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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 111 - No. 120 (13. Mai - 21. Mai)
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Verkündigungsblatt «n- Anzeiger

Die,<Bürgkrzeitung"
^scheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummer liegt ein Unter-
öaltungsblatt, „Der Erzähler", mit dem
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115.

Expedition:
Hauptstraße 25.

Heidelberg, Donnerstag, 18. Mai

Expedition:
Hauptstraße 25.

18S3.

Der preußische Junker.
Eine Glosse zur Zeitgeschichte.
Der Charakter einer politischen Partei richtet sich nach
kkm, was sie will und wie sie das Gewollte erstrebt.
Tsie preußischen Junker wollen Macht in allen Formen,
»Nb es ist ihnen ziemlich einerlei, wie sic diese erlangen,
°b als Höflinge, als Patrone der Orthodoxie, als
Schwiegersöhne reicher Juden, als Verbündete des zünft-
lkrischcn Handwerks oder als Beschützer des Antisemitis-
mus. Der preußische Junker repräsentirt an sich nur den
Kleinadel, aber da der höhere Adel Deutschlands
politisch gleichgültig ist, so vertritt er thatsächlich die
Sesammtc Aristokratie. Die Mittel des Junkerthums sind
^schränkt. Aus dieser verhältnißmäßigen Dürftigkeit ist
^n Junkern — so seltsam es klingt — nicht 'wenig
politischer Einfluß erwachsen. Als reiche Grundbesitzer
Patten sie eine gewisse Unabhängigkeit bewahren können.
Die Noth des Lebens trieb sic nicht bloß in die Armee,
Indern auch in alle Zweige staatlicher Verwaltung hin-
ein. Von hier aus drangen sic auch in die Volksver-
tretung vor. Jetzt gilt cs, die erlangte Macht zu be-
haupten und für das Junkerthum auszunutzen. Das ist
Natürlich nur möglich im Wege der Vereinigung mit
äderen Interessen. Vordem genügte es, sich mit dein
Monarchischen Absolutismus zu verbünden, aber unter der
Herrschaft des allgemeinen Stimmrechts mußte man sich
"nbers einrichten. Man hißte die Flagge der noth-
tridendcn Landwirthschaft, man klagte mit den Zünftler»,
°aß das Handwerk den goldenen Boden verloren habe,
Man vergoß sogar einige gesetzgeberische Thränen der
Rührung über die Lage der Arbeiter und spielte vorüber-
gehend den Socialreformer. Aber bei aller Ermunterung
iuin gesetzgeberischen Wohlthun hielt man den Beutel mit
Heu Getreidezöllen, Liebesgaben und Zuckerprämicn
immer fest in der Hand.
Dieser aus daS Praktische gerichtete Sinn des Junker-
tums hat einer Clique von einigen Tausend Familien
'Men politischen Einfluß verschafft, wie ihn wahr-
Minljch keine andere Aristokratie der Welt jemals be-
sessen hat.
, Der preußische Krautjunker, der von all den Vor-
igen des englischen und französischen Adels kaum einen
^sitzt, dessen Lebensart steif, dessen Manieren unsym-
pathisch, dessen geistige Cultur gering, dessen Mittel theil-
bmise ärmlich sind, hat sich nicht nur in seiner Position
behauptet, sondern — dank dermächtigen Hilfe, die ihm durch
ben genialsten aller Junker, durch Otto von Bismarck-

Kin Wieder sehen.
Novelle von E Lucas.
(Fortsetzung.)
Doch meine Einwendungen gegen diese Freigebigkeit
sMren fruchtlos, mein Freund bezahlte alle theueren Rech-
Mlligen weiter und erklärte mir, daß ihm dies Vergnügen
^chc, ich auch seinetwegen fast vierzehn Tage länger in
Diersburg geblieben sei, was Geld gekostet hätte, wofür
b Mich nun auf der Reise entschädigen wollte.
. „Ich bin ja Junggesell", sagte er zur näheren Er-
dung seiner Freigebigkeit, „und brauche kaum die Hälfte
/Minxg' Einkommens, zumal ich nach den Begriffen der
Aschen höheren Gesellschaftskreise auch ziemlich einfach
r. Ich erfuhr von ihm auch, daß er in Anerkennung
mner Verdienste um die Förderung des höheren Schul-
dens in Rußland, von der Kaiserin ein schönes Land-
im südlichen Jngermannland gelegen, zum Geschenk
galten hatte, und daß dieses Landgut ihm auch noch
'ise gute Rente abwerfe, so daß ich allmählich anfing,
über die großen Ausgaben meines Freundes zu be-
sitzen, denn ich wußte, daß er ein reicher Mann war
sich beleidigt gefühlt hätte, wenn ich mich jeden Tag
ihm beklagt hätte, daß er die Reisekosten auch für mich
Estritt, resp. durch seinen Kammerdiener begleichen ließ.
So kamen wir endlich in Deutschland und in L. an,
o mein Freund in einem Hotel ersten Ranges Absteige-
urtier nahm und ich mich wieder in meiner einfachen
^Unggesellenwoknung und Studirstube heimisch machte.
Tag für Tag waren wir nun, soweit es meine Zeit

