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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 51 - No. 60 (1. März - 11. März)
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Mrger

Verkündignngsblatt und Anzeiger

Die,^Vürgerz»itunA"
erscheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummer liegt em Unter-
haltungsblatt, „Ter Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei.

Abonnemeltlspreis
für Heidelberg: monatl. 4V Pfg. mit
Trägerlohn, durch die Post bezogen
viertcljährl. Mk. 1.— ohne Zustellgeb.
Znsertionspreis: 10 Pf. für die l-spalt.
Pctitzeile od. deren Raum. Für locale
Geschäfts- u. Privatanzeigen 5 Pf.

57.

Expedition:
Hauptstraße 23.

Heidelberg, Mittwoch, 8. März

Expedition:
Hauptstraße 25.

18S3.


Der Abonnementspreis
für die
„Würger-Zeitung"
beträgt für Heidelberg und nächste Umgebung
Monatlich nur 40 Psg.
Nist Trägerlohn.
Für auswärts vom 1. April ab vierteljährlich
am Postschalter abgeholt:
Wk- 1 Mark "Mi
durch den Briefträger frei in s Haus gebracht:
1 Mk. 4V Pfg.
Bestellungen der „Bürger-Zeitung" werden für
auswärts durch die Post innerhalb der Stadt und nächster
durch unsere Träger entgegengenommen.
Verlag der „Bürger-Zeitung".

Die Erhebung Jules Ferry's
zur zweiten Stelle in der französischen Republik mit
der gleichzeitigen Anwartschaft auf den Prästdentensttz ist
ein so wichtiges internationales Ereigniß, daß eS un-
möglich ohne tiefen Eindruck sein kann. Freilich ist in der
klitschen Presse davon wenig zu bemerken gewesen. Die
Meisten Blätter haben sich mit kurzen Hinweisen auf
diesen Vorgang und mit der Wiedergabe Pariser Preß-
Meinungen darüber begnügt. Insbesondere wird man in
denjenigen Blättern, die Beziehungen zu unserem Aus-
wärtigen Amt haben, vergebens nach einer eingehenden
Würdigung dieses bedeutsamen Ereignisses gesucht haben.
Mese Zurückhaltung ist sehr erklärlich, wenn man sich
Ms Gedächtniß zurückruft, unter welchen Umständen Jules
Mrry im Jahre 1885 gestürzt worden ist. Den Vorwand
^b allerdings der unglückliche Verlauf des Tongking-Unter-
^hmens, aber die überwiegende Mehrzahl seiner Gegner
batte er sich durch sein Bestreben zugezogen, mit Deutsch-
!^Nd engere Fühlung zu gewinnen. Er wurde von dieser
^eite nur noch „1s krussien", „vencku ü Lisinurosi"
AMannt und allmälig galt er ziemlich allgemein als ein
"erräther und Abtrünniger. Muß diese Erfahrung die


Schickscli'swege.
Novelle
von C. Fontane.
Nachdruck verboten.

(Fortsetzung.)
Der Postwagen hatte die letzte Anhöhe vor der Stadt
Aeicht. Rasch ging cs bergab und bald rasselten die
jjsader auf dem Steinpflaster der ersten Straße. Der
F°stillon blies das Ankunfts-Signal, hier und da -zeigte
ein Gesicht hinter den gefrorenen Fensterscheiben der
Trigen Häuser, einzelne Vorübergehende warfen wohl
!Mch einen neugierigen Blick in den Wagen. — Jetzt
derselbe vor dem Postgebäude. Ein Mann, wel-
die Dienstmütze als Postboten kennzeichnete, öffnete
M Schlag.
r »Bitte, bleiben Sie ruhig sitzen, gnädiges Fräulein,"
Me der junge Arzt," ich werde gleich ermitteln, wo Ihr
Vater wohnt."
, Er stieg aus und wandte sich an den Beamten, welcher
die Hintere Verschlußthüre des Wagens öffnete, uni
Gepäck heraus zu nehmen:
»Können Sie mir vielleicht sagen, wo Herr von
Mndau wobnt?"
»Der pcnsionirtc Major? Ja freilich. Dort am
. Mrktplatz, gegenüber der Kirche. Sie können das Haus
hier aus sehen."
^Die junge Dame, welche sich noch im Wagen be-
ddet, ist oje Tochter des Herrn von Brandau. Sie
E das Unglück gehabt, sich beim Einsteigen in den

