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Volksgemeinschaft: Heidelberger Beobachter, NS-Zeitung für Nordbaden (6) — 1936 (Juli bis Dezember)

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https://doi.org/10.11588/diglit.9507#0370

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Lsits 8

Oer Zonnlag

„Volksgemelnfchafi"

Sonntaü, de« LK. Znti i»3k

Unbequeme wird hinausgedrängt und weggewischt.
Und das, was der Zeuge verschweigt, ist oft das
Ausschlaggebende. Zahlenangaben sind übrigens
stets salsch.

An einem regnerischen Tag, den wir bei Ps-
ronne in unserem llnterstand verbrachten, haben
w*r die Probe aufs Exempel gemacht. Wohl an
die hundertmal waren wir die Römerstratze ent-
langgekarrt mit Munitionswagen, von Pöronne
Lis Fouqaucourt, eine endlose Strecke, schnurgerade,
ohne Baum und Strauch und doch mit zahlreichen
Anhaltspunkten: hier ein Stapel Eeschotzkörbe,
dort eine entgleiste Feldbahnlore, dort ein eng-
lischer Wegweiser. Zu acht satzen wir und mühten
uns ab, den Weg möglichst naturgetreu aufzuzeich-
nen. Stundenlang. Keiner durfte beim Neben-
mann kiebitzen. llnd dann haben wir unsere Kra-
keleien verglichen: jeder hatte etwas anderes zu-
stande gebracht . . . und jeder schwor darauf, datz
seine Skizze die allein richtige sei.

Nun gar das Gehörte, das Aufgeschnappte! Jm
Weltkrieg hatten wir für die zugewisperten Tata-
rennachrichten das schöne Wort „Kantinenbefehl".
Und wahrhaftig: derlei Sensationen waren meist
dort erzeugt, wo man beisammen hockte und beim
Futter Zeit hatte zu Schwatz und Tratsch. llnd
weil, wie sich später erwies, ein paarmal irgend-

eine Einzelheit der kolportierten Schauermär wirk-
lich zutreffend war, so fiel der Lehrsatz auf frucht-
baren Boden: datz immer etwas Wahres dran sei.

Vertraue einem Freund eine Belanglosigkeit an:
sobald er sie weiterzählt, verändert sie sich, ohno
datz der Freund den Wortlaut im geringsten ent-
stellt. Es genügt vollauf, datz das Erzählte aus
dem Zusammenhang gerissen und nicht im Tonfall
des ersten Erzählers wiedergegeben wird. Geht es
jedoch um Dinge von einiger Bedeutung, so ist
äutzerstes Mitztrauen geboten, und umso feierlicher
Herr Wichtig versichert, er habe „ss" aus besonde-
rer Quelle, als desto mulmiger zeigt sich hernach
der Schlammgehalt.

Freund, denk immer an Goethe! Auf einer
Pflugschar hat er gesessen; dann hat er nieder-
geschrieben, datz er gesessen habe; und kurz darauf
hat er vergessen, datz er gesessen hat.

Der Satz, „Hier irrt Goethe", gern bei scherz-
haften Anlässen zitiert, ist bei nüchterner Veleuch-
tung nichts anderes als eine klassische Warnungs-
tafel.

Ein türkisches Sprichwort lautet: „Die Leute
haben es gesehen? Glaub die Hälfte! — Die
Leute haben es gehört? Glaub gar nichts."

Wir dürfen dieses Sprichwort getrost nach Mit-
teleuropa verpflanzen.

