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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 121 - No. 130 (24. Mai - 4. Juni)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43990#0533

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Verkündigungsblatt und Anzeiger

Die,^Nürgerr«ttuns"
erscheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummcr liegt ein Untcr-
haltungsblatt, „Der Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei.

Aöomtemetttspreis
für Heidelberg: monatl. 40 Pfg. mit
Trägerlohn, durch die Post bezogen
viertcljährl. Mk. 1.— ohne Zustellgeb.
Znsertionspreis: 10 Ps. für die 1-spalt.
Pctitzcile od. deren Raum. Für locale
Geschäfts- u. Privatanzeigen 5 Pf.

128.

Heidelberg, Donnerstag, 1. Juni

1893.

Expedition:
Hauptstratze25.

Expedition:
Hauptstraße 28.

WM" Des Fronleichnamsfestes wegen
erscheint morgen kein Blatt.
WesteLungen
auf die „Bürger-Zeitung" für den Monat
NE" Juni "MH
werden fortwährend von sämmtlichen Postanstalten, Brief-
trägern und unfern Agenturen zum Preise von 49 Pfg.
frei in s Haus, sowie von unfern Trägern u. Trägerinnen
hier und der nächsten Umgebung zum Preise von
nur 40 Pfg. monatlich
kntgegengenemmen.
Verlag der „Bürger-Zeitung".
Mhiwokte eines Soldaten.
In jüngster Zeit marschiren selbst in den kleinsten
Amtsverkündigern der bekannte „Feldzugssoldat" und der
„Landwehrmann" wieder auf, die in spaltenlangen Artikeln
zu Gunsten der Militärvorlage sprechen müssen. Diesen
Artikeln steht man nun das Reptilfabrikat schon von
Weitem an und jeder einigermaßen Einsichtsvolle wird
erkennen, daß hinter dem „Feldzugssoldaten" oder dem
„Landwehrmann" einfach die Stimmungsmacher für die
Militärvorlage stecken.
Wie anders und der Wahrheit entsprechend klingt
dagegen das, was ein wirklicher Soldat schreibt, der die
Leiden des Kascrnenlebens an seinem eigenen Leib durch-
gekostet hat.
Vor Allem wird eine Steuer, meint derselbe, welche
zwar nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, die aber, wenn sie
nicht geleistet würde, einen gedeihlichen Fortbestand unserer
Armee in Frage stellen könnte, zu wenig von den
Freunden der Militärvorlage in Betracht gezogen, nämlich
die Unterstützung der Soldaten in der Ka-
serne durch ihre Angehörigen. Diese Summen,
welche neben den gesetzmäßigen Steuern bezahlt werden
müssen, belaufen sich in die Millionen. Nachfolgendes
möge das deutlich machen.
Der deutsche Soldat erhält täglich neben seiner Löh-
nung in Naturalien Folgendes: Morgens, etwa zwischen
halb 6 bis 7 Uhr eine Portion Kaffee, welche ihrer
Quantität nach genügend ist, in ihrer Qualität aber ost
eher an Spülwasser erinnert. Mittags: Einen Teller
Suppe, eine Portion Fleisch von mäßiger Größe und
etwa einen Schöpflöffel voll Gemüse; Abends: Nichts;
— hiezu 500 Gramm schwarzen Brodes täglich zur Be-
friedigung seines knurrenden Magens.

