Verkündigungsblatt und Anzeiger
Die, »^Sürgerzeitung "
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Heidelberg, Dienstag, K. Juni
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1893.
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Verlag der „Bürger-Zeitung".
Frankreich will kciiicn Krieg!
Ein Wort zur Zeit von Jules Simon.
Wenn irgend Jemandes Stimme in diesen Tagen,
die von Seiten gewisser „patriotischer" Parteien mit dem
ewigen Ruf französischer Kriegsdrohung beunruhigt werden,
von Gewicht ist, so ist es die des greisen Jules Simon,
der fast ein halbes Jahrhundert im öffentlichen Leben ge-
standen, die höchsten Ehren und Würden im Staate inne-
gehabt und der sein redliches Theil bcigetragen hat, um
zu schaffen, was man den Geist des modernen Frankreichs
Nennt. Jules Simon hat dieser Tage dem Berichter-
statter eines süddeutschen Blattes Gelegenheit gegeben, srch
von seinen Ansichten über die augenblickliche Stimmung
Frankreichs zu überfübren und verdienen seinen Äußerungen
Gehör. Jules Simon führt aus:
„Meine Ncberzeugung ist, daß der Friede dauernd
bestehen bleiben wird und zur Unterstützung meiner An-
Destellungen
auf die „Büpgep-Zeitung" für den Monat
verdächtig ist, im französischen Sinne zu sprechen: den
dcutschen Kaiser. Als ich in Berlin war, sprachen
Air zusammen. „Ich bin unbedingt für Aufrechter-
haltung des Friedens", sagte ich. Der Kaiser antwortete:
„Ich gleichfalls." Und er fügte hinzu: „Ich betrachte
die französischen und die deutschen Streitkräfte als sich die
ÄZaage haltend. Die Consequenzen, die eintreten
würden, wenn der erste Schuß abgefeuert wäre, sind un-
berechenbar und ich kann nicht begreifen, daß Jemand
mit seinem Gewissen vereinbaren könnte, sein Land in
eine solche Ungewißheit zu stürzen." — Ich erwiderte
darauf: „Das ist vollständig der Ausdruck der allge-
meinen Meinung in Frankreich." Heute stehen die Dinge
8knau so, wie sie damals standen und Sie können es
laut in alle Welt verkünden: Frankreich will
Zeinen Krieg — weder die Regierung, noch die
Bevölkerung. Zunächst die Regierung. Was Carnot
persönlich anlangt, so ist gar kein Wort darüber zu ver-
loren. Ich bin ein Freund seines Vaters gewesen unv
kenne ihn selbst von Kind auf. Ich weiß, daß er an
den Krieg nicht denkt und nie gedacht hat. Sein Mini-
sterium muß nothgedrungen von denselben Gesinnungen
inspirirt sein wie er selbst. Aber auch, ganz abgesehen
von den Persönlichkeiten, alle kriegerischen Gelüste sind
mit einer Regierung, wie sie in unserer Republik besteht,
unvereinbar. Der Präsident, welcher so ohne Weiteres
den Krieg erklären wollte, würde seine Stelle riskiren und
könnte sich nur im Fall eines glänzenden Sieges behaupten.
Die Regierung ist mit inneren Angelegenheiten viel zu
sebr beschäftigt, um an die Heraufschwörung äußerer Ver-
wickelungen zu denken, und es ist nicht mehr so wie unter
dem Kaiserreich, wo es neben und über dem Regierungs-
interesse ein dynastisches Interesse gab, welches eine Ab-
lenkung nach Außen zu gebieten schien, um einer Er-
schütterung der Monarchie vorzubeugen. Das war ja
damals einer der Gründe des Krieges. Ob den Kaiser
eine Schuld trifft, will ich nicht mit Bestimmtheit sagen.
