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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 121 - No. 130 (24. Mai - 4. Juni)
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125.

Heidelberg, Sonntag, 28. Mai

1893.

Expedition:
Hauptstraße 25.

Expedition:
Hauptstraße 25.

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Berkündigmlgsblatt und Anzeiger

Die,^8ürgerzeit««g"
erscheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummcr liegt ein Untcr-
haltungsblatt, „Ter Erzähler", mit dem
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Zeitung" bis Ende des Monats unentgeltlich.
_Verlag der „Bürger-Zeitung".
Die Militiimrliigk und die VrWffnnn
der Mittel.
I.
Wir haben vor Monaten schon einige Artikel mit
gleicher oder ganz ähnlicher Ueberschrift gebracht, aber in-
zwischen ist Ereigniß geworden, was damals nur Vcr-
muthung war. Der Reichstag ist aufgelöst unter dem
Losungswort: Für oder gegen die Militärvorlage. Die
Parteien sind bereits im Kampf. Wie aber wird ge-
kämpft? Anstatt zu bedenken, daß man 1887 mit dem
Motto: Für oder gegen das Septenat, einen Reichstag
mit agrarischer Mehrheit und zugleich mit einer reactionären
Mehrheit wählte, der gerade die Gesetze schuf, welche in
den letzten Jahren die ungeheuere Unzufriedenheit wach-
rief und vorhandene Klagen steigerte, steuert Mancher,
der sich liberal nennt und auch für liberal kält, dem
gleichen Ziele entgegen. Nur ein Unterschied besteht gegen
damals. Mancher Liberale mußte conservativ wählen,
durch das verhängnißvolle Kartell gezwungen; jetzt be-
quemen sich Kandidaten der Auchliberalen dazu, einfach
konservative Programme anzunehmen. Um die Stimmen
von konservativen, Antisemiten, Landwirthsbündler zu
bekommen, hängt man den Mantel der konservativen
Programme um, nagelt sich fest auf agrarische Begehr-
lichkeit, verspricht und verheißt, was man nicht halten
kann und was man ja niemals hält, wenn die Negierungen
etwas Anderes fordern.
In unserem Wahlkreis kann man den Aufruf der
Antisemiten nnb die Reden des nationalliberalcn Kan-
didaten, der zugleich die Landwirthsbündler vertritt, neben-
einander halten, man findet kaum einen Unterschied; es
sei denn, daß die Deutschsocialen den Muth haben, den
Juden zu nennen und die Anderen ihn unter dem Namen
des den Bauern aussaugendcn Wucher nur meinen.

