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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 51 - No. 60 (1. März - 11. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43990#0233

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1893

Heidelberg, Dienstag, 7. Mär;

Expedition:
Hauptstraße 25

Expedition:
Hauptstraße 25.

die impulsive, schnell auffassende und die Gedanken ver-
arbeitende Natur des jungen Monarchen srei vom skep-
tischen Zweifel urtheilen und sprechen zu hören, diesmal
klingt die staatsmännische Bescheidung in die endlichen
Grenzen auch der höchsten irdischen Herrschermacht merk-
lich hervor: ein wesentlicher Unterschied gegenüber allen
bisherigen Manifestationen des deutschen Kaisers an dieser
Stelle. Gerade die Reden im brandenburgischen Pro-
vinziallandtag gipfelten in einem besondes markanten Aus-
druck einer starken Subjectivität und eines hochgemuthen
Herrschersinnes, der den Widerstand schnell und ohne
Schwierigkeiten zu beseitigen wähnt. Das Andenken an
die großen Erfolge der neuen deutschen Geschichte wurde
diesmal wieder gestreift, dann aber eine Berufung an das
Recht des Lebenden daran geknüpft, ein echt politischer
Gedanke. Denn Politik ist die Kunst, die am wenigsten
das Verweilen an großen Erinnerungen an die Trauer
vor lorbeerbekränzten Sarkophagen ohne Schaden verträgt.
Es ist auch zum ersten Male geschehen seit dem großen
Riß, daß ein Wort des Fürsten Bismarck zum Schluß-
stein einer politischen Kundgebung des Monarchen ge-
macht wird.

Deutsches Reich.
Berlin, 4. März. Die Militärcom Mission
setzt die Berathung des Bennigscnschen Antrages fort.
Abg. Lieber (Centr.) erklärt, es gehe auch ohne die
vierten Bataillone; das Centrum sei entschlossen, die
Militärvorlage ohne jedes Handelsgeschäft rein sachlich
zu behandeln. Abg. Hinze (freis.) erklärt, die vierten
Bataillone seien für die Mobilmachung unentbehrlich.
Reichskanzler Graf Caprivi erklärt, für die nächstens
Jahre seien 195 Mann die Maximalstärke des vierten
Bataillons, darüber hinaus könne sich die Regierung nicht
binden. Abg. Richter führt aus, wolle man die bis-
herige Präsenzstärke, müsse man die vierten Bataillone
ablehnen. Fortsetzung Dienstag. — Es verlautet, vor
der Abstimmung werde eine mcbrtägige Pause eintreten,
damit die Commissionsmitglieder sich mit den Fractionen
in Verbindung setzen können.
Liegnitz, 4. März. Bei der hies. Reichstags-
stichwahl wurden bis 8 Uhr abends für Stadtrath
Jungfer (freis.) 5099, für Rechtsanwalt Hertwig
(Antisemit) 3101 gezählt.
München, 4. März. Cardinal PrinzHohen-
lohe ist gestern hier eingetroffen. — Erzherzogin
Elisabeth reiste von hier weiter nach Madrid, um der
Königin von Spanien einen Besuch abzustatten.

Krankreicy.
Paris, 4. März. Flouquet erläßt eine Erklärung,
worin er sein Verhalten gegenüber der Panamagesellschaft
rechtfertigt. Die Erklärung stellt fest, daß das Eingreifen
Floqucts zu Gunsten von Herz im Juli 1888, lediglich
der Verbinderung des Ausbruches des Panamaskandals
herbeigeführt hätte. Die Republik sei ihm Dank hierfür
schuldig. Flouquet richtete gleichzeitig ein Schreiben an
den Schwurgerichtspräsidenten, ihn ersuchend, der Ver-
handlung des Panamaprozesses beizuwohnen, um die gegen
ihn gerichteten Beschuldigungen sofort zurückzuweisen.
Paris, 4. März. Der „Petit Provincial" in Mar-
seille fordert auf, Bittschriften an die Kammer zu
senden, um eine gesetzgebende Versammlung aus 300
Mitgliedern zu berufen, die weder der jetzigen, noch der
vorigen Kammer angehört haben dürfen.
Paris, 4. März. Es wird auch hier zur allgemeinen
Enttäuschung bestätigt, daß die russische Flotte in
diesem Jahre den Aonstadter Besuch in Frankreich nicht
erwidern wird'.

