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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 51 - No. 60 (1. März - 11. März)
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Die »Mürgerzeltung"
erscheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummer liegt ein Unter-
haltungsblatt, „Der Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei

Berkünvigungsblatt und Anzeiger
für Stadt und Land.

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55.

Expedition:
Hauptstraße 25.

Heidelberg, Sonntag, 5. März

Expedition:
Hauptstraße25.

18S3.

NE" Zweites Blatt. "MI
Eine interessante HexengesWte.
Ein Straßburger schreibt:
Wir Hellen Köpfe sind vom Aberglauben frei, nicht wahr?
Uno cs ist nur ein vereinzelter Rückfall ins graue Heiden-
tbum, wenn unsere Bäckerin drüben in Hagenau auf
offener Straße wieder umkehrt, weil ihr eine schwarze Katze
über den Weg lief; oder wenn mein Nachbar, der Schuh-
macher, Stein und Bein zasammenschwört, daß sich ihm
der Geist seines Sohnes, der in Tonking ums Leben
kam, dadurch „erzeigte", daß er mitten in der Nacht die
Wanduhr vom Nagel riß. Nun, es giebt aber dahinten
in den Vogesen Ortschaften, wo manche Leute noch von
einem geradezu köstlichen Aberglauben sind. Ich kenne
Gebirgswälder, da wächst ganz sicher das Jrrkraut. Wer
darauf tritt, der kann ganze Tage hindurch nach einem
Ausweg aus dem Walde suchen, er findet ihn nicht.
Wie genarrt von einem Kobold, rein wie verhext, sucht
er zwischen Bäumen und Buschwerk herum und kommt
erst gegen Abend just an dem Ende wieder heraus, das
seinem beabsichtigten Ziele gerade gegenüberliegt. Und
das passirt nicht nur ortsunkundigen Touristen, das
passirt den ältesten Förstern und Waldhütern, die doch
den Wald auswendig kennen, wie's liebe Vaterunser.
Von dem boshaften Dorfkalb, .das manchmal in dunklen
Mitternächten quer über der Straße liegt und verspätete
Wanderer zu Falle bringt, will man lieber nicht reden.
Das Vieh könnte sich rächen. Auch nicht von den
weißen Frauen, den dreibeinigen Hasen, den Feuer-
männchen, dem Bleigießen der Ncujahrsnacht und dem
verhexten Schuhmächerle, das ganz sicher drüben unter
der Waldweiler Brücke alle Freitag Nacht niest und darauf
wartet, daß endlich einmal ein Vorübergehender „Helf'
dir Gott, Schuhmächerle", ruft, worauf er erlöst wäre.
Aber der Danjerry mit seiner Hexengeschichte muß dran,
und wenn er einen Purzelbaum schlägt!
