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Neuer General-Anzeiger: für Heidelberg und Umgegend ; (Bürger-Zeitung) — 1893 (Januar bis Juni)

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No. 131 - No. 140 (6. Juni - 16. Juni)
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Petersburg, 6. Juni. Das „Journal de St. Peters-
burg" bespricht die Erklärungen des Grafen Kalnoky
in den Ausschüssen für auswärtige Angelegenheiten in der
ungarischen Delegation und hebt hervor, die öffentliche
Meinung werde mit Befriedigung die Ausführungen Kal-
nokys begrüßen, die so ganz zur Beruhigung geeignet
seien, indem sie Aufklärung geben über den gegenwärtigen
Zustand der allgemeinen politischen Lage.
Die Reichstags Wahlbewegung.
Worms, 6. Juni. Die Vertrauensmänner der frei-
sinnigen Partei des Wahlkreises Worms-Heppenheim-
Wimpfen haben in einer hier abgehaltenen Versammlung
einstimmig als Reichstagscandidat Herrn Thorwart,
Director der Genossenschaftsbank Sörgel, Parisius und
Cie. in Frankfurt a. M. aufgestellt.
Mainz, 6. Juni. Die Centrumspartei für den
Wahlkreis Worm s-H eppenheim hat nunmehr Frhrn.
von Da d l-Darmstadt, den bekannten Führer des Hessischen
Bauernvereins zum ReichstagScandidaten erwählt.
Wiesbaden, 6. Juni. Die gestern Abend im „Römer-
saale" abgehaltene Wählerversammlung, in der
Herr Major a. D. Hinze sprach, war außerordentlich
stark besucht; namentlich hatten sich die Socialdemokraten
in großer Anzahl eingefunden. Herr Hinze suchte die
Notwendigkeit der Heeresvermehrung zu begründen, indem
er die Stärke der Armeen der Länder nachwies, von denen
Deutschland einen Angriff zu erwarten haben kann und
gelangte zu dem Schluffe, daß Deutschland, um die Ge-
lüste dieser Länder niederzuhalten, eine genügend zahl-
reiche Armee besitzen müsse. Außer Herrn Hinze sprachen
noch die Herren Rechtsanwalt Dr. Fleischer, Ver-
waltungsgerichtsdirector v. Reichenau und Fabrikant
Rudolf Köpp, der Candidat der vereinigten Parteien.
Bon der Lahn, 6. Juni. In Wetzlar sind fünf
Kandidaten aufgestellt: Der seitherige Abg. Krämer
(Cartellparteien), Landwirth Bär-Herrcnhag (antisemit.
Volkspartei), Kaufmann deGruyter in Ruhrort (freis.),
Parlier Paul in Hannover (Soc.)
Aus Wcry und Jern.
* Karlsruhe, 6. Juni. Die Landesversammlung
des Bad. Frauenvereins wird am Montag 19. d. Mts.,
Vormittags halb 10 Uhr, im großen Rathhaussaale dahier
stattfinden. Neben den Berichten des Generalsekretärs
und der Abtheilungsvorstände und der Rechnungsvorlage
wird eine Frage von allgemein wichtiger Bedeutung er-
örtert und durch einen Vortrag des Herrn Oberschulrath
Wallrafs eingeleitet worden; es ist dies die Frage: „Was
kann zur Heranbildung der weiblichen Jugend der ärmeren
Volksklassen zu einer geordneten Lebensführung gethan
werden?" Am Versammlungstage wird eine Ausstellung
von Arbeiten der einzelnen Anstalten des Vereins im
Kuppelbau des Orangeriegebäudes zur Ansicht der Theil-
nehmer an der Versammlung veranstaltet werden.
* Karlsruhe, 6. Juni. Der Verein der Korn-
brennereibesitzer und Preßhefenfabrikanten Deutschlands
hält Mittwoch, 7. Juni, Mittags um halb 12 Uhr, im
Saale der städtischen Festhalle seine 10. ordentliche Haupt-
versammlung ab.
* Lahr, 5. Juni. Nach einer Mittheilung von zu-
ständiger Seite ist für den „Ersten 112er-Tag" in Lahr
am 24., 25. und 26. d. M. mit welchem zugleich das
vierzigjährige Regimentsjubiläum gefeiert wird, die gleiche
Fahrvergünstigung wie bei der ähnlichen Feier des 111.
