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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 91 - No. 100 (19. April - 29. April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43990#0407

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Die,^8ürgerzeiturrg"
scheint täglich mit Ausnahme von
> Sonn- und Feiertagen.
Sonntagsnummer liegt ein Unter-
Mtungsblatt, „Der Erzähler", mit dem
junior. Repräscntantm „Der deutsche

Michel" bei.

Verkün-igimgs-latt und Anzeiger
für Stcröt und Land.

Abonnementspreis
für Heidelberg: monatl- -10 Pfg. mit
Trägerlohn, durch die Post bezogen
Vierteljahr!. Mk. 1.— ohne Zustcllgeb.
Znsertionsprets: 10 Pf. für die 1-spalt-
Petitzeile od. deren Raum- Für locale
Geschäfts- u. Privatcmzeigcn 5 Pf.

S8. ».WL». Heidelberg, Donnerstag, 27. April ».ZNL-n. 1«S3.

Brief-

und
zum

WesteL'ungen
"uf die „Bürger-Zeitung" für die Monate
Mai und Juni
^den fortwährend von sämmtlichen Postanstalten,
^gern und unfern Agenturen zum Preise von
NM- 97 Pfennig -WU
in's Haus, sowie von unfern Trägern
Jägerinnen hier und der nächsten Umgebung
"kise von
nur 40 Pfg. monatlich
^tgegengenommen.
. Neu hinzutretende Abonnenten erkalten die „Bürger-
Mtung" bis Ende des Monats unentgeltlich.
_Verlag der „Bürger-Zeitung".
Belgiens künftiges Wahlsystem.
. Die Frage, wie man nun in Zukunft in Belgien
^stimmen wird, beschäftigt wohl auch weitere Kreise außer-
üb des Königsreichs und man hat in den letzten Tagen
viel von der „Pluralabstimmung" und dem System
Men gesprochen, daß eS nicht ohne Interesse sein wird,
zu erfahren, worin die Stimmrechtsreform in
Mgien besteht.
L Die Hauptvcrfügung des neuen Gesetzes ist, daß jeder
^gier nach zurückgelegtem 25. Lebensjahre, welcher seit
Zwestens cineni Jahre in der beireffendcn Gemeinde
Aussig ist, das activc Wahlrecht besitzt. 1 200000 Belgier
^den in der Lage sein, von ihrem neuen Stimmrecht
Z?rauch zu machen. Soweit geht das „allgemeine
Z'.nimrecht." Jedoch in der Absicht, das Schicksal der
. Analen Institutionen nicht der „brutalen Macht der
wen Massen" allein auszuliefern, hat die Constituante
dem Vorschläge des Professors an der Universität
tz, M Nyssens, zu Gunsten einiger Categoriecn von
Mttn das mehrfache Stimmrecht eingeführt.
d To hat ein Wähler von 25 Jahren, welcher sich im
^ gewisser durch das Gesetz zu bezeichnenden Diplome
h ? Zeugnisse befindet, oder eine Beschäftigung ausübt,
einen Grad von Kenntnissen voraussctzt, welcher
^'Missen Unterrichtsprogrammen in Beziehung steht, —
stecht, zwei Stimmzettel anstatt eine« in die Urne
Liegen. Wenn nun dieser Wähler beweisen kann,
kr über einen beweglichen oder Grundbesitz von
>Mstcns 2000.— Francs verfügt, so besitzt er anstatt

ein doppeltes ein dreifaches Stimmrecht. Der belgische
Gesetzgeber hat indessen auch daran gedacht, daß die ge-
bildete und besitzende Classe nicht allein des Vorzugs
eines mehrfachen Stimmrechts würdig sei, und daß die
Eigenschaft als Familienvater, mit welcher Stellung die
Verantwortlichkeit eines Bürgers wächst, ebenfalls zu
mehrfachem Stimmrecht berechtigt. So wurde bestimmt,
daß jeder Wähler von 35 Jahren, der zugleich Vater
legitimer Kinder ist, und mindestens 5 Francs Steuem
an den Staat zahlt, zwei Stimmzettel, und falls er oben
erwähnte Bildung oder mindestens 2000 Frcs. Vermögen
besitzt, drei Stimmzettel abgeben darf. Mehr als drei
Stimmen kann kein belgischer Bürger besitzen.
Es ist klar, das es von Legislaturperiode zu Legislatur-
periode an Aenderungen und Zusätzen nicht mangeln
wird. Jedenfalls ist soviel sicher, daß das Gesetz einen
ungeheuren Verwaltungsapparat erfordert und daß trotz
der eingehendsten Arbeiten der Bureaukraten kleine Stimm-
rechtsunterschleife nicht zu vermeiden fein werden.
Eine andere Consequcnz der Abstimmung in
voriger Woche ist folgende: das frühere Wahlgesetz
gestand das Stimmrecht jedem belgischen Bürger zu,
welcher mindestens 20 Gulden (Mk. 33.84) Steuern
bezahlte und zwar vom vollendeten 21. Jahre an. Da
man von jetzt an erst nach zurückgelegtem 25. Lebens-
jahre an den Abstimmungen theilnehmen darf, so folgt
daraus, daß die ganze Categorie der Zensussteuerzahler
von —25 Jahren sich des Stimmrechts beraubt sieht,
und dadurch politisch minorenn erklärt wird. Wie man
sich denken kann, wird diese Classe der jungen belgischen
Bürger auf das Gesetz des Professors Nyssens noch
weniger gut zu sprechen sein als die Socialisten.