Unsere Frau Pfarrer zu Hause ist nämlich eine kreuz-
brave Frau. Sie ist eines Handwerkers Tochter und
weiß, wie die Armuth schmeckt; sie ist auch seit der Ge-
burt ihres Söhnchens kränklich und weiß daher auch,
wie Krankbeit und Sorge thut. Und das wissen alle
armen und Kranken Leute der ganzen Gegend, daß sie
diese trüben Erfahrungen nicht umsonst gesammelt hat.
Von einem so sanften, liebevollen Wesen ist diese Frau,
daß sie von allen Unglücklichen, und den Glücklichen dazu,
geradezu vergöttert wird. „Unser' Pfarrfrau?" hieß es
noch bei jeder meiner Erkundigungen, — so e Frau
gibt's nur einmol uf der Welt!" Ein bischen Ab-
sichtlichkeit freilich liegt dahinter, wenn die Bauern grade
die Frau ihres Pfarrers loben: gleich dabinter kam
nämlich meistens der bedenkliche, unter Obrenkrauen vor-
gebrachte Zusatz: „Aber der Herr Pfarrer — ullex, er
isch e bissel zu streng, ze bart, er sich nit gemein." Der
Herr Pfarrer ist nämlich ein etwas förmlicher Herr. Im
übrigen aber ein treuer Seelsorger, der sein heiliges Amt
sehr würdevoll auffaßr. Grade deßhalb sind wir aber
auch vor allerlei Zänkereien und häßlichen Dorfgeschichren
Gott sei Dank bewahrt: dazu ist unser Herr Pfarrer zu
ernst und unsere Frau Pfarrer zu beliebt.
Item, es wäre also auch den: Danjerry besser ge-
wesen, wenn er sich um leiblichen und geistlichen Rath
an das Pfarrhaus gewandt hätte, als ihm eines Tages
seine Kuh erkrankte und zu gleicher Zeit sein Leuchen am
Fieber ini Bette lag. Der Danjerry wobnte nicht weit
vom Pfarrhause und die Frau Pfarrer hätte mit tausend
Freuden den kleinen Blondkopf gepflegt. Aber so warm
auch der Danjerry die Frau Pfarrer verehrte, hier war
es dem gebeugten und durch das plötzliche Doppel-Unglück
ganz verwirrten Manne ausgemacht, daß weder der
Herr Doktor noch die Frau Pfarrer helfen konnten. Denn
auch ohne den Wink des Hirteupeters, der ihn ani Vor-
mittag besucht hatte, hätte sein schwacher Verstand die
klare Thatsache eingesehen: daß sein Haus verhext
war. Und als einen Tag nach der Erkrankung der
ersten auch die zweite Kuh keine Milch mehr gab und
den Kopf hängen ließ, da wußte unser Mann, was er
zu thun hatte. Am Dorfrand draußen hauste der Hir-
tenpeter, der Hirtenpeter mußte her. Der Hirtenpeter
hatte im Frühjahr vor drei Jahren die verhexte Kuh eines
Waldweiler Bauern geheilt und vor „c Stricker" 6—7
Jahren das kranke Pferd des Buddclstetter Müllers.

