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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 81 - No. 90 (7. April - 18. April)
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DeEn-igrmKblatt und Anzeiger

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Die.^Büraerzeituvg"
erscheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummcr liegt ein Unter-
haltungsblatt, „Der-Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel' bei.

LU 87.

Expedition:
Hauptstraße 25.

Heidelberg, Freitag, 14. April

Expedition:
Hauptstraße 25.

1«93.

Dis Gkhcimijs dcs Herr» Lärmt.
Das neueste französische Cabinet, ein Werk des ge-
wesenen Unterrichts-Ministers Dupuy, beschäftigt gegen-
wärtig die Politiker. Im Grunde ist es nur rin nach
der radikalen Seite hin reconstrurrtes Cabinet Wbot.
Von den zehn Ministern Les Cabinets'Dupuy gehörten
sechs dem früheren: Tabinet an und nur-sier sind neue
Männer. Der Partei nach gehören drei den radicalcn
Gruppen an und nur vier bekennen sich als progresststische
Republikaner. Die Leiden Militärs General LviMon,
der Kriegsminisier, Md Admiral Rie-unier, der Marine-
minister, dürfen einfach als Ressort-Minister ohne hervor-
stechende Parteifarbe betrachtet werden. 'Das sind nenn;
der zehnte, der Justizm.nister Guärin, gehört dem Smate
an, in welchen er vor etwa -^wei Jahre gewählt wurde,
und seine ParteirichtunZ ist ebensowenig bekannt, wie seine
Persönlichkeit, die politisch niemals hervorgetreten ist.
Nach dieser seiner Zusammensetzung unterscheidet sich das
Cabinet Dupuy -von dem Cabinet Ribot . vornehmlich
durch seine radikalere Färbung, insofern weder die Op-
portunisten noch daZ linke Centrum darin vertreten sind, r
Wollte man fragen, ^welche politischen Gründe den:
Präsidenten der Republik bestimmt haben .mögen, einer f
Zusammensetzung der Regierung zuzustimmen, in welcher -
fast ausschließlich nur der etwa hundert Mitglieder
zählende radiale Flügel der republikanischen Abgeordneten
vertreten ist, so würde man schwerlich eine plausible Ant-
wort darauf erhalten. Nach dem Sturze des Cabinets
drängte Alles auf ein-Cabinct Constans hin. Constans l
war schon bei der Neuwahl -des Senatspräsidiums nach
dem jähen Tode Forry's als Candrdat des Senats für
das Minister-Präsidium und als der Mann bezeichnet
"worden, welcher prädestinirt erscheine, die nächsten Wahlen
zu leiten. Hat sich Eonstans doch schon einmal als der
rettende Wahlmacher Mr die Republik zur Zeit erwiesen,
als ganz Frankreich der Boulangr verfallen schien. Nahezu
einmütbig wurde deßhslb, als Ribot gefallen ,war, die
Leit für Constans als gekommen erachtet, und «an er-
wartete, zumal nach der ziemlich unzweideutigen Kund-
gebung des Senats, daß Herr Earnot nichts Eiligeres
zu thun haben werde, als de« energischen und erprobte«
Mann zur Bildung des Cabinets zu der sie«, welchem
eventuell die Aufgabe zufallen könnte, .die Neuwahlen
für die Kammer zu leiten.
Allein Herr Carnot, eine vornehm gebildete, zmÄck-
haltepde Natur Hegt eine tiefe Abgneigung gegen Len-
-temperamentvollen Staatsmann, der sich gegebenenfalls

nstcht scheut, in offener.Kammersitzung von seinem Minister-
fauteuil aunuspnngen, um eine gegen ihn geschleuderte
Infamie kurzerhand mit Ohrfeigen und Rippenstößen
zmückzuweisen. Möglicherweise empfindet Herr Carnot
auch Eifersucht gegen den Mann, welchen die Volks-
meinung als seinen Nachfolger auf dem kurulischen Stuhle
eines Präsidenten der -französischen Republik zu bezeichnen
-anfängt. Kurz, Herr Carnot berief Alle, nur Herrn
Constans nicht, auch ein durchaus radicales, mit wem
immer an der Spitze, wenn es nur nicht ein Ministerium
Constans ist. Das ist das Geheimniß der Geburt des
-Tabmets Dupuy. Mit dieser Regierung ist Herr Carnot
einem Regime Constans ausgewichen.
Ob das Cabinet Dupuy von Dauer sein wird? Es
wäre ebenso voreilig, dies zu bejahen, wie zu verneinen.
Nach. seiner Existenz-Berechtigung zu forschen, wäre über-
flüssig. Auffallend allerdings ist es, daß man in der
politischen Welt gegenwärtig mehr denn je glaubt, Prä-
sidentCarnot werde sich gezwungen sehen,
vor den Wahlen Constans an die Spitze der Regierung
zu stellen und daß man hofft, das jetzt begonnene Ex-
periment werde die Abneigung gewisser parlamentarischer
Gruppen gegen diesen Staatsmann abschwächen. Anderer-
seits ist nicht zu vergessen, daß wir schon einmal ein
- Cabinet.neun Monate lang am Ruder gesehen haben,
das man am Tage seiner Neubildung allgemein als Ein-
tagsfliege bezeichnete. Bis zu den nächsten Wahlen sind
-nur noch fünf Monate und — wohl zu beachten! —
das Cabinet Dupuy hat in der Kammer ganz uner-
wartet eine gute Aufnahme gefunden und das Budget
glücklick unter Dack und Fach gekracht. Doch, was auch
in dieser Hinsicht über die „große Nation" kommen
möge, wir Deutsche können ihm jedenfalls mit Ruhe
rntgegensehem.