Havelbeins Mekord

Sportliche Humoreske von Herbert von Moser

Der Schneider in Pensa

Eine Erzählung von Iohann Peter Hebel

Der Schneider in Pensa, was ist das für ein
Männlein! Sechsundzwanzig Gesellen auf dem
Brett, jahraus, jahrein für halb Rutzland Arbeit
genug, und doch kein Eeld, aber ein froher, heiterer
Sinn, ein Eemüt, treu und köstlich wie Eold und
mitten in Asien deutsches Blut rheinländischer
Hausfreundschaft. 2m Jahre 1812, als Rutzland
nimmer Straßen genug hatte für die Kriegsgefan-
gen«n an der Beresina oder in Wilna, ging eine
auch durch Pensa, welches für sich schon mehr als
einhundert Tagereisen weit von Lahr und Pforz-
heim entfernt ist und wo die beste deutsche oder
englische Uhr, wer eine hat, nimmer recht geht,
sondern ein paar Stunden zu spät. 2n Pensa ist
der Sitz des ersten russischen Staathalters in Asien,
wenn man von Europa aus hereinkommt. Also
wurden dort die Kriegsgefangenen abgegeben und
übernommen und alsdann weiter abgeführt in das
tiefe, fremde Asien hinein, wo die Christenheit ein
Ende hat und niemand mehr das Vaterunser kennt,
wenns nicht einer gleichsam als eine fremde Ware
aus Europa mitbringt. Also kamen eines Tages
mit Franzosen untermengt auch sechzehn rheinlän-
disch« Herren, badische Offiziere, die damals unter
Len Fahnen Napoleons gedient hatten, über die
Schlachtfelder und Vrandstätten von Europa er-
mattet, krank, mit erfrorenen Eliedmatzen und
schlecht geheilten Wunden, ohne Eeld, ohne Klei-
dung, ohne Trost in Penso an und fanden in die-
sem unheimlichen Land kein Ohr mehr, das ihre
Sprache verstand, kein Herz mehr, das sich über
ihre Leiden erbarmte. Als aber einer den anderen
mit trostloser Miene anblickte: „Was wird aus uns
werden?" Oder: „Wann wird der Tod unserem
Elend ein Ende machen, und wer wird den letzten
begraben?", da vernahmen sie mitten durch das
russische und kosakische Kauderwelsch wie ein Evan-
gelium vom Himmel unvermutet eine Stimme:
„Sind keine Deutschen da?", und es stand vor
ihnen auf zwei nicht ganz gleichen Fützen eine liebe,
freundliche Eestalt. Das war der Schneider von
Pensa, Franz Anton Egetmeier, gebürtig aus
Bretten im Neckarkreis, Grotzherzogtum Baden.
Hat er nicht im Jahre 1779 das Handwerk gelernt
in Mannheim? Hernach ging er auf die Wander-
schaft nach Nürnberg, hernach ein wenig nach
Petersburg hinein. Ein pfälzischer Schneider
schlägt sieben- bis achthundert Stunden Wegs nicht
hoch an, wenns ihn inwendig treibt. Jn Peters-
burg aber lietz er sich unter ein russisches Kavalle-
rieregiment als Regimentsschneider engagieren und
ritt mit ihm in die fremde russische Welt hinein,
wo alles anders ist, nach Pensa, bald mit der
Nadel stechend, bald mit dem Schwert. Jn Pensa
aber. wo er sich nachher häuslich und bürgerlich
niederlietz, ist er jetzt ein angesehenes Männlein.
Will jemand in ganz Asien ein sauberes Kleid nach
der Mode haben, so schickt er zu dem deutschen
Schneider in Pensa. Verlangt er etwas von dem
Statthalter, der doch ein vornehmer Herr ist und
mit dem Kaiser reden darf, so hat's ein guter
Freund vom anderen verlangt, und hat auf dreitzig
Stunden Wegs ein Mensch ein Unglück oder einen
Schmerz, so vertraut er sich dem Schneider von
Psnsa an, er findet bei ihm, was ihm fehlt, Trost,
Rat, Hilfe, ein Herz und ein Augs voll Liebe,
Obdach, Tisch und Bett, nur kein Eeld.

Einem Gemüte wie dieses war, das nur in
Liebe und Wohltun reich ist, blühte auf den
Schlachtfeldern des Jahres 1812 eine schöne Freu-
denernte. So oft ein Transport von unglücklichen
Eefangenen kam, warf er Schere und Elle weg und
war der erste auf dem Platze, und „sind keine
Deutschen da?" war seine erste Frage, denn er hoffte
von einem Tage zum anderen, unter den Eefange-
nen Landsleute anzutreffen, und freute sich, wie er
ihnen Eutes antun wollte. „Wenn sie nur so oder
so aussähen", dachte er. „Wenn ihnen nur auch
recht oiel fehlt, datz ich ihnen recht viel Gutes er-
weisen kann." Doch nahm er, wenn keine Deut-
jchen da waren, auch mit Franzosen vorlieb, und

