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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
No. 101 - No. 110 (30. April - 11. Mai)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43990#0447

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Verkündigungsblatt und Anzeiger

Die,^Sürgerzeit«ns"
erscheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummer liegt ein Unter-
haltungsblatt, „Der Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei.

Abonnementspreis
für Heidelberg: monatl- 4V Pfg. mit
Trägerlohn, durch die Post bezogen
vierteljährl. Mk. 1.— ebne Zustellgeb.
Znsertionspreis:,10 Pf. für die 1-spalt-
Petitzeile od. deren Raum. Für locale
Geschäfts- u- Privatanzcigcn 5 Pf.

108.

Expedition:
Hauptstraße 25.

Heidelberg, Dienstag, 9. Mai

Expedition:
Hauptstraße 25.

1«S3.

WesteLungen
auf die „Bürger-Zeitung" für die Monate
Mai und Juni
«erden fortwährend von sämmtlichcn Postanstalten, Brief-
trägern und unfern Agenturen zum Preise von
97 Pfennig "MZ
frei in s Hans, sowie von unfern Trägern und
Trägerinnen hier und der nächsten Umgebung zum
Preise von
nur 4V Pfg. monatlich
entgegengcnommen.
Verlag der „Bürger-Zeitung".

Aes WoMes Spruch.
Endlich — nach Wochen und Tagen gespanntester
Erwartung sind die Würfel gefallen. Mit einer nam-
haften Majorität — 210 gegen 162 Stimmen — hat
das deutsche Volk durch das Votum seiner Vertreter dem
„neuen Kurs" die Antwort gegeben, die er verdiente, die
Antwort, die lautet: Euer Schoßkind, der Militarismus,
widert uns an, wir sind nicht in der Lage, es ernähren
zu können. Ja, wenn je ein unerhörtes Ansinnen an
eine so vielfach schon belastete Nation gestellt wurde und
wird, so ist es diese ominöse Militärvorlage. Und wie
wird dies Ansinnen gestellt! Just, als sei es ein Kinder-
spiel. Man fragt das Volk nicht: Kannst du zu
deinen Lasten auch diese Ricsenlast ertragen? Nein, man
sagt: Du mußt! Patronentaschen sind wichtiger als
dein heiligstes Ideal, sie sind wichtiger als deine ganze
Eristenz. Und warum sind sie wichtiger? Weil der
„neue Kurs" von den tiefinnersten Bedürfnissen einer
Volksseele nichts kennt, sondern nur Kanonen, Säbel
und Patronentaschen. Das berühmte Schulgesetz ist ge-
fallen, die große Markenklebe-Jdee ist ein Gegenstand
der Verwünschung, was auch bis jetzt begonnen worden
ist: Wer kennt etwas, das vom Volke ein Segen geheißen
werde? Man fordert nur und fordert und fordert immer
wieder, und Niemand soll fragen: Ist cs wirklich zu
unserem Besten oder wem bringen wir all diese schweren
Opfer? Die Reichsregierung antwortet: Um des Krieges
willen, der uns droht, bedürfen wir neuer Soldaten. So
sagt sie, aber Unzufriedenheit und Mißtrauen find bereits
zu groß im Volk und es glaubt an diese Behauptung
nicht. Diese Vorlage, die nun absolut durchgepeitscht

Gin Wieöer-seyen.
2) Novelle von E. Lucas
(Forschung.)
Diese Erwartungen erfüllten sich auch alle, Reinhold
machte sich sehr beliebt und angenehm in seiner neuen
Stellung, gewann ganz und gar das Vertrauen des Kom-
mcrzienraths Präger, wie der Handelsherr hieß, und ich
hoffte mit Zuversicht darauf, daß mein Freund in zwei
oder drei Jahren sich bestimmt zu der Größe cmporarbeiten
werde, die wir ihm schon lange zutrauten.
Doch nach kaum einem halben Jahre griff das Schick-
sal wieder in meines Freundes Lebensgang ein.
Der Kommerzienrat!) Präger hatte eine sehr schöne
und geistig hochbegabte Tochter, welche Reinhold Hofmann
bei den Soireen, welche der Kommerzienrath zuweilen ver-
anstaltete, kennen gelernt hatte, und was dadurch ge-
schehen mußte, geschah.
Die liebreizende, jugendlich schöne und hochgebildete
Elise, die Tochter des Kommerzienraths Präger, machte
auf Geist und Seele Reinhold Hofmanns einen so tiefen
Eindruck, daß er in wenigen Tagen sein Herz an das
schöne Mädchen verloren hatte und mir bald nachher
Mittheilung von seinem rebellischen Gemüthszustande
machte, denn Naturen, wie diejenige meines Freundes
war, lieben weder naiv, noch oberflächlich. Furchtbare
Zweifel quälten den Aermsten, denn er wußte weder, ob
Elise seine Liebe erwiderte, noch ob er, der arme Student,
jemals ernstbaft hoffen dürfe, die Tochter des reichen
Kommerzienrathes als Frau zu erhalten, und dazu ver-
bitterte seinen Zustand noch seine Stellung als Haus-

