Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
No. 41 - No. 50 (17. Februar - 28. Februar)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43990#0203

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


Verkündigungsblatt «nd Anzeiger

Di< ,^vürgerzeit«ng"
scheint täglich mit Ausnahme von
Sonn- und Feiertagen.
Der Sonntagsnummer liegt ein Unter-
valtungsblatt, „Der Erzähler", mit dem
Humor. Repräsentanten „Der deutsche
Michel" bei

Abonnementspreis
für Heidelberg: monatl- 4V Pfg. mit
Trägerlohn, durch die Post bezogen
vicrteljährl. Mk. 1.— ohne Zustellgeb.
Znserttonspreis: 10 Pf. für die 1-spalt-
Petitzeile od. deren Raum. Für locale
Geschäfts- u- Privatanzeigcn 5 Pf.

4S. Heidelberg, Sonntag, 2«. Februar »LS--. 1«S3.

Der Abonnementspreis
für die
„Würger - Zeitung"
beträgt
Aonattich nur 40 Pfg.
Wit Trägerlohn, durch die Post bezogen
vierteljährlich 1 Mk.
ohne Zustellungsgebühr.
Bestellungen der „Bürger-Zeitung" werden für
auswärts durch die Post innerhalb der Stadt durch unsere
Träger entgegengenommcn.
Neu hinzutretende Abonnenten erhalten die „Bürger-
leitung" bis Ende des Monats unentgeltlich.
Verlag der „Bürger-Zeitung".
Die landMWastliche Nothlage.
In Bezug auf den mittleren Grundbesitz.
Keine Frage, daß wir in den nächsten Monaten noch
sehr viel über den „Not Hst and in der Land-
Wirth schäft" zu hören bekommen. Bemerkenswerth
sind die Ausführungen eines Kenners und Vorurtheils-
losen, die wir hier, wenn dieselben auch weniger unmittel-
baren Bezug auf unsere Gegend haben, wiedergeben wollen.
Ter Betreffende hat besonders den kleinen und mittleren
Großgrundbesitzer im Auge.
Wenn die Gegner der Agrarier, sagt er, sich so stellen,
ob die Landwirlhe und insbesondere die Großgrund-
besitzer ununterbrochen hinter reich beladenen Tischen säßen
slrid ihre Klagelieder über den Niedergang der Landwirth-
schaft mit ununterbrochenem Knallen der Sektpfropfen be-
reiten, so sind sie gerade auf dem Holzweg, wie die
Agrarier, die da meinen, sie ganz allein litten Noth und
sie allein hätten Anspruch auf die Hilfe des Staates.
Man wird zunächst zusehen müssen, wer denn diejenigen
"andwirthe sind, die sich am meisteki beklagen. Wir
' dann finden, daß wenn auch der Bauer seine
Mühe hat, von dem Ertrage seines Ackers auszu-
.c, es bei ihm im ganzen doch nicht gar so schlecht
stcht und daß er, wenn er fleißig und ordentlich ist,
nicht Schätze sammeln, aber doch ganz leidlich aus-
bwnien und sogar seine Lebensweise gegen früher erhöhen
k^ün. Man braucht nur aufs Land zu geben und die

gliche

heutigen Wohnungsverhältnisse mit denen vor 20 Jahren
zu vergleichen, um zu erkennen, daß eine entschiedene
Wendung zum Bessern eingetreten ist. Es ist das durch-
aus erfreulich. Immerhin find seine Beschwerden lange
nicht so heftig, als die der Großgrundbesitzer, denen nach
ihrem eigenen Urtheil das Wasser bis an den Hals geht.
Diese Grundbesitzer muß man in zwei Classen theilen,
die wirklichen Großgrundbesitzer, denen weite Latifundien-
gehören und die zumeist auch über andere Besitzthümer
verfügen. Bei ihnen ist die Besorgniß, daß ihnen wirk-
lich das Wasser so bald über den Kopf steigen werde,
nicht so groß, und wenn sie auf Kosten Anderer staat-
liche Bevorzugungen verlangen, so liegt das weniger an
ihrer Noth, als vielmehr an einer Begehrlichkeit, in der
sich etwas von dem alten Bewußtsein wiederspiegelt, daß
sie zu einer bevorrechtigten Classe gehören, die nicht
nach demselben Maaße gemessen werden darf, wie andere
Menschenkinder. Sie sind nicht zahlreich, und da sie
zumeist trotz ihrer Klagen als reich und in ihrer Existenz
nicht bedroht anzusehen sind, so kann man sie füglich bei
einer Betrachtung über den Nothstand der Grundbesitzer
ausscheiden.
Die weitaus zahlreichere Classe ist die der mittleren
und kleinen Rittergutsbesitzer, die zumeist dem Adel an-
gehören und sich in der That in einer Lage befinden,
die man sehr oft als zweifelhaft bezeichnen kann.
Wie ist es aber zugegangen, daß dieses Bevölkerungs-
element in eine solche Nothlage gerathen ist? Zunächst
muß festgestellt werden, daß es im ganzen und großen
nicht an Mangel an Arbeitslust oder an verschwenderischem
Leben liegt.
Das Hauptübel, an dem unser kleiner Großgrund-
besitz zu Grunde geht, ist das in Deutschland bestehende
Erbrecht. Dieses die Vermögen theilende und ver-
allgemeinernde Erbrecht beruht unzweifelhaft aus einer
Forderung der Gerechtigkeit, aber wenn es bei anderen
Ständen, die eine capitalwerbende Beschäftigung betreiben,
ohne schwere Nachtheile ausübbar ist, so trifft das nicht
zu auf die Lanbwirthschaft. „Die landwirthschaftliche
Rente wird unter unseren heutigen Verhältnissen niemals
eine so bedeutende sein können und im allgemeinen bei
einem allein auf sein Land angewiesenen Gutsbesitzer
nur ausreichen, um sich selbst in angemessener Weise zu
erhalten und seine Kinder ebenso zu erziehen. Wenn
das aber auf eine Generation zutrifft, so wird das schon
anders bei der zweiten. Mehrere Kinder haben an der
Erbtheilung theilgenommen, eine Baarauszahlung ist zu-
meist nicht möglich gewesen, und der neue Besitzer hat

