in Baden, er beträgt
monatlich nur 40 Pfg.
mit Trägerlohn, durch die Post bezogen
vierteljährlich 1 Mk.
ohne Zustellungsgebühr.
Bestellungen werden für auswärts durch die Post,
innerhalb der Stadt durch unsere Träger entgegcnge-
nommen.
Verlag der „Bürger-Zeitung".
Jur- Situation in Ivnnkveich.
Zwischen dem neugebildeten französischen
Ministerium und dem Ministerium Ribot vom 6.
December 1892 besteht der bezeichnendste Unterschied
wobl darin, daß dem ersteren der bisherige Kriegsminister
Freycinet und der bisherige Minister des Innern, Loubet,
nicht mehr angehören. Auf Freycinets Ausschuß vom
Cabinet war wohl der Schritt, den Ribot unternahm,
als er dem Präsidenten der Republik die Demission des
Ministeriums überreichte, ganz speziell abgesehen. We-
nigstens ist dies die allgemeine Meinung in Paris. Es
geht dies aus einem Pariser Telegramm des Wolsf'schen
Bureaus hervor, in dem es heißt: „Die Blätter stimmen
in der Ansicht überein, daß der Gesammtrücklritt des
Ministeriums nur den Ausschluß Freycinets zum Zwecke
hatte, da dessen Verbleibeu im Cabinet dasselbe gefährdet
hätte." Herr v. Freycinet ist allerdins so tief in die
Panama-Geschichte verwickelt worden, daß die Kammer
wahrscheinlich einen gegen ihn gerichteten Beschluß an-
genommen haben würde, der das ganze Cabinet hätte zu
Fall bringen müssen. Wollte man diese Eventualität
abwarten, so wäre eine Ministerkrisis entstanden, die
schwerlich eine so schnelle Lösung gefunden hätte wie die
etzt bereits überwundene, die nur zwei Tage gedauert
hat. Es ist ja bei den jetzt in Frankreich in Flor
stehenden „Enthüllungen" Wahres und Falsches nicht

ganz leicht zu unterscheiden uud so muß es auch einer
weiteren Aufklärung Vorbehalten bleiben, genau festzu-
stellen, welche Rolle Herr v. Freycinet in der Ange-
legenheit gespielt hat; aber es ruht nun einmal in der
öffentlichen Meinung Frankreichs auf diesem Staatsmann?
ein Verdacht, der durch die jetzt vorliegenden Angaben
des Blattes „La Cocarde" noch verstärkt werden wird.
Die „Cocarde" meldet, Freycinet habe bei seiner gericht-
lichen Vernehmung das Eingeständniß gemacht, daß er
von der Panama-Gesellschaft niedrere Millionen erhalten
und dieselben zum Ankauf ausländischer militärischer
und diplomatischer Dokumente von Wichtigkeit benutzt
habe. Allerdings ist nicht außer Acht zu lassen, daß
die „Cocarde" ein berüchtiges Skandalblatt ist; jeden-
falls konnte aber für Freycinet nicht länger seines
Bleibens im Cabinet sein und er ist dabei — wahr-
scheinlich mit seinem Einverständniß — bei der Zu-
sammenstellung der neuen Ministerliste außer Betracht
gelassen worden.
Sehr peinlich hat die Angabe Baibauts berührt, vaß
die Unterdrückung auch des aufklärenden Berichts Rous-
seaus über den wahren Stand des Finanzministers Sadi
Carnot erfolgt sei; man glaubt, trotzdem der Präsident
der Republik die Behauptung des bestochenen früheren
Ministercollegen für eine dreiste Unwahrheit erklärt, daß
das herrschende Mißtrauen so leicht nicht sich zur Rübe
bringen lassen werde.
Ein besonderes keckes Vorstadtblatt weist Herrn
Carnot darauf hin, daß auch Herr Grevy nicht durch
eigene Verschuldung, sondern nur durch Gewährenlassen
und Unfähigkeit zu kühner Entschließung aus dem Elysee
habe ausziehen niüsscn. Man erinnert auch wieder an
die in der Untersuchung vor der Eommisfion wiederholt
ausgetauchte Beschuldigung, daß Carnot die Liste der Be-
stochenen lange gekannt habe, ohne von seiner Wissen-
schaft den nothwendigen Gebrauch zn machen. So ist
denn zu der allgemeinen Unsicherheit jetzt auch noch ein
Mißtrauen in die Person des Staatsober-
hauptes gekommen, ein weiteres Symptom der tief-
ernsten Lage, in der Republik sich befindet.
Vor allem aber liegt ein symbolischer Zug in der
Tbätsachc, daß die Person Eissels, des famosen Ar-
chitekten der Groteske, immer mehr in den Mittelpunkt
der Panamauntersuchung tritt. Gestern meldeten die
Pariser Blätter bereits, er sei verhaftet; dock ist diese
Nachricht zunächst noch nicht beglaubigt. Der Erbauer
des modischen Babelthurms scheint unter den Kostgängern
der Panamakrippe den größten Appetit entwickelt zu haben;