In Waldweiler — der Hirtenpeter hatte es ihm erst
gestern früh erzählt — hatte der geschickte „Kaib" die
Here in eine Katze gebannt, die fing der Bauer und ver-
grub sie unter der Stallthüre— und nach zwei Tagen
war die Kuh gesund. Warum sollte das nicht auch beim
Danjerry gelingen? Den Thaler und den Schinken, den
das kostete, brachte man schon auf. Und — endlich, der
Hirtenpeter mußte her, da half jetzt alles nichts!
Man sollte es nicht für möglich halten, aber es ist
wirklich und wahrhaftig geschehen. Am Sonntag Nach-
mittag, als sein Kind drin im Fieber lag und seiner
Schwester vor Durst den Wasserkrug aus der Hand riß,
saß der unglückliche Danjerry von Rummelsbach mit
dem Hirtenpeter im Stalle und „hexte". Der Hirten-
pcter hatte ein zerrissines Buch, vcrmuthich das siebente
Buch Mosis, kniete mit gefalteten Händen davor und las
mit eintöniger Stimme unverstandene Worte herunter.
Stallthüre und Stallfenster waren fest geschlossen, eine
Laterne brannte auf dem Schemel. Als der Krumme
fertig war, zündete er ein dürres Büschel, ich weiß nicht
welchen Waldkrautes an, ging dreimal mit dem glimmen-
den Räucherwerk um die Kübe herum — wobei der
Danjerrv eine Heidenangst ausstand, daß er ihm am
Ende noch durch einen unvorsichtigen Funken den Stall
in Brand setze — und betete seine Sprüchlein herunter.
Dann war die Sache vorläufig fertig. Das Tuch wurde
vom Fenster genommen, die Thiere wieder angebunden,
und die beiden verließen den Stall, um sich Hand in
Hand vor die geschlossene Stallthüre zu stellen. Dabei
sahen sie mit großer Spannung nach dem Hofthor: die
erste Person, die jetzt hereinkam — und wenn sie bis
morgen früh warten mußten, war die Hexe.
Nun, sie warteten etwa zwei Stunden voller Gläubig-
keit und Hoffnung, Hand in Hand vor Danjerrys Stall-
thüre. Nach der ersten halben Stunde fing ein Platz-
regen an und hatte in zehn Minuten alle Beide bis auf
die Haut durchnäßt. Danjerry wollte ins Haus flüchten,
die Sonntagskleider gingen ja eaput! aber — „nichts
da!" verbot der zähere Hinspeter, „hier auf der Stall-
schwelle bleibst Du!" "Nach einer Stunde verzog stich
der Regen, und die liebe Sonne fing an, die zwei
Herenfänger zu trocknen. Danjerrys Gesicht wurde von
Viertelstunde zu Viertelstunde einfältiger, seine Knjee
drohten ihm vor Müdigkeit uno den überstandenen Auf-
regungen zu brechen, und er lehnte recht matt an seiner
Stallthüre. Der Hirtenpeter aber, ohne die Hand Dan-
jerrys fahren zu lassen, holte mit der Rechten die ge-
stopfte Pfeife hervor, steckte sie, immer mit der Rechten,
in Brand und fing gemüthlich an zu rauchen. Als es
auf der Thurmuhr, hell in den goldigen Ab:nd hinaus
sechs schlug, begann allmählich in Danjerrrys Busen eine
Wuth gegen seinen Peiniger, den Hirtenpeter, aufzu-
steigen, die sich mit jeder neuen Viertelstunde steigerte.
Und als um halb sieben der Sonnenschein einem neuen
Regengüsse Platz machte, kannte seine Wuth keine Grenzen
mehr- Ich bin fest überzeugt, hätte sich nicht gegen
sieben, Gott sei Lob und Dank! das Hofthor geöffnet,
die Hexenbannung von Rummelsbach hätte mit einer
gewaltigen Prügelei der beiden Hauptbetheiligten geendet,
eben vor jener Stallthüre, vor der sie die Hexe erwarteten.
Aber, wie gesagt, das Hofthor knarrte, und die Zwei
waren erlöst. Wie von der Tarantel gestochen, fuhren
sie aus. „Ha, jetzt komm nur, Du verfluchte Hexe!"
knurrte der wüthcnde Danjerry mit geballten Fäusten.
Wer weiß, was geschehen wäre, wcnn's Nachbars Groß-
mutter oder sonst so ein altes Weiblein gewesen wäre!
Danjerry hätte sie, wie er nachher selbst versicherte, in
seiner Wuth „schnurrstracks todtgeschlagen." Aber das
macht der liebe Gott manchmal so wunderfein, daß es
ein Pariser Romanschriftsteller nicht besser auStifteln
könnte, und die sind doch spitzfindig genug. Und so
schickte er denn auch diesen zwei Narren eine Person
her, die von dem Verdacht der Hexenschaft ungefähr so
weit entfernt war, wie der Engel Gabriel vom schlimmen
Beelzebub. Der Hirtenpeter ließ vor Verblüffung die
Pfeife fallen, und der Danjerrv machte das einfältigste
Gesicht, das er jemals in seinem Leben gemacht bat.
Und das will viel heißen. Die eintretende Hexe war nämlich
niemand anders als — die allgemein beliebte Frau Pfarrer.
Sie zwängte den Schirm herein, ging ruhig auf das
Haus zu und wollte eben eintreten, als sie die zwei Hexen-
banner vor ihrer Stallthüre bemerkte. „Guten Tag", sagte
sie verwundert, „was macht dennJhr dort in allem Regen ?"