Schönhausen zu Thcil wurde — in derselben sogar
befestigt.
Dieser geschichtliche Erfolg hat das Selbstvertrauen
des Junkerthums, das nie klein war, gewaltig gehoben.
Cs wird dem richtigen Junker nicht leicht passiren, daß
er an seiner Befähigung zu irgend einen, Posten zweifelt.
Ob man ihm ein Armeekorps, die Leitung eines Hof-
theaters oder die Begutachtung von Börsengeschäften an-
vertraut, — er wird es machen. „Und wenn man sich
nur selbst vertraut, vertrauen uns auch die anderen
Seelen".
Es kann nicht überraschen, daß diese politischen Ge-
schäftsleute auch für Wissenschaft und Kunst nur eine eng
begrenzte Hochachtung haben. Es erscheint ihnen auch
nicht „schneidig" genug, ein inneres Vcrhältniß zur Kunst
zu haben. Man erzählt, daß in einem musikalischen
.Kreise, als gerade von Beethovens Komposition des
Schiller'schen Liedes an die Freude die Rede war, ein
zufällig anwesender Repräsentant der „Edelsten" sein
poetisches Verständniß durch die Zwischenbemerkung mar-
kirt habe: „Das ist doch das Lied, in dem es beißt:
Unser Schuldbuch sei vernichtet!" Diese Anekdote ist
charakteristisch, da sie einen Punct bezeichnet, auf den die
Bestrebungen des Junkerthums immer gerichtet sind:
Schuldenentlastung! DicJunker empfinden es als schänd-
liche Ungerechtigkeit, daß so manche Industrielle und
Kaufleute in Schlössern wohnen, während sie selbst bei
den Versuchen, den modernen Lurus nachzuahmen, immer
tiefer in die Verschuldung hineinaerathen. Deßhalb
wünscht nian das Glück im Wege der Gesetzgebung zu
cvrrigiren — durch eine bimetallistische Geldverschlechterung,
durch Anspannung des Staatskredits oder sonstwie.
Tief verschuldete Adelige haben von jeher zu den ge-
fährlichsten Elementen im Staatsleben gehört. Die Ver-
nichtung der Schuldbücher war ein Hauptmotiv der ka-
tilinarischen Verschwörung im alten Rom, und cs hat bei
anderen aristokratischen Verschwörungen fast regelmäßig eine
gewisse Rolle gespielt. Heutigen Tags verschwört man
sich nicht mehr im alten Stil, man schließt Kartelle zum
Zwecke gesetzgeberischer Ausbeutung des Volkes.
Glücklicher Weise wälzt die sich ständig entwickelnde
Cultur dem politischen Vordringen des Junkerthums
immer neue Steine in den Weg. Eine gründliche poli-
tische Auseinandersetzung mit dieser Gesellschaft ist deßhalb
nur eine Frage der Zeit. Dieselbe wird verzögert, weil
das deutsche Bürgerthum politisch ebenso weich und feig,
wie das Junkerthum hart ist.

erlaubte, zusammen und suchten nun all' die lieben Stätten
in L. wieder auf, die uns während unserer Studierzeit
vor nun länger als dreizehn Jahren theuer gewesen waren.
Auch verschiedene alte Freunde in L. suchten wir auf, die
nicht wenig erstaunt waren, als ich ihnen den eleganten,
stattlichen Herrn vorstellte, den sie als armen Studenten
gekannt hatten und der nun kaiserlich russischer Geheimer
Hofrath Ercellenz von Hofmann hieß.
Und zum Ruhme meines Freundes muß ich es sagen,
er zeigte sich auch hier als ein vollendeter edler Mensch
und ich wurde jeden Tag stolzer auf ibn. Einfach und
bescheiden trat er auch gegen niedrig stehende ehemalige
Bekannte auf, er war vornehm und leutselig, herablassend
und erhaben und was ich am meisten an ihm bewunderte,
das waren seine eifrigen Wissenschaften und sein emsiges
Bemühen, für seinen hohen Beruf noch zu lernen, noch
Kenntnisse zu sammeln, so daß ich ihm eines Tages
erklärte:
„Lieber Freund! Ich glaube, Du arbeitest in L. ge-
rade so viel, wie in Petersburg, das wird zur Stärkung
Deiner Gesundheit gar nichts beitragen, sondern nur da-
zu dienen, daß Du vermöge Deiner ausgezeichneten Kennt-
nisse und Fähigkeiten noch russischer Minister wirst."
„Dazu kommt es nie, sagte mein Freund wehmüthig
lächelnd. „Meine Stellung im russischen Ministerium
hat auch Dornen, man sieht in mir immer nur den Aus
länder, der vor den eingeborenen Russen bevorzugt wurde
und wenn ich an unserem erlauchten Kaiser und der
gnädigen Kaiserin für meine Bestrebungen keine solche
mächtigen Stützen hätte, stände ich nicht dort, wo ich stehe,
sondern wäre einfacher Lyceumslehrer. Minister werde ich