Diese Verpflegung wird Jedermann bei den großen
körperlichen Anstrengungen, denen die Soldaten täglich
ausgesetzt sind, als vollständig ungenügend erachten. An-
gesichts dieser Thatsache spart nun mancher Bauer und
Handwerksmann sich und seiner Familie den letzten
Pfennig vom Munde weg, um seinen Sohn zu unter-
stützen. Aber es gibt auch Soldaten, welche thcils weil
sie keine Angehörigen mehr haben, theils weil diese selbst
zu arm sind, um solch' einen Bedauernswerthen zu unter-
stützen, zwei oft auch drei Jahre ein elendes Hunger-
leben zu führen gezwungen sind.
Ein alter Soldatenspruch lautet: „Mein lieber Herr
und König, 22 Pfennig sind zu wenig" und derselbe
hat, wie aus dem Vorhergesagten Jeder ersehen wird,
seine volle Berechtigung. Von diesen 22 Pfg. aber muß
der Soldat noch bezahlen: Seine Wäsche, sein Pro-
pcritätszeug, als da sind: Schuh- und Wichsbürste,
Kleiderbürste, Wichse, Putzseife re.
Auf Grund eigener Erfahrungen hat man ausgerechnet,
daß im Durchschnitt auf den Mann pro Monat 10 Mk.
Volksunterstützung treffen, wobei diese indirekte Steuer
viel mehr in Geld als in Naturalien geleistet wird. Bei
einer Präsenzstärke von 500 000 Mann ergibt sich so-
nach neben der sonstigen Steuerbelastung nach den Ver-
lusten, die der Bauer oder der Handwerker dadurch er-
leidet, daß er für seine in die Kaserne geschickten Söhne
fremde Leute anstellen niuß, eine Militärbelastung des
Volkes von 5 Millionen Mark pro Monat oder einer fort-
laufenden jährlichen Steuer von 60 Millionen Mark!
Beweisen diese Zahlen etwa nichts? Würde nun die
neue Militärvorlage genehmigt, welche eine Erhöhung der
Präsenzstärke um 83 000 Mann fordert, so würde diese
Ertrasteuer sich jährlich um 10 320 000 Mark vermehren.
Eine weitere Militärlast, welcher hauptsächlich die
Landbevölkerung unterworfen ist, ist die Belastung
durch die alljährlich stattfindenden Manöver.
Es rücken durchschnittlich jährlich des gejammten
deutschen Herres zu denselben aus. Ich nehme in dieser
Berechnung die oft 2—3 Wochen dauernden Felddienst-
übungen mit, bei einer Durchschnittsdauer derselben
von 3 Wochen.
Ob nun die Mannschaften mit oder ohne Verpflegung
einquartiert werden, ist gleich, die Summe der von den
Quartiergebcrn geleisteten Natural!cnunterstützung beläuft
sich immer in der Norm auf mindestens 1 Mk. ^/ig von
500 000 sind 400 000, gibt bei einer normalen drei-
wöchentlichen Dauer des Manövers das hübsche Sümmchen
von 8 400 000 Mk., hiermit nach Bewilligung der
Militärvorlage eine weitere Steuer des Volkes von
1 436 400 Mk.

Jetzt noch eine Berechnung der Gesammtkosten, so
präsentirt sich das hübsche Sümmchen von 68 400 000
Mark unseren erstaunten Blicken. Gibt nach Bewilligung
der famosen Militärvorlage ein Mehr von 11 756 400
Mark., d. h. künftighin muß das Volk, das wirtschaft-
lich ohnehin nicht sehr gut steht, falls die neue Vorlage
durchgehen sollte, an genannten indirecten Steuern neben
den übrigen Steuern für seine Soldaten 80156 400 Mk.
jährlich bezahlen!
So sieht die Geschichte in Wirklichkeit aus und
alle patriotischen Mahnrufe in den Amtsblättern sind
eitel Schwindel und Lüge, um dem Volk den letzten
Pfennig aus der Tasche zu locken. Wer es aber gut
meint mit seinem Vaterland und mit dem deutschen Volk,
der kann unmöglich länger zusehen, wie diesem Moloch
Militarismus Alles, Gut und Blut der Nation geopfert
wird. Deßhalb wählt am Entscheidungstag einen Mann,
von dem Ihr ganz gewiß wißt, daß er den unerschöpflichen
militärischen Mehrforderungen ein entschiedenes Nein
entgegensetzt.
Dies räth Euch ein einfacher Soldat, der an seinem
deutschen Vaterland mit treuer Liebe hängt, der es aber
eben deßhalb vor dem Ruin bewahrt sehen möchte, dem
es unfehlbar durch den Militarismus und dessen kultur-
feindliches System entgegensteuert.