zwar noch das Gut, aber es ist bereits in nicht unbedenk-
licher Weise mit Schulden belastet. Bei jeder neuen
Erbtheilung wird das natürlich schlimmer, und von dem
verschuldeten, dem von seinem Gute nichts mehr gehört
und der endlich von Haus und Hof ziehen muß. Es
ist das ein betrübender Werdegang, der aber nur natür-
lich ist, da einmal die Landwirthschaft nicht zu den Ge-
werben gehört, bei denen sich Schätze sammeln lassen,
und da außerdem ein ehrenhaftes, aber falsches und un-
glückliches Standesbewußtsein den adligen Rittergutsbesitzer
verhindert, selbst zu geldwerbenden Beschäftigungen zu
greifen oder seine Kinder zu solchen zu erziehen.
Nach einein alten Vorurtheile stehen den Söhnen
eigentlich nur zwei Laufbahnen frei: der höhere Staats-
dienst und der Heeresdienst. Weder in dem einen noch
in dem anderen ist viel Geld zu verdienen, und bis in
ein die Jugend weit überschreitendes Alter sind die Söhne
auf die Zuschüsse des väterlichen Hauses angewiesen.
Diese Zuschüsse aber übersteigen oft das väterliche Ein-
kommen und bilden neben der Erbtheilung einen Grund
für die immer zunehmende Verschuldung des Grundbe-
sitzes. Der Staat erhält dadurch für Verwaltung und
Heer eine sehr geeignete und billige Recrutirung, aber
für die Elemente, die diese Recruten stellen, ist das um
so schlimmer. Es kommt hinzu, daß gerade die Militär-
laufbahn manchem jungen unerfahrenen und leichtfertig
beanlagten Manne Gelegenheit zu Ausgaben bietet, die
sein Einkommen bei weitem übersteigen und durch die
schon manches Rittergut unter den Hammer gekommen ist.
Endlich ist noch folgendes zu berücksichtigen: Der
Rittergutsbesitzer, so lange er noch auf seinem Gute sitzt,
wird es immer, auch wenn es noch so verschuldet ist, als
sein volles Eigenthum betrachten und sich schwer abge-
wöhnen können, anders zu leben, als wenn ihm noch
die Einkünfte zur Verfügung ständen, die es dem un-
verschuldeten Besitzer bringen würde. Meist liegt das
nicht an schlechtem Rechnen oder an Ueberhebung, sondern
an einem tiesgewurzelten Stan des bewußtsein, das
gewisse Ausgaben für unumgänglich nvthig erachtet, die
ganz wohl vermindert werden können. Endlich kommt
noch hinzu, daß ein Rittergutsbesitzer nicht immer für seinen
Stand richtig vorbereitet nud vorgebildet ist. Wie oft
geschieht es, daß Officiere den Heeresdienst verlassen, um
die Bewirthschaftung des durch Erbgang freigewordenen
Gutes zu übernehmen. Von ihrem neuen Berufe wissen
sie so gut wie nichts und werden dann die Beute ihrer
eigenen Unwissenheit, die noch dazu oft genug von un-
getreuen Beamten ausgebeutet wird. Und die Zeiten sind

18)