Regiments bewilligt worden. Gleichzeitig erhielt der
Ausschuß auch die Zusage des kommandirenden Generals
des 14. Armeekorps, des Herrn Generals der Infanterie
v. Schlichting, sich an dem Feste zu betheiligen. Die
bisher von Vereinen rc. eingegangenen Anmeldungen
stellen einen über Erwarten zahlreichen Besuch in Aussicht.

gestern mit dem Anträge des Stadtraths, 150000 Mk.
zu 3f/z Proc. bei der Bad. Versicherungsanstalt für Er-
richtung von Arbeiter Wohnungen aufzunehmen.
* Freiburg i. B., 6. Juni. Mehrere große Oeko-
nomen wurden wegen langjähriger Milchpantschereien zu
hohen Geld- und Gefängnißstrafen verurtheilt.
* Ulm a. D., 6. Juni. Die Eheleute Schuhmacher
Erne in Blaubeuren haben sich, da sie die fälligen
Wechsel nicht zahlen konnten, erhängt.
* Nürnberg, 5. Juni. Am Samstag Abend zwischen
9 und 10 Uhr spielte sich am Plerrer ein Liebesdrama
ab. Der lauten, lebhaften Unterhaltung zweier vor dem
Ludwigsbahnhofe stehender junger Männer war zu ent-
nehmen, daß beide Eifersucht gegeneinander hegten. Zu
ihnen gesellte sich das Hausmädchen des nahewohnenden
Geldschrankfabrikanten Meck. Das Gebühren wurde nun
aufgeregter und auffälliger. Plötzlich fielen zur Be-
stürzung der zahlreichen Passanten mehrere Schüsse. Einer
der Männer hatte auf seinen Nebenbuhler viermal ge-
schossen und dreimal getroffen. Während der Verletzte
zusammenstürzend von einem Vorübergeheden aufgefangen
wurde, richtete der Angreifende den Revolver gegen
seine eigene Schläfe, drückte los und fiel als Leiche
auf das Trottoir. An dem Aufkommen des Schwerver-
wundeten, Schmied Johann Kiesel von Bergtheim bei
Würzburg, wird gezweifelt, da eine Kugel in die Lunge
drang. Die unheilvolle Scene hatte sich binnen weniger
Augenblicke abgespielt; leicht hätte ein Passant durch die
fehlgehende Kugel getroffen werden können.
* Lregttih, 6. Juni. Auf der hiesigen Post ist ein
Leinenbeutel, enthaltend 6000 Mk., verschwunden.
* Halle a. S., 6. Juni. An der Provinzial-Jrren-
anstalt Nietleben bei Nietleben ertränkte sich dieser
Tage in der Saale eine junge Dame. Obgleich die
Unglückliche rasch aus dem Flusse gezogen wurde, war sie
bereits todt. Es ergab sich, daß die Selbstmörderin die
Gattin des Rittergutsb esitzers Marckwald auf
Bodenborn am Mansselder See war. Sie hatte im
Zustande geistiger Verwirrung ihr Haus verlassen und es
war nicht gelungen, sie rechtzeitig zurückzuhalten.
* Wahn bei Köln, 6. Juni. Der „Rhein. Wests,
Arbeiterztg." wird von hier berichtet: Ein netter Militär-
beamter. Ein längere Jahre im Dienst stehender Ka-
sernen-Jnspektor, dem die Verwaltung auf dem Artillerie-
Schießplatze zu Wahn übertragen war, ist seit dem 23.
Mai unter dem Vorgehen, nach Köln zu reiten, spurlos
verschwunden. Ein höherer Jntendanturbeamter, der zur
Zeit in Wahn anwesend war, öffnete mit einem anderen
aus Köln herbeigerufenen Kasernen-Jnspektvr die Kasse.
Es befanden sich 40 M. darin. Wie man bis jetzt
festgestellt hat, fehlen annähernd 15 000 Mark. Seine
Frau hatte der Entwichene einige Tage vorher unter
Vorspiegelung falscher Thatsachen mit den Möbeln in
ihre Heimath geschickt.
* Aachen, 6. Juni. Der in Wien verhaftete Heirats-
schwindler Davernold, der seiner letzten Braut mit
30 000 Mark durchgebrannt war, wurde der „Köln.