Deutsches Reich.
Berlin, 30. Mai. Der gemachte Vorschlag, durch
eine Reich seinkomm enst euer die Kosten der
Militärvorlage zu decken, dürfte von der Regierung
aufgegriffen werden. Die Steuer würde, bei einem Ein-
kommen von 10 000 Mk. anfangend, mit ungefähr
pCt. die für die Heeresvorlage nöthige Summe ergeben.
Berlin, 30. Mai. Der „Reichsanzciger" veröffent-
licht das Gesetz betreffend die Ersatzvertheilung.
Berlin, 30. Mai. Ein offiziöser Leitartikel der
„Nordd. Allg. Ztg." legt es der conservativ-national-
liberalen Mehrheit des Abgeordnetenhauses nahe, im
Interesse der Steuerreform dem Wahlgesetz in der
Fassung des Herrenhauses beizustimmcn und dem Wunsche
der Nationalliberalen entsprechend die besondere Abtheilungs-
bildung in den einzelnen Urwahlbezirken zu beseitigen.
Darmstadt, 30. Mai. Der Großherzog von
Baden traf nach 11 Uhr ein. Er wurde vom Groß-
herzog, dem Prinzen Wilhelm, den Spitzen der Militär-
und Civilbehörden am Bahnhof empfangen. Nach Ab-
schreiten der Ehrenkompagnie fand Vorbeimarsch derselben
statt. Beide Fürsten fuhren unter Escorte einer Schwadron
Dragoner im offenen Viererzug durch die festlich ge-
schmückten Straßen nach dem neuen Palais.

Die Irrfahrt des Lebens.
Roman von C. Wild.
3,8 I8ci (Fortsetzung.)
Aber so weit war es noch immer nicht gekommen, denn
ein entscheidendes Wort war bisher noch nicht von seinen
Lippen gefallen. Die Saison der Bälle, Gesellschaften ging
zu Ende, Molitor hatte noch immer nicht gesprochen. Mma
Pflegte den Frühling ans ihrem Gute zuzubringen; sie hatte
ihren Aufenthalt in der Stadt schon über Gebühr verzögert,
und so schwer es ihr auch fiel, so mußte sie doch daran denken,
die Resideinzu verlassen, da die meisten ihrer Bekannten
schon Einmal, als sie bei einem Concerte
mit MoliMmMmimeu traf, sagte sie kurz entschlossen zu
»hm: „MotWMise ich ab, ich habe das Leben in der Resi-
denz satt, ich will wieder einmal frische Luft und die Freiheit
des Landaufenthaltes genießen." Sie beobachtete ihn scharf
bei diesen Worten und hatte dabei die Genngthuung zu sehen,
daß ein Schatten über seine Züge glitt. „Sie kehren nach
Schloß Minden zurück," fragte er.
Alma bejahte.
„Sobald es der Zustand meiner Tochter gestattet, möchte
ich auch einen Landaufenthalt suchen," bemerkte Herr von
Molitor.
Alma sah ihn gespannt an; noch nie hatte er von seiner
Tochter gesprochen. „Es ist das erste Mal, daß Sie Ihrer
Tochter Erwähnung thun," sagte sie auch in ihrer srei-
müthigcn Weise, nicht ohne eine gewisse Erregung, den ele-
ganten Fedcrnfächer entfaltend.
Herr von Molitor lächelte trübe. „Ich wollte in Ihren
Augen nicht alt erscheinen, Fräulein von Minden," sagte er,
„und erwachsene Kinder machen alt. Ich habe mich jung
dermählt und meine Fran sehr rasch verloren Meine Tochter
zählt achtzehn Jahre und ist leider meist kränklich. Das ist
auch der Grund, warum ich ste große» Gesellschaften fern