Sicher aber ist, daß die Kaiserin ihre Hände im Spiele
hatte, daß sie auf den Krieg hinarbeitete, um die Dynastie
zu stützen, mit dem Hintergedanken, im Falle des Un-
sterns würde man sich schon um die von der Kaiserhand
hochgehaltene nationale Fahne schaaren. Von alledem
kann heute nicht mehr die Rede sein. Wir haben frei-
lich Macht und Ansehen, die wir 1871 verloren, wieder
zurückerobert. Aber alles dies durch moralische Mittel,
deren wir uns auch späterhin allein bedienen werden,
wenngleich wir jetzt wieder ein Armee haben, die allen
Armeen Europas zum Mindesten gleichkommt.
o - ___ Die Kammern sind ebenso dem Frieden zugeneigt
sicht kann ich Ihnen Jemanden citiren, der gewiß nicht ' wie die Regierung. Es gibt zwar da einige Männer,
welche den Standpunkt einnehmen: „Der Krieg ist ein
Unglück, aber er ist unvermeindlich!" Doch diese Männer
bilden eine ganz geringe Minorität. Wie sollte die
Kammer heute kriegerisch gesinnt sein, da sie cs doch nicht
einmal 1870 gewesen ist. (?!) Das Letztere kann ich
Ihnen aus eigener Erfahrung versichern. Denn ich war
damals Deputirter im 0orp8 iÜAiHrrtif — ich war
sogar Mitglied der vielbesprochenen Militär-Commission.
Selbst in dieser Commission wollte im Grunde Niemand
den Krieg, als die Soldaten. Dann kam freilich die
kaiserliche Regierung mit ihren falschen Vorspiegelungen
von Gerüstctsein und so weiter. Man hat uns damaligen
Deputaten der Opposition den Vorwurf gemacht, daß
wir gegen die Vermehrung des Kontingents gestimmt
haben. Aber gerade das beweist ja, daß wir gegen den
Krieg waren, und wenn wir gegen die Vermehrung
stimmten, thaten wir daneben, weil wir befürchteten, das
Kaiserreich könne sich der verstärkten Armee für dynastische
Zwecke bedienen, wie es auch eingetroffen ist.
Was endlich die Bevölkerung anlangt, so kann
ich Ihnen die unbedingte Garantie geben, daß die enorme
Majorität den Frieden will. Allerdings kann man
von Revanche sprechen hören oder von Wiedergewinnung
der verlorenen Provinzen. Das sind begreifliche Em-
pfindungen, die jedoch absolut keinen Gegenbeweis bilden
gegen die Friedensliebe des Volkes, das zu keinem offen-
siven Vorgehen seine Hand bieten würde. Die Jahre
1870 und 1871 haben uns so harte Prüfungen ge-
bracht, daß wir den Geschmack am Kriege längst verloren
haben würden, wenn wir ihn je besessen hätten. Aber
selbst im Jahre 1870 ist das Volk für den Krieg ge-
wesen. Wir, die wir damals Deputirte von Paris waren,
empfingen ganze Stöße von Briefen, worin die Schreiber
uns für sich selbst oder für ihre Söhne nach Mitteln
fragten, um dem Kriegsdienst ausweichen zu können.
Das Volk hatte eben keinerlei Enthusiasmus, sich für
das Kaiserreich zu schlagen und dieLeute, die auf den Bou-
levards »^Lsrlin" schrieen, waren, wie ich glaube, von
der Kaiserin bezahlt.
Nicht einmal unsere Militärs wollen den Krieg.
Ich bin, infolge der Demission des General Saussier,
Präsident der Kooperativ-Gesellschaft für die Armee und
die Flotte geworden. So habe ich denn häufig Gelegen-
heit, mit Generalen zusammenzukommen und mit ihnen
zu sprechen. Da höre ich denn die Vortrefflichkeit un-
serer Armee feiern; da höre ich auch, wie die Herren —
das ist schließlich -ihr Metier — sich für allerlei coloniale
Kriegsthaten erwärmen. Nie aber habe ich Jemanden
darunter gefunden, der einen Krieg mit Deutschland hätte
herbeiführen wollen. So sehr man in diesen Kreisen
überzeugt ist, daß Frankreich in Bezug auf miliärische
Tüchtigkeit es mit Deutschland aufnchmen kann, so wenig
neigt man zum Losschlagen hin, ganz abgesehen, daß auch
die hier in Betracht kommenden Fragen der internationalen
Politik, die der Allianzen zum Beispiel, nicht so klar zu
liegen scheinen, wie diejenigen der militärischen Tüchtigkeit."