die Summen, die er „gesenkt" hat, entsprechen seiner
Vorliebe für unerreichte Höhen.
Das Schönste ist bei alldem, daß die socialistische
Propaganda natürlich im Trüben zu fischen sucht.
Die „Union sozialiste" veröffentlich ein in heftigen Aus-
drücken abgefaßtes Manifest, in welchem es heißt, der
Opportunismus gehe zu Grunde an dem in Fourmies
vergossenen Blute und an den Panama-BonS, welche das
Vaterland und die Republik zu zerstören drobten. Ret-
tung könnte nur von den Arbeitern kommen und
von der Organisation einer Volksrcgierung vermittelst des
allgemeinen Stimmrechts.
Wenn wir diese leidige Situation betrachten, in die die
Eruncks nntion wieder einmal hineingerüttelt worden
ist, so dürfen wir unserseits um so weniger ein Ereigniß
unterschätzen, dessen Verwirklichung durch die förmliche
Zusage aus Petersburg, daß der Czarewitsck der Einla-
dung des deutschen Kaisers folgen wird, nunmehr eintritt.
So wenig Anlaß ist, aus dieser freundlichen An-
näherung der beiden Herrscherhäuser große Erwartungen
für politilische Wandlungen herzuleiten, so unangebracht
scheint es, die vollkommene Bedeutungslosigkeit des Vor-
ganges zu betonen. Gerade wegen der starken Einwir-
kung subjecttver Stimmungen auf den Czüren sind solche
Entschließungen wie diejenige,. die den Thronfolger nach
Berlin führt, nicht schlechtweg ohne Bedeutung für die
Beziehungen der Staaten zu einander. In Paris wird
man in den Wirnissen der gegenwärtigen Krise die Ber-
liner Reise des Großfürsten-Thronfolgers besonders-em-
pfindlich bemerken; aber auch eine solche Verstimmung
bedeutet einen Gewinn für Friedensfreunde , denn sie
führt zu der ruhigen Betrachtung der internationalen Ver-
hältnisse und bewahrt vor übereilten und erregten Ent-
schließungen, die in der Geschichte Frankreichs seit je
eine verbältnißvolle Rolle gespielt haben . . .

Die Militärvorlage in der Commission.
Berlin, 18. Jan. Die Militärcommission des Reichs-
tags hielt heute Abend eine Sitzung ab, in der zunächst
Abg. Richter ausfübrlich auf die neuliche Rede Caprivis
einging und ausführte, daß dieser die europäische Situa-
tion in einem für uns zu ungünstigem Lichte hineinge-
stellthabe, weil er namentlich die politische und militärische
Rolle, die England, die Türkei und die Balkanstaaten
im Falle eines europäischen Krieges spielen würden, ganz
unbeachtet gelassen habe. Die räumliche Trennung Ruß-
lands und Frankreichs, der Sturz Freycinets, die Ver-

In schwerem Weröacht.
12) Criminal-Novclle
von Reinhold vrtmann.
(Fortsetzung-)
Die Beamten nahmen den Thatbestand auf, ließen sich
von der Dienerschaft das Wenige erzählen, was dieselben
in Bezug auf den geheimnißvollen Vorgang zu sagen ver-
mochten und notirten die Adresse des des Mordes in
hohem Grade verdächtigen Mechanikers Richard Weiß.
Von den gleich daraus erschienenen Sicherheitsbeamten
wurde einer vor die Tbür des Schlafzimmers und je einer
vor jedem der vcrbandencn Ausgängen des Schlosses
postirt.
Die Kriminalpolizisten ertheilten ihnen ihre Instruk-
tionen dahin, daß sie vor der Ankunft des Untersuchungs-
richters und des Staatsanwaltes Niemanden den Zutritt
zu der Leiche und das Verlassen des Hauses gestatten
dürften. Dann begaben sie sich in das Bureau der
Staatsanwaltschaft, um dort von dem Vorgefallcnen Be-
richt zu erstatten.
VI.
Aufgeregter und verdrießlicher, als es die kleine Ver-
letzung, die er sich durch seine Achtlosigkeit zugezogen,
»erth war, hatte Richard Weiß den Weg nack seiner
Wohnung eingeschlagen. Er war am Morgen bereits in
gedrückter Stimmung aus derselben weggcgangen und der
kleine Unfall hatte sein ohnehin etwas reizbares Gemüth
dermaßen altcrirt, daß er mit sich selbst und mit der