Deutsches Reich.
Berlin, 25. April. Der „Reichsanzeiger" meldet: Der
Kaiser verlieh dem Cardinal-Staatssecretar Rampolla
den Schwarzen Adlerorden. Der Papst empfing heute
Mittag 12 Uhr den Staatssecretär des Auswärtigen Amts
Frhrn. Marschall v. Bieberstein. Der Kaiser em-
pfing heute auf der Botschaft eine Abordnung des Künstler-
vereins und des Historischen Instituts der deutschen Colonic.
Die Kaiserin empfing drei Schwestern vom Kaisers-
werter Diaconissenheim in Rom. Die Herrschaften nahmen
auf der Botschaft das Frühstück ein.
Schweiz.
Vern, 25. April. Der deutsche Gesandte Dr. Busch
hat mit dem Bundesrath Lach en al die letzten Einzel- I

heiten über denEmpfang des deutschen Kaisers
in Luzern vereinbart. Dem Departement des Aus-
wärtigen ist unbeschränkte Vollmacht und freier Kredit
gegeben.
Oesterreich-Ungarn.
Wien, 25. April. Der russische Minister v. Giers
reist heute Mittag nach Petersburg ab, ohne Besuche hier
zu machen oder zu empfangen. Beim Kaiser ließ er
sich durch Lobanow entschuldigen, daß sein Leiden ihm das
Nachsuchen einer Audienz unmöglich mache, worauf dann
der Kaiser seinen Besuch ankündigte und ausführte. Die
„Neue Freie Presse" bezeichnet diese seltene Auszeichnung
nicht bloß als den Ausfluß menschlicher Theilnabme,
sondern auch als eine Anerkennung für die maßvolle
Politik des Ministers v. Giers. Der Besuch sei zugleich
ein freundlicher Friedensgruß an den Zaren.
Wien, 25. April. Gestern Nachmittag 2 Uhr empfing
der Kaiser den serbischen Oberst Zdravkovic
zur Überreichung eines eigenhändigen Schreibens
des Königs von Serbien, in welchem der Re-
gierungsantritt mitgetheilt wird in ^stündiger Audienz.
Der Kaiser verlieh dem Obersten Zdravkovic den Franz
Joseph-Orden. Hierauf wurde Zdravkovic, der serbische
Geschäftsträger Barlovac und das Personal der serbischen
Gesandtschaft, sowie der in Wien anwesenden serbischen
Officiere zur Hoftafel geladen, an welcher auch Graf
Kalnoky, dann der bisherige württembergischc Gesandte
Frhr. v. Maucler und andere theilnahmen. Nachmittags
empfing der Kaiser auch den württembergischcn Ge
sandten Frbrn. v- Maucler behufs Entgegennahme des
Abbcrufungsschreibcns.
Italien.
Rom, 25. April. Der deutsche Kaiser besichtigte
Vormittags um 10 Uhr die Villa Albani und kehrte in
die Stadt und den Quirinal zurück. In derselben Zeit
besichtigten die Kaiserin und die Königin die Ausgrabungen
auf dem Palatin und wohnten der Einweihung des
Nationalmuseums bei. Um 12^ Uhr nahmen der Kaiser
und die Kaiserin das Frühstück in der deutschen Botschaft
ein. Darauf besuchten sie die kapitolinischen Museen und
das Festturnier. Morgen machen sie einen Ausflug nach
Albano, Genzano und Frascati. Das Wetter ist pracht-
voll. Das Kaiserpaar empfing im Quirinal den deutschen
Künstlerkl ub.
Serbien.
Belgrad, 25. April. In Paris und London zeigt
den Regierungsantritt des Königs Alexander

