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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 101 - No. 110 (30. April - 11. Mai)
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Mrger

Verkündigungsblatt und Anzeiger

Die,^SÜrgerzeitr»»g"
erscheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummcr liegt ein Unter-
haltungsblatt, „Der Erzähler'", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel"" bei.

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für Heidelberg: monatl- 40 Pfg. mit
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Vierteljahrs. Mk. 1.— ohne Zustcllgeb.
Znserttonsprcis: 10 Pf. für die 1-spalt.
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Heidelberg, Mittwoch, 3. Mai

18S3.

Expedition:
Hauptstraße 25.

Expedition:
Hauptstraße 28.

Bestellungen
auf die „Bürger-Zeitung" für die Monate
Mai und Juni
«erden fortwährend von sämmtlichen Postanstalten, Brief-
trägern und unfern Agenturen zum Preise von
WS" 97 Pfennig -WH
frei in s Hans, sowie von unfern Trägern und
Trägerinnen hier und der nächsten Umgebung zum
Preise von
nur 40 Pfg. monatlich
entgegengcnommen.
Verlag der „Bürger-Zeitung".

Homerule für Irland
ist bekanntlich im Prinzip angenommen, wenn aber die
Einzelberathungen am 4. Mai beginnen, dann wird sich
noch manche Schwierigkeit ergeben, und es werden dann
Puncte zu Tage treten, mit denen selbst ein Theil der
jetzigen Mehrheit nicht einverstanden ist. Von den finan-
ziellen Fragen sei hier ganz abgesehen, der Hauptkamps
wird sich darum drehen, ob Irland auch im Rcichspar-
lamcnt vertreten sein soll und über Reichsangelcgcnheiten
mitspricht, wo doch England und Schottland nicht über
irische Angelegenheiten zu befinden haben. Durch diese
Zulassung der irischen Vertreter zum Reichsparlament,
allerdings in kleinerer Anzahl wie bisher, unterscheidet sich
die jetzige Gladstone'sche Vorlage von den früheren, und
hier gehen auch die Radicalen mit den verbündeten Con-
servativen und Unionisten Hand in Hand. Denn die
Radicalen und noch manche Andere, wie die Walliser,
stimmten für die Vorlage, obgleich sie mit ihr nicht ganz
einverstanden waren, weil die Ablehnung der Bill den
Sturz Gladstone's und die Wiederberufung SaliSbury's
nach sich gezogen hätte, und weil dann so manche Neuerung
verhindert worden wäre, die man von dem liberalen Ca-
binet erwartet.
Allerdings sind die Berenten der Radicalen gegen
das irische Element in der englischen Volksvertretung
andere, als die Bedenken der Conservativen und
Unionisten, die sich dagegen sträuben, weil sie mit dieser
Feindschaft Homerule am Wirksamsten zu bekämpfen im
Stande sind. Salisbury und seine Gefolgschaft sollten
billiger Weise gerade diese Forderung der Homerule-Bill
befürworten, weil sie für die Reichseinheit noch ein ge-

An einem Knnr.
IS) Criminalgeschichte von Jenny Hirsch.
(Forschung.)
Das Geschick der Geliebten hing an einem Haar
und ich Kurzsichtiger vermochte dies nicht zu entdecken!"
„Was stehe ich noch hier und grübele!" schalt er sich
nach einer kurzen Pause. „Fort, fort zum Richter! Dieser
Brief löst jeden Zweifel, mit ihm öffne ich noch heute
Johanna's Kerker und führe sie im Triumph zu Freiheit
und Glück. Fort, fort, jede Minute ist ein Raub
an ibr."
Er that einige Schritte vorwärts und blieb dann doch
wieder stehen, als wurzele sein Fuß am Boden. „In
diesem Briefe offenbart mir ein Frauenherz das Geheim-
niß seiner Liebe, einer Liebe, deren Gegenstand ich selbst
bin: habe ich kein Recht, dieses Geständniß an die
Oeffentlichkeit zu bringen, bin. ich der Richter über das,
was sie verbrach? Sie hat schwer gesündigt, hat eine
furchtbare Schuld auf sich geladen, aber eine höhere
Hand bat das Böse, was sic vorhatte, noch rechtzeitig
von dem schuldlosen Haupte abgewendet; die Folgen sind
auf die falsche Zeugin selbst gefallen. Die Triebfeder
ihrer Handlungsweise war doch ein edles Gefühl: Liebe
zu dem Bruder, Liebe zu dem Manne, den ihr Herz
erwählt; darf ich diese Empfindungen, die sie mir ent-
hüllt, preisgeben?"
„Aber Johanna schmachtet im Kerker, Johanna wird
Noch gefoltert von der Unruhe und Ungewißheit über die
Gestaltung des Schicksals! Wiegt nicht eine einzige
Thräne von ihr alle Bedenken auf? hielt er sich wieder vor.

