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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 71 - No. 80 (24. März - 6. April)
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Die »^Nürgerzeitttng"
erscheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummcr liegt ein Unter-
haltungsblatt, „Ter Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei.

Verkündigungsblatt und Anzeiger
für Stadt und Land.

Abonnementspreis
für Heidelberg: monatl. 40 Pfg. mit
Trägcrlohn, durch die Post bezogen
Vierteljahrs. Mk. 1.— ohne Zustellgeb.
Znsertionspreis: 10 Pf. für die 1-spalt-
Petitzeile od. deren Raum. Für locale
Geschäfts- u. Privatanzeigen 5 Pf.

78. Heidelberg, Donnerstag, 30. März 1893.

Der Abonnementspreis
- für die
„Würger - Zeitung"
beträgt für Heidelberg und nächste Umgebung
Monatlich nur 40 Psg.
Ait Trägcrlohn.
Für auswärts vom 1. April ab vierteljährlich
am Postschalter abgeholt:
SE- 1 Mark "NU
durch den Briefträger frei in s Haus gebracht:
1 Mk. 4V Pfg.
Bestellungen der „Bürger-Zeitung" werden für
Auswärts durch die Post, innerhalb der Stadt und nächster
Umgebung durch unsere Träger entgegengenommen.
Neu hinzutretende Abonnenten erhalten die „Bürger-
leitung" bis Ende des Monats unentgeltlich.
._Verlag der „Bürger-Zeitung".
llnterMtzungWohnsitzu.Helmathloflgkck.
Die Novelle zum Unterstützungswohnsitzgesetz vom 6.
Mj 1870, deren erste Lesung am 16. und 17. März
!A. Reichstag staltgefunden hat, hat in ihrem wichtigsten
«Unkte foldende Fassung: I. In 8 10 und § 22 ist
Stelle der Worte: „nach zurückgelegtem vierund-
ranzigsten Lebensjahre" zu setzen; „nach zurückgelegtem
^tzehnten Lebensjahre." Dieser Satz bedeutet, daß
'k Grenze für den Erwerb des Unterstützungswohnsitzes
^f das achtzehnte Lebensjahr herabgesetzt werden soll,
h., daß die Söhne und Töchter nicht bis mindestens
s. Jahre nach erreichtem 24. Lebensjahr, also mindestens
's zum 26. Jahr, den Unterstützungswohnsitz der Eltern
steilen, sondern schon 2 Jahre nach zurückgelegtem 18.
^bensjahr, also schon mit 20Jahren, sich einen Unterstützungs-
^hnsitz selbstständig werden erworben haben können. Diese
, sttimmung soll eine gerechtere Vertbcilung der Armen-
ien für alle diejenigen Landestheile, welche jugendliche
Leiter in andere Gegenden des Reichs abzugeben
stegen, also einmal für das platte Land und sodann für
i Osten des Reichs überhaupt, von woher die arbeits-
i'ge Jugend zahlreich nach den Industriestädten und
nach dem Westen strömt, herbeiführen. Es liegt

auch in der That eine gewisse Unbilligkeit darin, daß die
Städte und bezw. der Westen von den zugewanderten
jugendlichen Arbeitskräften anderer Landestheile Vortheil
ziehen, die Unterstützungspflicht bezüglich derselben aber
bis zum zurückgelegten 26. Lebensjahre der oftmals recht
armen ländlichen Heimathgemeinde obliegt.
Indessen dürfen wir bei der Beurtheilung der Frage,
von welchem Alter an die selbstständige Erwerbung des
Unterstützungswohnsitzes ermöglicht werden solle, nicht nur
den Gesichtspunkt einer „gerechten" Lastenvertheilung ins
Auge fassen. Es kommen hierbei viel zu wichtige soziale
und ethische Interessen desjenigen Theiles der Bevöl-
kerung, dessen Glieder am leichtesten in die Lage kommen,
in Krankbcits- und Nothfällen Unterstützungen in An-
spruch nehmen zu müssen, in Betracht, als daß allein
die Kostenfrage allein den Ausschlag geben könnte. Wir wollen
im folgenden einige dieser Gesichtspunkte kurz hervorheben:
Ist es richtig, durch Herabsetzung des Unterstützungswohn-
sitz-Mündigkeitsalters von dem 24. aus das 18. Lebensjahr
einer wahrscheinlich ganz außerordentlichen Vermehrung der
Personen ohne Unterstützungswohnsitz Vorschub leisten? Ist
es richtig, schon die jungen Leute, männlichen wie weiblichen
Geschlechts, in Mitleidenschaft zu ziehen durch das Streben
der Ortsarmenvcrbände — wenigstens der kleineren —,
fremde Personen nicht bei sich seßkaft werden, bedürftige
Ortsangehörige aber in die Fremde ziehen zu lassen?
Ist es richtig, den größten aus dem modernen Wirtb-
schaftsleben und der unbeschränkten Freizügigkeit folgenden
Uebelstand, die frühzeitige Lösung der Familienzusammen-
gehörigkeit zwischen den Eltern und der Jugend, gesetz-
geberisch noch ausdrücklich anzuerkennen, das Siegel dar-
runter zu drücken, statt in jeder Weise den Familien-
zusammenhang hoch zu halten? Ist es eine
normale Erscheinung, wenn auf dem platten Lande selbst,
unter vorzugsweise landwirthschaftlich thätiger Bevölkerung,
deren Söhne aber auch in jungen Jahren schon auf
Arbeit zu gehen, die großen Städte aufzusuchen, des un-
gebundenen Lebens fern vom Elternhause sich zu erfreuen
gelernt haben, die Rückwirkung der Lockerung der Bande
zwischen Eltern und Kindern schon jetzt in dem Maße
hervortritt, daß selbst die dem schulpflichtigen Alter noch
nicht entwachsene Jugend der elterlichen Erziehung
größere Schwierigkeit bietet, die Eltern selbst gleichgiltiger
in Erfüllung ihrer Erziehungspflicht werden? „Was
hilft uns alle auf die Erziehung gewendete Mühe? Nach
der Konfirmation kommt doch gar bald die Zeit, wo die
Kinder uns ganz aus den Händen kommen." Will man
solcher verderblichen und pessimistischen Anschauung durch