Italien.
Rom, 4. März. General v. Los hat in der ver-
gangenen Nacht die Rückreise angetreten.
England.
London, 4. März. Gladstone bat sich zur Er-
holungmitseinergcnesendenGemahlin nach Brighton begeben.
Rußland.
Petersburg, 4. März. Der „Regierungsbote" ver-
öffentlicht die Ernennung des Botschaftsraths in Berlin
Grafen Murawi ew zum Gesandten in Kopenhagen.
Petersburg, 4. März. Im Ministerium des Innern
wird ein Gesetzentwurf ausgearbeitet, wonach den Juden,
die in den Flecken und Städten eines 50 Werst breiten
westlichen Grenzgürtel wohnen, das Recht verliehen werden
soll, dort weiter zu wohnen, während das jetzt gütige
Gesetz den Juden verbietet, daselbst zu wohnen, falls sie
nicht bereits am 27. Oktober 1868 sich dort niederge-
lassen hätten.
Petcrburg, 4. März. Dem „Kronstadtskij Westnik"
zufolge begibt sich das russische Geschwader des
Atlantischen Oceans, bestellend aus den Kreuzern „Dimitri
Donskoi", „General-Admiral" und „Rynda", zu denen
nach Eröffnung der Schifffahrt noch einige Kriegsschiffe
aus Kronstadt stoßen werden, nach Nordamerika-
Zum Chef des Geschwaders ist Viceadmiral Kasna-
kow ernannt, der gegen den 22. März seine Flagge in
Algier auf dem „Dimitsi Donskoi" hissen wird.

Monatlich nur 40 Pfg.
"Nt Trägerlohn.
Für auswärts vom 1. April ab vierteljährlich
am Postschalter abgeholt:

Der Charakter der letzten Kaiserrede.
. Aus der Rede, die der Kaiser am 1. März von den
^geordneten des brandenburgischen Landtags gehalten hat,
'Men die politischen Wahrsager allerlei Runen und
Alchen heraus, um zu deuten und zu prophezeien. Man
A ja gewohnt, gerade aus den Kundgebungen vor diesem
Mist märkischer Notabcln den gegenwärtigen Kurs bc-
I»nders exakt abzulesen, und hat insofern eine gewisse Be-
endung dafür zur Hand, als noch immer große und
Mcnschwere Entscheidungen sich nach dieser Ansprache
A Herrschers entwickelt haben. Für diesmal wird es
Dermaßen schwer halten, den Schatten kommender Er-
Misse aus der Ansprache des Monarchen zu wittern,
M ks gicbt mehr Negatives in den Worten des Kaisers
bestimmte Hindcutungen auf positive Ziele des Tages.
Mber wird man kaum .verschiedener Ansicht sein können,
durch die Kundgebung des Herrschers etwas wie ein
.Mischer Zug weht, der sich recht deutlich in den Worten
lAprägt, „ich verhehle mir nicht, daß cs mir
M.Mals gelingen kann, alle Glieder
, ff.'Nes Volkes gleichmäßig glücklich und
Zufrieden zu machen." Man war sonst gewohnt,

Der Abonnementspreis
für die
„Würger - Zeitung"
betragt

durch -en Briefträger frei in s Kans gebracht:
1 Mk. 40 Pfg.
Bestellungen der „Bürger-Zeitung" werden für
Mwärts durch die Post innerhalb der Stadt durch unsere
Träger entgegengenommen.
Verlag der „Bürger-Zeitung".

Nachdruck verboten.

Er-

den

Schicksal'swege.
Novelle
von C. Fontane.