Einig sind die Parteien, die für die Militärvorlage ein-
treten, auch darin, daß sie den anderen Parteien wieder
wie früher den Patriotismus absprechen und es nimmt
sich höchst sonderbar aus, daß in der Gesellschaft der
Unpathetischen auch der Fürst Bismarck erscheinen muß.
ES nimmt sich aber mebr als sonderbar aus, daß man
heute für unpatriotisch hält, was man vor wenigen Monaten
selbst als das Gegentheil ansah und aussprach. National-
liberale und konservative waren vor wenigen Monaten
selbst Gegner der Militärvorlage, an das heute geradezu
die Existenz des Reiches und die Erhaltung des Friedens
gebunden sein soll. Bedenken denn die Herren, wie
lächerlich sie damit erscheinen und bedenken sie dann auch
gar nicht, daß das, was sie bezüglich der Gegner vom Aus-
land sagen, gerade auf sie viel besser Paßt?
Müßte nicht — wenn wir auf Auslandsstimmen,
Pariser Pöbel und dessen Presse öder hier gemachte und
ins Ausland crportirte Stimmungsbilder etwas geben
würden — gerade das Ausland dadurch kriegslustig ge-
macht werden, weil es unter allen Umständen entweder
auf eine Mehrheit oder sehr große Minderheit von Un-
patriotischen zählen könnte? Wie auch die Wahlen aus-
fallen, es würden, wenn die ehemaligen Kartellgenossen
recht hätten, die Gegner der Militärvorlage unpatriotisch
zu nennen, die Franzosen ihre Helle Freude daran haben
müssen, daß cs so viele Männer in Deutschland gibt,
die ihr Vaterland an sie ausliefern wollten. Es ist zwar
lächerlich, aber auch sehr traurig, daß sonst kluge Männer,
weil es ihnen an Geist fehlt, ihre Ansicht zu vertreten,
zu solch erbärmlichen Mitteln ihre Zuflucht nehmen und
politischen Gegnern die Vaterlandsliebe bestreiten. Man
kann über die Zahlen der Präsenz, über die Zahl der
jährlich einzustellenden Rekruten sehr verschiedener Meinung
sein; aber keiner kann seineZahlen als zutreffend, als richtig
erweisen. Haben doch die ersten Autoritäten und die höchst
stehenden Männer sich gegen die Zahlemvuth wiederholt aus-
gesprochen, haben die Güte über die Menge gestellt, haben den
Geist und die Erziehung als weit über die Masse erhaben
bezeichnet und doch soll nun der, der gegen eine bestimmte
Zahl ist, kein Patriot sein! Man kann mit Vielen ge-
schlagen werden und mit Wenigen siegen, das hat die Ge-
schichte der Schlachten oft genug gezeigt und es vermag hinter-
her Niemand dem Viel noch Wenig die Schuld nachzuweisen.
Wir haben heute Heere, wie sie noch nie vorhanden
waren und man muß nur davor bange sein, daß cs
überhaupt schon zu Viele sind, schwer zu verwenden,
schwer zu transportiren, schwer zu verpflegen. Nur die
begabtesten Ofsiciere werden sich ein Bild davon machen
können, wie das erfolgen soll, erfolgen kann; aber weder
wir vom Civil noch die große Mehrzahl der Berufs-

soldaten. Also hinweg mit jedem Urtheil, mit jedem
Vorurtheil und ruhige Erwägung an Stelle von Eifer
und Gezänk! Die Mehrheit des Reichstages war der
Ansicht, es sei bei den dermaligen gedrückten Erwerbs-
verhältnissen genug des Opfers, wenn man bewilligt —
an Geld und Mannschaft — was zur Einführung der
zweijährigen Dienstzeit erforderlich sei, und die vorge-
schlagene Deckung zur Bestreitung der verlangten Heeres-
vermehrung wäre eine Last, die das Volk zur Zeit nicht
auf sich nehmen könne. Man hat dem gegenüber zwar
zugestanden, daß man die Last erkenne, daß man ledig-
lich deshalb einen aus der B i s m a r ck'schen Zeit stammen-
den Entwurf verändert und abgeschwächt habe, daß man
aber glaube, eine Last von Mk. 1.60 — nach Huene's
Vorschlag auf Mk. 1.20 reduzirt — pro Kopf dem
deutschen Volk noch wohl zumuthcn zu dürfen. Und wie
steht es nun mit solchen Berechnungen der Lasten pro
Kopf in einem Staat, in dem die Militärausgabcn
durch indirecte Steuern und Zölle gedeckt werden? Sie
sind wirklich Kopfsteuern und oft schlimmer als solche.
Mag man Mk. 1.20 oder Mk. 1.60 pro Kopf rechnen;
die Haushaltung braucht dann Mk. 6 oder Mk. 8 mehr
und zwar der arme Taglöhner ebenso wie der Reiche oder
je nach Umständen der Aermere mehr und der Reichere
weniger. Davon war man still und ist mau auch noch
still im Wahlkampf; aber es wird darüber der Kampf
entbrennen und gerade die Dcckungsfrage wird eine
erhebliche Rolle spielen bei der Entscheidung. Das wissen
die Freunde der Militärvorlage und suchen sie kurz ab-
zufertigen oder gar mit demagogischen Künsten den Massen
mundgerecht zu machen.