werden soll, ist aber mehr denn alles andere angethan,
die Unzufriedenheit nur zu steigern. Das Gefühl, das
diese neuen Lasten nicht einmal gerecht vcrtheilt, sondern
wiederum und einseitig den wirthschaftlich Schwachen
aufgcbürdet werden sollen, ist ebensowenig geeignet, die
neue Riesenforderung sympathischer erscheinen zu lassen.
Dazu kommt die Ohnmacht des Parlaments.
Dadrinnen liegt, wie der Abgeordnete Barth treffend
bemerkt, „die Wurzel alles Nebels". In einem Parlament,
das keinen unmittelbaren Einfluß auf die Bildung der
Regierung ausübt, kann cs keine gesunde Parteibildung,
cs kann keine Durchführung berechtigter Volkswünsche, es
kann auch zwischen Thron und Volk keinen Frieden, keine
Liebe geben. Immer tiefer wird die Kluft zwischen der
Regierung und den Parteien und schließlich tritt das
Schauspiel ein, das wir gegenwärtig erlebt, daß der
leitende Staatsmann mit gar keiner Partei mehr zu-
sammenstimmt, sich auf Niemand verlassen kann und von
einer schiefen Stellung in die andere geräth. Unsere
politischen Zustande sind unhaltbar geworden: die Ueber-
zcugung von dieser Thatsache ist allgemein. Unser
ganzes politisches Leben ist durch eine ekelhafte Jn-
teressenwirthschaft im Zustand der Zersetzung.
Diese Jntcrcssenwirthschaft bedroht heute die Einheit des
Reiches weit mehr als je der politische Partikularismus
vermochte. Das Entweder-Oder rückt darum unerbittlich
näher: Ein Parlament oder keins. Der Volksvertretung
muß eine höhere Achtung, eine höhere Macht ein-
geräumt werden, nur dadurch wird es möglich, sich auch
einer gesteigerten Verantwortlichkeit bewußt
zu werden. Ein Staatsmann, der bei uns einer derartigen
Entwicklung die Bahn ebnete, würde sich um das Vater-
land das höchste Verdienst erwerben. So lange dies
Problem jedoch nicht gelöst ist, werden unfruchtbare
Fiktionen, Widersprüche und Conflicte nicht aufhören.
So gespannt die Situation vor der Entscheidung war,
so gespannt ist sie nun wieder in Anbetracht der kommen-
den Neugestaltung der Dinge. Die Regierung hat unsere
Vertreter heimgeschickt und rechnet darauf, daß wir ihr
andere senden, die ihren: Lieblingsproject willfähriger be-
gegnen. Ob es das Volk thun wird? Wenn wir je
an etwas zweifelten, so zweifeln wir daran. Wir
wollen den Ernst der nächsten Tage nicht verkennen,
aber wir haben auch keinen Grund zur Beunruhigung
und Aufregung. Wir stehen vor dem Absolutismus:
Dies Wort sagt alles, es ruft uns zu: Rette deine
Freiheit, deutsches Volk, dies Wort sei auch der
Führer im neuen Wahlkampf!

lchrer, im Hause des Kommerzienrathes, die er vor
Beendigung seiner Studien um keinen Preis verlieren
wollte.
Nach mehrtägigen Kämpfen mit seiner Leidenschaft kam
mein Freund zu diesem Resultate, daß es das Beste sei,
wenn er mit eiserner Energie seinem Herzen Ruhe geböte.
Ohne sein Zuthun sah er bald wieder das liebliche
Mädchen und dahin war cs abermals mit der Ruhe
seines Herzens.
Dann zwang er sich aufs Neue und ehe acht Tage
verflossen, befand er sich in demselben Konflikte mit seinem
Herzen und nach einer Lösung schmachtend.
Wenige Tage darauf wurde er auch dann wieder von
dem Kommerzienrath zur Theilnahme und Mitwirkung
in einer von demselben veranstalteten Soiree eingeladen.
Reinhold Hofmann hatte sich vorgenommen, unter irgend
einem Vorwande von der Soiree fern zu bleiben, aber
in all' den bangen Zweifeln schoß ihm plötzlich ein anderer
Gedanke durch den Kopf. Dem gewaltigen Zuge seines
Herzens folgend, wollte er auf der Soiree Gelegenheit
suchen, um in Erfahrung zu bringen, ob Elise seine Liebe
überhaupt theile denn schlug ihr Herz kalt für ihn, so
war es ja eine wahnwitzige Ausgeburt seiner Phantasie,
wenn er sich im leidenschaftlichen Feuer einer unerwiderten
Liebe verzehrte.
Reinhold besaß eine herrliche Baritonstimme, mit
welcher er Freunde des Gesanges entzücken konnte. Er
beschloß daher, in der Soiree das berühmte Duett aus
dem Troubadour mit Elise, welche ebenfalls eine gute
Stimme besaß, vorzutragen und schickte sich alsbald an,
die Vorbereitungen dazu zu treffen.