erleichterte ihnen, bis sie weitergeführt wurden.
ihr Elend, als er nach Kräften konnte. Diesmnl
aber, und als er mitten unter so viele geneigte
Leser, auch Darmstädter und andere hineinrief:
„Sind keine Deutschen da?: er mutzte zum zweiten
Male fragen, denn das erste Mal konnten sie vor
Staunen und Ungewitzheit nicht antworten, son-
dern das sütze deutsche Wort in Asien verklang an
ihren Ohren wie ein Harfenton, und als er hörte:
„Deutsche genug", und von jedem erfragte, woher
er sei — er wär' mit Mecklenburgern oder Kur-
sachsen auch zufrieden gewesen, aber einer sagte:
„Von Bruchsal", der andere sagte: „Von Mannheim
am Rheinstrom", als wenn der Schneioer nicht vor
ihm gewutzt hätte, wo Mannheim liegt, der dritte:
„Von Heidelberg", der vierte: „Von Gochsheim";
da zog es wie ein warmes Tauwetter durch den
ganzen Schneider hindurch. „Und ich bin von Bret-
ten", sagte das herrliche Gemüt, Franz Anton Eget-
meier von Bretten, und die Tränen der Freude,
der Wehmut und der Heimatliebe traten allen in
die Augen, und es war schwer zu sagen, ob sie
einen freudigeren Fund an dem Schneider oder der
Schneider an seinen Landsleuten machte und wel-
cher Teil am gerührtesten war. Jetzt fllhrte der
gute Mensch seine teuern Landsleute im Triumph
in seine Wohnung und bewirtete sie.

Sodann eilte er zum Statthalter und bat um
die Enade, datz er seine Landsleute in Pensa be-
halten dürfe. „Anton", sagte der Statthalter,
„wann hab' ich Euch etwas abgeschlagen?" Jetzt
lief er in der Stadt herum und suchte für die-
jenigen, welche in seinem Hause nicht Platz hatten,
bei seinen Bekannten die besten Quartiere aus.
Jetzt musterte er seine Eäste, einen nach dem an-
deren. „Herr Landsmann", sagte er zu einem,
„mit Eurem Weitzzeug sieht's windig aus. Jch
werde Euch für ein halbes Dutzend neue Hemden
sorgen." — „Jhr braucht auch ein neues Röcklein",
sagte er zu einem anderen. „Eures kann noch ge-
wendet und ausgebessert werden", zu einem dritten,
und so zu allen, und augenblicklich wurde zuge-
schmtten und alle sechsundzwanzig Eesellen arbei-
teten Tag und Nacht an Kleidungsstllcken für seine
rheinländischen Hausfreunde. 2n wenigen Tagen
waren alle neu oder anständig ausstaffiert.

Als die Stunde der Erlösung schlug, gesellte stch
zur Freude der bittre Schmerz der Trennung und
zu dem bittren Schmerz die Not. Denn es fehlte
an allem, was zur Notdurft und zur Vorsorge auf
eine so lange Reise in den Schrecknissen des russi-
schen Winters nötig war. Darum ging in diesen
letzten Tagen der Schneider, sonst so frohen, leich-
ten Mutes, still und nachdenklich hernm, wie einer,
der etwas im Sinn hat, und war wenig mehr zu
Hause. „Es geht ihm recht zu Herzen", sagten die
rheinländischen Herren Hausfreunde und merkten
nichts. Aber yuf einmal kam er mit grotzen Freu-
denschritten, ja mit verklärtem Antlitz zurück:
„Kinder, es ist Geld genug da!" — Was war's?
Die gute Seele hatte für zweitausend Rubel das
Haus verkauft. „Jch will schon eine Unterkunft
finden", sagte er, wenn nur ihr ohne Leid und
Mangel nach Deutschland kommt". Doch der Kauf
wurde, zu grotzem Trost der Eefangenen wieder
rückgängig gemacht. Nichtsdestoweniger brachte er
auf eine andere Art noch einige Rubel für stch zu-
sammen und nötigte ste, was er hatte von kostbaren
Pelzwerk mitzunehmen, um es unterwegs zu ver-
kaufen, wenn sie Eeldes bedürftig wären oder
einem ein Unglück widerführe. Den Abschied will
ich nicht beschreiben. Keiner, der dabei war, ver-
mag es. Sie schieden unter tausend Segenswün-
schen und Tränen des Dankes und der Schneiüer ge-
ftand, datz dies für ihn der schmerzlichste Tag sei-
nes Lebens sei. Die Reisenden aber sprachen unter-
wegs unaufhörlich von ihrem Vater in Pensa, und
als sie wohlbehalten in Polen eintrafen und Geld
antrafen, schickten sie ihm das Reisegeld zurück.