Deutsches Reich.
Berlin, 26. Mai. Es ist die Ansicht vorhanden,
daß der neue Reichstag schon zu einem Termine
einberufen werden würde, an dem die Stichwahlen noch
nicht erledigt sein würden. Nun dürfte diesmal die Zahl
der Stichwahlen eine sehr große werden, so daß die Be-
schlußfähigkeit des Reichstags bei einer so frühen Er-
öffnung zweifelhaft ist, aber auch die grundsätzliche Frage
sich aufdrängt, ob denn die Eröffnung des Reichstags
vor Beendigung der Stichwahlen überhaupt zulässig ist.
Im letzten Hefte der „Zukunft" beantwortet Dr. Morris
de Jonge diese Frage aus zwei uns durchaus zutreffend
erscheinenden Gründen mit Nein. Ersten- bilde die Stich-
wabl einen Theil der ohne sie nicht beendeten Wahl,
sämmtliche Einzelwahlen aber werden als große Handlung
des ganzen Volkes betrachtet. Vor der Erledigung der
Stichwahlen ist daher der Reichstag als Ganzes betrachtet,
noch nicht gewählt, sondern nur eine Reihe von einzelnen

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Die Arrlatzrl des Kebeus.
Roman von C. Wickd.
3,5 18ci (Fortsetzung.)
Alles, was Pflege und Geld lciflcn kann, wurde gethan,
Um das Leben des jungen Mannes zu erhalten, dessen heißester
Wunsch cs in seinen wenigen, lichten Augenblicken war, zu
sterben, um aller Qual, aller Pein ledig zu sein.
Bewährte Aerzte, erfahrene Wärterinnen wurden her-
beigerufen, Frau von Dahlen wachte selbst unausgesetzt an
dem Krankenbette ihres Sohnes, und ihre Umgebung konnte
nicht genug die Opferwilligkeit, die Sorgfalt rühmen, mit
der sich diese anscheinend kalte, stolze Frau der Pflege Mal-
ier'? widmete.
Wochen vergingen, ehe die Aerzte erklären konnten, dem
Tode seine Beute abgernngen zu haben.
Der Tag, an welchem die Männer der Wissenschaft
Walter gereitet erklärten, war ein Freudenfest für Georgine.
Der junge Mann erholte sich nun rasch; es konnte endlich
auch daran gedacht werden, ihn nach Gut Dahlen zu trans-
bortiren, und seine Mutier hoffte, daß er dort, umgeben von
allen erdenklichen Bequemlichkeiten, bald die letzten Nach-
sehen der langen, bösen Krankheit verwinden werde.
Herr von Dahlen hatte die ganze Zeit in einer furcht-
baren Aufregung Angebracht. Man verschwieg ihm anfäng-
lich, daß Walter's Erkrankung eine so schwere sei, aber als
sich die Krankheit so sehr in die Länge zog, konnte dem armen
Gelähmten die Wahrheit nicht länger verborgen bleiben.
Alle Phasen der Angst und Sorge machte er durch, bis
sr die Nachricht erhielt, daß es möglich sein werde, Walter
ia den nächsten Tagen nach Gut Dahlen zu bringen. Da erst
^thmcte er auf, glaubte er daran, daß ihm der Sohn erhalten
bleiben würde.
Mit welcher Freude, mit welcher Zärtlichkeit empfing
cr den Heimgekehrten, wie glücklich schätzte er sich, in seinem