Berliner Regierung veranlassen, Jules Ferry gegenüber
die äußerste Zurückhaltung zu beobachten, so har sie auch
den französischen Staatsmann sicherlich zu größter Vor-
sicht in seinem künftigen Verhalten zu Deutschland be-
wogen. Es ist anzunehmen, daß Ferry seine Ansicht von
der Nothwendigkeit guter Beziehungen zum deutschen
Nachbarreiche in der Zwischenzeit nicht geändert hat. Aber
er wird voraussichtlich in der Bcthätigung dieser Meinung
überaus vorsichtig sein. Wie er bereits vor einiger
Zeit dem großen Nationalgötzen „Chauvinismus" be-
reitwillig geopfert hat, so wird er fortan bei jeder be-
deutenderen Frage bemüht bleiben, den Schein zu ver-
meiden, daß er nicht nur für seine Person den Verlust
Elsaß-Lothringes verschmerzt habe, sondern auch der Re-
publik dieselbe Selbstverleugnung zumuthen wolle. Denn
Ferry ist trotz seiner hohen Charaktereigenschaften eitel und
ehrgeizig, sein Streben geht sicher dahin, nach Carnot Prä-
sident der französischen Republik zu werden und er weiß
genau, daß ihm dabei nichts hinderlicher sein kann als
die „Legende" seiner Deutschfreundlichkeit. Er wird daher
alles vermeiden, was ihn in den Augen der Menge als
einen Freund der Deutschen erscheinen lassen könnte.
Diesseits hat man gar keine Veranlassung, den Versuch
Ferrys, wiederum zur politischen Macht zu gelangen,
irgendwie zu stören. Aber man ist hier von besonderen
Erwartungen bezüglich der künftigen Politik Ferrys frei.
Erinnert man sich doch, daß dieser Staatsmann im Juli
1885 in der Deputirtenkammer „mit aller Kraft seines
Patriotismus" die Unterstellung zurückgewiesen hat, daß
irgendwo in der Welt „Kompensationen" gefunden werden
könnten für die Niederlagen, welche die Franzosen erlitten
haben. Vielleicht gereicht diese Erinnerung auch der
„Nowoje Wremja" zum Trost, die bereits durch das Ge-
spenst einer „franco-germanischen Verständigung" in-
folge der Wahl Ferrys zum Senatspräsidcnten schwer
beunruhigt ist.
Deutsches Reich.
Berlin, 6. März. General der Kavallerie Freiherr
v. Los ist mit den Herren seiner Begleitung aus Rom
hierher zurückgekehrt und bereits vom Kaiser empfangen
worden. Er ist in Rom Gegenstand ganz besonderer
Aufmerksamkeit in allen vatikanischen Kreisen gewesen.
Der Papst, der ihn in längerer Privataudienz empfangen
hat, sprach ihm seine große Befriedigung und seinen
warmen Dank für die Aufmerksamkeit, die Glückwünsche
und das Geschenk des Kaisers aus und übergab ihm
einen eigenhändigen Privatbrief zur Uebergabe an Kaiser

Postwagen den Fuß zu verstauchen und wird kaum bis
dorthin geben können".
„Da läßt sich leicht helfen," fiel der Beamte dienst-
fertig ein. „Die Posthalterei liegt in der Marktstraße.
Sobald ich die Postsachen herausgenommen habe, fährt
der Wagen dorthin und braucht nur vor der Wohnung
des Herrn Majors zu ballen. Ich werde es dem Po-
stillon sagen. Das Gepäck bringe ich nach."
Der junge Mann dankte und trat an den Wagen-
schlag. Frida Halle indessen den aufgetrennten Schuh
wieder angelegt.
„Der Wagen wird Sie bis an das Haus Ihres
Herrn Vaters bringen, Fräulein von Brandau. Es
würde wohl das Beste sein, wenn ich vorausginge und
Ihre Ankunft meldete."
„Allerdings, aber es ist mir in der That peinlich,
Ihnen so viel Mühe zu machen. Die Ihrigen werden
Sie gewiß mit Sehnsucht erwarten."
„Keineswegs, auch ich komme unerwartet."
Er schloß rasch den Schlag und ging eiligen Schrittes
dem Marktplatz zu. Sie folgte ihm mit den Augen, bis
er in das ihm bezeichnete Haus eintrat.
Ein großer, stattlicher Mann von militärischem
Aeußern öffnete ihm auf sein Klopfen die Thüre und
ließ ihn eintreten.
„Habe ich die Ehre, den Herrn Major von Brandau
zu sprechen?"
„Der bin ich," antworte der Angeredete.
„Mein Name ist Kranz, Doktor der Medizin."
Der Major verbeugte sich und sah ihn erwartungs-
voll an.