ganzen Welt unzufrieden war. Jenes unerklärliche und
doch sooft beobachtete Gefühl einer unbestimmten Bangig-
keit, welches einem kommenden Unheil häufig voranzugehen
pflegt, erfüllte seine Brust bei jedem Schritte in größerem
Maße und er fühlte in seinem Gehirn einen dumpfen
schweren Druck, der seine Gedanken lähmte oder ihnen
wenigstens eine unangenehme düstere Richtung gab.
In dem trotz seiner Einfachheit recht freundlich einge-
richteten Vorderzimmer seiner Wohnung bot sich unterdessen
dem ungesehenen Beobachter ein erfrischendes wohlthuendes
Bild häuslichen Friedens und glücklicher Selbstzufrieden-
heit. Vor dem niedrigen Fenster, das mit einer ganzen
Reihe sorgsam gepflegter und zum Theil sogar noch blü-
hender Topfgewächse geschmückt war, saß auf einem etwas
erhöhten Tritt ein hübsches, junges Mädchen bei einer
feinen Näherei. Die neckischen Sonnenstrahlen spielten
und tanzten auf den dicken, einfach übereinander gelegten
Flechten ihres goldblonden Haares und eine feine Röthe
schmückte die zarten Wangen ihres anmuthigen Antlitzes,
das sich tief über das seine Leinen auf ihrem Schooß
neigte. Auf dem großen, altmodischen Sopha, das wohl
schon manchem Vorfahr der Familie als eine bequeme
Ruhestätte gedient haben mochte, saß eine alte ^rau, deren
von einem schneeweißen Häubchen umrahmtes ehrwürdiges
Gesicht so liebevoll und freundlich in die Welt hinaus-
schaute, als hätte sie in ihrem ganzen Leben nichts als
Gutes von den Menschen erfahren und als wären alle
die zahllosen Falten und Fältchen nicht von der ehernen
Hand der Sorge, sondern nur von dem Grabstichel des
Alters auf ihrer Stirn und um ihre Mundwinkel ge-
zogen worden.

Eine Zeit lang war kein anderes Geräusch im Zimmer
zu vernebmen, als das eintönige Ticken der alten Schwarz-
wälder Uhr, die seit Jahrzehnten ihren Ehrenplatz über
dem Sopha batte, und das Klappern der Scheere oder
das Rauschen des Leinens in den schlanken Fingern der
jungen Näherin.
Die alte Frau verwandte kein Auge von dem jungen
Mädchen und es lag so viel Liebe und Zärtlichkeit in
ihren Blicken, daß es wahrlich keines besonderen Scharf-
sinnes bedurfte, um zu erkennen, ein wie festes Und herz-
liches Band diese beiden weiblichen Wesen mit einander
verkettete. Die ausgesprochene Ähnlichkeit in ihren Ge-
sichtszügen ließ unschwer errathen, daß Mutter und Tochter
gegenübersaßen, aber einem aufmerksamen Beobachter konnte
cs nicht entgehen, daß man hier einen jener heutzutage
leider sehr seltenen Fälle vor sich habe, wo sich zwischen
den beiden Herzen neben dem natürlichen Bande der
Blutsverwandtschaft noch ein solches der innigsten Freund-
schaft gewoben batte, eine Freundschaft, der sich keine
andere auf Erden vergleichen läßt, so rein und fest, so
vertrauensvoll und hingehend von beiden Seiten, wie nur
innigste kindliche Dankbarkeit und treue, aufopfernde
Mutterliebe ein Verhältniß zu gestalten vermögen.
Plötzlich schien ein unangenehmer Gedanke das freund-
liche Antlitz der Greisin mit einem leichten Schatten zu
überziehen.
„Richard ist heute aus dem Hause gegangen, ohne
mir einen Morgengruß zu bieten, wie das, glaube ich,
in seinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen ist.
Wohin mußte er so früh, daß er mein Erwachen gar
nicht abwarten konnte?"
 
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