Bestimmungen, welche ausdrücklich anerkennen, daß mit
dem 18. Jahre alle Consequenzen aus der „wirthschaft-
lichen Selbstständigkeit" der Jugend gezogen werden sollen,
neue Nahrung geben?
Nur ein Pessimismus, der sich auch des Gesetzgebers
bemächtigt, kann solche Fragen bejahen. Diesem Grund-
übel aber dürfen am wenigsten die verantwortlichen Träger
der Gesetzgebung Raum geben, welche die Aufgabe, auch
erzieherisch auf die Gesammtheit des Volkes einzuwirken,
nie aus den Augen verlieren sollten. Das Wort: „Es
ist einmal so — was ist dagegen zu machen?" sollte
erkannten allgemeinen Uebelständen gegenüber nie gehört
werden. Ist die Besserung im gegenwärtigen Augen-
blicke nicht zu erreichen, so möge man sich den Weg dazu
doch nicht mit einer neuen Barrikade nochmals versperren.
Es kommen auch einmal wieder Zeiten, wo die Besserung
des Grundübels selbst möglich wird. Dann ist es gut,
nicht erst die neue Barrikade auch noch wegräumen zu müssen.
Nur ganz flüchtig sei hervorgehoben, daß diese frühe
rechtliche Loslösung von der Heimathgemeinde auch nicht
zu unterschätzende wirtb schäft lich e Schädigung für
das platte Land bedeutet, insofern sie den in der Jugend
waltenden „Zug nach der Großstadt", der das Land von
Arbeitskräften entblößt, zu verstärken geeignet ist. Die
Armenpflege in der Stadt besitzt bekanntlich in den Augen
der minderbemittelten Volkskassen bedeutende Vorzüge vor
der ländlichen Armenpflege. Damit soll natürlich nicht
gesagt sein, daß die ländliche Jugend nur ihre Heimatb
verlasse, um möglichst früh der städtischen Armenpflege an-
hcimzufallen. Aber daran ist kein Zweifel, daß selbst ein
jüngerer Arbeiter bei einer beabsichtigten Ortsveränderung
den Fall seiner etwaigen Nnterstützungsbedürftigkeit mit
in Berechnung zieht und die Aussicht, gegebenen Falls
an Stelle der ländlichen die bessere städtische Armen-
pflege genießen zu können, wird ihm den Abschied sicher-
lich nicht schwerer machen.
Indessen unser Hauptbedenken gegen die Bestimmung
der Novelle ist ethischer Art: Zu den Gütern und trei-
benden Kräften im Volksleben — und in dem Leben der
breitesten, mindest bemittelten Schichten unseres Volkes
nicht am wenigsten — gehören auch Imponderabilien,
Triebkräfte ethischer Art, welche die Gesetzgebung, wenn
sie nicht zerstörend statt bauend, verderbend statt erziehend
wirken will, nicht außer acht lassen darf.
Deutsches Reich.
Karlsruhe, 28. März. Der Erbgroßherzog
und die Erbgroßherzogin sind heute Mittag mit