wisscs Band schafft. Die Radicalen verwerfen diesen
Vorschlag aus principiellcn Gründen, da sie jeden Zu-
sammenhang zwischen Irland und England gelöst wissen
wollen, und Charles Dilke, der bekanntlich früher unter
Gladstone Minister war und dann infolge eines Pro-
ccsseS für einige Jahre von der politischen Bildfläche ver-
schwand, wie bei der Einzelbcrathung mit Unterstützung
seiner radicalen Freunde einen Antrag einbringen, der
das gänzliche Verschwinden der Iren aus dem Reichs-
parlament verlangt.
Die Bill wird also im Unterhaus noch zu denkwür-
digen Debatten führen. Welches Schicksal ihr das Ober-
haus bereiten wird, das sie noch zu passtren hat, das
läßt sich nicht Voraussagen. Mit erdrückender Mehrheit
werden die edlen Lords Homerule glattweg ablehncn. Und
was dann? Wird Gladstone zurücktrcten, wie Salis-
bury es verlangt, und wird er an daS Volk nochmals
appelliren? Das ist durchaus unnöthig, denn bereits bei
den Wahlen zum jetzigen Unterhaus hat Homerule die
Hauptrolle gespielt, Gladstone dürfte vielmehr, wie all-
gemein erwartet wird, in der nächsten Tagung des Unter-
hauses die Homerule-Bill abermals einbringen, und wenn
sie zum zweiten Mal die Genehmigung findet, dann wird
sich das Oberhaus reiflich überlegen, ob cS einer so
mächtigen Kundgebung gegenüber auf seinem Widerstand
beharren soll. Siegt aber trotzdem die Unvernunft, dann
dürfte nicht das Schicksal von Homerule, sondern das des
Oberhauses besiegelt sein.
Die große Aufgabe, die der greise Gladstone am Ziel
eines langen und thatenreichen Lebens noch zu erfüllen
gedachte, ist gethan. Ob die grüne Insel ihre eigene
Verfassung und Selbstverwaltung bald erhält, das ist
allerdings eine andere Frage, und ein Ende, eine glück-
liche Lösung der vorhandenen Schwierigkeiten ist noch nicht
abzusehen. Vorläufig muß sich Gladstone mit dem Er-
folg zufrieden geben, daß die Mehrheit des englischen
Unterhauses seine irischen Pläne im Princip gutgehcißen hat.

Deutsches Reich.
Berlin, 1. Mai. Die „Nordd. Allg. Ztg." be-
merkt zu der Meldung über die Abkürzung des
Kaiserbe suchs in Karlsruhe: „Wenn der Kaiser
sein Zusammensein mit seinen Verwandten früher ab-
brechen will, als ursprünglich beabsichtigt war, so beweist
dies, welchen Werth der Monarch darauf legt, an der
Spitze der Regierung zu weilen während der Zeit, in
welcher die Entscheidung darüber fallen muß, ob der
Reichstag die Militär Vorlage in einer der Ehre

„Johanna selbst soll entscheiden!" rief er laut, als
komme ihm eine urplötzliche Erleuchtung, „ihr bin ich
die volle Wahrheit schuldig, sie wird in ihrem Sinne
das Richtige treffen. Man wird mir jetzt eine Unter-
redung mit ihr nicht mehr versagen.
Er eilte, sich den Zutritt zu der immer noch im
Gefängniß befindlichen Johanna zu verschaffen, und man
verwehrte ihn ihm nicht mehr. Konnte sie auch vor dem
Eintreffen des geschriebenen und beglaubigten Bekennt-
nisses von Hans von Mörner nicht in Freiheit gesetzt
werden, so war ihre Gefangenschaft doch nur noch eine
Form, denn ihre Unschuld war erwiesen. Lina hatte sich
durch ihre Flucht als eine falsche Zeugin verurtheilt,
außerdem hatte der deutsche Consul in New-Jork eine
Anfrage des Präsidenten, ob das Telegramm wirklich von
ihm abgesandt sei, bejahend beantwortet und wiederholt,
daß ein ausführliches Geständniß des wahren Mörders
bereits auf dem Wege nach Europa sei.
Als Werdenfeld bei Johanna eintrat, fuhr sie er-
schrocken auf, dann flog ein rosiger Schimmer über ihr
bleiches, ernstes, aber nicht mehr finsteres Gesicht. „Sie
kommen zu mir, Herr von Werdenfeld!" sagte sie leise.
„Zürnen Sie mir nicht, Jobanna, daß ich nicht
früher kam," bat er mit einer Stimme, der Festigkeit zu
geben er sich vergeblich bemühte, „vom ersten Tage an,
wo man Sie bier einschloß, versuchte ich zu Ihnen zu
dringen, es war unmöglich, nicht mir, nicht einer Bot-
schaft von mir gestattete man den Weg zu Ihnen."
„Sie wollten zu mir kommen, Sie hielten mich nicht
für schuldig?" fragte sic und ihr Auge leuchtete wunder-
bar auf.

