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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 111 - No. 120 (13. Mai - 21. Mai)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43990#0463

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Verkün-igungsblatt und Anzeiger

Die »Mürgerzeitung"
^scheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
^<r Sonntagsnummer liegt ein Unter-
Mtungsblatt, „Der Erzähler", mit dem
»Umor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei.

Abonnementspreis
für Heidelberg: monatl. 40 Pfg. mit
Trägerlohn, durch die Post bezogen
Vierteljahr!. Ml. 1.— ohne Zustellgeb.
Znsertionsprers: 10 Pf. für die 1-spalt-
Petitzcile vd. deren Raum. Für locale
Geschäfts- u. Privatanzeigen 5 Pf.

M 112.

Expeditton:
Hauptstratze2l».

Heidelberg, Sonntag, 14. Mai

Expedition:
HanptstratzeSS.

1«S3.

Zur WahlbcwkWng.

Die Wahlbewegung kommt mit jedem Tage leb-
Mcr in Fluß. waS bei der Kürze der Frist bis zu den
Neuwahlen auch sehr nothwendig ist. Mancher alte Par-
^Mentarier scheint ernstlich entschlossen zu sein, sich aus
°trn öffentlichen Leben zurückzusieben, aber an Nachwuchs
'chlt es nicht. Aller Voraussicht nach wird die Partei-
ittsplittcrung und die Zahl der sich entgegenstehenden
Kandidaten größer werden als jemals. Wahlbündnisse
wischen sonst sich nahestehenden Parteien werden allem An-
scheine nach nur vereinzelt vorkommen, wo sie in den
besonderen örtlichen Verhältnissen eine Unterlage haben.
Überaus rührig sind gleich von Anfang an die Social-
°ewvkraten und Antisemiten in den Wahlkampf cinge-
steten; dutzendweise werden bereits ihre Candidaten nam-
haft gemacht und es herrscht in diesen Lagern offenbar
^>e große Zuversicht. Die Konservativen hoffen auf die
stacht der agrarischen Bewegung. Was sich aus der
'Zisinnigcn Theilung entwickelt, läßt sich noch gar nicht
^ersehen. Im Centrum befürchtet man vielfach Gegen-
^ndidaturen vom rechten und linken Flügel. Die natl.
Kartei ist bereits rüstig in die Wahlbewegung eingetretcn;
^us vixlxn Wahlkreisen, auch solchen, die sich bisher in
Händen anderer Parteien befanden, wird bereits die Auf-
Allung nationalliberaler Candidaturcn und energische
Vorbereitung zu rüstiger Arbeit gemeldet. Ein Bild von
be>n Aussehen des nächsten Reichstags sich zu entwerfen,
^>rd vor dem Vollzug der Wahlen ganz unmöglich sein.
^iinmungSbcrichtc von allen Seiten melden, daß man
Ergebniß noch niemals mit so wenig Sicherheit habe
boraussehen können wie in diesem Wahlkampf. Die aller-
orts herrschende Zersetzung und Zerfahrenheit, die Ver-
irrung der Begriffe unter so vielen mächtig auf das Volk
^stürmenden Aufregungen und Leidenschaften drohen ein
Ehrendes Chaos zu erzeugen, aus welchem noch niemand
erkennen vermag, welches Gebilde sich gestalten wird.
Die Fertigstellung der W äh! erlisten bis zum 18.
wird vielfach, namentlich in ländlichen Bezirken, nur
Hst Ausbietung aller verfügbaren Arbeitskräfte zu er-
möglichen sein. Der Zeitpunct konnte aber nicht weiter
hbausgeschoben «erden, da nach 8 8 des deutschen Wahl-
Uetzes diese Listen spätestens vier Wochen vor dem zur
ft^dl bestimmten Tage zu Jedermanns Einsicht auszu-
Mn sind. Einsprachen gegen die Listen sind binnen 8
^gen nach Beginn der Auslegung bei der Behörde,
.stche die Bekanntmachung erlassen hat, anzubringen und
^erhalb der nächsten 14 Tage zu erledigen, worauf die

Listen geschlossen werden. Nur diejenigen sind dann
später zur Theilnahme an der Wahl berechtigt, welche in
die Listen ausgenommen sind, auch wenn sic sonst wahl-
berechtigt wären. Hierbei sei gleich noch angeführt, daß
Wähler für den Reichstag jeder Angehörige des Deutschen
Reiches ist, der das 25. Lebensjahr zurückgelegt hat. Für Per-
sonen des Soldatenstandes des Heeres und der Marine ruht
die Berechtigung zu Wählen so lange, als sich dieselben bei
der Fahne befinden. Von der Berechtigung zum Wählen
sind ausgeschlossen: 1) Personen, die unter Vormund-
schaft oder Curatel stehen; 2) Personen, über deren
Vermögen der Conkurs gerichtlich eröffnet worden ist, und
zwar nur während der Dauer dieses Verfahrens; 3) Per-
sonen, die eine Armenunterstützung au« öffentlichen oder
Gemcindcmitteln beziehen oder im letzten der Wahl vor-
angegangenen Jahre bezogen haben; 4) Personen, denen
infolge rechtskräftigen Erkenntnisses der Vollgenuß der
staatsbürgerlichen Rechte entzogen ist, für die Zeit der Ent-
ziehung, sofern sie nicht in diese Rechte wieder eingesetzt sind.