Ztg." zufolge vorgestern in das hiesige Gerichtsgefängniß
eingeliefert. Von dem Gelde fand sich nur noch wenig vor.
* Düsseldorf, 6. Juni. Die 7^ Jahre alte Adele
Schönike von hier, die seit Sonntag Nachmittag spurlos
verschwunden war, wurde in der vergangenen Nacht von
2 Arbeitern in der Thürnische des Hauses Kloster- und
Karlstraßen-Ecke todt aufgefunden. Die Leiche zeigt am
Halse deutliche Spuren von Erdrosselung. Allem An-
schein nach liegt Mord vor.
* Koburg, 6. Juni. Die herrschende große Futter-
noth wird durch folgendes Beispiel illustrirt. Ein Tag-
löhner in einem benachbarten Orte hat vor einigen Tagen
seine einzige Kuh für 20 Mk., sage und schreibe: zwanzig
Mark, verkauft! Von einem Städter gefragt, warum er

geschlachtet und das Fleisch verpfündet habe, antwortete
er thränenden Blickes: „Sie hatte kein Fleisch mehr,
sondern nur Haut und Knochen!" Der Aermste hatte,
als das Futter knapp und knapper wurde, die Kuh auf
immer kleinere Rationen gesetzt, bis sie thatsächlich zu
einem Skelett abgemagert war. Futter hatte er nicht mehr
und so mußte er noch froh sein, daß er Jemand fand,
der ihm das Thier für 20 Mk. abnahm. In Seßlach
hat ein Halbmeister in den letzten acht Tagen 11 Stück
Rindvieh fortzuschaffen gehabt. Diese große Sterblichkeit
hängt mit de? Futternoth zusammen. Der Centner Heu
kostet hier 6 Mark, und nur schwer ist welches zu haben.
* Natibor. 6. Juni. Wie der „Oberschlesische An-
zeiger" meldet, tritt seit einigen Tagen in den Kreisen
Großstrelitz und Lublinitz ein kleiner unbekannter Käfer
in großen Massen auf, der die Getreidefelder verwüstet
und allein in der Herrschaft Cziasnau über 70 Hektare
Sommersaat vernichtet hat.
* Luxemburg, 6. Juni. In dem wenige Stunden
von der französischen Grenze entfernt gelegenen lurem
burgischen Dorfe Düdelingen, wo sich das bekannte
luremburgische Walzwerk befindet, geschah am verflossenen
Sonntag ein schreckliches Unglück. An jenem Tage wurde
die Fronleichnamsprocession unter dem Hierlands noch
überall üblichen Böllerschießen gefeiert. Beim Laden
derselben betheiligen sich gewöhnlich die Jünglinge des
Dorfes, wobei es grvßtentheils ohne alle Vorsicht hergeht.
Während des Ladens entlud sich hier ein Böller und
krepirte. Die Stücke richteten unter den Umstehenden
erschreckliche Verheerungen an; einer blieb todt zur Stelle;
fünf bis sechs anderen wurden die Beine theils zer-
schmettert, theils dermaßen verwundet, daß sie abgenommen
werden mußten. Andere erlitten Verwundungen an Ge-
sicht und am Körper. Alle Getroffenen sind arme Leute,
unter denen mehrere Familienväter, die blutarme Witwen
und Waisen hinterlassen. Die Ortsvorstände und Pfarrer
sollten das Schießen mit dergleichen gefährlichen Dingern
aufs strengste untersagen. — In einer anderen Ortschaft
des Landes wurden am verflossenen Samstag drei auf
dem Felde weilende Kinder von einem Gewitter ereilt
und vom Blitze getroffen. Eines blieb todt liegen, die,
anderen sind vom Arzte aufgegeben. Kinder und deren
Eltern liefen beim Anbruch des Gewitters aus allen
Kräften, um ihr Heim zu erreichen; also abermals eine
Warnung, während eines Gewitters nicht zu laufen.