und der Sicherheit des Vaterlandes entsprechenden Form
annehmen wird.
Berlin, 1. Mai. Die gestrigen Verhandlungen der
Reichskanzlers mit den Mitgliedern verschiedener
Parteien haben dahin geführt, daß eine bestimmte Linie
der Verständigung über die M i l i tä r v o r l ag e
gefunden worden ist, für die auch ein Theil des Cent-
rums und der freisinnigen Partei zu stimmen bereit ist.
Ob damit die erforderliche Mehrheit erzielt wird, ist noch
fraglich, aber nicht mehr so unwahrscheinlich, wie bisher:
es hängt von den heutigen Entscheidungen der Fraktionen
ab. Die freisinnige Fraction verhandelt seit 1 Uhr.
Berlin, 1. Mai. Die „Nationalzeitung" will wissen,
der neue C o m p r o m iß v v r s ch lag des Abg. Frhrn. v.
Huenc über die Militärvorlage habe die Zustimmung
des Reichskanzlers erhalten. Für denselben werde auf
die Stimmen der Conservativen, der Nationalliberalen
und mit größerer Bestimmtheit als für frühere Vorschläge
auch auf Thcile des Centrums und des Deutschfrcisinns
gerechnet.
Berlin, 1. Mai. Der Staatssekretär des Reichs-
justizamts Hanauer ist heute Nachmittag gestorben.
ll. München, 30. April. In den nächsten Wochen
wird hier eine Frage zur Entscheidung gebracht werden,
die allseitiges großes Interesse erregen wird. Es handelt
sich um das Alters- und Jnvaliditätsgesetz.
Bekanntlich verlangt das Gesetz, daß wenn eine Alters-
und Jnvaliditätsrente bezogen wird, eine etwaige Armen-
unterstützung entzogen wird. Da aber viele Leute mit
Recht einsehen, daß die Rente meistens absolut unzureichend,
haben Mitglieder des hiesigen Armenrathes den Antrag
gestellt, cs wolle im Bcdürfnißfallc neben dem Renten-
bezug auch eine Armenunterstützung gewährt werden. Also
hat das besonders von den Kathedersocialisten so gepriesen
Gesetz schon den Todesstoß erhalten. Denn was nutze
eine Rente, wenn noch ein Almosen sie einigermaßen an-t
nehmbar machen muß, eine Rente, die nicht einmal im
richtigen Verhältniß zum aufgewandten Beamtenpersonal
steht! Millionen sind jetzt schon für dieses Gesetz von
Arbeitgebern und Arbeitnehmern geopfert worden und
muß man selbst vom Manchesterstandpunkte zugeben, daß
es jetzt — was ja das beste wäre — nicht mehr mög-
lich ist, das Gesetz einfach zu cassiren. Wie
Recht hatte doch Eugen Richter, als er vor dem
Sprung in den Abgrund warnte — das sieht jetzt selbst
Fürst Bismarck ein, der es vor kurzem als völlig „ver-
pfuscht" bezeichnete. Der Antrag des hiesigen Armen-
rathes ist für Alle eine Mahnung, bald die Hand zur

„Konnten Sie das von mir glauben?" fragte er
dagegen.
Sie blickte zu Boden, ein herber Zug legte sich wieder
um ihren Mund. „Ich glaubte es," sagte sie dumpf,
da mich Alles verließ, mich Alles verurtheilte, warum
sollten Sie mir Vertrauen schenken?"
„Warum?" wiederholte er, indem er ihren gesenkten
Kopf in die Höhe hob und ihr tief in die Augen sah,
„warum ? Johanna blicken Sic mich an und wiederholen
Sie die Frage, wenn Sie können. Sie wissen es, weß-
halb ich an Sic glaubte, und hätten Sie sich selbst für
schuldig bekannt; an Ihnen zweifeln hieß für mich zweifeln
an Allen, was heilig, was edel, was rein ist, an den
beseligendsten Empfindungen, die Gott in die Menschen-
brust gelegt hat."
„Ich zweifelte daran," erwiederte sie mit einer stillen
Resignation, „und deßhalb auch an Ihnen."
„Arme Johanna, was haben Sie leiden müssen, um
zu einer solchen tiefen Trostlosigkeit zu gelangen," sagte
er mitleidig.
„Sie. irren sich, die Trostlosigkeit war in mir, ehe
das schwere Verhängniß kam," antwortete er mit leiser,
aber fester Stimme, „ich babe cs dadurch vielleicht
heraufbeschworen."
„Quälen Sic sich nicht mit solchen Vorstellungen,"
bat er, „Sie sind geboren aus der Nacht des Kerkers
und müssen von Ihnen weichen mit dem ersten Athem-
zuge der Freiheit, den Ihre Seele trinkt."
„Nein, mein Freund, dieser erste Athemzug der Frei-
heit ist es eben, der sie mir gebracht hat," erwiderte sie
lebhaft- „Ich baderte mit meinem Geschick, ich sab in
 
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