Deutsches Reich.
Berlin, 3- Juni. Die „Norddeutsche Allgemeine
Zeitung" theilt mit, daß zum Botschafter in Washington
der bisherige Gesandte in Stuttgart, Freiherr v. Saurma-
Jeltsch, und zum Gesandten in Stuttgart der bisherige
Gesandte in Washington, v. Holleben, ernannt werden soll.
Potsdam, 3. Juni. Heute Vormittag fand im
Lustgarten die große Parade vor dem Kaiser statt. Der
Parade wohnten mit dem Kaiser die Prinzen Heinrich
und Friedrich Leopold, der Graf von Turin, Prinz Friedrich
August von Sachsen, Herzog Albrecht von Württemberg,
der Kriegsministcr sowie sämmtliche Militärattaches bei.
Die Irrfahrt des Keöens.
Roman von C. Wild.
3.1! 18ci (Fortsetzung.)
„Auch Ernest ist an Dich gebunden, Melitta," fuhr Mo-
nitor fort, „und es handelt sich hier nicht mir um Deinen
Willen allein; Du bist jung und wirst Walter bald vergessen
baden. Willst Du den Sohn derjenigen, die Deine Kindheit
behütet, Dir die Mutter ersetzt, durch Deine Weigerung un-
Aücklich machen? DaS wäre ein schlechter Dank für die Wohl-
taten, die Du empfangen. Ucberlege es Dir wohl, Melitta,
b'>r müsseit nicht nur für uns leben, wir müssen auch an
ändere denken."
. - Das waren wohl Grundsätze, die Derjenige, der sie auS-
trach, nie befolgt hatte, aber bei Melitta verfehlten diese
Zahnenden Worte ihre Wirkung nicht. Sie senkte das Haupt
Atd schwieg, kein Einwand gegen die Heirath mitErnest kam
b>ehr über ihre Lippen.
. Molitor drang nicht weiter in sic; er war zufrieden, sie
weit gebracht zu haben.
Am Abend desselben Tages reiste er mit Melitta ab.
Mi Alma hatte er zärtlichen Abschied genommen; mit dem
^sprechen, so bald als möglich zurückzukehren, war er von
br geschieden. — Im Stillen dachte er triumphirend bei sich:
. „Wenn ich zurückkomme wird alles geschlichtet, jedes
L'ridcrniß beseitigt sein und ich kann die reiche Braut hcim-
ichreii."-
. Ein heftiger Schreck durchbebte Melitta, als sie sich un-
.stinuthel Georgine gegenüber sah und von ihrem Vater
?°ren mußte, daß Waltens Mutter mm sorian ihre Gefährtin
zchi werde. Sie fürchtete die kalte, strenge Frau, aber in
Zscs Gefühl mischte sich doch wieder die leise Hoffnung,
d>as von Walter zu hören, vielleicht gar ihn wieder sehen
i- können. Widerstandslos fügte sie sich allem, und ihre
triste Ergebenheit verfehlte nicht, einen gewissen Eindruck
ans das harte Herz Georginens zu machen. Nachdem Geor-
ginen's Scheidung von ihrem ersten Gatten vollzogen wor-
den, reiste die erstere mit Melitta nach dem ihr bestimmten
Aufenthaltsorte ab.
Molitor hatte die Wahrheit gesprochen; die kleine Villa
war ein Muster an Beqnemichkcit und bot einen gewissen
Luxus dar, in welchem sich auch eine so verwöhnte Frau wie
Georgine behaglich fühlen konnte. — Einige Dienstleute stan-
den zur Verfügung, und zum ersten Male, seit Georgine
Schloß Dahlen verlassen, überkam sie wieder das Gefühl
eines gewissen Behagens — siewar nun nicht mehr eine Aus-
gestoßene, Flüchtige, und wieder Herrin eines, wenn auch
nicht großen, so doch eleganten, angenehmen Heims.