Elms von Rußland.
Aus Petersburg schreibt man:
Die Kunde von dem serbischen Staatsstreiche ist mit
Blitzeseile auch zu uns gekommen; „begreiflicherweise",
wird der in den convcntioncllen Anschauungen über russ.
Orientpolitik erzogene Westeuropäer sagen. Denn dort ist
eben Jedermann so von der Ueberzcugung von der russ.
Begehrlichkeit nach dem Balkan durchdrungen, daß sogar
die Benennung russischer Großfürsten „Konstantin" als
eine Hindeutung auf die Absicht erscheint. Daß die
russische Politik ihre Hände in dem Spiel der Kräfte auf
der staatenbesäten östlichen Halbinsel Europa's hat, be-
wiesen freilich schon wiederholt die Ereignisse. Die west-
europäische Presse fragte natürlich sogleich auch bei der
jüngsten serbischen Staatsaction: „Wo ist der Russe?"
Sieht man aber in die hiesigen Zeitungen, so könnte man
fast der Meinung werden, an den serbischen Vorgängen
sei Rußland unbetheiligt. Die „Nowojc Wremja", das
meist gelesene Blatt der Stadt, sagt in einem Leitartikel:
Der junge König hat recht gehandelt, denn die Regent-
schaft in Serbien hatte sich auf gänzlich unconstitutionellc
Bahnen (welch' freimüthigcS Wort im unconstitionellen
Zarenstreiche!) begeben. Deßhalb vermied Rußland jede«
Eingreifen. — Immerhin. Zweifelsüchtige schließen aus
der Reservirtheit Rußlands, daß cs die Frucht noch nicht
für reif hält. Ist die Vermählung des jungen Serben-
königs mit der Großfürstin Lenia erst vollzogen, dann
wird man schon kräftiger anftrcten.
Wie steht es nun mit den Beziehungen zu Deutsch-
land? Ich glaube nicht an den „Haß" gegen den west-
lichen Nachbar, wenigstens nicht in dem dort angenom-
menen Umfange. Wohl macht das Nationalitätsprincip
auch hier sich stark geltend, doch wissen alle Schichten
der Gesellschaft bis hinauf in die kaiserliche Familie die
Vorzüge der deutschen Cultur zu schätzen. Der Zar
selbst ist eine so friedliche Natur, daß ihm nichts ferner
liegt als Krieg, obendrein ein Krieg mit Deutschland.
Er ist ein vortrefflicher Familienvater und hält auf
streng patriarchalische Sitten. Unter diesem Gesichts-
punkte ist z. B. nicht nur das Verlangen zu betrachten,
daß er in seine Familie hineinheirathende Prinzessinnen sich
taufen lassen, vor allem auch sein Verhältniß zum Thron-
folger. Daß der Letztere trotz seines vorgerückten Alters
noch unbeweibt ist, erklärt sich eben daraus, daß der Zar
mit seinem ausgeprägten Familiensinn den Sohn nicht
zu einer jener politischen Vernunftehen drängen mag. Das
patriarchalische Familienverhältniß will aber auch das

Wohl zehn Mal übte er sich erst noch allein mit
reiner, schmelzender Stimme das Duett ein und dann
erbat er sich von dem Kommerzienrath die Erlaubniß, das
Duett mit Fräulein Elise sinken zu dürfen, eine Erlaub-
niß, die gern gewährt wurde.
Zum ersten Male spielte nun Reinhold absichtlich den
galanten Ritter gegenüber derjenigen, die er leidenschaftlich
liebte. Schon in den Proben sang er das Duett wunder-
voll und spornte dadurch auch Elise zu höheren Leistungen
an. Zum ersten Male in ihrem Leben begann sich auch
damals in Elisens Herzens die Liebe zu regen. Reinhold
Hofmann imponirte ihr nicht nur wie bisher durch Tugend
Schönheit, Charakter, Wissen und Genialität, sondern
jetzt entzückte er sie auch durch seinen herrlichen Gesang,
von dem das Feingefühl von Elisens echt weiblichem Herzen
bald ahnte, daß ihr damit der kühne Sänger sein ganzes
Herz zu Füßen legte.
Die Soiree selbst war glänzend verlaufen, die schöne
Tochter des Hauses und der geniale Hauslehrer ernteten
den meisten Beifall, und am anderen Tage verkündete
mir mein Freund mit jauchzendem Herzen, daß er wisse,
daß ihn Elise liebe und zeigte mir eine Rose, die sie ihm
als Erwiderung auf einen verstohlenen Handkuß geschenkt
hatte.
Ich und Reinholds übrige Freunde waren über diesen
Erfolg recht glücklich und hegten die Meinung, daß Rein-
hold nun sehr bald mit vollen Segeln von Stufe zu
Stufe einem großen Glücke entgegeneilen werde, denn
wenn Reinbold der Bräutigam Elisens wurde, dann konnte
es ihm auch niemals an Geld und Protektion fehlen, um
 
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