In schwerem WerönchL.
Criminal-Novellc
von Reinhold Ortmaun.
(Fortsetzung.)
Uebcr Louisens Wangen flog ein zartes, flüchtiges
,,ZH. — Sie batte nach ihrem Besuche im Hotel de
^Urope lange mit sich selber ringen müssen, ehe das
^trauen zu dem Assessor in ihrem Herzen wieder die
^Mhand gewonnen hatte gegen den Schmerz und die
, Ham über die entwürdigende Behandlung, die ihr dort
Theil geworden.
Mit vielen heißen, bitteren Thränen hatte sie sich in
Mm stillen Stübchen unter der erdrückenden Last der
-Achtbaren Enthüllung gewunden, welche ihr Braunfels
u den Marquis d'Hervilly gemacht hatte — aber
. N mar es vorüber. Sie hatte ihr Selbstvertrauen und
Zuversicht wiedergewonnen und je mehr sie über den
^ainmenhang der letzten Ereignisse nachdachte, desto
Mflichex glaubte sie den Weg zu erkennen, welchen
.Assessor eingeschlagen hatte, um sein schönes Ziel zu
wichen.
g..Die Herausforderunng zum Zweikampf hatte sie nicht
(Mrt, „der dieselbe nicht verstanden, so daß sie von der
^mhr, der sich der neugewonnene Freund um ihres
Insiders, vder besser um ihretwillen ausgesetzt, nicht die
^fle Ahnung hatte.
»Nk alte Frau, die sich kaum von ihrem Schwäche-
M erholt hatte, nicht noch mehr zu erregen, war nicht

ein Wort über den verhängnißvollen Weg, den sie in
des Assessors Begleitung gemacht, über ihre Lippen ge-
kommen, und auch jetzt suchte sie die direkte Frage der
Mutter nur ausweichend zu beantworten, daß der Assessor
ja wohl wiederkommen und ihre Mutter ihn dann selbst
sehen werde.
Schneller, als sie geahnt und zu hoffen gewagt hatte,
sollte sich diese ihre Prophezeiung erfüllen, denn kaum
fünf Minuten waren seit dem kurzen, zwischen Mutter
und Tochter geführten Zwiegespräch verflossen, als sie auf
der Treppe den Klang jenes weichen Schrittes vernahm,
den sie so schnell kennen gelernt hatte und der ihr das
Blut mit gewaltigem Druck zum Herzen und in die
Wangen trieb.
Auch die alte Frau horchte hoch auf; dann blickte sie
verwundert in das erglühte Gesicht ihres holdseligen Töch-
terchens und fragte mit einer leisen Ahnung und nicht
ohne Besorgniß:
„Sollte er das vielleicht gar schon sein, Louise?"
„Er ist es, Mama! — O, bitte, bitte, empfange
ihn recht herzlich nnd freundlich; er bat es wahrlich um
uns verdient."
Es wurde bescheiden an die Thüre geklopft, die reine
Helle Stimme des jungen Mädchens rief ein ermuntern-
des „Herein", und im nächsten Augenblicke trat des
Assessors schlanke Gestalt in das Zimmer. Sein höf-
licher Gruß galt zuerst den älteren der beiden Frauen,
aber noch während er mit der Greisin sprach, richteten
sich seine treuen, braunen Augen mit flehendem Ausdruck
auf Louise, die bei Begegnung ihrer Blicke beschämt die
Wimpern senkte; deren sonnig freundliches Gesicht ihm

aber deutlich genug bewies, daß ihm von ganzem Herzen
verziehen worden sei.
In jener überströmenden Dankbarkeit, wie sie nur aus
dem liebenden Herzen einer zärtlichen Mutter fließen kann,
versuchte die schlichte alte Frau ihre Verehrung für den
uneigennützigen und unbekannten Freund Ausdruck zu
verleihen; aber Braunfels lehnte mit einer bescheidenen
Einfachheit alle Lobeserhebungen ab und sagte in ruhig
ernsteni Tone:
„Was ich gethan habe, verehrte Frau, ist nicht um
Ihres Sohnes, sondern um der Gerechtigkeit willen ge-
schehen, der zu dienen mein selbsterwählter, schöner Beruf
auf dieser Erde ist; darum habe ich keinen anderen An-
spruch auf Ihren Dank, als den, welcher jedem Ueber-
bringer eine frohen Botschaft zuzustehen pflegt. Ihres
Sohnes Unschuld ist an den Tag gekommen und noch
heute werden Sie den mit Ehren Freigelassenen in Ihre
Arme schließen können!"
Wie eine Botschaft aus himmlischen Gefilden klangen
seine Worte in das Gemüth der alten Frau. Sie er-
widerte nichts, aber ihre welken, gefalteten Hände erhoben
sich in stummem Gebete nach oben und große Thränen
rollten langsam schwer über ihre gefurchten Wangen.
Ueber Louisens rosiges Antlitz aber goß sich ein be-
zaubernder Schimmer der Glückseligkeit und mehr als
Tausende von tobten Worten auszudrücken vermocht hätten,
erzählte der einzige, lange Blick, den sie auf den Assessor
richtete, von inniger Dankbarkeit.
Der junge Mann fühlte, daß er die weihevolle
Stunde, in welcher der Engel des Glücks wieder seinen
Einzug hielt in die bescheidene Wohnung der braven
 
Annotationen