* Vern, 5. Juni. Die technisch internationale
Eisenbahnconferenz wird Nachmittags 3 Uhr in Bern
durch eine Rede des Bundesraths Zemp eröffnet. Deutsch-
land ist vertreten durch Dr. Gerstner, Dr. v. d. Leyen,
Hauck, Dr. Rösing. Folgende Staaten sind betheiligt:
Deutschland, Oesterreich - Ungarn, Belgien, Frankreich,
Italien, Luremburg, Niederlande, Rußland, Schweiz.
* Vrüun, 6. Juni. Beim Einsturz eines Hauses
wurden 2 Arbeiter getödtet und niedrere verwundet.
* Budapest, 5. Juni. Der Srrafsenat der kgl.
Kurie oerurtheilte den Pfarrer von Kommorn, angeklagt
wegen Mißbrauch der Amtsgewalt und Uebertretung der
Regierungs-Verordnungen, zu 50 Gulden Geldstrafe für
jeden einzelnen Uebertretungsfall. Der Pfarrer hat in
5 Fällen Kinder aus gemischter Ehe katholisch getauft.
* Lemberg, 9. Juni. Infolge anhaltenden Regens
ist eine verheerende Überschwemmung im Dniestergebiete ein-
getreten. Viele Ortschaften an den Flüssen Stry, Swica
und Lomnica sind gleichfalls überschwemmt. In den
Vorstädten von Tysmienica flüchten sich die Einwohner
auf die Dächer; einzelne Häuser in Slotwina sind weg-
geschwemmt. Großer Schaden ist angerichtet an Straßen
und Brücken, welche theils weggerissen, theils gefährdet
sind. Es regnet ununterbrochen.
* Paris, 6. Juni. Der Kassenbote der „Sociste
Gänerale" ist niit 239 000 Fr. flüchtig.

Rahe kamen, unterwürfig zu machen. Mit unendlicher Befrie-
digung sah sie, daß man ihr allenthalben mit großer Aufmerk-
samkeit entgegen kam. Sie liebte eine gewisse Gefelligkeit und
hatte durchaus nicht die Absicht, sich hier in ihrer hübschen,
kleinen Villa von jedem Verkehr abzuschlicßen. An Melitta
dachte sie in diesem Falle kaum, aber sie wollte genießen, und
es paßte ihr vortrefflich, daß sie bei ihren Nachbarn so viel
Entgegenkommen fand.
Melitta zog sich auf ihr Zimmer zurück, sobald sie heim-
gekommen waren, allein Georgine dachte noch nicht daran, sich
zu Ruhe zu begeben. Sie hatte in ihrem hübschen, kleinen
Salon Licht anzünden und dieBalkonthüre desselben öffnen
lassen, um noch die milde, kühle Nachtluft zu genießen. Ein
weißes Tuch um ihre Schultern werfend, trat sie auf den
Balkon hinaus, der mit einigen Blattpflanzen geschmückt, einen
angenehmen Aufenthalt bot.
Georgine setzte sich auf den Stuhl, der zwischen den blühen-
den Oleanderbüschen bereit stand. Sie lehnte sich an das Gitter
und blickte sinnend in die Nacht hinaus. An die Vergangen-
heit dachte sie, an ihr Leben, das doch eigentlich nur eine lange
Irrfahrt gewesen — hatte sie nun einmal das festgesetzte Ziel
erreicht — oder was sollte, was konnte sie noch treffen?
Da drang ein leiser Ruf durch die Stille der Nacht; ihr
Name war's, in zagendem, gedämpftenTone gerufen. Geor-
gine blickte rasch um sich. Das konnte doch wohl nur eine Täu-
schung gewesen sein, denn wer mochte sie um diese Zeit bei
ihrem Namen und noch dazu so vertraut rufen!
„Wer ist da?" rief sie entschlossen hinab. Eine Gestalt
löste sich aus dem Dunkel und trat vor.
„Georgine, ich bin's, Molitor," sagte der Untenstehende
mit heiserer Stimme.
Georgine beugte sich betroffen noch weiter vor. „Du?
Was willst Du hier zu dieser Zeit, um diese späte Stunde?"
fragte sie verwundert. — „Ich will Dir alles erklären, nur
laß mich hinein," drängte er.

Sie überlegte. Wenn sie selbst öffnete und die Dienerschaft
am anderen Tag den Gast sah, das konnte doch nur auffallen,
und andererseits — Molitor's Stimme unterbrach ihren Ge-
dankengang.