Das war das Eotteskind Franz Anton Eget-
meier, Schneidermeister in Asien.

Schon von weitem erkannte ich Havelbein an der
Stratzenbahnhaltestelle. Er schaute mit behaglichem
Schmunzeln in die aufgeschlagene Zeitung. Jch trat
leise und neugierig hinter ihn und schaute ihm über
die Schulter. Da war der Sportteil ausgeschlagen,
und Havelbein betrachtete das Bild eines kräftigen
Herrn im Schwimmtrikot. llnter dem Bild stand zu
lesen, datz „der bekannte DBDDHKP-Mann Bimse,
einer unserer besten Turmspringer, einen neuen Re-
kord im llnterwasserschwimmen aüfgestellt habe, der
mit 7,13^ alle bisherigen Leistungen weit hinter
sich lasse".

Seit wann interessieren Sie stch denn für Re-
korde?" fragte ich und schüttelte ihm die Hand.

„Ach, das tue ich ja auch eigentlich nicht", sagte
er fast entschuldigend. „Nur, wissen Sie: dieser Re-
kord von Bimse ist eigentlich mein Verdienst!"

„Jhr Verdienst?"

Er blickte auf seine Uhr. „Na, bis meine Bahn
kommt, kann ich es Jhnen ja schnell erzählen. Also
Sie wissen ja, datz ich wirklich kein ausgepichter
Sportfex bin, wenngleich ich den Segen körperlicher
Betätigung keineswegs verkenne. Jch mache bei-
spielsweise jeden Frühling und jeden Herbst eine
grötzere Wanderung in die Umgebung der Stadt und
gehs auch an heitzen Sommertagen gerne einmal
schwimmen, wenn es meine Zeit erlaubt. So war ich
auch in üiesem Sommer wieder einmal drautzen in
der Badeanstalt. Froh und Lankbar lietz ich mich von
der Sonne rösten. Ab und zu blinzelte ich zur Was-
serseite hinunter und freute mich Lber den Eifer,
der dort versammelten Schwimmer. Mittelpunkt
dieser Gruppe war ein starker Mann, eben unser
Herr Bimse. Er hatte eine weitze Vadehose an mit
einem versessenen Abzeichen auf der Hinterseite.
Anscheinend erklärte er der andächtig lauschenden
Menge, wie man einen Kopfsprung springen müsse,
denn er sprang wie eine Krähe auf deni Voden
herum und warf die Arme seitwärts und in die
Luft.

Nun, kurz und gut: endlich wollte ich ins Was-
ser. 2ch pflege immer mit einem Kopfsprung ins
Wasser zu gehen. Jch ging also mit der Miene
eines Menschen, der weitz, was er will, auf die
Volksmenge zu, die das Sprungbrett umlagerte
und sagte höflich, aber bestimmt: „Einen Augen-
blick, bitte!"

Jn der gleichen Sekunde verstummte jedes Ee-
spräch. Das Sprungbrett wurde frei, und ich war
mit einem Schlage der Mittelpunkt der Gruppe.
Wahrscheinlich, weil ich im Augenblick der einzige
war, der wirklich ins Wasser sprang.

Jch springe also arglos und heiter ins Wasser
und freue mich über die kühle Frische. Kaum bin
ich wieder aufgetaucht, höre ich eine Stimme:

„Ach, der Herr, — bitte einen Augenblick".

Der Mann mit dem Abzeichen winkt mir zu.
Dann wendet er sich an die Volksmenge und er-
läutert etwas. Die Menge schüttelt strafend den
Kopf und bemüht sich. sachkundig und verständ-
nisooll auszusehen. Neugierig und erschreckt
schwimme ich wieder an Land. Der Mann mit dem
Abzeichen nimmt mich in Empfang: „Haben Sie
nicht einen starken Ruck im Kreuz verspürt, mein
Herr?"