Melitta machte ihr wenig Umstände; siewar fügsam und
willig und widersprach der herrischen Frau nie.
Einige kleinere Möbelstücke waren aus der Rosenvilla
mitgenommen worden, unter anderen auch ein Kästchen aus
Ebenholz, das Molitor sonst auf seinen Reisen zur Aufbe-
wahrung von Geld und Dokumenten mitgeführt hatte.
Georgine fand daSKästchen ziemlich werthlos und verwies
es aus dem Speisezimmer, wo es einen Platz auf einem Sei-
bentische gefunden, in das Vorgemach.
Melitta kam gerade dazu, als die Dienerin das Kästchen
hinaustrug. Sie blieb einen Augenblick zögernd stehen, dann
trat sie auf Georgine zu. „Gnädige Frau," sagte sie bittend,
„lassen Sie mir daSKästchen, ich möchte es gern in meinem
Zimmer haben."
Georgine blickte das junge Mädchen erstaunt an. Es war
die erste Bitte, welche Melitta an sie richtete, doch geschah
diese in einem solchen demüthigen Tone, daß die Eitelkeit der
herrschsüchtigen Frau sich angenehm davon berührt fühlte.
„Wenn es weiter nichts ist," sagte sie herablassend, „Sie
können Has Kästchen immerhin behalten."
„Oh Dank, Dank, rief Melitta lebhaft, und als sie den
fragenden Blick Georginen's bemerkte, setzte sie schüchtern
hinzu: „Ich glaube, das Kästchen gehörte ehedem meiner
Mutter, deshalb lege ich so hohen Werth auf dasselbe."
Georgine wurde von diesen einfachen Worten eigenthüm-
lich berührt; sie hatte sich schon überhaupt mehr als einmal
auf weicheren Empfindungen gegen das junge Mädchen er-
tappt. Sie mußte sich jetzt fast zwingen, ihre kalte, gleich-
giltige Miene beizubehalten; sie wollte nicht weich werden,
am allerwenigsten gegen jenes Mädchen, dessen Erscheinung
eigentlich alle ihre Pläne zerstört hatte.
Melitta aber in ihrem einsamen Zimmer legte mit einem
wehmüthigen Lächeln ihre Hand auf das Kästchen. „Wozu
das wohl von meiner Mutter benutzt worden sein mag,"
flüsterte sie; „wie oft mag ihre Hand auf diesem Holze ge-
ruht haben! Ob sic Wohl glücklich gewesen ist, meine Mutter?
Nicht einmal ein Bild besitze ich von ihr?"
Träumend stand sie noch lange vor dem unscheinbaren
Kästchen, ahnungslos, was dasselbe für sic in seinem Innern
barg.
Alma von Minden's Verlobung mit Molitor war unter-
dessen veröffentlicht worden. Die Braut war sehr glücklich,
der Bräutigam zeigte sich nicht minder glücklich, alles einte
sich zu sckchnster Harmonie. Die Vermählung des Paares
sollte im Herbste stattfinden, dann wollte dasselbe eine Hoch-
zeitsreise nach dem Süden unternehmen, die sich vielleicht
sogar bis nach Egypten ausdchnen sollte — man hatte ja
Zeit und Geld genug dazu.
Molitor fühlte sich sehr behaglich; Alma von Minden
war hübsch und pikant genug, um ihn zu fesseln, und die
Aussicht, ein sehr reicher Mann zu werden, hatte genug
Lockendes für ihn, um sich glücklich zu fühlen.
Die Rosenvilla war eigentlich nur sein Absteigequartier,
denn die meiste Zeit brachte er auf Schloß Minden bei seiner
Braut zu. Zuweilen machte er auch kleinere Reisen in die
Stadt, in die Residenz, überall war er der angesehene, vor-