Deutsches Reich.
Karlsruhe, 12. Mai. Die Prinzen Gustav,
Adolf und Wilhelm, die Söhne des schwedischen
Kronprinzen, reisen heute nach hier ab. Die
Prinzen werden von dem Hofmarschall Lilliehöök und
ihrem Lehrer Dr. Soedelius begleitet sein.
Vertin, 12. Mai. Die Cabinetsordre, in
welcher der Kaiser das Abschiedsgesuch des Generals
der Infanterie Frhrn. v. Meerschcid-Hüllessem genehmigt
hat lautet: „Mit aufrichtigem Schmerz sehe ich Sie
von der Spitze meiner Garde scheiden, welche Sie zu
hohem Maße der Kriegstüchtigkeit gebracht haben. Ein
treuer Diener meiner Vorgänger, der persönliche Freund
meinerseits, werden Sie stets meines Dankes gewiß sein.
Um Sie in der näheren Verbindung mit meinem Garde-
corps zu behalten, stelle ich Sie ü lu suite des von
Ihnen rühmlichst commandirten 3. Garde-Grenadier-Re-
giments Königin Elisabeth. Wilhelm U."
Berlin, 12. Mai. Die „Kreuzztg." vernimmt, der
Kaiser habe mit Rücksicht auf die innere politische Lage
beschlossen, von der geplanten Nordlandreise vor-
läufig Abstand zu nehmen.
Oesterreich-Ungarn.
Wien, 12. Mai. Die „Politische Korrespondenz"
meldet aus Petersburg, von unterrichteter Seite werde cs
als feststehend bezeichnet, daß der G r o ß f ü r st - T h r o n-
folger den diesjährigenH er bstmanöv crn der öster-
reichisch-ungarischen Armee beiwohnen werde.

Frankreich.
Paris, 12. Mai. Eine halbamtliche Mittheilung
sagt, zwischen der Schweiz und Frankreich sei eine
Verständigung zustande gekommen, durch welche die
Steuer für französische Handlungsreisende in der Schweiz
auf die Höhe wie vor dem Abbruch der Handelsverträge
herabgesetzt wird. Auch die Frage des Durchgangsverkehrs
und der Grenzzone sei geregelt.
Paris, 12. Mai. Nach einer Meldung des „Echo"
hat General Davoust, der für den Fall einer Mobil-
machung die zwischen Epinal und Belfort zusammenzu-
ziehende Armee zu führen bestimmt ist, die Inspektion
der Vogesengrenze begonnen.
Paris, 12. Mai. General Dodds kommt beute
Abend nach Paris. Die „France" fordert die Bevölkerung
auf, ihn in Menge am Bahnhof zu erwarten. Der
„Jour" theilt mit, die Redaction des Blattes werde ihm
einen Ehrendegen Namens der Pariser Presse überreichen.
Italien.
Rom, 12. Mai. Wie die „Italic" meldet, ist die
Polizei auf der Spur nach einer weitverzweigten Ver-
einigung ausländischer Verbrecher, von denen
einige in Rom während der Feier der silbernen Hochzeit
des Königspaares „arbeiteten". Unter den bereits Ver-
hafteten befinden sich 1 Engländer, 2 Belgier, 2 Deutsche,
2 Americaner, 1 Pole und 2 Italiener.
Serbien.
Belgrad, 12. Mai. Auf Wunsch des Königs
Alexander wird dessen Zusammenkunft mit seiner
Mutter, Gräfin Natalie, auf serbischem Boden statt-
finden, und zwar anfangs Juni im Städtchen Kladowo,
gegenüber Turn-Severin.
England.
Londov, 12. Mai. Der Arbeiter To wnsend ist
unter der Anschuldigung, Gladstone brieflich mit dem
Tode bedroht zu haben, falls er die Home-Rule-Vorlage
nicht zurückziehen sollte, vom Polizeigericht in Bow-Street
vor die Geschworenen verwiesen worden.
Spanien.
Madrid, 12. Mai. In der Nähe der Deputaten
kammer wurde eine Petarde mit erloschener Zündschnur
gefunden. In Barcelona erplodirten in verschiedenen
Straßen fünf Petarden, ohne Schaden zu verursachen.
Zwei Personen wurden verhaftet.
Amerika.
New York, 12. Mai. Das Staatsdepartement in
Washington hat aus Nicaragua die Nachricht erhalten,