Also das war es! Eerührt und etwas verlegen
sage ich: „Ach, das war ja nicht so schlimm!"

„Erlauben Sie mal, das ist sogar sehr schlimm
und gefährlich! Sie haben die Beine nicht gestreckt
gehalten, und die Armarbeit war mangelhaft, so
datz der Ruck ins Kreuz bedeutend verstärkt wurde.
Sie müssen schon ganz anders abspringen! Sich
viel mehr werfen lassen vom Brett. Die Arme
müssen den Körper hochreitzen, ihm Schwung ge-
ben. llnd dann: Kopf hoch, Brust heraus, und die
Beine durchgedrückt! Sonst wird es nie was Rech-
tes!"

Er sieht mich bedauernd an. Jch sehe ja ein,
datz er im Grunde recht hat, und mache wohl einen
etwas bekümmerten Eindruck, denn gleich darauf
sagt er tröstend: „Nun, versuchen Sie es doch noch
einmal!" Jch sehe mich um. Die Menge erwartet
von meinem Mut, datz ich springe. Jch tue es auch.
Ungefähr achtmal. Aber es macht mir keine rechte
Freude. Eigentlich wollte ich ja schwimmen und
nicht Kopfsprünge lernen. Nach dem neunten Mal

ruft mir der Lehrer zu: „Das war schon sehr schön!
Nun wollen wir es mal vom Dreimeterbrett ver«
suchen! Passen Sie mal aus, wie das anders wird!"

Er hatte recht. Es wird ganz anders. War ich
bisher nur auf das Gestcht gefallen, so falle ich
diesmal auf Eesicht und Bauch. Und das tut aus
drei Meter Höhe sehr weh.

Jch bin noch nicht wieder llber Wasser, als
mein Racheplan schon in den Erundzügen fertig
ist. Mein Peiniger steht noch auf dem Dreimeter-
brett. Jch steige hinauf. Er empfängt mich mit
einem rätselhaften Grinsen, das meinen Plan nur
bestärkt.

„Na hat's wehgetan?" fragt er heuchlerisch.
„Wenn Sie stch nur belehren lassen wollten! Dann
würde das alles viel schneller und schmerzloser ge-
hen. Sshen Sie mal, wenn Sie später den „Hecht-
bohrer aus dem Stand, rücklings" springen wollen
oder den „Auerbachsalto, gestreckt mit Anlaus" oder
einen „anderthalbfachen Salto rückwärts aus dem
Stand, rücklings gehechtet", und wenn Sie dann
nicht einmal den einfachen Kopssprung beherrschen,
ja, dann weitz ich nicht — —

Da fasse ich Mut und sage so nebenbei, den
Vlick in geheuchelter Langeweile aufs Wasser ge«
richtet:

„2a, wissen Sie, das ist ja alles ganz schön, was
Sie da sagen. Aber ich für meine Person lasse mich
im allgemeinen entweder so einfach iNs Wasser
fallen, hehe, wie vorhin, oder aber ich machs
Ernst und springe den „Grotzen Klabautersprung
mit halber Linksdrehung und Seitenhockstellung",
die sogenannte „Seemannsbackpfeife" vom Fünf-
meterbrett".

Er starrt mich an. „Grotzen Klabauter-"

„2a!" sage ich kühl. „Kennen Sie nicht? Nanu!"

Er schüttelt nur, stumm und überwältigt, dea
Kopf.

„Kommen Sie!" sage ich. „Gehen wir hinauf!
Jch kann's Ihnen ja mal zeigen!"

Eifrig stapft er hinter mir her. Mit arglistiger
Freude beobachte ich sein erwachtes Jnteresse. Jch
bin für ihn wieder so etwas wie ein Mensch ge-
worden.

„So!" sage ich oben. „Nun stellen Sie sich mal
mit dem Gesicht zum Wasser ganz vorne auf's
Brett. Noch mehr! So! Und nun breile Sie mal
die Arme aus-"

Er tut das mit Eifer und Jnbrunst. Einen
Augenblick lang genietze ich diesen Anblick, dann
nehme ich einen Anlauf und gebe ihm einen fürch-
terlichen Schubs, mitten auf sein Abzeichen. Ziem-
lich unbeherrscht fliegt er davon.