An einem Kcrcrr.
Criminalgeschichte von Jenny Hirsch.
(Fortsetzung.)
H Me hüllte sich wieder in ihr düsteres trotziges Schweigen,
diesem, wie bei den anderen Verhören, wenig
aus ihr herauszubckommen, und ihr Benehmen
^ik^Ugte die Richter ebensosehr von ihrer Schuld, wie
N gegen sie häufenden Beweisgründe.
vergingen Wochen und Monate; die Vorunter-
Mg war geschlossen und hatte Material genug ergeben,
iihj dklage gegen Johanna Bertelsmann auf Mord, ver-
.Hegen ihren Onkel, den Baron von Böhlendorf, zu
und den Fall dem nächsten Schwurgerichte zur
^'Heilung zu überweisen. Die Sache hatte ungeheures
j^hen gemacht, und man sah der Verhandlung mit
Spannung entgegen, als dies in der Regel in
^/Hnelllebenden Residenz der Fall zu sein pflegt. Ein
sher, der den höbercn, gebildeten Ständen angehkrt,
immer ein größeres psychologisches Interesse ein,
. aber, wenn er, wie hier, dem weiblichen Geschlechte
Nyvrt.
ij^erdmfeld hatte sich die größte Mühe gegeben, eine
Hebung mit der Gefangenen zu erlangen, er wollte
gern den Trost bringen, daß er fest und unver-
H an ihre Unschuld glaube, aber man ließ ihn
sU jhr, weil er in der Verhandlung gegen sie als
!> Hauptzeugen betrachtet ward- Dagegen verkehrte
l^ irig mit dem Justizrath Birkner, der Zutritt zu
^a erlangt und ihr einen der berühmtesten Ver-
der Hauptstadt zugeführt hatte; auch mit Letzterem

setzte sich Werdenfeld in Verbindung, aber beide Herren
hatten nur geringe Hoffnung.
„Ich will mein Möglichstes thun," sagte der Ver-
theidiger, „aber ich werde gegen die ineinander greifende
Kette von Beweisen, welche der Staatsanwalt vorzu-
bringen hat, einen schweren Stand haben, und ich fürchte,
meine Klientin wird mich bei den Geschworenen wenig
unterstützen."
„Sie glauben an ihre Schuld?" fuhr Werdenfeld auf.
„Das darf ein Vertheidiger niemals," antwortete der
Rechtsgelehrte ausweichend.
„Wenn ich den Herrn College» recht verstanden habe,"
nahm der Justizrath das Wort, „so hat er mit seiner
Bemerkung auf das Wesen der Angeklagten hingedeutet.
Johanna war immer herbe und verschlossen, jetzt ist sie
schroff und abstoßend geworden."
„Wenn Sic wüßten, welche Schätze sich hinter dieser
rauhen Außenseite bergen," unterbrach ihn Werdenfcld.
Der Justizrath zuckte die Achsel. „Vielleicht ahne
ich es, aber was nützen der Welt vergrabene Schätze?
Sie ist unduldsamer gegen diejenigen, bei denen sie solche
wittert, als gegen die, von denen sie möglicherweise noch
weniger erhält, aber überzeugt ist, daß sie nichts zu geben
haben. Der verstorbene Baron war ein echtes Weltkind,
und ich glaube, er hatte halb unbewußt ein ähnliches
Empfinden gegen die Nichte."
„Johanna wurde systematisch in sich zurückgedrängt,
die aus ikrem und des Onkels Wesen sich ergebende
Verschiedenheit mit allem Fleiße zugcspitzt, so daß Reib-
ungen, Zwietracht und Unfrieden entstehen mußten,
dann-"

„Nicht weiter, junger Freund," sagte der Vertheidiger,
ihm die Hand auf den Arm legend, „mit Ihren Darleg-
ungen tragen Sie Holz zum Scheiterhaufen für diejenige
herbei, die Sie zu retten wünschen. Unter uns thut das
nichts," fuhr er, als Werdenfeld ibn betroffen anblickte,
lächelnd fort, „ich mache Sie nur für die öffentliche Ver-
handlung darauf aufmerksam."
„Wo ich gegen sie zeugen muß, von deren Unschuld
ich überzeugt bin," seufzte Werdenfeld, „aber sie kann
ja nicht ocrurtheilt werden, cs ist ja nicht möglich, ich
müßte verzweifeln an menschlicher und göttlicher Ge-
rechtigkeit."
„Es geschieht für sie, was möglich ist," tröstete ihn
der Justizrath.
„Was möglich ist!" wiederholte er, „wie kalt, wie
ausweichend das klingt: gibt es kein sicheres Mittel, sie
zu retten?"
„Ein einziges sicheres, unfehlbares gäbe es," sagte
der alte Herr, bedächtig deu Kopf wiegend. „Wo eine
That begangen ist, muß ein Thätcr sein; schaffen Sic
den wahren Schuldigen zur Stelle, und Johanna ist frei."
Der Assessor schlug sich mit der Hand vor die Stirn.
„Der wahre Schuldige, der wabre Schuldige! Wo ist er?"
rief er verzweifelt.
IX.
Es war am Tage vor der Schwurgerichtsverhandlung.
Nach einem ungewöhnlich harten Winter schien sich
das Sprichwort bethatigen zu wollen, daß allzu strenge
Herren nicht lange regieren, denn schon mit dem März
war der Frübling cingezogen. Warm und erquickend
fielen dic Strablen der Sonne durch die noch unbelaubten
 
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