Deutsches Reich.
Karlsruhe, 12. April. In einem Extrablatt meldet
die „Karlsruher Zeitung", wie gestern in der „Bürger-
Zeitung" bereits mitgctheilt, die Ernennung des Er tz-
groß Herzogs .zum Generallieutenant und Commandeur
der 29. Division. Der Kaiser habe bedauert, daß der
Erbgrcßherzog aus den bisherigen näheren Beziehungen
zu ihm scheide und in ehrenden Worten der Fähigkeiten
und Leistungen gedacht. Der Kaiser eröffnete dem Erb-
großtzrrzog die Beförderung persönlich.
Berlin, 12. April. Die Uebersiedclung der kaiser-
lichen Familie nach dem neuen Palais in Potsdam
erfolgt den Morgenblättern zufolge am 16. ds. Mts. —

Die „Voss.Ztg." erfährt, Prinz Friedrich Leopold
werde binnen Kurzem das Commando des Regiments der
Garde du Corps erhalten, während der jetzige Commandeur
Oberst Freiherr von Bissing zum Brigade-Commandeur
befördert werden soll.
Berlin, 12. April. Bezüglich der Nachricht des
„Figaro", Prinz Heinrich reise als Vertreter des
Kaisers nach Rußland, wird jetzt gemeldet, seine dies-
bezügliche Anfrage sei bis jetzt in Petersburg nicht erfolgt,
es sei dazu auch keine Veranlassung vorhanden. Jeden-
falls werde im Falle der Reise die Aufnahme des Prinzen
die denkbar herzlichste sein, schon weil er als Vertreter
des Kaisers erscheine und weil er persönlich bei den Mit-
gliedern des russischen Kaiserhauses sehr beliebt sei.
Berlin, 12. April. In Betreff derMißhandlung
Deutscher in Curitiba (Brasilien) sind vom Ge-
sandten in Rio Nachrichten eingegangen, wonach bei diesem
Vorfall deutsche Interessen nicht in erheblichem Maße
verletzt worden sind, da die Mitglieder des beteiligten
Handwerkervereins sämmtlich naturalisirte Brasilianer sind
und das demolirte Lokal einem Brasilianer gehört. Von
drei anwesenden Reichsangehörigen wurde einer leicht
verwundet, derselbe beansprucht jedoch keine Entschädigung.
— Der bei den Ausschreitungen in San Paulo be-
theiligte Po li zei-Jnsp ector ist seines Dienstes
entlassen worden.
Bonn, 12. April. Die Kaiserin Friedrich
reist Donnerstag Nachmittag 1 Uhr 40 nach Frankfurt.
Oesterreich-Ungarn.
Wien, 12. April. Die meisten Mvrgenblätter be-
schäftigen sich mit der gestrigen Privataudienz
Stambulows bei dem Kaiser. Officiös wird hervor-
geboben, daß der Empfang keine politische Spitze habe,
besonders da zwar der Für,! nicht anerkannt, aber die
Regierung nicht angefochten sei. Auch sei der Fürst
Ferdinand schon dreimal empfangen worden. Andere
sagen, die Nichtanerkennung Bulgariens sei nur eine
Etiqucttenfrage. Die „Neue Freie Presse" betont, daß
der Empfang die Unveränderlichkeit des Wohlwollens
kennzeichne, womit Oesterreich die Entwickelung Bulgariens
und die ausgezeichnete Thätigkeit Stambulows verfolge.
Die Stambulow erwiesene Ehre sei jedenfalls harmloser,
als der Empfang Zankows in Gatschina. Auch das
„Neue Wiener Tagblatt" sieht darin hauptsächlich eine
persönliche Auszeichnung Stambulows. Dieser selbst sagte
mehreren Interviewern: Der Kaiser ist uns geneigt, weil
unser Bestreben auf den Frieden und den Fortschritt ge-
richtet ist. Man anerkennt uns als ein Muster der

Air einem Knnr.
Criminalgefthichtc von Jen«y Hirsch.
(Forschung.)
Er blickte ihr finster nach. „Wo ist die Zärtlichkeit
Aeblieben, die sie für ihren Hans hattet Sie haßt mich,
'ch bin ihr ein Stein des Anstoßes," murmelte er, „was
"ber noch besser ist, sie fürchtet mich, daß ich ihr bei dem
Zirkel das Spiel verderbe, diese Furcht ist die Wünschel-
k»the, mit der ich sie zwinge, das Gold des Alten in
^eine Taschen fließen zu lassen. Es scheinen übrigens
der Villa Böhlendorf jetzt große Dinge vorzugehes,
wst wollen doch das Feld ein wenig recognosciren."