halte. Sie ist Braut und zieht es vor, erst als junge Frau
in die Gesellschaft eingeführt zu werden. Bis dahin lebt sie
äußerst zurückgezogen, da ihr leidender Zustand ihr ohnehin
die Theilnahme an lebhaften Vergnügungen unmöglich macht."
Alma's Gesicht hatte sich nach und nach gcröthet. Sie
begriff, daß Molitor nicht ohne eine bestimmte Absicht ihr
alle diese Dinge sagte. Er wollte ihr seine Verhältnisse dar-
legen, ehe er sich offen erklärte; das Ivar nur zu natürlich.
Alma konnte nicht umhin, ihm lebhaft zu antworten:
„Wie schade, daß ich somit keine Gelegenheit habe, Ihre
Tochter kennen zu lernen. Mein Landsitz ist sehr hübsch ge-
legen und es würde mir Freude gemacht haben, die junge
Dame dort begrüßen zu dürfen."
Molitor sah ihr so tief und anhaltend in die Augen, daß
Alma befangen die Lider senkte.
„Und allein würden Sie mich nicht willkommen heißen?"
fragte er in gedämpftem Tone.
„Warum nicht?" versetzte sie, eine Unbefangenheit
heuchelnd, die sie nicht besaß, „auch Sie sollen mir auf Schloß
Minden willkommen sein."
„Gut, mein gnädiges Fräulein, ich nehme Sie beim
Worte," und er beugte sich nieder, um ihre Hand zu küssen.
In gehobener Stimmung kehrte Alma heim.
Am nächsten Tage verließ sie die Residenz, nm auf Schloß
Minden mit Spannung dem Besuche Molitors entgegen zu
sehen.
Sie hatte nicht lauge zu warten; sie war kaum acht Tage
daheim, als der Ersehnte kam.
Er berichtete, daß er iu der Nähe von dem Mindenschen
Schlöffe Aufenthalt genommen.
„Ich miethete schon im vergangenen Jahre die Rosen-
villa," erzählte er, „mußte aber damals meiner Tochter we-
gen rasch den Aufenthalt wechseln."
Mma sah nicht, wie scharf er sie bei dieser Mittheilung

beobachtete, denn Molitor wollte sich überzeugen, ob nicht
irgend ein Gerücht zu Alma's Ohren gedrungen.
Aber Fräulein von Minden blieb völlig unbefangen; sie
hatte in der That auch nichts von Melitta's Flucht mit Wal-
ter gehört. Alles war so rasch und heimlich gegangen, daß
außer den Betheiligten NicnnBtd etwas über diese Vorgänge
wußte.
„Um so besser," dachte Molitor bei sich, „desto rascher
werde ich mein Ziel erreichen."
Er kam nun fast täglich und jetzt trat er auch aus der
bisher beobachteten Reserve hervor.
Alma konnte nun nicht länger zweifeln, daß Molitor sich
allen Ernstes nm ihre Hand bewarb — täglich konnte sie seinen
Antrag erwarten, und sie war fest entschlossen, diesen auch
anzuuehmen.
Heute war Molitor nicht so pünktlich als sonst; unmnthig
warf Alma ihre Blicke auf die Uhr. Was konnte ihn so lange
fern halten, die Stunde seines Kommens war vorüber, wenn
er am Ende heute gar nicht kam: Sie biß sich in die Lippen
und warf den hübschen Kopf trotzig in den Nacken.
„Er soll mir seine Saumseligkeit büßen," grollte sie, aber
ihr Auge leuchtete doch freudig auf, als ihre Zofe jetzt mit
der Meldung eintrat, Herr vyn Molitor warte im Salon.
Alma warf noch rasch einen Blick in den Spiegel; ja,
sie sah hübsch aus nut den dunklen, leuchtenden Augen, dem
welligen Haar und den tiefrochen, leicht geschwellten Lippen.
Im Vorbeigehen nahm sie eine Rose aas der Jardiniere,
und spielend die duftige Blüthe zwischen den schlanken Fingern
drehend, trat sie in den Salon.
Molitor kam ihr rasch entgegen; er ergriff ihre Hand and
drückte dieselbe an feine Lippen. Es dauerte lange, ehe er
die hübsche, schmale Hand, die so willig in der seinen ruhte,
frei gab. „Ich komme später als sonst," sagte er entschulde
gend; „eine wichtige Angelegenheit hielt mich lange in der
Stadt zurück."
 
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