„Rasch," rief er, „ich will mit dem Morgengrauen wie-
der fort, Niemand soll mich hier sehen "
„Dann komme ich gleich," rief nun Georgine entschlossen
hinab.
Sie nahm die Schlüssel, die ihr an jedem Abend gebracht
werden mußten, und ein Licht ergreifend, ging sie leisen, ra-
schen Schrittes hinab.
Molitor erwartete sie mit Ungeduld. Kaum hatte sie geöff-
net, als er schon in's Haus schlüpfte; er folgte schweigend
seiner Führerin, die ihlt in den kleinen Salon führte, dessen
Balkonthüre sie jedoch sorgfältig verschloß.
„Nun rede, was giebt es," sagte sic. Molitor war er-
schöpft in einen Stuhl gesunken, er sah so müde und abgespannt
aus, daß Georgine unwillkürlich fragte: „Du bist krank?"
„Nein, nein," fuhr er auf, „das darf ich nicht sein, nicht
werden. Oh, Georgine, mir ist etwas Entsetzliches geschehen!
Jetzt, nach Jahren eines geregelten Lebens, einer anständi-
gen, sorgenlosen Existenz bin ich zum Mörder geworden!"
Selbst die harte, herzlose Frau schauderte, als er diese
Worte sprach.
„Zum Mörder," wiederholte sie tonlos, „wie ist cs mög-
lich? Wie ist es zngcgaugen."
„Ein böses Verhängnis;; es ist, als hätte ich mein Ziel
nicht erreichen sollen" — und Molitor erzählte, wie Bernard
Tisson zu ihn', gekommen, wie er sich an ihn gedrängt und cs
schließlich versucht habe, ihm die reiche Braut abwendig zu
machen.
Georgine hörte ihn schweigend zu. Sie sah ein, daß dieses
Ercigniß auch auf ihren Weg einen dunklen Schatten warf.
Lange, als Molitor geendet, ließ sie ihn auf Antwort warten.
„Was willst Du jetzt thun?" fragte sic endlich. „Fliehen

nach Amerika," versetzte er; „Alma von Minden ist jetzt für
mich verloren, meine ganze Stellung ist vernichtet, ich darf nur
trachten, mir die Freiheit zu erhalten."
„Weißt Du gewiß, daß Tisson todt ist?"
„Starr und reglos lag er vor mir, kein Athenizug hob
seine Brust, und selbst, gesetzt den Fall, ich hätte mich getäuscht
und er ist blos verwundet, glaubst Du, daß Tisson schweigen,
daß er mich nicht nennen wird?"
Georgine zuckte die Achseln. — „Vielleicht, dieser Mensch
hat stets seinen Bortheil im Auge gehabt. Jedenfalls wird
er sich eine Geschichte zurecht legen, die ihn in ein günstiges
Licht stellt — möglicherweise wäre es besser für Dich gewe-
sen, zu bleiben, als zu fliehen, doch das wird sich ja mit der
Zeit zeigen."
Molitor fuhr mit der Hand über seine brennend heiße
Stirn; wie es da drin pochte und hämmerte, und doch fühlte
er sich so entsetzlich matt und abgeschlagen. Das durfte nicht
sein, er mußte stark bleiben, bis er sich in Sicherheit sah.
Er erhob sich mit Anstrengung und bemerkte zu seinem
Schrecken, daß seine Knie unter ihm zitterten und wankten,
kaum daß er sich aufrecht halten konnte.
Georgine sah seinen Zustand, und ein unangenehmes
Gefühl beschlich sie. Wenn er hier krank wurde? Wenn die
Gerichte ihn hier bei ihr fanden?
„Ich will Dir ein Glas Wein zur Stärkung bringen,"
sagte sie, „wann willst Du Dich wieder auf den Weg machen?"
„Ich wollte auf Umwegen nach Paris, von dort nach
England und dann nach Amerika," murmelteer, „aber meine
Kräfte gehen zu Ende, einige Stunden mußt Du mich ruhen
lassen, dann benütze ich den Zug nach Frankfurt, dort will
ich mir eine passende Verkleidung wählen und daun fort —
fort —" daS Wort erstarb ihm im Munde. Er knickte zu-
sammen wie ein hilfloses Kind.
(Fortsetzung folgt.) 3,13 18ci
 
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