Eine Melodie pfeifend schlenderte er aus dem Parke,
Lina bereits beflügelten Schrittes v^lassen hatte. Auf
Kmselben Wege, den sie gekommen war, eilte sie zurück,
demselben Hausflur, in dem sie vorher das Tuch über-
nommen, band sie es wieder ab und nahm dann an
HM nur wenige Schritte von der Tapisserietzandlung ent-
krnten DroschUnstand einen Wagen, um nach Hause
^rückzufahren.

k „Für einige Tage habe ich ibn abgewehrt," seufzte
als sie erschöpft auf den Sitz sank, „aber was dann?
^a«n muß ich weiter Rath schaffen," fügte sie hinzu,
N darf dem Onkel nicht in den Weg kommen, ich muß
aus der Stadt entfernen, koste es, was es wolle."

, Als sie vor der Villa aus der Droschke stieg, flog
schneller Blick über die Fensterreihen des aus einem
^gelegenen Erdgeschoß und einer darüber befindlichen
^«ge bestehenden Hauses; die Zahl der erleuchteten Zimmer

war ihr ein Fingerzeig für die Art und Weise, in welcher
.die Bewohner beschäftigt waren.
„Hat der Herr Baron nach mir gefragt?" erkundigte
-sie sich bei dem ihr im Treppenhause entgegenkommenden
Diener.
„Nein, gnädiges Fräulein, der Herr Justizrath Birkner
ist Heim Herrn Baron," war die Antwort.
-Wit gleichgültigem Kopfnicken empfing sie die ihr
hochwichtige Nachricht und ging die Treppe hinauf in ihr
Zimmer, wo Susann« sich dienstfertig einfand, um ihr
beim Umkleiden behülflich zu sein.
„Der Onkel hat mich nicht vermißt, Susanna!" rief
sie fröhlich, wie ein Kind die Hände zusammenschlagend,
„das ist herrlich, sehen Sie hier, weich' schöne Muster
ich ausgesucht habe; da müssen wir sehr fleißig sein, um
die Arbeit zu Weihnachten fertig zu bekommen."
Sie holte das Packet aus der Tasche, aus der sie
das Tuch vorher schnell und unbemerkt entfernt hatte,
und breitete den Stramin mit der angefangenen Stickerei
sammt dem dazu gehörigen Material vor der Zofe aus.
„Wie schön!" sagte voll Bewunderung das Mädchen,
„und das gnädige Fräulein haben selbst das Packet
getragen."
„Wenn ich es schicken ließ, verging wieder ein Tag,
und es ist keine Zeit zu verlieren, Sie können heute
Abend noch anfangen, Susanna ; wie wird der gute Onkel
überrascht sein, daß der Wunsch nach einem Fußkissen,
den er heute Mittag aussprach, sich schon bei der Be-
scheerung erfüllt."
„Das gnädige Fräulein lesen dem Herrn Baron jeden
Wunsch von den Augen ab," versetzte Susanna.

„Was ich auch thue, es ist nie nur annähernd genug,
die himmlische Güte zu vergelten, die er mir, die er uns
von Kindheit an bewiesen hat," entgegnete Lina mit
einem frommen Aufschlag ihrer blauen'Äugen, in denen
eine Thräne schimmerte. „Ist Fräulein Johanna etwa
auch ausgegangen? Ich fürchtete beinahe, ihr in der
Tapisseriehandlung zu begegnen, denn ich kann mir gar
nicht denken, daß man einen Wunsch des Onkels hören
und nicht sogleich daran gehen könnte, ihn zu erfüllen."
„Fräulein Bertelsmann ist im Salon," antwortete
Susanna, „so viel ich weiß, hat sic seit Mittag das
Haus nicht verlassen."
Lina zuckte die Achseln: „unaufmerksam wie immer,"
murmelte sie für sich, aber doch laut genug, daß die
Zofe es hören konnte. „Ist Besuch da?" fragte sie
dann taut.
„Herr von Werdenfeld ist soeben gekommen, er hat
sich bei dem gnädigen Herrn melden lassen und den Be-
scheid erhalten, der Herr Baron sei noch beschäftigt, er
möge inzwischen zu den Damen gehen."
„Der Onkel glaubt, ich sei zu Hause," nickte Lina,
„schnell, Susanna, noch einen frischen Kragen und
Manschetten, damit ich hinuntergehen kann."
Viel zu langsam für ihre Ungeduld vollendete das
Mädchen die Toilette, aber wenn sich die kleine Hand
auch krampfhaft ballte, die spitzen Zähne die Unterlippe
beinahe blutig bissen, sie bewahrte äußerlich ihre Ruhe
und hüpfte, als sie fertig war, in ihrer leichten, vogel-
artigen Weise, aber ohne jede Hast die Treppe hinunter,
um sich nach dem Salon zu begeben.
 
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