Wilhelm. Cardinal-Staatssekretär Ram Polla suchte
den General persönlich in seiner Wobnung auf, um ihm
dort die Dekoration des ihm vom Papst verliehenen
Christus-Ordens zu überbringen. Der General beabsichtigt,
sich schon in den nächsten Tagen nach Coblenz zu-
rück zu begebeu.
LiegniH, 6. März. Reichstags-Stichwahl.
Bis jetzt wurden gezählt für den freisinnigen Kandidaten
Jungfer 12001, für den Antisemiten Hertwig 7449
Stimmen. — Bei der heutigen Landtagsersatz-
wahl wurde Jungfer gewählt mit 267 Stimmen
gegen den konservativen Dr. Schilling, welcher 227
erhielt.
Oesterreich-Ungarn.
Wien, 6. März Aus bester Quelle verlautet, daß
heute den Parlamenten keine Mehrvorlage zukommen
werde. Falls die deutsche Militärvorlage zur Annahme
gelangte, würden die Konsequenzen für Oesterreich im
Dclegationsbudget zum Ausdruck kommen.
Frankreich.
Paris, 6. März. Die vom „Matin" aus Wien
gemeldete Nachricht, es seien dort auf die Panama-Affaire
bezügliche Papiere beschlagnahmt worden, die wahrschein-
lich Arton gehören, wird von einer der Regierung nahe-
stehender Seite bestätigt. Man behauptet unter Reserve,
daß die Papiere Enthüllungen, betreffend Deputirte der
Rechten enthalten.
Italien.
Rom, 6. März. Der „Ag. Stefani" zufolge wird
das deutsche Kaiserpaar an den Festlickkciten anläßlich
der Silberhochzeit des Königs und der Königin theil-
nehnien.
England.
London, L. März. Nach einer Meldung des
Reuterschen Bureau aus Sansibar erfolgte der Tod
des Sultans gestern Abend um 8 Uhr, infolge von
Wassersucht. 250 Mann englische Marine-Infanterie
wurden sofort ausgeschifft und vor dem Palais des Kha-
lisen aufgestellt. Der Sohn des verstorbenen Sultans
Bargesch ben Said drang durch eine Hmtertbür in das
Palais und versuchte sämmtliche Thüren zu sperren, öffnete,
dieselben jedoch wieder infolge der Aufforderung des eng-
lischen Consuls. Englische Marine bewachte fortwährend
das Palais. Das entschiedene Auftreten der englischen
Behörden macht augenscheinlich einen tiefen Eindruck auf
die Eingeborenen.

„Ich habe soeben die Ehre gehabt, mit Fräulein von
Brandau gemeinschaftlich die Reise von Station Frieden-
thal hierher zu machen."
„Mit meiner Tochter?!"
Der Major sah sehr erstaunt aus und blickte den
jungen Mann zweifelnd au.
Mit hastigen Worten, denn er hörte bereits das
Rollen des Wagens, berichtete derselbe das Nötbige. Er
war kaum mit seiner Erzählung zu Ende, als der Wagen
vor der Thür hielt.
Der Major eilte, gefolgt von dem jungen Manne
hastig hinaus. Friedrich sah noch eben, wie er den
Schlag öffnete, und die Arme des jungen Mädchens den
Vater umschlangen, dann trat er binter den Wagen und
entfernte sich rasch.
„Du böses Kind," sagte der Major, indem er die
Tochter sorglich aus dem Wagen hob, „was hast Du mir
für einen Schreck gemacht!"
„Schilt nicht, Väterchen," entgegnete sie schmeichelnd,
„sondern gib mir lieber Deinen Arm, damit wir in das
Haus kommen. Mein Fuß schmerzt mich so sehr. —
Ich will es gewiß nicht wieder unternehmen, Dich zu
überraschen."
Jetzt kam auch die bejahrte Haushälterin herbei und
begrüßte die junge Herrin. Der Major wies sie an, dem
Postillon ein Trinkgeld einzuhändigen, umfaßte dann
die Tochter mit einem Arme und geleitete sie fürsorglich
in das Haus und in's Zimmer.
Erst als Frida auf dem Sopha saß und die Haus-
hälterin ihr beim Ablegen behilflich war, dachte der Major
an den jungen Arzt.
 
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