Ein Wiedersehen.
Novelle von E. Lucas
(Forschung.)
y Endlich kam er und theilte mir mit, daß sein Herr
^eit wäre, seinen alten Freund zu empfangen.
. Ich taumelte nun förmlich wie wonnetrunken hinter
JA Diener her und wurde von meiner unbeschreiblichen
K^ude, den verschollenen Freund in solchen glänzenden
E ^hältnisscn wiederzufinden, erst dann wieder ein wenig
Nüchtert, als am Eingänge eines eleganten Salons mich
Paar kräftige Arme umfingen und mein theucrer
'stkund Reinhold Hofmann freudejauchzend ausrief:
„Ja, Du bist es! Bruderherz, ich hab' Dich wieder!
mir tausendmal willkommen!" —
Ich grüßte und umarmte gerührt meinen Freund und
r iührtc mich kameradschaftlich in den Salon, wo wir
einem Divan Platz nahmen.
.. Und nun war des Redens und Fragens lange Zeit
Ende.
i »Ei, der Tausend! Du bist Professor in L. geworden,"
Awunzelte mein Freund. „Das hätte man vor vierzehn
Mren noch nicht gedacht. Prächtig, prächtig! Hast Dich
av gehalten, sehr brav, denn in Deutschland vergibt
Stellen und Titel nicht so leicht wie hier zu Lande.
^äh,e, erzähle mir Deine Lebensgeschichte!"
z. Und nun mußte ich dem Freunde mittheilen, was
Leser aus meinem Leben schon wissen. Als dies ge-
J!istnd geschehen war, begann ich aber auch den Freund
.Fragen über seine Erlebnisse und seine glänzende
^riere zu bestürmen.

Er antwortete darauf nicht gleich, sondern ließ erst
von seinem Diener eine Flasche Wein herbeiholen zur
Ehre der alten Freundschaft, wie er sagte.
Nachdem wir dann ein Glas auf das fröhliche Wieder-
sehen getrunken hatten, begann mein Freund mit der
Erzählung seiner Lebensgeschichte.
„Als ich vor nun vierzehn Jahren," fing er an,
„mit kaum fünfzig Thalern in die weite Welt hinauszog,
kam mir erst der Gedanke, daß es nicht klug sein würde,
das Vaterland ohne Weiteres zu verlassen, denn im Aus-
lande konnte ich meine erworbenen, wissenschaftlichen
Kenntnisse wohl schwerlich mit Sicherheit verwerthen. Ich
ging daher zunnächst nach Berlin, beschäftigte mich mit
einigem Erfolge niit literarischen Arbeiten für Tageblätter
und gab auch Unterricht in verschiedenen mir geläufigen
Sprachen und Wissenschaften.
Da wandte sich eines Tages ein vornehmer, junger
Russe an mich, ihm Unterricht in der deutschen Sprache
zu geben. Ich nahm den Unterricht an und wurde in
der darauf folgenden Zeit des jungen Russen Freund.
Diesem war nun sehr viel daran gelegen, meine
Lebensverhältnisse zu bessern, und er schlug mir daher
vor, eine Hauslehrer- oder wie man hier sagt, eine Gou-
verneurstelle in Rußland bei einer vornehmen Familie an-
zunehmen, wo ich mir so viel würde erwerben können,
um später an irgend einer deutschen Universität mein
Examen machen zu können.
Ich hatte anfangs nicht viel Neigung, diesen freund
schaftlichen Vorschlag anzunchmen, aber da mein Freund
mir einige Monate später ein sehr glänzendes Anerbieten
von eine hvchadcligcn russischen Familie überbrachte, in

ihrem Hause Gouverneur zu werden, nahm ich die Stel-
lung an.
Graf Eripoff hieß das Haupt der Adelsfamilie, in
der ich die Gouvcrneurstelle acceptirte und mir nun die
größte Mühe gab, die beiden Söhne des Grafen in den
Wissenschaften bestens auszubilden.
Es war ein hartes Sück Arbeit, die beiden verwöhnten
und von allerllei tollen Steichen erfüllten russischen Grafen-
söhnchen an das ernsthafte Studium zu gewöhnen und
in ihnen den rechten Ehrgeiz zu wecken, aber mit Geduld
und vorsichtiger Klugheit änderte ich die beiden jungen
Grafen vollständig und hatte die Freude, daß sie nach
vier Jahren ihre Aufnahmeexamen für das Petersburger
dem Staatsdienste gewidmete Lyceum glänzend bestanden
und auch gegenüber den anderen schlechter vorbereiteten
Schüler ganz vorzügliche Fortschritte machten.
Dieser Erfolg bewog nicht nur den Grafen Eripoff,
mir eine Gratifikation von tausend Rubeln und einen
kostbaren Brillantring und den Namenszügen seiner Söhne
zu überreichen, sondern er empfahl mich auch in den
höchsten Adelskreisen für die Ausbildung der Söhne zu
den Lyceen. Hierbei muß ich nun erwähnen, daß allen
gebildeten Russen von Rang und Stand meistentheils das
Bestreben innewohnt, sich nach der Ursache einer besonderen
Wirkung ganz genau zu informiren und das dadurch Er-
fahrene zu verwerthen. Meine vorzüglichen Erfolge mit
den Söhnen des Grasen Eripoff hatten den Direktor den
Lyceens gleichsam auf mich aufmerksam gemacht und er
witterte in meinen Unterrichtserfolgen die Anwendung
einer ganz neuen Erziehungsmethode und wollte diese von
mir erfahren. Ich konnte ihm von derselben nur sehr
 
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