„Guten Tag, Frau Pfarrer," sagte der Jerry und
guckte den Hirtenpeter an. „Guten Tag, Frau Pfarrer,"
sagte der Hirtenpeter und guckte den Jerry an.
„Die Nachbarin sagt mir," fuhr die Frau Pfarrer fort,
„daß euer Lenchen so krank sei. Warum sagtet Ihr mir
denn nichts, Jerry ? Habt Ihr denn den Doctor schon
gerufen? Wo liegt sie denn, ich habe ihr da einige
Sachen mitgebracht."
Allmählig kam Leben in den Danjerrv, er führte die
Frau Pfarrer hinein, und der Hirtenpeter hinkt, davon.
Drinnen nahm die gute Dame die Pflege in die Hand:
schickte, als sie die schwere Krankheit erkannte, nach
Bnddelstett zum Arzt, erquickte den kleinen Engel mit
ihren mitgebrachten Erfrischungen und legte ein Fünf-
markftük auf den Tisch für die etwa nöthige Arznei. Dem
Danjerry standen die Thränen in den Augen. Er stand
neben dem Bett seines phantasirenden Kindes und sagte
nur immer: „Ach, Frau Pfarrer, ach, Frau Pfarrer."
Denn das Vernehmen und die Stimme dieser Frau
waren so einfach, so klar, so taghell, daß dem guten Mann
war, als erwache er aus einem wüsten Traum. Da lag
sein krankes Lenchen, da war die hilfsbereite Frau
Pfarrer, da war das stille Abendroth, das unter der
letzten Wolkenschicht heraus in seine Bauernstube schien
— alles so hell, so von Hexen und bösem Schmuck ent-
fernt, daß er tief aufatbmete. Und so gottverlassen er sich
vorgekommen war in seinem Unglück, so wohlig ward es
ihm jetzt zu Muthe, als er die sorgliche Frau Pfarrer
„wie zu Hause" in seiner Stube herumhantiren
sah. Nur — Sakerment, auf den Hirtenpeter, den
lahmen Spitzbuben", der ihm jetzt mit seinem lichtscheuen
Hokuspokus wie der leidige Gottseibeiuns vorkam, auf den
Hirtenpeter wurde er von derStunde ab „verdammt giftig"!
Als die Frau Pfarrer von den kranken Kühen hörte,
redete sie ihm zu, einen erfahrenen Mann zu Rathe zu
ziehen, womöglich den Thierarzt. Das Geld dazu würde
sich schon finden. Und Danjerry that's. Der Thierarzt,
ein recht nüchterner Mann, besah sich die verhexten Kühe,
erkannte die Krankheit, verordnete ein sehr einfaches
Recept — und Tags darauf waren die Kühe gesund.
Mit dem Lenchen drinnen dauerte es etwas länger. Aber
auch dieses muntere Blondköpfchen war bald wieder rosig
wie zuvor. "Nun wäre ja die Sache soweit gut gewesen. Dan-
jerrv stand wieder „als Mann da", schimpfte bei jeder Ge-
legenheit auf Hexenglauben und derlei schändliches Heiden-
thum und schwärmte geradezu für unsere Frau Pfarrer.
Aber die Geschichte hatte noch einen unangenehmen Haken:
der Hirtenpeter wollte seinen Thaler. „Millionendonner
— was, Du Galgenstrick? Einen Thaler willst Du noch
für Dein gottloses Lügendings?! Daß Dich der und
jener —!" Aber das Schimpfen half dem Danjerry
nichts. Der lahme Schäfer gab ihm unter vielem
Räuspern, dm, zu verstehen, daß, hm, die Frau Pfarrer,
hm, denn doch die Hexe gewesen sei. Das lasse er sich
nicht nehmen, und wenn's Heugabeln regne. Just von
der Stunde an, wo sie in den Hof trat, sei's besser ge-
worden mit Danjerry, im Haus und im Stall. Oder-
nicht? Das andere, daß da noch der Thierarzt und der
Doeior gekommen, pah, und da so ein paar Trünkchen
verordnet, sei ja zum Lachen; das Lenchen und die Kühe
wären sowieso gesund geworden. Denn jene Beschwörung
vom Sonntag Nachmittag hätte die Hexe unschädlich ge-
macht. Und sntin — das war immer wieder sein
Trumpf — justement von dem Augenblick an, wo die
Frau Pfarrer hereintrat, sei's besser geworden. Er habe
seinen Thaler zu bekommen. Punktum!
Der Danjerry stand da und starrte den Mann
sprachlos an. Dieser Krüppel, dieser Bettelkerl, dieser
Heide vom Dorfrand da draußen, der das ganze Jahr
keine Kirche von innen sah — der wagte es, von tnr
Frau Pfarrer einen solchen Verdacht zu hegen?! Aber
er war zu dumm, zu widerlegen, unser Danjerry. Und
in seiner Wuth ans den Hexenpeter wäre ihm das doppelt
schlecht gelungen. Er schlug deshalb einen einfacheren,
aber durchaus praktischen Weg ein. Ohne ein Wort zu
erwidern, machte er die Stallthür fest zu — im Stall
spielte sich die Scene ab nahm den Treibstecken aus
der Ecke — Sackerment! her mit Dir, „Krummer!" —
na, und hat denn nun den unglücklichen Hexenbanner
dermaßen „bezahlt", daß die Kühe wild wurden.
Und damit war die Hexengeschichte von Rummelsbach
definitiv zu Ende.
 
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