Rollstuhle bei dem Lagcr des Kranken weilen zu dürfen,
wieder in dieses feine, blasse Antlitz scheu zu können, auf
weiches der Schincrz seinen düsteren Stempel gedrückt. Fran
von Dahlen Hielt sich ihrem Sohne möglichst fern; sie hatte
das instinctive Gefühl, ihre Gegenwart sei ihm verhaßt, ob-
gleich Walter nie eine derartige Bemerkung machte.
Georgine hoffte, mit der Zeit wieder ihren alten Einfluß
über den Sohn zu gewinnen, jetzt mußte er noch geschont
werden, mit der Kräftigung feiner Gesundheit konnte er nach
und nach in die frühere Botmäßigkeit gebracht werden.
Doch hierin irrte sich Georgine. Walter nahm jetzt durch-
aus keine Rücksicht ans die Wünsche seiner Mutter, das zeigte
sich deutlich genug in dem Umstande, daß er sich »»gescheut
gänzlich dein Vater widmete, während er früher es nur ver-
stohlen gewagt, diesem seine Zärtlichkeit durch allerlei kleine
Aufmerksamkeiten darznthnn. Die Zeiten hatten sich geändert!
Vater nnd Sohn verbrachten den größten Theil des
Tages mit einander nnd Fran Georgine mußte znsehen, wie
sie sich mit der Thatsache abfand, nicht mehr die unbe-
schränkteste Macht überdieBeidenausznüben. DicErkenntniß,
nicht mehr so viel in: Hanse zu gelten, war ein harter Schlag
für diestolze, herrische Fran; vergeblich versuchte sie es, nach
und nach ihre Autorität neuerdings geltend zu machen.
Wenn sie in den befehlshaberifchen Ton der früheren
Tage zurückfiel, dann streifte sie ein kalter, fragender Blick
ihres Sohnes. Diese stumme Sprache Ivar so deutlich, so
verständlich, daß sie ihre Wirkung nie verfehlte.
Aber Frau von Dahlen wollte 'wieder die Oberherrschaft
erlangen, um jeden Preis — der Gedanke machte sie fast
rasend, daß es nun anders fein sollte, und eines Tages be-
schloß sie, mit ihrem Sohne darüber zu reden.
Walter's Krankheit hatte bis zum Beginn des Winters
gedauert, seine Genesung erstreckte sich fast bis zum Frühling.
Schon deckte zartes Grün die Bäkime, die Veilchen be-
gannen wieder zu blühen, im Garten des Dahlen'schen Be-

sitzes erstand eine herrliche Flora duftender Frühlingsblumen,
alles was über Winter erstarrt, erstorben im Schlafe gelegen,
begann sich zu neuem Leben zu regen.
Herr von Dahlen saß an seinem gewohnten Platze im
Garten; neben ihm auf einem Tischchen lagen mehrere Zeitun-
gen, doch der Kranke las nicht. Erwartungsvoll blickte er
nach dem Hause, denn Walter hatte ihm versprochen, ihm
Gesellschaft zu leisten, und der sonst so pünktliche, junge Mann
ließ ungebührlich lange aus sich warten.
Walter war durch seine Mutter zurückgehalteu worden;
er hatte aus der Bibliothek ein Buch genommen und wollte
eben seinem Vater in den Garten folgen, als Frau von Dahlen
eintrat.
„Ich habe mit Dir zu reden," sagte sie mit einem Ver-
suche, den ehemaligen gewohnten kurzen Ton anzuschlagen,
aber derselbe verfing bei dem jungen Manne nicht mehr.
„Was wünschest Du von mir?" fragteerkühl, „bitte,
fasse Dich kurz, der Vater erwartet mich im Garten."
Fran Georgine biß sich in die Lippen; die Art und Weise
Walters gefiel ihr nicht. Sie nahm in einem der hochlehnigen
Stühle Platz und begann: „Ich finde, daß Du Dich über-
haupt viel zu sehr dem Vater widmest; Du solltest Deine
Zeit auch nützlichen Dingen zuwcnden. Als Erbe von Gut
Dahlen mußt Du daran denken, Dir bei Zeiten gewisse Kennt-
nisse anzueignen, welche Dir znr Bewirthschaftung des großen
Besitzes uöthig sein werden. Auch glaube ich, daß es für Dich
gnt fein wird, wenn Du Dich viel in freier Luft bewegst, Du
siehst noch immer sehr bleich aus, eine nicht zu anstrengende
Thätigkcit würde für Dich von großem Nutzen sein."
Frau von Dahlen wartete eine Weile, dann, als keine
Antwort erfolgte, fuhr sie fort: „Ich habe mich an Herrn
von Ahlbcck gewendet, er ist gern bereit, Dich für einige Mo-
nate bei sich aufzuuehmen — Du weißt, er ist ein ausgezeich-
neter Laudwirth und es wird ihm ein Vergnügen sein, Dir
praktische Anweisungen und Winke zu geben, die Du dann
 
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