„Mangelhafte Armhaltung, Herr!" rufe ich ihm
in wilder Freude nach. „Ueberhaupt vermisse 'ch
die Körperdisziplin!"

Da gibt es einen Knall: Der Mann schlägt flach
auf das Wasser und verschwindet darin.

2n aller Ruhe gehe i.ch in meine Kabine und
ziehe mich an. Zum Baden habe ich keine rechte
Lust mehr. Als ich fertig bin, gehe ich noch ein-
mal zum Steg hinaus. Dort herrscht tiefes Schwei-
gen. Die Wasserfläche ist leer. Alle Besucher der
Vadeanstalt stehen am Geländer und starren auf
die Stelle, wo der Mann mit dem Abzeichen ver-
schwunden ist. Einer hat ekne Stoppuhr und flü»
stert ehrfürchtig, es sei eine fabelhafte Zeit.

Endlich taucht der Mann wieder auf. Er hat
einen krebsroten Oberkörper und einen gillen, ver-
sonnenen Ausdruck im Gesicht. Die Menge klatschte
ihm begeistert Beifall." —

„Sehen Sie", schlotz Havelbein mit glücklichem
Lächeln, „so wendete sich zum Schlutz alles zum
Euten. 2ch habe meine Eenugtuung, und Herr
Vimse hat seinen Rekord, auf den ich ihn gebracht
habe. 2eder verwertet das Erlebnis nach seinen
Gaben und Fähigkeiten. 2ch für meine Person
werds nur noch über die Treppe ins Wasser stei-
gen. Aber da kommt meine Bahn! Leben Sie
wohl! Wollen Sie die Zeitung haben? 2ch habe
sie gelesen. Nur den Sportteil möchte ich mir auf»
heben!"

Sprach's und stieg gewichtig auf die Plattform.
Die Bahn verschwand auf quietschenden Schienen
um die Ecke.

Da wiehert öer Amtsschimmel!

Das Marinebauamt aus Borkum erhielt eines
Tages folgende Anfrage des Wasserbauamtes in
Hamburg: „Es ist anzugeben, wie die im Ianuar
mit Prahm 13 gelieserten Ziegelsteine verwendet
worden stnd."

Aus Borkum hob ein eifriges Suchen und Akten-
wälzen an. Aber alle Mühe blieb verseblich. Von
den Ziegelsteinen des Prabm 13 war keine Svur
zu finden. Da ein ganzer Prahm voll Ziegel aber
nicht ohne weiteres verschwinden kann, wurde sol-
gender Bericht abgesandt: „Leider sind die mit
Prahm 13 gelieferten Ziegelstesne Lei der letzten
grohen Sturmslut ins Meer gesplllt worden."

Hierauf ersolgte nach einigen Wochen diese Ant-
wort des Wasterbauamtes: „Es hätte im vorlie-
genden Falle nicht der Heranziehung einer Sturm-
flut bedurft. da lt. beigesügter Anlagen der Prahm
13 gar nicht nach Vorkum, sondern nach Norder-
ney gesandt wurde . . ."

*

Jn einem ostpreutzischen Dörfchen gab es vor
einigen Jahren einen Crenzstreit. D§ die Sache

weit zurücklag, forderte der Landrat den Gemeinde«
vorsteher auf, die ältesten Leute der Eemeinde zu
vernehmen.

Hierauf antwortete der Vorsteher mit folgendem
Schreiben: „Leider kann ich die hohe Verfügung
des Herrn Landrates nicht durchführen, da die
ältesten Leute unseres Dorses vor einigen Iahren
verstorben sind."

*

Ein staatliches Ansiedlungsgut in Westvreutzen
erwarb eine neue Kleereibe-Maschine, Fabrikat
Viktor.

Ein Iabr sväter kam das bei der Oberrech-
nungskammer eingereichte Wirtschastsbuch dss Gu-
tes zurück. Neben der Eintragung: „Ein Visr-
gespann den Kleereiber Viktor zur Bahn gebracht"
befand sich ein grotzes Fragezeichen und folgenüe
Bemerkung:

„Es ist anzugeben. marum der Kleereiber V'k'or
den kurzen Weg zur Bahn nich: zu Futz zurück-
gelegt hat, und wenn er geschickt werden muhts,
warum dann nicht ein Einspänner genügte."
 
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