Deutsches Reich.
Berlin, 16. Mai. Aus der gestrigen Magistrats-
sitzung theilt die „Nordd. Allg. Ztg." folgendes mit:
Der Rector Ahlwardt ist noch nicht aus seinem Amte
als städtischer Schulrector definitiv entlassen und erhält
demgemäß noch aus städtischen Mitteln die Hälfte seines
Gehalts ausgezahlt, obwohl ihn die staatliche Disciplinar-
behörde bereits seit dem 1. Januar 1891 im Disciplinar-
wege von seinem Amte suspendirt hat und obwohl er in-
zwischen wiederholt gerichtlich vcrurtheilt worden ist. Diese
Verzögerung des DiSciplinarverfahrens hatte, abgesehen
von dem Umfange des gegen Ahlwardt vorliegenden Be-
lastungsmaterials, anfänglich ihren Grund darin, daß die
DiSciplinarbehörde zunächst den Ausgang des gegen
Ahlwardt eingeleitcten Strafverfahrens abwarten wollte;
sodann ist der Abschluß des Disciplinarvcrfahrens dadurch
gehindert worden, daß Ahlwardt in den Reichstag gewählt
wurde und damit, da die Immunität der Reichstagsmit-
glieder dieselbe auch gegen Disciplinarverfahren schützt,
der Fortgang der Untersuchung unterbrochen. Nachdem
dieses Hinderniß durch die Auflösung des Reichstags
fortgefallen, dürfte die DiSciplinarbehörde in Kürze ihre
Entscheidung treffen.
Berlin, 16. Mai. Die „Bäcker-Ztg." bringt einen
Aufruf des Centralausschusses der vereinigten Jn-
nungs verbände Deutschlands an die Hand-
werksmeister Deutschlands, in welchem zur Schaffung
einer deutschen Mittelstandspartei aufgefordert
wiro. Ihr Zweck soll sein: die Wahrnehmung der In-
teressen des gewerblichen Mittelstandes bei Reichstags- und
Landtagswahlcn und die Vertretung des Mittelstandes
gegenüber gesetzgeberischen Maßnahmen und Jedermann
gegenüber in der Oeffentlichkeit. Die Forderungen der
Partei sind die bekannten der Zünftler: Fürsorge des
Staates für das Handwerk, Befähigungsnachweis, Stär-
kung des Jnnungswesens, Handwerkerkammern, Be-
schränkung des Rechts zur Ausbildung der Lehrlinge auf
fachmännische Meister, Beschränkung der Gcfängniß-
arbeit, Aufhebung der Militärwerkstätten, Regelung des
Submissionswesens, Beseitigung des Bauschwindels, Auf-
hebung des Hausirhandels, Verbot der offenen Verkaufs-
geschäfte für Consumvereine, Waarcnhäuser von Ofsicieren
und Beamten, Einschränkung des Bazar- und Schwindel-
Auctionswesens, der Waarenabzahlungsgeschäfte u. s. w.
Natürlich treten die Berliner Zünftler auch für die Militär-
vorlage ein, damit das Programm der Handwerkerbe-
glückung komplett ist.

aber nie, das gibt die nationalrussische Partei, mit der
auch der Kaiser rechnen muß, niemals zu. Doch darein
füge ich mich, in fünf oder sechs Jahren ist auch meine
Mission in Rußland beendigt, dann haben meine Re-
formen soviel Boden für das russische Schulwesen gefaßt,
daß sic allein weiter bestehen können. So lange will ich
auch noch die Dornen meiner Stellung tragen, dann aber
gehe ich in Pension und dann kann ein Russe mein
Nachfolger werden und kann meine Lorbeeren pflücken.
Doch genug hiervon", sagte mein Freund, sich energisch
von diesem Thema abwendend, „Du sprachst von meiner
Gesundheit, lieber Ernst. An diese will ich auch jetzt denken,
ich war auch schon bei den beiden hiesigen renommirtesten
Aerzten, beide rathen mir zunächst den Gebrauch eines
Soolbadcs an und darauf noch ein anderes Bad gegen
etwaige rheumatische Affektionen. Ich gehe drei Wochen
nach Kissingen und drei Wochen nach Teplitz und werde
wahrscheinlich meinen Urlaub auf 14 Tage verlängern
lassen müssen, denn ich will nim auch meine Eltern und
Geschwister, die mich lange, lange Jahre nicht sahen, auf
eine Woche besuchen. Ich reise schon morgen, lieber Ernst,
es ist jetzt kein Tag mehr zu verlieren, so gern ich auch
noch länger in L. verweilte. Ich denke, wir sehen uns
in Teplitz auf einige Tage wieder, ich werde Dir in
einigen Wochen Näheres darüber schreiben."
Ich konnte natürlich an diesen nothwendig gewordenen
Entschlüssen meines Freundes nichts ändern und versprach
nach Teplitz nicht nur auf einige Tage, sondern auf
einige Wochen zu kommen, denn ich konnte die berübmten
Teplitzer Heilquellen, die bei Gicht und Rheumatismus
und ähnlichen Beschwerden wahre Wunder wirken, auch
 
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