etwas

Schicksal'swege.
Novelle von C. Fonlaue.
(Fortsetzung.)
. Erst mit hercinbrechendem Morgen wurde cs
?^ger. Hastig warf er mit Bleistift einige Zeilen auf
Papier, um durch Vermittelung seines Onkels Frida
A vor dem Eintreffen der Verlustlisten in schonender
^>se von der Verwundung des Vaters zu benachrichtigen.
suchte die Verwundung als eine verhältnißmäßig leichte
^ tzustellen und sprach die Hoffnung baldiger Wieder-
,Wellung aus. Sein Herz zog sich schmerzlich zusammen,
er sich den Schmerz ausmalte, den die Unglücksnachricht
hierin Hervorrufen würde. —
Als auch das geschehen und der Brief zur Abgabe
!».^ie Feldpost bereit gelegt war, setzte er sich gänzlich
^öpfi in einen am Krankenlager des Majors stehenden
"hl und schloß die Augen zu einem kurzen Schlummer,
st Als er nach Verlaus einer Stunde von den ein-
^hgenden Sonnenstrahlen geweckt wurde, fiel sein erster
stE auf den Verwundeten' Derselbe war ebenfalls er-
hatte die Augen auf ihn gerichtet und begrüßte
Ait mattem Lächeln.
Miedrich ergriff seine auf der Bettdecke ruhende Hand.
"Äste geht es Ihnen, Herr Major?"
^st'Jch fühle mich schmerzfrei, aber zum Tode matt",
leise Antwort. „Es war mir eine freudige Ueber-
hjst"ng, Sie an meinem Bette zu sehen. — Sagen Sie
Aufrichtig: Wie steht es mit mir?"
"Ich hoffe das Beste", entgegnete der junge Arzt

ausweichend.
Der Verwundete blickte ihn scharf an.
„Weichen Sie mir nicht aus' Ich bitte um volle
Wahrheit. Fürchten Sie nichts, ich bin ein Mann und
werde mich mit Fassung in das Unvermeidliche ergeben".
„Ihre Wunde ist schwer, Herr Major, aber keines-
wegs tödtlich, die Hoffnung der Wiederherstellung ist nicht
ausgeschlossen. Ihre kräftige Konstitution und die sorg-
fältige Pflege, deren Sie ja sicher sind, lassen einen günstigen
Ausgang gar nicht als unwahrscheinlich erscheinenen. —
Mehr kann ich Ihnen für jetzt nicht sagen, muß Sie
auch dringend bitten, sich nicht durch weiteres Sprechen
zu schaden."
„Nur noch Eins, dann will ich mich geduldig fügen.
Meine Tochter?"-
„Ist durch Vermittlung meines Onkels in schonendster
Form benachrichtigt. Der Bries geht heute ab, und werde
ich täglich eine kurze Nachricht nach Renn senden."
„Dank, herzlichen Dank! So bin ich beruhigt."
Er schloß die Augen, und bald bewiesen seine ruhigen
Athemzüge, daß er entschlummert war. —
Vierzehn ^age waren vergangen.
Herr von Brandau hatte das Wundfieber glücklich
überstanden, die Heilung seiner Wunde nahm einen nor-
malen Verlauf, doch konnte immerhin die Gefahr für
sein Leben noch nicht gänzlich als beseitigt angesehen
werden.
Die aufopfernde nimmer rastende Sorgfalt, welche
der junge Arzt für seinen Patienten zeigte, hatten die
beiden Männer schnell zu Vertrauten gemacht. Briefe,
die aus der Heimath kamen, wurden gegenseitig mitgetheilt

und besprochen. Friedrich schrieb die täglichen Mitthei-
lungen über das Befinden seines Patienten jetzt schon
nach dem Diktat des Letzteren und sandte sie direkt an Frida.
Friedrich kam dadurch in eine gewisse Verbindung
mit dem geliebten Mädchen, fügte dann und wann auch
eine persönliche Bemerkung bei, und war glücklich, wenn
sie in den Briefen an ihren Vater seiner mit Dank und
Anerkennung gedachte und ihm Grüße sandte.
Auch Herr Hagendorff hatte an den Neffen geschrieben
und berichtet, daß Fräulein von Brandau die anfängliche
Erschütterung überwunden habe und sich jetzt gefaßt und
voller Hoffnung zeige.
„Ich habe bei dieser Gelegenbeit erst gesehen, welch"
weiches Herz meine Hedwig hat", schrieb der alte Herr
unter Anderem, „sie war von der Unglücks-Nachricht so
erschüttert, so fassungslos, als hätte es sich um ihren ei-
genen Vater gehandelt. Erst der ernstliche Hinweis auf
ihre Pflicht, dem armen jungen Mädchen das Beispiel
der Fassung zu geben, Ihr Trost und Stütze in diesen
Tagen der Angst und Sorge zu sein, brachte sie wieder
zur Besinnung und ließ sich nach und nach die gewohnte
Selbstbeherrschung wiederfinden."
Der Major hatte sich diesen Brief von dem jungen
Arzte geben lassen, um ihn nochmals zu lesen und ibn
dann an sich zu behalten-
Die meisten der in dem Feld-Lazareth noch befindlichen
Verwundeten waren bereits nach den weiter rückwärts
etablirteu Haupt-Lazarethen gebracht worden, und endlich
hatten auch die Aerzte den Major von Braundau ein-
stimmig für transportfähig erklärt und seine Ueberführung
nach einem besser eingerichteten Lazareth beschlossen.
 
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