Erlauben Sie, daß ich ihn gegen die Einwirkung der
Kälte schütze."
Er nahm seinen Reise-Plaid und hüllte den verletzten
Fuß sorglich ein.
Das Eigenthümliche der Situation hatte ihr doch ihre
gewohnte vornehme Sicherheit geraubt.
„Haben Sie herzlichen Dank," sagte sie freundlich.
„Ich fühle mich sehr erleichtert."
Auch ihn hatte trotz seiner anscheinenden Ruhe die
nahe Berührung, in welche er mit dem schönen Mädchen
an seiner Seite gekommen war, in eine eigenthümliche
Befangenheit versetzt. Es war der erste Fall seiner ärzt-
lichen Praxis.
Eine Zeit lang herrschte Schweigen. Sie konnten
nicht mehr ferne von ihrem Reiseziele sein, als der junge
Arzt sich mit der Frage an seine Reisegefährtin wandte,
ob sie erwartet werde.
„Leider nicht," entgegnete sie, „und ich habe schon
ernstlich bedauert, meinen Vater nicht benachrichtigt zu
haben. Er wird von dieser Ueberraschung wenig erbaut sein."
Er sann einen Augenblick nach.
Es wird so schlimm nicht sein," sagte er beruhigend.
„Ich glaube sicher, daß Sie, wenn auch mit einigen
Schmerzen, austreten und auch ein Stückchen gehen
können. — Es wird eben darauf ankommen, wie weit
die Wohnung Ihres Herrn Vaters von der Post ent-
fernt ist."
„Das ist mir gänzlich unbekannt, „antwortete sie.
„Cs war meine Absicht, mich der Führung eines Post-
unterbeamten zu überlassen, von denen wohl jeder die
Wohnung meines Vaters kennen wird."

(Fortsetzung.)
hjE "Sie haben durch den Fall doch nicht Schaden ge-
mein Fräulein," fragte Friedrich Kranz besorgt,
^nd er seinen Platz einnahm.
--Nein, nein," entgegnete sie hastig abwehrend. „Ich
es ist nichts."
schwieg, aber er bemerkte wohl, daß sie unter der
Alling pes Schmerzes die Lippen zusammenpreßte.
> Postillon hatte den Bock bestiegen, der Wagen
stch wieder in Bewegung.
!lh."Sie hatten, wie ich bemerkte," begann das junge
Ä Ms" nach einer Weile, „die Güte, meine Rechnung
»z^ichtigm. — Erlauben Sie, daß ich meine Schuld
nahm den kleinen Geldbetrag, welchen er auf ihr
gkz Mgen genannt hatte, ohne weitere Bemerkung ent-
' N dann sagte er ernst:
»iMMf die Gefahr hin, Ihren Unwillen zu erregen,
tzx? 'ch doch wiederholen, daß Sie augenscheinlich heftige
leiden. Gestatten Sie mir hinzuzufügen,"
fort, während eine dunkle Röthe ihr Gesicht über-
i^'^icho aber schnell der bisherigen Blässe Mch, „daß
itz MMovirter Arzt bin. Vielleicht könnte ich doch etwas
Erleichterung tbun. — Wollen Sie mir nicht

Sie blickte ihn einen Moment an.
„Ja, ich vertraue Ihnen," sagte sie einfach. „Mein
rechter Fuß verursacht mir allerdings heftige Schmerzen,
die ich vergebens zu unterdrücken suche. Es wird doch
keine ernstliche Verletzung sein?" setzte sie ängstlich hin-
zu. „Was würde niein Vater sagen!"
„Darüber können wir gleich im Klaren sein,
lauben Sie, daß ich den Schaden untersuche."
Sie zögerte noch einen Moment, dann hob sie
schmerzenden Fuß und stellte ihn auf den Rücksitz.
Der junge Arzt bemerkte sofort, daß der mit starkem
Gummizug versehene Halbsticfel eine Pressung auf die
unzweifelhaft vorhandene Geschwulst ausüben mußte.
„Wollen Sie mir eine kleine Operation gestatten,
die ich zunächst für nöthjg halte?" fragte er. „Das
heißt nur an der Fußbekleidung," setzte er beruhigend
hinzu, sie den Fuß erschreckt zurückziehen wollte.
„Wenn es nöthig ist, gewiß!"
Er zog ein ärztliches Besteck aus der Seitentasche
seines Ueberrocks, entnahm demselben ein scharfes Messer-
chen und trennte leicht und geschickt eine Seitennaht
des Halbstiefels auf, dann legte er das Messer bei
Seite und zog den Stiefel leicht herunter- Erleichtert
athmcte sie auf.
Das Knöchelgelenk war geschwollen. Durch den feinen
Strumpf hindurch untersuchte der junge Arzt die ver-
letzte Stelle.
„Es liegt nur eine Verstauchung vor, welche durch
Ruhe und kühlende Umschläge zu beseitigen ist. Ich
würde Sic bitten, den verletzten Fuß auf dem Rücksitze
ruhen zu lassen, es wird zu Ihrer Erleicherung dienen.

LB IRR,
2/

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